Jean Paul
Levana oder Erziehlehre
Jean Paul

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§ 96

Alles, was die sinnliche Aufmerksamkeit und das Augenmaß bildet und übt, werde das Mädchen gelehrt. Folglich Kräuterlehre – diese unerschöpfliche, ruhige, ewiggebende, mit weichen Blütenketten an die Natur knüpfende Wissenschaft –; dann Sternkunde, nicht die eigentlich mathematische, sondern die Lichtenbergische und religiöse, welche mit der Erweiterung der Welt den Geist erweitert, wobei es auch nicht schadet, daß ein Mädchen erfährt, woher eine längste Nacht zum Schlafen oder ein Vollmond zum Lieben komme. – Sogar Mathematik rat' ich an; aber nur fehlt den Weibern, die schon einen astronomischen Fontenelle haben, noch ein mathematischer; denn es ist hier nur von den einfachsten Grundsätzen der reinsten und angewandten Mathematik, zu welchen Knaben Kräfte haben, bei Jungfrauen die Rede. Ja die Geometrie als ein zweites Auge oder Diopterlineal, das in die Körperwelt so bestimmte Sonderungen bringt wie Kant ins Geisterreich durch die Kategorien, kann früh begonnen werden, da nie die geometrische Anschauung (obwohl die philosophische) den Geist auf körperliche Kosten anspannt, so wenig als den äußern Gesicht-Sinn. Studierten doch Bildhauer und Maler die Mathematik als das Knochengebäude der schönen Sichtbarkeit ohne Nachteil ihres Schönheitgefühles. Ich kenne ein drittehalbjähriges Mädchen, welches das trockne Blätterskelett der mathematischen Figuren, die es spielend zeichnen gelernt, im vollen Laubwerk der Natur wiedererkennt. Ebenso haben diese Wesen für die Rechnenkunst, besonders für die wichtige aus dem Kopfe, frühzeitige Kräfte. Warum lässet man dazu nicht ein Einmaleins der Reduktion der verschiedenen Münzsorten und Ellenmaßen auswendig lernen?

Etwas anderes, nämlich Entgegengesetztes, ist Philosophie. Wozu diesen Liebhaberinnen der Weisheit und der Weisen eine lehren? Aus diesem Geschlecht wurde zwar zuweilen ein großes Los mit Prämien gezogen, eine geborne Dichterin; aber eine geborne Philosophin hätte die Lotterie gesprengt. Eine geniale Frau kann Newton englisch verstehen und französisch geben – z. B. Mad. Chatelet –, aber keine einen Kant oder Schelling deutsch. Die seelenvollsten und geistreichsten Weiber haben eine eigne Weise und Gewißheit, den tiefsten Weltweisen zu verstehen, dem selber dessen Schüler zagend nachtasten – sie finden nämlich alles leicht, überall ihre eignen Gedanken, d. h. Gefühle. Am ewig wechselnden Wolkenhimmel ihrer Phantasie treffen sie jedes feinste abgezogenste Gerippe der Philosophen an; wie ja viele poetische Anhänger der neuern Philosophen-Schulen selber, die uns statt eines scharfen Kreises den phantastischen Dunstkreis geben.

Erdbeschreibung, als bloßes Örter-Register, ist ohne Wert für die geistige Entwickelung und von geringer Brauchbarkeit für weibliche Bestimmung; hingegen ist das unentbehrlich, was an ihr stehende, lebendige Geschichte – im Gegensatz der ablaufenden und abgelaufenen –, sowohl die der Menschheit, die sich in Völker, gleichsam wie in gleichzeitige Geschicht-Perioden zerteilt, als die des Erdballs ist, der zwölf Monate in zwölf gleichzeitige Räume verwandelt. Den Geist des an Sessel und Geburtort angeketteten Mädchens, einer in ein Schloß verwünschten Prinzessin, müssen die Reisebeschreiber erlösen und vor freie Aussichten führen. Ich wollte, man gäbe uns eine den Erdball umfassende Auswahl von den besten, aber für Mädchen umgearbeiteten und verkürzten Reisebeschreibungen; – und stattete der Herausgeber sie vollends mit Herders Duldung und Ansicht der unähnlichsten Völker aus: ich wüßte kein reicheres Geschenk für das Geschlecht. Örterbeschreibungen anlangend, so hätte jeder Stand andere nötig, eine Kaufmannstochter eine ganz andere als eine Prinzessin.

Fast alles dieses gilt von der versteinerten Geschichte, die nur aus einer Vergangenheit in die andere führt. Sie kann für ein Mädchen nicht dürftig genug an Jahrzahlen und Namen sein – wie viele Kaiser aus der deutschen Kaiserhistorie sind denn für ein Mädchen? –, hingegen nicht reich genug an großen Männern und Begebenheiten, welche die Seele über Stadt- und Vorstadt-Geschichten erheben.

Musik – die singende und die spielende – gehört der weiblichen Seele zu und ist der Orpheusklang, der sie vor manchen Sirenentönen unbezwungen vorüberführt, und der sie mit einem Jugend-Echo tief in den Ehe-Herbst hinein begleitet. Zeichnen hingegen stiehlt – sobald es über die Anfanggründe hinausgeht, welche das Auge und den Putzgeschmack höher bilden, – den Kindern und der Ehe zu viel Zeit; gewöhnlich wirds daher eine verlorne Kunst.

Eine fremde Sprache ist schon als wissenschaftliche Beleuchtung der eignen nötig, aber auch genug. Leider drängt sich die französische auf und voran, weil eine Frau sie schon lernen muß, um nur französische Einquartierung zu fassen und zu füllen. Ich wünschte – warum soll man nicht wünschen, d. h. das an jedem Tage des Jahres tun, was man am ersten tat? –, eine Sammlung englischer, italienischer, lateinischer Wörter würde den Mädchen als Leseübung vorgelegt, damit sie verständen, wenn sie hörten.

Die Schreib- und Sprech-Welt hat einen solchen fremden Kunst-Sprachschatz aus allen Wissenschaften in Umlauf gesetzt, daß man die Mädchen, welche die Kunstwörter nicht wie die Knaben mit den Wissenschaften selber lernen, durchaus wöchentlich aus einem Kunstwörterbuch auswendig lernen und Erzählungen, worin solche Wider-Campesche Wörter aufgehäuft wären, ins Deutsche und Verstandene sollte übertragen lassen. Ich wünschte, es würde absichtlich ein deutsches Oktavbändchen voll fremder Wörter samt einem Sachwörterbuch dazu geschrieben. Die besten Weiber lesen träumend (die andern freilich schlafend) – sie kommen über die Gebirge eines Geistwerks so gleitend weich hinüber als ein Seefahrer über die Bergrücken unten im Meer – keine fragt den Reichanzeiger, was irgendein Wort bedeute, nicht einmal den Mann; – – aber eben diesem Gelübde des Stillschweigens, welches das Fragespiel als ein verbotenes ansieht, dieser Zufriedenheit mit Nachtgedanken, welche erst allmählich im zwanzigsten Buche die Bedeutung eines Kunstworts des zweiten ablernt, soll vorgebogen werden. Sonst werden von ihnen die Bücher so gelesen, wie die Männer gehört.

Es gibt einen Sinnen-Reiz, den alle Mädchen haben könnten, und den oft in einer Mittelstadt kein einziges besitzt, – welcher den bezaubert, der ihn hat, und der ihn nicht hat, – welcher die Gestalt und jedes Wort ausschmückt – und der so lange unverwelklich bleibt (länger kann nichts dauern), als ein weibliches Wesen spricht, – – ich meine nämlich die Aussprache selber, die reine deutsche, gar keinem Geburtorte dienende. Ich bitte euch, Mütter, laßt euch Stunden in der allemandischen Prononciation geben und wiederholt sie dann wie ein Korrepetitor Töchtern. Ich sag' euch – um die Sache auf einer wichtigeren Seite zu zeigen –: Volkaussprache erinnert immer ein wenig an Volkstand; weil im ganzen, je höher hinauf, je besser ausgesprochen (nicht eben gesprochen) wird. Die höhern Stände sind (gegen Adelungs Verwechslung) zwar nicht die besten setzenden Tonkünstler der Sprache (Kompositeurs), aber doch die besten vortragenden (Virtuosen).

Mädchen können, ungleich den Schriftstellerinnen, nicht zu viel schreiben. Es ist, als ob sie auf dem Papiere – dieser letzten Verwandlung ihres lieben Flachses – selber eine mit erführen und in dem Zurücktreten der leichten und lauten Außenwelt Raum und Ruhe für ihre Innenwelt gewännen; so oft findet man in Briefen und Tagebüchern der alltäglichsten Sprecherinnen einen unerwarteten geistigen Himmel aufgetan. Worüber aber und wozu Sie schreiben, dies muß kein von der Lehr-Willkür, sondern ein vom Lebensaugenblicke aufgedrungenes Thema sein – denn ihre Empfindungen und Gedanken sind klimatisch und es mehr als des Knaben seine –; mithin wirkliche Briefe und eigne Tagbücher, keine Abhandlungen. Aus dieser Ursache wurden – weil bestimmtes Ziel drängte und anwies – so manche sprachkräftige tiefherausholende glanzvolle Briefe von weiblichen Geistern, ja sogar von männlichen dem Verfasser dieses zuteil, daß er oft im Verdrusse ausrief: schrieben nur fünf Schriftstellerinnen so gut wie zwanzig Briefstellerinnen, oder zwanzig Autoren so gut wie vierzig Briefwechsler: so wäre doch die Buchhändlermesse etwas wert.

§ 97

Der größte Teil des vorigen will die weibliche Kraft neben dem weiblichen Sinne, die Tätigkeit neben Milde bilden helfen; nicht bloß in der Ehe, sondern im Weibe selber soll ein Nachbild des himmlischen Tierkreises sein, wo der Löwe neben der Jungfrau schimmert. Der Begriff wirkt republikanisch im Geiste; das Gefühl monarchisch. Irgendein Gegenstand – z. B. der Anzug für einen Ball – erfaßt die Frau, wie ein Römer die Sabinerin, und entreißt sie ihrer Innen-Welt. Eine, die vor dem Nachttische des Balls an etwas besseres denken kann, mißt viele geistige Zolle mehr. Über niemand regiert aber die Gegenwart mit einer einzigen Idee stärker als über Seelen, die aus der innern Traum-Kammer wie geblendet ins helle Taglicht treten.

Daher kommt die bekannte Erfahrung, daß sie nie fertig werden als zu spät, und daß sie immer etwas vergessen haben. Wie leicht aber wäre eine Tochter in die Kampfschule der Besserung zu schicken, jede Woche einmal! Der Vater sage: »Liebe Line, oder Bine, Pine, stehst du in einer Stunde geputzt da, so tanzest du heute.«- So könnte er mit Lustfahrten, als Bedingungen des Lohns durch schnelles Aufbrechen und reiches Einpacken, von Vergeßlichkeit und Verspätung entwöhnen.


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