Jean Paul
Levana oder Erziehlehre
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel

Bildung zur Liebe

§ 116

Liebe, sagt' ich § 103, sei die zweite Halbkugel des sittlichen Himmels, sie wende sich nach außen, wie die Würde nach innen u. s. w. Noch aber ist das heilige Wesen der Liebe wenig ergründet, weder von der Romanen-Schreiberschaft, die, wie selbsüchtige Weiber, sie mit der verliebten vermengt, noch von den bloß begreifenden Philosophen, für welche ihre Tiefe teils ein Trieb, der außerhalb und unterhalb des kategorischen Imperativs (Sittengesetzes) belegen ist, teils bloße Gerechtigkeit, d. h. Vernunft-Liebe wird, und denen Liebe und Poesie als ein Paar überflüssige, hinter den brauchbaren Armen zur Entstellung eingesetzte Flügel vorkommen. Nur Plato, Hemsterhuis, Jacobi, Herder – und wenige Ebenbilder – brachten in die Weisheitliebe (Philosophie) Liebeweisheit. Wer Liebe die eigentliche positive Sittenlehre nennte, würde wenigstens von einem großen Menschen nicht verdammt – von Jesus Christus, dem Schöpfer der ersten Liebe-Religion mitten in einem völkerfeindlichen Judentum und menschenfeindlichen Zeitalter. Doch das Wesen der Liebe – dieser alles zusammenhaltenden Gottheit, der eigentlichen göttlichen Einheit des All, und in welcher das Ich viel mehr meint, als es versteht – fodert einen andern Ort der Untersuchung.

§ 117

Die Liebe ist eine angeborne, aber verschieden ausgeteilte Kraft und Blutwärme des Herzens; es gibt kalt- und warmblütige Seelen, wie Tiere. Manche sind geborne Ritter von der Liebe des NächstenDer Orden, worauf ich anspiele, wurde von der Gemahlin Karls III. von Spanien gestiftet., wie Montaigne; manche bewaffnete Neutralen gegen die Menschheit. Für diese Kraft aber, sei sie nun als ein heiliger brennender Busch, oder nur als Zunder-Funke da, hat die Erziehung auf zwei Weisen zu sorgen, durch die abwehrende und durch die entfaltende.

Unter der abwehrenden mein' ich folgendes. Das Kind fängt mit Selbsucht an, die uns so wenig beleidigt als die tierische, weil das noch vom Bedürfnis überhüllte, verfinsterte Ich bis zu keinem zweiten sich durchfühlen kann, sondern die Ich-Welten als eine eigne sich ankörpert. Insofern findet das Kind außer sich so wenig etwas Lebloses als an sich; es verlegt seine Seele als Weltseele in alles. Ein zweijähriges Mädchen – und dies tun alle Kinder – personifizierte außer dem, was ich schon im ersten Teile angegeben, z. B.: »die Türe (die aufging) will hinausgehen – ich will dem Frühling einen Kuß zuwerfen – ist der Mond gut, und weint er nicht?« – – Diese den Kindern eigentümliche Belebung alles Unbelebten gibt einen neuen Grund, warum man ihnen verwehren muß, etwas Lebloses feindlich zu behandeln.

§ 118

Gleichsam ist die Liebe beim Kinde, wie beim Tiere, schon als Trieb lebendig, und dieses Zentralfeuer durchbricht in der Gestalt des Mitleids oft seine Erdrinde, aber nicht immer. Ein Kind ist nicht nur gegen Schmerzen der Tiere, ferner gegen sonst unverwandte (außer wo das leidende Herz einen Qual-Schrei in seines tut), sondern sogar gegen verwandte oft kalt. Mit Gefallen stellen sich tadellose Kinder oft um den Richtplatz, wo ein anderes soll gezüchtigt werden. Eine zweite Erfahrung ist, daß Knaben, der glühenden Mannbarkeit näher wachsend, gerade die wenigste Liebe, die meiste Neckerei, Schadenlust und Eigensucht und Herzens-Kälte zeigen, so wie sich kurz vor Aufgang der Sonne die Nachtkälte verdoppelt. –

Aber die Sonne kommt und erwärmt die Welt; – die Überfülle der Kraft geht in Liebe über; der feste Stamm beschließt und ernährt das Mark – der neckende Halbjüngling wird ein liebender Jüngling. – Die zweite oben gedachte Erfahrung von kindlicher Herzlosigkeit löset sich gleichfalls in die entgegengesetzte der Herzlichkeit auf, sobald nur die angeschaueten Schmerzen des Züchtlings sich dem Kinde durch die Vergrößerung nähern; d. h. keiner neuen Wunde fehlt ein zuweinendes Auge.

Folglich habt ihr nicht sowohl die Blütenknospe der Liebe einzuimpfen, als das Moos und Gestrüppe des Ich wegzunehmen, das ihr die Sonne verdeckt. Jeder will gern lieben, falls er nur dazu könnte und dürfte. Wo eine Ader schlägt, ruht ein Herz im Hintergrunde; wo irgendein Liebetrieb, dahinter die ganze Liebe.

Das eigensüchtige Unkraut pflanzt ihr aber, anstatt es auszuziehen, wenn ihr vor Kindern über eure Nachbarschaft, oder gar eure Stadt, verachtende (wenn auch gerechte) Urteile fället. Woran soll sonst das Kind die Welt lieben lernen als am Nächsten und Täglichen? Und liebt man, was man verachtet? Oder wollt ihr zur Liebe gegen verachtete Gegenstände durch Predigten erhitzen? – Da jede Auszeichnung eurer Kinder vor der Nachbarschaft, sie bestehe in Stand, im Betragen, sogar im glänzenden Ausbilden, sie an ihr Ich auf Kosten fremder Ich erinnert: so kommt leicht noch die Auszeichnung im – Hassen dazu. Sagt nie zu euern Kindern, daß fremde schlecht erzogen werden. Ich sah oft ganze Familien durch solche Verkehrtheit in Beobacht- und Berenn-Truppen des Hasses verwandelt, ganze Häuser mit Schmollwinkeln ausgebauet, wo man, seiner selber voll, nur die eignen Foderungen zum Gewicht, die fremden zur Ware machte und allgemein geliebt sein wollte. Wird den Kinder-Herzen eine Großstadt dadurch nachteilig, daß sie die vornehme Menschen-Neutralität annehmen müssen, weil zu viele Unbekannte, mithin Gleichgültige ihnen vorüberziehen; so muß ihnen eine Kleinstadt mehr schaden, wenn sie so viele verachten und hassen, als sie kennen, nämlich jeden.

Der platte Befehl: vergebt dem Sünder, heißt den Kindern nur: haltet ihn für keinen; besser trefft ihrs, wenn ihr – zumal selber als Gegenstände der Ungerechtigkeit – sie das schuldige Mit-Ich von dessen Flecken scheiden, die Tat und nicht den Täter richten lehrt, besonders um durch die Vergleichung der Sachen und Rechte die der Personen zu hindern oder zu adeln. Ebenso werde nur die Tat, nicht das Kind gelobt. Die Eltern nennen die Kinder zu oft beim Namen. Sagt doch nicht: »ei die artige Louise«, sondern sagt:»dies ist artig« – höchstens noch: »du bist ja so artig wie Friederike.«

§ 119

Indem man aber das bloße Niederdrücken des Selbstes, dieser Kühlanstalt, schon als eine Erwärmunganstalt für das fremde voraussetzt. nimmt man an – was richtig ist –, daß wir nichts zur Liebe brauchen als bloß, daß sie nicht gehindert werde. Dies führt uns auf das zweite Erhalt- und Erreg-Mittel derselben, nämlich: bringe nur deinem Kinde das fremde Leben und Ich lebendig genug vor das seinige, so wird es lieben, weil der Mensch so gut ist, daß sozusagen der Teufel nur einen schwarzen Rahmen um das göttliche Ebenbild geschnitzt und gespannt hat. Der Stamm des Ich nährt mit demselben Safte eigne Fruchtzweige und eingeimpfte.

Das Erregmittel besteht in Versetzung in fremdes Leben – und in Achtung für Leben überhaupt.

Über die Übersetzung ins fremde Leben, durch welche die Gutartigkeit unserer Natur allein alle Liebe entwickeln kann, sind nach den schon gedruckten WortenSiebenkäs' Leben B. I. die Abhandlung über die Liebe. hier wenige beizudrucken. Einzelwesen, ja Völker sterben oft, ohne je sich an eine andere Stelle gedacht zu haben als an die ihrige; wie schwer ist mithin ein Kind aus der seinigen zu rücken in die fremde! Der Mensch breitet gewöhnlich sein Ich zu dieser Annahme einer fremden Natur nur dann aus, wenn er bei dem Kriege zweier fremder Ich sich aus dem einen ins andere, nicht aber, wenn er, im eignen Kriege, sich aus seinem ins feindliche zu setzen hat. Auch ist dieses repräsentative System des Nächsten eine Anschauung, und folglich nicht immer in unserer Gewalt. Ich entscheide nicht, ob nicht vielleicht die reifern Kindern durch gewisse Spiele, wo ein Kind des andern Namen und Wesen nachspielte, oder durch farbig ausgemalte Erinnerung an ähnliche Lagen früher zu jener Anschauung zu bilden sind; aber etwas anders läßt sich mit schönerer Hoffnung des Glücks dafür tun.


 << zurück weiter >>