Jean Paul
Levana oder Erziehlehre
Jean Paul

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Viertes Kapitel

Tanzen der Kinder

§ 57

Ich weiß nicht: soll ich Kinderbälle mehr hassen, oder Kindertänze mehr loben? Jene – vor dem Tanzmeister – in Zuschauer- oder Mittänzer-Gesellschaft – im heißen Klima des Tanzsaals, unter dessen heißen Produkten – sind höchstens die Vorreihen und Hauptpas zum Totentanz. Hingegen Kindertänze sind, was ich jetzo weitläufiger loben will.

Wie die erste Sprache lange der Grammatik, so sollte der Tanz lange der Tanzkunst vorgehen und vorarbeiten. Welcher Vater ein altes Klavier oder eine alte Geige oder Flöte hätte, oder eine improvisierende Singstimme: der sollte seine und fremde Kinder zusammenrufen und sie täglich stundenlange nach seinem Orchester hüpfen und wirbeln lassen – paarweise – in Ketten – in Ringen – recht oft einzeln – sie selber mitsingend, als Selbst-Drehorgeln- und wie sie nur wollten. Im Kinde tanzt noch die Freude, im Manne lächelt oder weint sie höchstens. Der reife Mensch darf durch den Tanz nur die Schönheit der Kunst, nicht sich und seine Empfindung ausdrücken; Liebe würde sich dadurch zu roh, Freude zu laut und zu keck vor der ernsten Nemesis gebärden. – Im Kinde leben noch Leib und Seele in den Flitterwochen einträchtig, und der freudigen Seele hüpfet noch der lustige Körper nach, bis später beide von Tisch und Bett sich scheiden und endlich ganz verlassen; der leise Zephyr der Zufriedenheit dreht später die schwere metallne Fahne nicht mehr zu seinem Zeiger um.

§ 58

Kinder sind Taschenuhren von Forrer, die sich selber aufziehen, wenn man bloß mit ihnen geht. Wie in der alten Astronomie sind elf ihrer Himmel bewegliche, und nur einer unbeweglich (der des Schlafs). Allein nur der runde Tanz ist leicht genug für das Kind; bloß für den Vor-Jüngling ist der gerade Lauf nicht zu schwer; wie den himmlischen Körpern, so gehört den kindlichen die Sphären-Bewegung und die Musik dazu, indes der ältere Körper, wie das Wasser, die gerade nimmt und ein Strand- und Sturmläufer sein soll. Deutlicher! Weiber können bekanntlich nicht laufen, sondern nur tanzen, und eine Poststation, zu welcher statt einer Pappelallee eine ähnliche, zu einer Anglaise angepflanzte Herrn-Baumschnur führte, legte jede leichter tanzend als fahrend zurück. Kinder sind nun verkleinerte Weiber, wenigstens sinds die Knaben, wenn auch die Mädchen oft nur verkleinerte Knaben sind. Tanz ist unter allen Bewegungen die leichteste, weil sie die engste und die vielseitigste ist; daher der Jubel nicht ein Renner, sondern ein Tänzer wird; daher der träge Wilde tanzt und der müde Negersklave, um sich nach und durch Bewegen wieder zum Bewegen anzufachen; daher fiel der Läufer – sonst alles gleich gesetzt – öfter tot nieder als der Tänzer. Daher gehen die Kamele und die Heere und die orientalischen Arbeiter leichter und länger ihre Arbeitsbahn unter Musik, nicht hauptsächlich, weil die Musik froher macht – dies wäre durch andere Genüsse leicht zu erstatten –, sondern weil die Musik sogar die gerade Bewegung zum Kreis-Tanze und zu dessen wiederkehrendem Rhythmus ründet; denn nur in der Kreislinie kommt alles in jeder Terzie wieder, und nur in der geraden Linie nichts. Wie eine Schluß-Kette oder auch eine Geschicht-Kette (System oder Historie) uns durch jede Anspannung zur stärkern zeitigt, indes ein Epigrammen-Zickzack uns jede Minute zu einem neuen Anfang und Sprung antreibt: so ist körperlich derselbe Fall im Lauf und Gang, worin bergab und bergauf keine Anstrengung die folgende motiviert, sondern die große der kleinen oder auch die stärkste der stärksten folget; indes hingegen der Tanz ohne Ziel und Zwang dieselbe Bewegung aus derselben wiedergebiert und nicht das Fortsetzen schwer macht, sondern höchstens das Aufhören. Jeder Lauf will schließen, aber kein Tanz. Welche bessere Bewegung gäb' es dann für Kinder als diese umkehrende, zumal da sie noch erregbarer und erschöpfbarer eben sind als Weiber? – Die Gymnastik des Laufens, Stelzengehens, Kletterns stählet und härtet einzelne Kräfte und Muskeln; indes hingegen der Tanz, als eine körperliche Poesie, alle Muskeln schonet, übt und ausgleicht.

§ 59

Ferner teilt dabei die Tonkunst Leibe und Geiste die metrische Ordnung zu, die das Höchste weiter entfaltet und Pulsschläge, Tritte und Gedanken anordnet. Die Musik ist das Metrum dieser poetischen Bewegung und ein unsichtbarer Tanz, wie dieser eine stumme Musik. Endlich gehört es noch zu den Vorteilen dieser Augen- und Fersenlust, daß die Kinder mit Kindern durch keinen härtern Kanon als den musikalischen leicht wie Töne verbunden werden zu einem Rosenknospenfeste ohne Zankdornen. –

Kurz der Tanz kann nicht früh genug kommen; »aber der Tanzmeister leichter zu früh als zu spät.« Letztes steht in der ersten Ausgabe. Richtiger hätt' ich vielleicht statt Tanzmeister Singmeister geschrieben, weil Kunstverständige frühes Üben der Stimme für ein Verstimmen derselben erklären. Die erste Ausgabe hat nur insofern recht, wenn sie die in vornehmer Gefallsucht erzognen Kinder dem Tanzmeister, der die körperliche vollends in System und Regel bringt, so weit als möglich entrückt. Dagegen hat wieder die zweite Auflage recht, wenn sie dazusetzt, daß besser erzogne, welche noch im 8ten, 9ten Jahre statt der Eitelkeit nur das Gesetz des Guten und Schönen kennen, dem aus Kleinlichkeiten zusammengesetzten Marschreglement und Kommando-Geiglein des Tanzmeisters mit weniger Gefahr ihres höhern Ich gerade in den frühern Jahren zugeführt werden, wo sie Tanzen ebenso ohne Gefallsucht lernen als Gehen und Lesen. Noch kann die Tanzstunde solchen Marterkindern, welchen man, wie den Ziegen, wider das Springen die Sehnen abschnitt, zur Frei- und Spielstunde werden.


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