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47. Kapitel

Heinrich fühlte sich in der Oberförsterei so wohl, daß er, dessen ganzes Leben eine Kette von Ortsveränderungen war, den Bitten seiner Wirtsleute immer wieder nachgab und noch ein paar Tage blieb.

Der Oberförster sowohl als seine Frau hatten an dem ruhigen Wesen Heinrichs und an der interessanten Unterhaltung mit ihm ihre Freude. Den beiden alten Leuten war es in dem Einerlei ihrer ländlichen Umgebung auch eine besondere Erholung, an den Abenden seine Lieder zu hören.

Aber schließlich setzte Windholz diesem für beide Teile angenehmen Aufenthalt doch ein Ende. Er beschloß, gegen Schluß der eben begonnenen Woche wieder einmal nach Hause in sein altes Christophswalde zu ziehen.

Am Dienstag fuhr der Oberförster schon in aller Frühe in das nächstgelegene Landstädtchen, um einige Besorgungen zu erledigen. Nachdem Windholz mit der Hausfrau gefrühstückt hatte, lockte ihn der frische Herbstmorgen zu einem Spaziergang. Er nahm nicht nur Pfeffer, sondern auch Duro mit, denn der Jagdhund hatte sich sehr an den Schnauzer und seinen Herrn gewöhnt. Das waren ja die beiden, die ihn einmal aus so schlimmer Lage befreit hatten, und so blieb in seiner treuen Seele das Gefühl der Freundschaft für Windholz und Pfeffer immer lebendig.

Der Schnauzer, so grantig er Hunden gegenüber sonst war, hing ebenfalls an Duro. Auch ihn bestimmten ursprünglich die Umstände, unter denen er den Jagdhund kennengelernt hatte, zu dieser Haltung. Dann aber fand er in diesem gutartigen, starken Hunde eine ihm verwandte Seele, und so hatte sich das gute Verhältnis Duros und Pfeffers zu einer der Hundefreundschaften ausgewachsen, von denen man gar nicht selten hört.

Die Oberförsterei lag etwas außerhalb des Dorfes, da wo die Wiesen und der Mischwald ineinander übergingen. Die Ausläufer des Waldes sprangen gleich Halbinseln in die Wiesen vor, und kleine Baumgruppen standen auf den grünen Breiten verstreut. Es war, besonders für das Rehwild, ein ideales Revier.

Als sich Heinrich mit den beiden Hunden ein gutes Stück von dem Forsthaus entfernt hatte, scholl plötzlich der Brunftschrei eines starken Hirsches zu ihm her.

Das mußte »Hans«, der eingegatterte Rothirsch, sein, den der Oberförster mit der Flasche aufgezogen und von dem er dem Musiker mehrfach berichtet hatte.

Windholz beabsichtigte schon seit Tagen, sich den Hirsch anzusehen, jetzt war Zeit und Gelegenheit. Er pfiff den beiden Rauhbärten und wandte sich in die Richtung, aus der eben wieder das Röhren des Hirsches drang. Es klang wie Unwille und Ungeduld aus der mächtigen Stimme, denn man hatte dem Kronenzwölfer sein Tier Tier = weiblicher Hirsch. in der vergangenen Brunftperiode nehmen müssen, da er es in der grausamsten Weise geforkelt hatte. Jetzt, da die im Frühjahr und Sommer aufgespeicherten Kräfte sich wieder mit Gewalt im Paarungswillen äußerten, rannte der Hirsch voll Ungestüm am Gatter entlang, schlug den Boden mit dem Geweih, und seine Zeugungskraft verbrauchte sich nutzlos. Hans, dessen Natur an sich schon gewaltsam war, mußte in diesem Jahr, ohne seine Gefährtin, aufs äußerste gereizt sein.

Windholz und Pfeffer liefen quer durch dichten Bestand, und als es bald vor ihnen licht wurde, standen sie plötzlich vor dem Gatter. Duro hatte sich auf einer Fuchsfährte abgesondert, doch Windholz kannte die Eigenschaften des Jagdhundes gut genug, um sicher sein zu können, den Rauhbart bald wieder auftauchen zu sehen.

Von seinem Standort aus konnte Heinrich nur einen Teil der sehr großen Einfriedung überblicken, da die eingegatterte Wiesenfläche einen Winkel beschrieb. Ein Teil des Laubholzbestandes reichte in das Gatter hinein.

Der Hirsch war verstummt, auch sah ihn Windholz nicht. Er ging nun am Gatter entlang, da er annahm, an der Biegung den Hirsch erblicken zu können. Er war bereits kurz vor dem Bogen, als er innerhalb des Geheges die merkwürdige Verbildung eines Eschenzweiges sah. Durch eine krankhafte Einwirkung war der Zweig in der Länge eines halben Meters flach wie ein dünnes Brett und etwa sieben Zentimeter breit gewachsen. In regelmäßigen Abständen waren Narben, an denen die schon abgefallenen Blätter gesessen hatten. Der Zweig, von dem das abnorm gewachsene Stück die Verlängerung bildete, war normal und hatte den Umfang eines Zeigefingers.

Windholz' Onkel war ein Liebhaber solcher Kuriositäten, die die Natur hervorgebracht hatte. Er besaß manches ähnliche Stück, und es gab kaum ein Reisegeschenk, das dem Onkel mehr Freude gemacht hätte als dieser mißbildete Eschenzweig.

Windholz überlegte nicht lange, er stieg über das Gatter, zog sein Taschenmesser heraus und machte sich daran, das seltene Fundstück abzuschneiden.

Pfeffer war unter dem Gatter durchgeschlüpft und schnüffelte um seinen Herrn herum. Da fuhr er auf einmal hoch und knurrte. Windholz drehte den Kopf und sah Hans, den Rothirsch, zehn Meter entfernt, unbeweglich, wie aus Erz gegossen, stehen und zu ihm hinäugen.

Heinrich erschrak. Doch faßte er sich gleich, denn er sagte sich, ein Rothirsch ist ja kein Raubtier, und er begann langsam rückwärts zu gehen, indem er sich auf das Gatter zu bewegte.

Pfeffer, klug und aufmerksam, wie er war, zog sich gleichfalls zurück, wobei er aber dicht bei seinem Herrn blieb.

Plötzlich setzte der Hirsch zur Attacke an. Hirsche und Rehböcke treten, wenn sie aggressiv werden wollen, in vielen Fällen mit den Vorderläufen in herausfordernder Weise den Boden. Hätte auch Hans das getan, dann wäre Windholz noch rechtzeitig über das Gatter gekommen. Doch ohne jeden Aufenthalt brauste dieser so leicht erregbare Hirsch heran. Heinrich hatte nur Zeit sich zur Erde zu werfen und unter einen Busch zu wälzen, der unmittelbar am Gatter stand, als das Geweih des Hirsches hart neben ihm niederprasselte. Er konnte nichts anderes tun, als sich eng an die zu seinem Unglück sehr dicht genagelten Latten zu pressen. Es wäre schnell um ihn geschehen gewesen, wenn Pfeffer nicht angegriffen hätte.

Der Schnauzer fuhr dem Hirsch an die Hessen, er hieb seine Zähne in diese schmerzempfindliche Stelle, doch im selben Augenblick flog er, von dem harten Tritt der Schalen getroffen, aufjaulend ins Gras. Immerhin wandte sich der Hirsch dem Hunde zu, so daß Windholz, so schnell er konnte, unter dem Busch hervorkroch, um sich über das Gatter zu retten.

Pfeffer hatte sich aufgerafft und wieder in den Kampf gestürzt. Er wich dem drehenden Ansturm des Hirsches aus, um dessen Hinterseite zu gewinnen. Dabei kamen beide Windholz nahe, der eben im Begriff war, das Gatter zu übersteigen.

Da fuhr der Hirsch, des Hundes nicht achtend, blitzschnell herum und schlug mit voller Wucht mit dem Geweih nach dem Fliehenden. Der stieß einen lauten Schrei aus und fiel zur Erde.

Die Stangen des Geweihes waren zwar rechts und links von Windholz auf das Gatter geprasselt, aber ein Ende war Heinrich tief in den Oberschenkel gedrungen und hatte eine grausige Wunde verursacht. Ehe aber der rasende Hirsch sein Werk vollenden konnte, hing ihm Pfeffer an den Keulen. Diesmal half kein Treten, der Schnauzer hatte sich so festgebissen, daß ihn die Schalen nicht trafen.

Im Kreise herum rannte der Hirsch, mit dem Geweih nach hinten schlagend, aber als es ihm gelang, seinen Peiniger abzuschütteln, erschien ihm ein neuer Feind. Über die Wiese kam im höchsten Tempo Duro heran. Ohne einen Augenblick zu zögern, warf er sich in den Kampf, denn er erkannte die große Gefahr, in der seine Freunde waren. Beide Hunde beschäftigten den Hirsch nun in solchem Maße, daß er keine Gelegenheit mehr hatte, dem verwundeten Windholz gefährlich zu werden. Durch die immer um ihn kreisenden Hunde gezwungen, sich bald nach dieser, bald nach jener Richtung zu wenden, wurde der Hirsch in die Mitte des Geheges gedrängt.

Zeichnung: Hans Hyan

Windholz kroch inzwischen bis zu der Öffnung im Gatter, durch die Pfeffer hereingekommen war. Dort zwängte er sich mühevoll hindurch. Kaum war er in Sicherheit, als er sich trotz seiner Schmerzen und des großen Blutverlustes am Gatter hochzog und die Hunde rief. Er sah, wie der Rothirsch einen Ausfall nach dem Jagdhund machte und im selben Moment Pfeffer ihm an die Weichen sprang. Aber mit einer Schnelligkeit ohnegleichen drehte sich der Kronenzwölfer und schlug mit den Stangen nach Pfeffer. Das laute Klagen des Hundes zeigte, daß er getroffen war. Der Hirsch hatte ihm einen Hinterlauf dicht unter der Keule zerschlagen.

Nun war der Schnauzer sehr in seiner Schnelligkeit behindert, und wirklich, ehe Pfeffer zwei Meter entfernt war, traf ihn der Hirsch mit der vollen Wucht des Geweihes im Rücken. Einmal langgezogen klagte der Schnauzer, ehe er verendete. Als er das Ende seines Pfeffer sah, brach Windholz zusammen.


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