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18. Kapitel

So sah die Vergangenheit der beiden Hunde aus, die bei Horn ihr Zuhause gefunden hatten. Die anderen Hunde gingen ihnen aus dem Wege, soweit es sich machen ließ, doch von allem, was es zu fressen gab, verschafften sich die beiden Brüder, Hassan und Pluto, den Löwenanteil. Es waren in diesem Hof etwa fünfundzwanzig Hunde untergebracht, und alle, bis auf den Neufundländer, fürchteten sich vor den beiden Kötern mit dem vorstehenden Gebiß des Unterkiefers.

Die Charaktere der Hunde sind so unterschiedlich wie die der Menschen. Sultan allein stand durch seine Kraft und seinen Mut außerhalb der Gesetze, die das Boxerpaar gaben. Alle anderen versuchten, sich mit den Mitteln einzurichten, die ihnen die Natur gegeben hatte. Mehrere, ein paar Jagdhunde und ein grauer, glatthaariger Pinscher, duckten sich und krochen vor den Gewalthabern. Sie jaulten schon, wenn einer der Boxer sie auch nur anknurrte, und wehrten sich, wenn sie gebissen wurden, kaum. Ein anderer der Jagdhunde, zwei Schäferhunde und ein Airedale waren die Hauptleidtragenden in dieser Hundegemeinschaft, denn sie hatten Rückgrat. Immer wieder ließen sie sich auf Beißereien mit Hassan und Pluto ein, und jedesmal wurden sie übel zugerichtet. Kaum ein Tag verging, an dem nicht einer dieser Hunde seine Lektion erhielt, und doch waren alle vier nicht imstande zu lernen, daß sie sich den Verhaßten unterwerfen mussten, wollten sie bestehen.

Hätten sie vereinigt gekämpft, wären sie bald der Unterdrücker Herr geworden, aber sie waren untereinander gleichgültig, es verband sie nichts, während ihre Feinde Wurfbrüder waren und in ihrem ganzen Leben sich noch keinen Tag getrennt hatten. Sowie einer der beiden Boxer in eine Beißerei geriet, war der andere schon zur Stelle und half dem Bruder aus Leibeskräften. Da sie muskelbepackt und voll Kampfgeist waren, zudem von gehässigem Naturell, blieben sie immer Sieger.

Sultans Ausnahmestellung bewies sich in der ersten Viertelstunde, nachdem er, neu aus einem Nachlaß angekauft, in den Zwinger gelassen wurde. Korrekt und stolz schritt der große, seidenschwarze Hund mit dem mächtigen Kopf in die »Arena«. Von allen Seiten wurde er beschnüffelt und beknurrt, doch dann wurde er, ohne daß es zur Beißerei kam, aufgenommen, denn die anderen empfanden, genau wie die Menschen, die ruhige Kraft und die Würde dieses Hundes.

Zeichnung: Hans Hyan

Langsam zerstreuten sich die Hunde, und so drehte sich auch Sultan um, denn er wollte sich drüben an die Mauer legen, auf der die Sonne stand. In diesem Augenblick flog ihm, schräg von hinten, Hassan an den Hals, und Pluto, der sich bereits entfernt hatte, machte kehrt und griff auch an.

In Sultans dichtem Fell an der Seite des Halses, etwas zum Nacken hin, hing Hassan. Doch viel zu stark war Hals und Fell, als daß der Boxer mehr als Schmerz verursachen konnte. So ließ ihn Sultan einstweilen hängen und hielt sich bereit für den Angriff des anderen. Der fuhr mit einem häßlichen Wutbellen nach der Kehle des Neufundländers, doch er erreichte sie nicht. Die mächtigen Läufe Sultans fuhren hoch und schlugen mit voller Wucht auf Pluto nieder. Fast gleichzeitig hatte der braune Boxer das Gebiß des Schwarzen im Genick und wurde geschüttelt wie eine Ratte. Da vergingen ihm schnell die Sinne. Sowie der große Hund das Nachlassen des einen merkte, wandte er sich dem anderen zu. Er schüttelte ihn ab, drosch ihn mit den Läufen nieder und biß, wohin es traf, und das war ein Vorderlauf Hassans, oben an der Schulter. Eine üble Wunde blieb zurück.

Beide Boxer waren sehr mitgenommen, zogen sich zurück und ließen den Riesen fortan in Ruhe.

Sultan, der die beiden stärksten Hunde besiegt hatte, hätte sich leicht zum Herrscher über den Zwinger erheben können, doch daran lag ihm nichts. Er war von Natur kein Raufer, er wollte nur, daß ihn die anderen zufrieden ließen.

In seiner weitangelegten Seele und seinem starken Gehirnkasten zogen die Bilder der Vergangenheit immer aufs neue vorüber. Sein Herr, der unzertrennlich von ihm gewesen war, hatte ihn verlassen. Es war ein schon alter Mann gewesen, und eine Erkältung hatte ihn umgeworfen. In dem ruhigen Villenvorort Berlins waren beide, der stattliche Neufundländer und der weißhaarige Herr mit dem feinen Gesicht, bekannte Erscheinungen gewesen. Manchmal trug Sultan den Spazierstock oder die Zeitung seines Herrn, von dem er sich nie weiter als höchstens zehn Meter entfernte, und den er keinen Moment aus den Augen ließ. Sultan hatte das untrügliche Gefühl für die Unsicherheit seines Herrn, die von dem hohen Alter und der mangelnden Gesundheit herrührte.

Der Neufundländer stand im dritten Jahr und war als Welpe seinem Herrn vom Sohn geschenkt worden. Der Sohn war ein sehr beschäftigter Mann aus der Industrie, der den alleinstehenden Vater nur am Wochenende in der stillen Gartenvilla besuchen konnte. Er hatte mit Gesellschaftern und Gesellschafterinnen versucht, die Einsamkeit des Vaters zu mildern, aber der alte Herr war schwierig, und er hatte, wie er sagte, von den Menschen genug. Der enge Freundeskreis des alten Mannes war nach und nach dahingegangen, und so war der Lebensabend trotz des guten Sohnes und des vorhandenen Geldes mehr als traurig.

Da, am dreiundsiebzigsten Geburtstag, fuhr morgens der Wagen des Sohnes vor. Er stieg aus, schritt durch den Garten, der in der Erwartung des ersten Vorfrühlings lag, und klingelte.

Der alte Jacques, dessen weiße Koteletten zum Gesicht standen wie Schnee auf dunkler Rinde, öffnete und bat den jungen Herrn, gleich an den Frühstückstisch zu kommen, der Herr Vater warte schon. Nach der ersten Begrüßung und den Gratulationswünschen meinte der Sohn: »Ja, Papa, dein Geschenk ist noch im Wagen, ich hoffe, du wirst dich freuen. Es ist, wie soll ich sagen – eine Art Gesellschafter ist es.«

»Ach, mein Gott, lieber Junge, mußte denn das sein?«

Der alte Herr sah ganz unglücklich aus, so daß der Sohn lachen mußte. Dann trat er zum Fenster, das er öffnete, und rief zum Wagen hinaus: »Hellmis, bringen sie den Herrn bitte herauf.«

Der Vater meinte: »Findet denn der Herr Gesellschafter nicht allein den Weg, daß ihn der Chauffeur begleiten muß? Er ist doch hoffentlich nicht von altem Adel?«

Doch als der Sohn zur Antwort gab: »Jawohl, das ist er«, da schüttelte der alte Herr ergeben mit dem Kopf und sagte nichts mehr.

Dann klopfte es, und herein trat Hellmis. Der Hausherr saß mit dem Rücken zur Tür. Er trank noch einen Schluck Kaffee, ehe er sich bedächtig umwandte.

Da saß auf dem Teppich ein dicker, kleiner Hund, der kaum älter als ein Vierteljahr war. Er war schwarz wie eine Steinkohle und auch so glänzend. Das war der neue Gesellschafter von altem Adel.

»Das sieht doch trotz aller Winzigkeit so aus wie ein Neufundländer?« fragte der Vater.

»Das ist Sultan von Hohentwiel aus der Mascha von Hohentwiel, nach Satan von der Bullenbeeke. Satan ist der Neufundländerchampion und ein wundervoller Hund, ich habe ihn auf der Ausstellung gesehen.«

Das Gesicht des alten Herrn zeigte den Ausdruck großer Erleichterung, als er sich seinem neuen Gesellschafter näherte und ihn aufhob. Der hier würde nicht zur Unzeit vorlesen wollen oder gerade dann reden, wenn man selber nachdenken oder lesen wollte.

Liebevoll legte das kleine Tier die Ohren an und wedelte, als ihn sein neuer Herr auf dem Arm hielt und freundlich mit ihm sprach.

Der kleine Neufundländer hatte das Herz dessen, den er erheitern und dessen Alleinsein er erhellen sollte, sofort gewonnen.

Sultan wurde mit Hilfe der Köchin, einer resoluten, aber gütigen Frau, bald sauber, lernte die Bewohner des Hauses respektieren, liebte aber von Anfang an nur seinen Herrn. Der war im Hause und auf Spaziergängen immer in Begleitung seines Hundes, der sich gut entwickelte und bald seine körperlichen und geistigen guten Eigenschaften zeigte.

Als er ausgewachsen war, kennzeichnete ihn vor allem ein Zug: er trat jedem Besucher ernst entgegen, beschnupperte ihn, um ihn dann passieren zu lassen. Doch niemals ließ er einen Menschen, der nicht in Begleitung seines Herrn, der Köchin oder des Dieners war, wieder hinaus.

Worauf es ihm aber bei dieser Art Wachsamkeit am meisten ankam, war folgendes: er unterschied streng zwischen Menschen, die etwas brachten, und denen, die etwas forttragen wollten. Den Bäcker oder den Konditor empfing er mit Schwanzwedeln und angelegten Ohren, ebenso den Briefträger. Brachte gar ein Bote ein oder mehrere größere Pakete, so wurde er von Sultan mit offensichtlicher Freude empfangen. Der Kohlenmann, so schmutzig und finster er aussehen mochte, was viele Hunde zu Feindseligkeiten reizt, brauchte nur eine ordentliche Last Holz oder Kohlen zu bringen, so war er der liebenswürdigsten Aufnahme durch den Neufundländer gewiß.

Wehe aber dem Boten, der von der Wäscherei kam, um den Sack mit Wäsche abzuholen. Als das zum erstenmal in Anwesenheit Sultans geschah und man dessen Eigenheit noch nicht kannte, fiel der Hund den zu Tode erschrockenen Mann an, als der den Wäschesack auf den Rücken nahm und zur Tür hinauswollte. Sultan legte dem Boten seine Pfoten auf die Schultern und, das gefletschte Gebiß dicht am Gesicht des vor Schrecken erbleichenden Mannes, knurrte grollend. Er war in dieser Stellung so groß wie der Wäschebote. Sultan beschränkte sich auf die Drohung, gebissen hätte er, wenn der Mensch mit Gewalt zum Ausgang gedrängt hätte. Der völlig überraschte Mann hütete sich vernünftigerweise, auch nur einen Finger zu rühren, bis man ihn von dem drohenden Hunde befreite. In Zukunft wurde Sultan jedesmal am Halsband festgehalten, wenn jemand irgendeinen Gegenstand seines Herrn aus dem Hause mitnahm.


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