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35. Kapitel

Länger als eine Viertelstunde hielt es Duro nicht, er faßte den Fuchs in der Mitte und setzte sich in Bewegung. Es drängte ihn, seinem Herrn den Fuchs abzuliefern, den er unter so großen Anstrengungen erbeutet hatte.

Duro hatte gelernt, schweres Wild so zu tragen, daß es gut im Gleichgewicht hing. Das ließ ihn die Last viel leichter empfinden. So fiel er gleich in den fördernden Trab, der bald zum Galopp wurde. Doch jetzt, ohne die beflügelnde Leidenschaft der Hetze und mit der Last im Fang, wurde es dem Hund sehr sauer, auch zeigte es sich nun, wie weit er sich von seinem Herrn entfernt hatte. Die weit sich ausdehnende Schonung umschlug Duro, durch die Kusseln wäre ihm der Weg mit dem Fuchs zu schwer gefallen. So sehr es den Brauntiger auch drängte, die Beute beizubringen und Lob für seine brave Arbeit zu ernten, er mußte doch nach einiger Zeit den Fuchs niederlegen und verschnaufen. Nicht nur das Genick, sondern auch die Backenmuskeln verkrampften sich schmerzhaft.

Lange hielt sich Duro jedoch nicht auf, er packte den toten Reineke wieder und trabte aufs neue los. Dann kam er an den Graben. Er übersprang ihn mit dem Fuchs im Fang und erreichte das andere Ufer, nur mit den Hinterläufen geriet er ins Wasser. Das war ein feiner Sprung, nur schade, daß ihn niemand sah als ein Eichhörnchen, das laut murksend vor Schreck an einem Stamm emporfuhr. Über die sanft geschwungenen Hügel des Stangenholzes trabte der Hund, bis er endlich in der Ferne die Helligkeit durch die Stämme schimmern sah. Da beschleunigte er aufs neue seinen Trott, und so hatte er bald den Rand des Waldes erreicht. Dort drüben, hinter dem Acker und dem Wiesenstreifen, lag das Seeufer, dort mußte auch sein Herr sein.

Auf seiner eigenen Fährte beeilte sich Duro, das letzte Stück zurückzulegen. Rasch näherte er sich dem Schilfgürtel, dem er voll Eifer zustrebte, doch seinen Herrn sah er nicht. Der würde wohl hinter dem nächsten Gebüsch von Erlen und Birken sein. Pfeifend ging der Atem Duros, als er die Büsche erreichte: niemand war da. Weithin konnte er nun das Seeufer überblicken, doch Horn war weder nah noch fern zu sehen.

Da war es, als wenn den Hund plötzlich seine Kraft verließe. Der Fuchs fiel zur Erde, und Duro warf sich daneben. Weit hing die feuchtrosa Zunge aus dem offenen Fang heraus, und wie die Geräusche eines Motors drang das Hecheln aus der Brust, die sich schnell hob und senkte. Die halbgeschlossenen Augen ließen nicht die Gefühle des Hundes sichtbar werden. All sein Zweifel über Hörn fand in diesem Augenblick seine Bestätigung. Das war kein Herr, der es verdiente, daß ein braver Hund sich für ihn mühte. Alles, was in Duro an Kraft, Ausdauer, Schneid und Intelligenz war, hatte sich zusammengefunden, um die Glanzleistung zu vollbringen, den so wenig verwundeten Fuchs zu erreichen, zu würgen und zu bringen. Aber der Mann, für den es geschah, hatte nicht soviel Anstand zu warten, bis sein Hund, dessen vorzügliche Leistungen er doch kannte, mit oder ohne Fuchs zurückkehrte.

Ob nun mit dem Gefühl oder mit dem Verstand, wahrscheinlich mit beiden, Duro begriff, daß er sein Können im Dienste dieses Mannes vergeudete, und aus seiner enttäuschten Seele stieg eine große Müdigkeit auf. Die Triebfeder allen Handelns in diesem edlen Hund war die Bereitwilligkeit, einem Herrn, den er liebte, zu dienen. Dieses starke Gefühl war in ihm so vorherrschend, daß die jagdlichen oder raubtierhaften Instinkte sich dem unterordneten oder es unterstützten.

Nachdem er ausgeruht war, packte er den Fuchs in der Mitte, den er selbst unter den widrigsten Umständen nicht im Stich gelassen hätte, und lief in der Richtung weiter, in der eine schwache Witterung ihm sagte, daß hier sein Herr weitergepirscht war. Doch die Nase, die auf dem Fuchsbalg lag, arbeitete nur unvollkommen, und als Duro nach einiger Zeit an eine Wiese kam, auf der viel Wasser stand, und die sein Herr, mit gut gefetteten Langschäftern wohl ausgerüstet, offenbar überquert hatte, hörte jedes Verfolgen der Spur auf, und der Rauhhaar mußte sich ganz auf seine Mutmaßungen verlassen. Die sagten ihm »zum Bahnhof«. Dort, das wußte Duro, war der Ausgangspunkt und das Ende aller jagdlichen Expeditionen.

Als er zu diesem Entschluß gekommen war, trottete er geradeswegs quer über die Wiesen zur Landstraße. Recht oft legte er jetzt den immer schwerer werdenden Fuchs nieder, denn alles Feuer und jede Begeisterung war in dem Jagdhund erloschen. So erreichte er schließlich die Straße, und ohne zu zögern, wandte er sich in die Richtung, die, wie er wußte, zum Bahnhof führte.

Nur noch schwach belaubt standen die Bäume in Reih und Glied, und ihre Äste bewegten sich nicht. Das Leben in ihnen bereitete sich auf die Starre des Winters vor, und sie hätten auch keinen Anteil an den beiden feindlichen Vettern, die da unter ihnen vorbeizogen, dem Toten und dem Lebendigen, genommen, wenn Frühling gewesen und das erneuerte Leben ihnen durch alle Zweige geströmt wäre.

Eine halbe Stunde mochte der Hund wohl dahingetrottet sein, ohne einem Menschen oder sonst einem Lebewesen zu begegnen, als er in der Ferne einen Wagen auf sich zukommen sah.

Im Gefühl eines guten Gewissens trug Duro seinen Fuchs dem sich schnell nähernden Gefährt entgegen, mochte sich wundern wer wollte, er war in Ausübung seines Berufes, und sollte etwa jemand versuchen, ihm den Roten abzunehmen, dann könnte er was erleben. Der Wagen rollte leise und leicht heran, es war ein Jagdwagen mit Gummirädern, den ein schwarzbraunes Pferd zog. Es ging in einem gleichmäßigen, fördernden Trab, und als es nun nur noch wenige Meter von dem Hund entfernt war, drückte der sich an die Seite auf den Radfahrweg, denn wenn er auch nicht ängstlich war, es gab unberechenbare Leute, und so eine Pferdepeitsche reicht weit.

Die vier Herren in dem Jagdwagen waren Jäger auf dem Wege zu einem der Güter in der Nähe. Dort wollten sie ein paar Tage auf Hasen, Kaninchen und Fasanen jagen. Sie hatten den prächtigen Rauhbart mit dem starken Fuchs schon lange erkannt, bevor er heran war, nun hielten sie an.

Die freundlichen Rufe der Nimrode konnten Duro nur bewegen, leicht mit der Rute zu wedeln und die Augen etwas zum Wagen zu drehen, jedoch nicht anzuhalten. Schon war er vorbei, da rief eine tiefe, ihm vertraute Stimme »Duro!« Gleichzeitig stand einer der Jäger, ein alter Herr in weißem Haar und Bart, auf und begann vom Wagen zu steigen.

Der Hund war erstarrt. Hoch aufgerichtet stand er, den Fuchs noch im Fang, und äugte den Mann an, der da über das Vorderrad vom Wagen kletterte. Jetzt kam er mit ausgestreckter Hand auf den Hund zu und sagte nur immer: »Duro, Duro, komm doch, mein Hündchen ...!«

Da ließ der Rauhhaar den Fuchs fallen und raste auf den alten Jäger zu.

Es war, als wenn den Hund der Irrsinn gepackt hätte. Er sprang an dem Mann hoch, umkreiste ihn in Windeseile, sprang wieder hoch, bellte und heulte durcheinander und geriet in einen unbeschreiblichen Freudentaumel, denn das große Wunder war geschehen, Duro hatte seinen Oberförster wiedergefunden. Dem alten Herrn standen die Tränen in den Augen, als er seinen lange verloren geglaubten Hund klopfte, streichelte und zu beruhigen suchte.

Dann machte Duro plötzlich kehrt, war in ein paar Sprüngen beim Fuchs und brachte ihn dem Oberförster. Er konnte sich vor Aufregung kaum setzen, immer wieder stand er auf, ging um seinen Herrn herum, setzte sich wieder, und die Rute wedelte unaufhörlich, aufgeregt und schnell. Endlich gab er aus.

Viel hätten sich die beiden Freunde, Herr und Hund, zu erzählen gehabt, viel zu fragen, wenn sie sich nur hätten verständigen können.

»Na, willst du denn mitkommen, mein Hund?« so fragte der alte Waidmann mit einladender Gebärde zum Wagen hin. Schon setzte Duro zum Sprunge an, und mit Hilfe eines der Jäger landete der Rauhbart zwischen den Sitzen. Sein Herr warf den Fuchs hinein, kletterte selbst hinauf, und die schwarzbraune Stute setzte sich in Bewegung. Auf der ganzen Fahrt mußte der Oberförster erzählen und immer wieder erzählen, denn seine drei Jagdfreunde konnten es kaum fassen, daß dies der leibhaftige Duro sei, der den alten Herrn so löwenmutig verteidigt und ein so grausiges Rachewerk vollbracht hatte.

Daß etwas mit dem derzeitigen Herrn nicht stimmte, war den vier Jägern klar, denn wie konnte sonst der ausgezeichnete Hund mit dem Fuchs die Landstraße entlangtrotten? Jedenfalls würde man auf Nachfragen in den Zeitungen achten und auf diese Weise vielleicht Aufschluß erhalten. Trennen würde sich der Oberförster allerdings nie wieder von Duro, denn er hatte zu viele Zeugen, die ihm bestätigen würden, daß dies sein verlorener Hund war. Merkwürdigerweise erschienen keine Nachfragen in den Blättern. Jetzt aber fuhr Duro, eng an die Knie des Oberförsters geschmiegt, einem Leben entgegen, wie er es so sehr entbehrt hatte, einem Leben jagdlicher Arbeit an der Seite seines wiedergefundenen Herrn.


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