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11. Kapitel

Am Abend des Schreckenstages lag Duro vor der Tür des Schlafzimmers, in dem sein Herr dem Tode entgegenzuschlummern schien.

Die Oberförsterin hatte ihr Grauen vor dem Hund nur mühsam überwunden, und doch fühlte sie eine solche Verpflichtung zum Dank wie bisher nicht einmal einem Menschen gegenüber.

Sie hatte den schönen rauhbärtigen Kopf, dessen Augen schon wieder sanft und treu blickten, gestreichelt, aber Duro hatte wohl gefühlt, daß die Hand, die ihn immer fütterte, nur gezwungen auf ihm ruhte, und traurig hatte er seinen Kopf auf seine Pfoten gelegt.

Der einzige Mensch, der ihm seinen Menschenmord nicht nur verzeihen, sondern ihm höchstes Lob schenken würde, der lag in eine Nacht gesunken, aus der er wohl nie wieder auftauchen würde. Duro hob den Kopf und heulte ein paarmal tief und hohl. Da brachte ihn die Oberförsterin fort, denn der Schwerkranke durfte durch nichts gestört werden.

Im Vorraum der Küche hatte der Hund seinen Ruheplatz. Dort lag er nun, schlief und wachte abwechselnd. Er heulte nicht mehr, da er erkannt hatte, daß sich alles im Hause so leise wie nur möglich verhielt, um seinem kranken Herrn nicht zu schaden.

Später, als es dunkel geworden war, wurde der Hund hinausgelassen. Das war das letzte Mal, daß ihn jemand aus dem Hause des Oberförsters gesehen hatte. Als man ihn nach einer Viertelstunde rief, kam er nicht. Kein Rufen, Pfeifen und Suchen half, Duro blieb verschwunden, jetzt und an allen folgenden Tagen.

Man nahm an, er wäre fortgelaufen, wenn man sich das auch nicht erklären konnte. In Wahrheit aber wurde Duro entführt. Als er an diesem Abend wie immer seine Runde machte, wurde ihm von einem Apfelbaum herab, dem er ausnahmslos jeden Abend seinen Besuch abstattete, eine Drahtschlinge über den Kopf geworfen. Er tobte in der drosselnden Schlinge, aber alles Geifern half nichts, er wurde in einen Sack gesteckt und fortgeschafft.

Anfänglich getragen, wurde der Sack mit dem halb erdrosselten Hund später auf einen Handwagen gelegt und etwa eine Stunde weit gefahren. Duro hatte den Draht, wenn auch etwas gelockert, immer noch um den Hals. Er wehrte sich nicht mehr, da er die Aussichtslosigkeit erkannt hatte, er atmete nur schwer und röchelnd.

Endlich wurde haltgemacht. Weit draußen in Feld und Wiese stand ein gemauertes Gerätehaus. In diesem kleinen Gebäude wurde Duro aus dem Sack geholt und bei dem Licht einer Kerze an einen Eisenhaken gebunden, der aus der Mauer ragte.

Ein Mensch, lang und schlaksig, mit dunklem Haar und dunklen Augen, die rattenhaft eng standen, betrachtete Duro, der endlich frei atmen konnte, und der seinen Feind mit gesträubten Rückenhaaren und leicht entblößten Fangzähnen anknurrte.

Da traf ihn ganz unerwartet ein Schlag mit einem langen, geschmeidigen Ding, einem Ochsenziemer, hart über den Kopf. Duro heulte auf, dann stürzte er mit Wutgeheul vorwärts. Doch der starke Strick riß seinen Sprung zurück. Ruhig, ohne sich im mindesten zu ereifern, schlug der Kerl wieder zu. Dabei sagte er: »Für Harbart, du Töle – –!« Und schon wieder fiel ein sausender Hieb. Der Hund konnte nur heulen und schäumen; regelmäßig, wie Tropfen aus einer Leitung, fielen die Hiebe, die immer seinen Kopf trafen. Nach etwa zehn Minuten – Duro lag japsend und winselnd mit blutigem Kopf an der Erde – hörte der Quäler auf.

»Jetzt machen wir 'ne kleine Pause, ich will 'n Happen essen, nachher machen wir weiter, du Aas!« Seelenruhig schnitt der Mensch Brot und Speck mit dem Taschenmesser und nahm aus einer flachen Flasche einen kräftigen Schluck. Kauend sah er den zerschlagenen Hund an, und wer könnte sagen, ob in dem Blick des Mannes oder des Hundes mehr Haß lag?

Der Mensch, dessen gespenstischer Schatten über die Wände des Raumes bis hinauf zum Dach schwankte, packte jetzt die Reste seiner Mahlzeit ein, stand auf und griff erneut zu dem Ochsenziemer. In allen seinen Bewegungen war die Ruhe eines Menschen, der sich unbedingt sicher vor jeder Überraschung weiß. So schwang er denn den Arm, um den vor Wut und Furcht bebenden Hund aufs neue zu martern, bis er tot wäre. Doch in diesem Augenblick erhob sich neben seinem eigenen ein zweiter Schatten. Er fuhr herum und sah einen Mann in der halboffenen Tür stehen. Mit einem Wutschrei fuhr der Überraschte auf den regungslos Dastehenden los, um ihn mit dem Ochsenziemer zu empfangen ... Aber ein struppiger Hund fiel ihn an, sprang an ihm hoch und biß ihn in die Hand, so daß er den Ochsenziemer mit einem Schmerzensschrei fallen ließ. Ein langer blutiger Riß zog sich über die Hand, die den entfallenen Schläger schnell wieder ergreifen wollte. Doch der andere kam ihm zuvor. Nun trafen den, der sich noch vor einem Augenblick ganz ungestört glaubte, die Hiebe so hageldicht, daß er schreiend in die Nacht entfloh. Der kaum mittelgroße Hund sauste ihm nach und fuhr ihm so lange immer wieder nach den Beinen, bis sein Herr pfiff. Da rannte der Hund zurück und ließ den Kerl, dessen Hosen und die darin steckenden Beine schlimm aussahen, über die nächtlichen Wiesen entkommen.

Zeichnung: Hans Hyan

In dem Gerätehaus hatte sich der Mann inzwischen um Duro gekümmert. Er war ruhig zu dem leicht wedelnden Hund getreten und hatte ihn, liebevoll zu ihm sprechend, losgebunden. Gleich war ihm die Ruhe des eben noch so schwer Mißhandelten aufgefallen. Er setzte sich an die Erde und legte den Arm um Duro, untersuchte ihn ganz genau und freute sich über das Wesen des Hundes. Dann holte er eine Flasche mit Wasser, einen Lappen aus seinem Rucksack und kühlte den stark angeschwollenen Kopf des Tieres.

Plötzlich stand auf steifen Beinen der eigene Hund des Mannes im Türrahmen. Er näherte sich voll Würde und Ernst, sein dunkles Auge hatte einen Ausdruck, der zwischen Hochmut und Besorgnis lag. So trat er an Duro heran. Auch der nahm Haltung an, doch im Gegensatz zu dem anderen, kleineren, wedelte er mit der Rute. Seine herrlichen goldbraunen Augen waren ganz verschwollen, sein edler Kopf unförmig, aber seine mächtige Brust und die starken, geraden Läufe ließen ihn selbst jetzt imponierend erscheinen. Der Kleinere, ein Stallschnauzer, ging gravitätisch um ihn herum, beschnüffelte ihn von vorn und hinten, zeigte aber bei aller Zurückhaltung keine Feindseligkeit, eher bewaffnete Neutralität.

Dann – die Untersuchung schien ihn befriedigt zu haben – fing er an, mit dem Schwanzstummel zu wedeln, und kurz darauf war die beiderseitige Freundschaft hergestellt.

»Na, Pfeffer, leg dich hin, der braucht jetzt Ruhe nach der Behandlung durch den Strolch.«

Der mittelgroße hagere Mann sah mit grauen, lebhaften Augen zu seinem Hund hinüber, der sich folgsam neben den Rucksack und eine vierkantige Leinentasche legte und mit gespitzten Ohren und unwahrscheinlich klugen Augen herüberäugte. Der Mann sprach mit seinem Hund wie mit einem Menschen. Das klang ganz natürlich, und wenn man den Ausdruck lebhaften Verständnisses bei dem Schnauzer sah, dann wunderte man sich nicht darüber, daß der Mann ganze Sätze mit dem Tier sprach, sondern man fragte sich unwillkürlich: Warum antwortet der Hund denn nicht?

Die feste, nicht zu große, etwas behaarte Hand legte einen neuen Umschlag um den Kopf Duros.

»Na, Pfeffer, mein Sohn, wie gefällt er dir denn?«

Pfeffer legte die kupierten Ohren an, zeigte ein wenig die Schneidezähne, als wenn er lächelte, und wedelte zwei-, dreimal mit dem Stummel.

»Ja, den Eindruck hatte ich auch gleich. Tüchtiger Kerl und grundanständig. Na, wir werden ihn schon entsprechend unterbringen.«

Bei den letzten Worten zogen sich zwei energische, aber auch Humor verratende Falten durch die mageren Wangen des Mannes, der seinen Hund so ernst nahm wie einen Freund. Das sympathische Gesicht des etwa vierzigjährigen Menschen hatte starke Züge von Willenskraft und Intelligenz. Doch auf der feinen, gut geformten Stirn lagen Schatten und Falten, die mit dem ansprechenden Gepräge der großen, stark modellierten Nase und dem der ausgeprägten Mundwinkel nicht in Einklang waren. Das bartlose Gesicht war frei von jeglicher Schlechtigkeit, aber es trug verborgen unter den positiven Zügen den Ausdruck des Suchens, das in die Irre geht.

Der Schädel hatte nur auf der hinteren Hälfte, zu den Seiten hin, noch Haare. Dort standen sie dunkel und eigenwillig gelockt.

»Soll dein alter Vater noch etwas spielen, mein Sohn?«

Pfeffer, der auf der Seite gelegen hatte, öffnete nur die Augen, gab dem bärtigen, grau und dunkel melierten Kopf eine leichte Wendung zu seinem Herrn hin und sah ihn mit einem nicht zu beschreibenden Ausdruck an.

»Dann nicht, lieber Junge. Du meinst natürlich wegen des Kranken. Hast auch recht – Musikanten hören sich gern selbst.«

Er holte eine Decke aus dem Rucksack, fand hinter einer Sämaschine ein paar Bund Stroh, und nachdem er Duro einen Platz zurechtgemacht hatte, bettete er sich selbst und drückte den Kerzenstummel aus. Er war aber noch nicht eingeschlafen, als Pfeffer zu ihm kam und sich mit behaglichem Stöhnen an seine Seite legte.


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