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21. Kapitel

Auch Duro vererbte seine Schönheit und seine guten Anlagen im Besitz Horns. Sein jagdliches Können konnte er allerdings nicht vererben, das mußte jeder noch so gut veranlagte seiner Nachkommen aufs neue lernen. Damit aber war es bei Horn schlecht bestellt. Er verdiente jetzt reichlich soviel Geld, wie er brauchte – was sollte er sich plagen? Lieber ging er auf Jagd.

Da nahm er dann mal diesen, mal jenen Hund mit hinaus, denn einige seiner Hunde leisteten etwas.

Doch für Duro schlug die ersehnte Stunde am häufigsten. Wenn sein Herr und Meister in Jagdkleidung und Lodenmantel, Gewehr und Rucksack auf dem Rücken, ihn anleinte, dann geriet der Rauhhaar vor Freude außer sich.

Während der Bahnfahrt lag Duro zusammengerollt und schlief. Im Unterbewußtsein war er schon im Revier. Oft zuckten seine Lefzen und die geschlossenen Augenlider, während er kleine, hohe Bellaute hören ließ – er träumte.

Wenn Herr und Hund dann im Revier waren, hatte Horn immer aufs neue Gelegenheit, die vorzügliche Manier dieses Hundes zu bewundern.

So zum Beispiel die Suche auf Brachland, das hin und wieder mit Kiefernkusseln oder Birkengebüsch bestanden ist. Duro revierte nach rechts und links in immer gleichem, flottem Tempo. Eine weitausholende Armbewegung Horns genügte, um Duro die Richtung ändern zu lassen. Der Hund hatte eine ganz eigene Art, einzelne Kiefernbüsche zu untersuchen. Nachdem er die Erfahrung gemacht hatte, daß unter gewissen Kusseln gern Kaninchen oder mitunter auch Hasen lagen, ließ er solche Stellen nie unbesucht. Mit gutem Wind näherte er sich ihnen, selbst wenn er etwas von der einzuhaltenden Richtung abbiegen mußte.

Duro hatte auch ein ausgezeichnetes Gedächtnis für eine Senkung, einen Reisighaufen oder einen Graben, wo er einmal Wild gefunden hatte. Er versäumte selten, solche Orte kurz zu prüfen, wenn er in ihre Nähe kam, denn er hatte schon herausgefunden, daß gewisse Stellen immer wieder vom Wild aufgesucht werden, so oft dort auch ein Stück geschossen wurde.

Solche Gründlichkeit bei der Suche ist im allgemeinen nur älteren Hunden und solchen, die nicht besonders feinnasig sind, eigen. Jagdhunde, die, wie Duro, eine weite, flotte Suche haben, suchen großzügiger, im Vertrauen auf ihre weite Nase. Auch Duro pusselte nicht an jedem Strauch und Grasbüschel herum, er machte eben nur bei solchen eine Ausnahme, die er als ergiebig kannte.

Am Nachmittag kam oft ein Jagdfreund herüber, um mit Horn eine Streife zu machen. Da, wo die vier alten Torfgräben parallel zueinander lagen, war immer Wild zu finden. Hasen, Enten und Fasane lagen dort, aber auch Rehwild hielt sich gern in den dicht mit Erlen bewachsenen Gräben. Zwischen den einzelnen Gräben lagen dreißig bis vierzig Meter breite Wiesenstreifen.

Der eine auf dieser, der andere auf jener Seite, gingen die beiden Jäger so einen Streifen hinauf. Jeder hatte zur Seite Busch und Baum eines der Gräben, und zwischen ihnen, auf der Wiese, revierte Duro.

Plötzlich bemerkte Horn vor sich im Gras, auf etwa zwanzig Meter Entfernung, eine Bewegung. Dort lief etwas rasch vor dem Schützen her und hob sich zum Auffliegen. Knatternd stand ein Fasanenhahn auf. Als er etwa ein bis zwei Meter über der Erde war, schoß Horn, doch der Fasan fiel nicht. Erst der gleich darauf fallende zweite Schuß warf den bunten Gockel in das Gras zurück. »Na, diesmal waren also doch zwei Schuß nötig – –«, rief der Begleiter herüber. Horn antwortete nicht. Statt dessen brachte ihm Duro erst einen und dann noch einen Fasanenhahn. Als nämlich der zweite Schuß den aufgestandenen Hahn herunterholte, hatte der erste schon einen anderen Hahn, der sich gerade erhob, getroffen, bevor der Gockel über das hohe Gras gestiegen war.

Der Gast war verwundert über die Feuerbereitschaft seines Jagdfreundes. Er mußte daran denken, wie er eines Tages im Herbst mit Horn und mehreren anderen Herren auf der Hühnerjagd gewesen war. Der Ostpreuße war wieder einmal Jagdkönig, als man sich in der heißen Mittagsstunde niederließ, um auszuruhen und sich an den mitgenommenen Broten und Getränken zu stärken. Die Männer saßen auf einer etwa sechs Meter breiten Waldschneise; und zwar hatten sich einige auf diese, die anderen auf die gegenüberliegende Seite gesetzt. Horn hatte seine Flinte in Reichweite an einen Baum gestellt, sie war gesichert, aber – nicht ganz waidgerecht – während der Ruhepause geladen.

Plötzlich rief ihm einer der gegenübersitzenden Herrn zu: »Achtung! Horn, 'ne Taube!« Tatsächlich kam hinter Horn eine Turteltaube in ihrem reißenden Flug über die Kiefernkronen gezogen. Horn griff mit seinem langen Arm die Flinte, entsicherte sie mit einem Druck des Daumens, der Kolben flog an die Schulter, die Läufe gingen hoch. Der Jäger Hatte sich bis zu diesem Augenblick noch gar nicht nach der Taube umgesehen. Dazu wäre auch keine Zeit gewesen. Jetzt, da das Korn das fliehende Wild suchte, war die Taube schon über die Schneise geflogen und wäre in der nächsten Sekunde hinter den Baumkronen der gegenüberliegenden Seite verschwunden. Da fiel der Schuß. Der Vogel überschlug sich und stürzte zur Erde. Die ganze Szene hatte, von dem Anruf »Achtung! Horn, 'ne Taube!« bis zum Herabfallen des Wildes kaum drei Sekunden gedauert.

Ja, schießen, das konnte er. Duro erging es nicht wie so manchem anderen fermen Hund, dessen blendende Leistung an den Fehlschüssen seines Herrn zunichte wird. Horn traf – man möchte beinahe sagen – immer. Wenn ihn der Hase spitz von vorn anlief oder schräg von ihm fortstrebte, er traf. Ob das Kaninchen noch so gedankenschnell über die Lücke in der Schonung huschte, der gefühlsmäßig hingeworfene Schuß saß. Er schoß mit der Browningflinte fünf Hühner aus dem aufstehenden Volk, und die Enten mochten noch so reißend im schwindenden Licht herankommen, sie fielen von seinem Schuß.

Doch der vorzüglichste Schrotschuß kennzeichnet den Meisterschützen nicht in dem Maße wie der Kugelschuß auf flüchtiges Wild. Horn schoß den Keiler mit der Büchse aus der Rotte Sauen heraus, die in rasender Fahrt über die winterlich verschneite, nur wenige Meter breite Schneise fuhren. Er setzte dem Hirsch die Kugel aufs Blatt, der in der Morgendämmerung wie ein Schemen durch die dunstverschleierten Stangen zog.

Eines Abends erkletterte er die Leiter einer Kanzel, von der aus er hoffte, einen Bock zu schießen. Fast war er oben, da rauschte es hinter ihm im Roggen. Er wandte den Kopf und sah den flüchtigen Bock, der ganz in der Nähe der Kanzel, geschützt durch das Korn, im Bett gesessen hatte. Horn legte sich mit seinem ganzen Gewicht nach vorn gegen Leiter und Hochsitz und riß, da er nun die Hände frei hatte, die Büchse, die ihm an der linken Schulter gehangen hatte, herunter und an die Backe. Entsichern, eine halbe Drehung in der Hüfte machen, mit dem durch den Roggen fegenden Bock mitgehen und, während sich Hüfte und Schulter fest an das Holz preßten, fliegen lassen, das alles ging viel schneller, als man es sagen oder schreiben kann.

Der Schuß an sich war in dieser halsbrecherischen Lage eine Leistung. Daß der Bock sich im Knall wie ein Hase überschlug und mit einem wenn auch etwas hohen Blattschuß liegenblieb, das war mehr als ein blendender Schuß, es war ein Kunstschuß.

Tatsächlich war Horn in seiner Jugend als Gehilfe eines Kunstschützen ein Jahr lang umhergereist. Nicht, daß er bei diesem Mann schießen lernte, das hatte er schon als Junge, wenn auch nicht in der späteren Vollkommenheit, gekonnt. Horn hatte die Aufgabe, bei gewissen Nummern seinen Chef zu ergänzen. Das tat er nach einiger Zeit so gut, daß der Meister anfing, eifersüchtig zu werden.

Wenn Horn auch im Kunstschießen niemals die Vollendung erreichte, wie sie dieser Artist besaß, so stellte sich doch gelegentlich einer Probe auf Haustauben, die ein Dritter fliegen ließ, heraus, daß im Schießen auf lebendiges Ziel der Gehilfe seinem Meister über war.

Einst aber, in Spanien, unternahm Horn auf eigene Kappe etwas, das ihn mit seinem Chef für immer auseinanderbrachte. An diesem Abend traten die beiden Kunstschützen nicht auf, und Horn verließ unter dem Vorwand eines Rendezvous das gemeinsame Hotel. Es waren jedoch nicht ein Paar dunkler Augen, die ihn riefen, sondern es war ein Vertrag. Horn hatte sich verpflichtet, in der Stierkampfarena aufzutreten. Er war durch die Empfehlung eines Stierkämpfers, den er im Café kennengelernt hatte, einem Manne begegnet, der Stierkämpfe veranstaltete. Diesem hatte er den Vorschlag gemacht, gegen jeden noch so schnellen und reizbaren Stier anzutreten, und zwar wollte er den Stier nicht durch den Degen, sondern durch die Kugel besiegen.

Der Manager überlegte nicht lange. Er hatte diesen riesenhaften Deutschen mit dem im Verhältnis etwas zu kleinen, blonden Kopf und den eiskalten blauen Augen im Varieté schießen sehen. Ob der Mann allerdings die Ruhe bewahren würde, konnte man nicht wissen. Das war auch nicht so wichtig, denn wenn er versagte, gab es etwas zu lachen, und das Publikum lacht gern.

Nun war also der Abend gekommen. Der Stier raste, mit Banderillas blutig geschmückt, über den Sand. Die Banderilleros waren verschwunden, und in den letzten Strahlen der Sonne stand der Stier regungslos mit erhobenem Kopf und schnaufte. Jetzt riß der muskulöse Nacken den teuflischen Kopf herum, und der Schwanz peitschte die Weichen. Dort drüben war ein Tor geöffnet worden, aus dem ein Mann trat.

Er schritt groß und breit in den Sand hinaus. Die Menschen, die rundum saßen, wurden ganz still. Er sah so fremd aus. Hier, wo man gewohnt war, den Mann, der dem Stier gegenübertrat, geschmeidig und dunkel zu sehen, schritt ein gegenüber dem spanischen Torero ungeschlachter Ausländer auf eine Gefahr zu, von der sich niemand vorstellen konnte, wie er ihr wirksam begegnen wollte. Der Wucht des Stieres gegenüber konnte nur die tödliche Sicherheit des mit großer Geschicklichkeit geführten Degens bestehen. Horn war zwanzig Meter in die Arena hinausgetreten, dann blieb er stehen. Er trug einen dunkelgrünen Lodenanzug und einen Jägerhut, die Büchse hielt er in halbem Anschlag vor sich. Daß dieser äußerlich ganz ruhige Mann den Stier treffen würde, daran glaubte jeder, denn man kannte seinen Ruf. Doch er mußte ihn an dem Punkt treffen, wo auch der Degen des Toreros eindringen mußte, wenn der Stier sofort zu Fall kommen sollte. Wußte der Deutsche das? Warum schoß er nicht?

Zeichnung: Hans Hyan

Das schwarze, machtvolle Tier raste heran. Ohne Übergang hatte sich der Stier in sein schnellstes Tempo gesetzt, nachdem er wohl eine Minute regungslos gestanden hatte, um diesen ihm ganz neuen Feind anzustarren, der da drüben ruhig und doch bedrohlich stand.

So sauste der schon hart Gepeinigte auf den Widersacher los, an dem er sich für die Schmerzen rächen wollte, die die anderen, die verschwunden waren, ihm zugefügt hatten.

Das Publikum atmete nicht. Eine Frauenstimme lachte schrill und kurz auf.

Horn war blaß geworden. Doch wartete er angesichts des heranstürmenden Todes; er mußte warten.

Jetzt! Der Stier, noch gute fünfundzwanzig Meter entfernt, nahm den Kopf herunter. Prall und schwarz sah jetzt der Jäger den Nacken des Tieres, das unaufhaltsam heranstürmte.

Zwei Arme rissen den Kolben hoch, der Schuß donnerte, und der Stier brach wie vom Blitz gefällt zusammen. Das starke Haupt schlug dumpf in den Sand, und noch während der massige, muskelharte Tierkörper auf dem Boden entlangrutschte, sprang aus der Grabesstille des Zuschauerrunds ein ungeheurer Lärm auf.

Die Spanier, Männer und Frauen, rasten. Sie warfen als Zeichen ihres rückhaltlosen Beifalls alles was sie fassen konnten, hinab, um den Fremden zu ehren, der ihnen ein Schauspiel des kaltblütigen Mutes geboten hatte.


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