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17. Kapitel

Man hätte jedem Hund gratulieren mögen, der auf Horns Hundehof lag und einen Käufer fand. Flöhe und Reißen waren die Hauptplagen der Inhaftierten. Das Futter war gut. Doch die Haltung im Zwinger und auf den engen Höfen war für die meisten qualvoll. Alle Hunde wollen sich eng an einen Herrn anschließen, den sie lieben und für den sie da sind. Das fiel hier fort. Das Zusammengepferchtsein so vieler Hunde auf einem engen Raum und die damit verbundene Tyrannei der Starken und Brutalen, die Beschäftigungslosigkeit, der Mangel an Bewegung, unter dem Hunde sehr leiden, minderte den Wert der Tiere.

Viele der Feinergearteten verloren die Lebensfreude, die sich beim Hunde als fröhliches, unbefangenes Wesen zeigt, durch den Despotismus einzelner.

So liefen auf dem mittleren Hof zwei Deutsche Boxer herum, die keinen Hund aufkommen ließen, außer dem ihnen an Kraft weit überlegenen Neufundländer Sultan. Der wußte sich ihrer zu erwehren. Er schlug, wenn er angegriffen wurde, jeden Hund mit der Kraft seiner Vorderläufe nieder, bevor er biß. Dieser schwarze Riese also war der einzige freie Mann unter den Hunden dieses Hofes. Er war außerdem sehr klug und hatte, wie man es häufig bei Neufundländern findet, einen guten, unbestechlichen Charakter. Der prächtige Hund war hier noch weniger als alle anderen am richtigen Platz.

Die beiden Boxer, ein braun und schwarz gestromter und ein brauner, waren Wurfbrüder. Horn bekam sie geschenkt, und obwohl er ihre Geschichte kannte, nahm er sie, weil er hoffte, sie gerade wegen ihrer großen Gefährlichkeit eines Tages gut zu verkaufen. Bevor die beiden Boxer in Horns Besitz übergegangen waren, hatten sie in einem blutigen Drama die Hauptrolle gespielt.

In einem Dorf bei Königswusterhausen, einem kleinen Städtchen nicht weit von Berlin, war eine Sägemühle in Betrieb. Direkt am See gelegen, kamen die Stämme auf dem Wasserwege bis zur Mühle. Der Stapelplatz für die fertigen Balken, Bretter und Leisten war groß und zog sich bis zu einem mit Kiefernstangenholz bestandenen Hang hin, der sich zu ausgedehnten Waldungen und Schonungen erhob. Am Ende des Holzplatzes stand ein bescheidenes, aber nettes Landhaus. Auch hier stieg gleich hinter dem Garten der Kiefernhang an. In diesem Hause wohnten im Laufe zweier Jahre drei Inspektoren. Der Grund dieses häufigen Wechsels war der Terror, der von Holzdieben ausgeübt wurde.

Die Inspektoren erhielten einer nach dem anderen Drohbriefe. Dem ersten genügte der zweite Brief dieser Art, um ihn seine Stellung aufgeben zu lassen. Daran tat er recht, denn er hatte eine hübsche junge Frau und drei gesunde Kinder. Der zweite Inspektor war einer von den Zähen, auch war er lange stellungslos gewesen. Er stellte Nachtwachen aus, die er selber ablöste, und hatte auch Erfolg, solange die Nächte hell waren. Dann aber, in der ersten mondlosen Nacht, wurde wieder Holz gestohlen. Damit nicht genug, fand der Inspektor am nächsten Morgen einen Zettel mit einem Reißnagel an seine Tür geheftet, auf dem er nicht nur wüst beschimpft, sondern auch mit Mißhandlungen bedroht wurde.

Das ängstigte zwar den Inspektor nicht, wohl aber die, die ihm geholfen hatten, Wache zu stehen. So ging denn der unerschrockene Mann, den Revolver in der Tasche, einen derben Stock in der Hand, allein auf die nächtliche Runde, um das Holz seines Brotherrn zu schützen. Nicht groß, aber untersetzt und stämmig, vertraute er auf sein Recht und seine Kraft.

Er war schon eine Stunde zwischen den Holzstapeln herumgeschlichen, ohne etwas Verdächtiges zu bemerken, als er an einer Wand von aufeinandergelagerten Balken vorbeiging. In dem Augenblick, als er an der Ecke des Stapels vorüberwollte, wurde ihm ein Sack von hinten über den Kopf bis zum Gürtel gestreift und auf dem Rücken verschnürt. Da er am Gebrauch der Arme und Hände behindert war, schleuderte man ihn zu Boden und schlug ihn unbarmherzig. Endlos sausten mehrere Knüppel auf den Wehrlosen nieder, auch noch, als er schon ohnmächtig war. So fanden Arbeiter gegen Morgen den Unglücklichen. Er verließ, nachdem er ausgeheilt war, Stellung und Ort.

Sein Nachfolger war auch ein mutiger Mensch, aber er machte nicht den Fehler, die Jagd auf die Holzdiebe im Freien auszuüben, sondern er setzte sich an. Still sitzend, konnte er viel besser wahrnehmen, ohne selbst bemerkt zu werden. Mit viel Geduld wartete er sieben Nächte. In der achten hatte er dann endlich Erfolg. Drei Männer schritten dicht an ihm vorbei, ohne ihn wahrzunehmen, da er in guter Deckung saß. Sie gingen vollkommen lautlos, denn sie hatten sich Lappen um die Füße gebunden. Der neue Inspektor begriff, daß er die drei Kerle nicht festnehmen konnte, und so wollte er ihnen wenigstens einen solchen Schreck einjagen, daß sie nicht wiederkommen würden. Er sprang also den Letzten von hinten an und schlug ihm dermaßen mit dem Stock über das Kreuz, daß der Getroffene einen lauten Schrei ausstieß und in die Knie brach. Gleichzeitig gab der Inspektor mehrere Schüsse ab. Alle drei Holzdiebe, auch der geschlagene, der sich aufgerappelt hatte, ergriffen die Flucht und waren in Sekundenschnelle in der Nacht untergegangen. Froh über seinen Sieg ging der Inspektor nach Hause. Dort saß dann der Junggeselle noch eine Weile beim Tee mit einem Schuß Rum. Er sah den Rauchschwaden seiner Zigarre nach, und langsam wurde ihm klar, was hier not tat.

Am nächsten Tage berichtete er von seinem nächtlichen Erlebnis. Dadurch ermutigt, stellten sich gleich einige der Arbeiter zur Verfügung, um ihn bei den Nachtwachen zu unterstützen. Doch der Inspektor lehnte ab. Er würde sich in nächster Zeit die geeignete Hilfe holen, meinte er.

Am kommenden Sonntag ließ er anspannen und fuhr über Land. Als er gegen Abend zurückkam, hatte er zwei recht unfreundlich aussehende Hunde im Wagen, einen geströmten und einen braunen Boxer. Er legte sie noch am selben Abend an die Kette, nachdem er ihnen aus zwei Kisten ihre Hütten hergerichtet hatte.

Woher der Inspektor die Boxer hatte, wurde nie recht klar, er sagte nur, ein Freund, der sie nicht mehr haben wollte, hätte sie ihm verkauft. Daß dieser Mann sie nicht mehr haben wollte, schien allen begreiflich, die die beiden Hündchen näher kennenlernten. Hassan sowohl als Pluto waren nichts anderes als Bestien. Da man aber bald merkte, daß beide Hunde niemals von der Kette kamen, auch nachts nicht, so hörte man auf, sich für sie zu interessieren.

Es waren ungefähr vier Wochen seit dem letzten Besuch der Holzdiebe vergangen, und es schien fast, als hätten sie sich den Schreck zu Herzen genommen, als man eines Morgens wieder meldete, es wäre erneut, und zwar sehr erheblich Holz gestohlen worden. Niemand blieb bei dieser Nachricht so gelassen wie der Inspektor. Er ließ einen Abend aus, dann setzte er sich auf den Anstand. Zu seinen Füßen lagen Hassan und Pluto. Vier Stunden warteten die drei, jedoch vergeblich.

Dieses resultatlose Warten wiederholte sich vier Nächte lang, in der fünften kamen die Holzdiebe. Sie hatten mit einer Zange ein Loch in den Zaun gekniffen und waren vom Waldhang her gekommen. Wieder lautlos, auf mit Lappen umwickelten Schuhen. Der Inspektor hatte sie kaum bemerkt, denn sie waren an einer anderen Ecke des Holzplatzes zugange. Doch der braune Pluto hatte eine feine Nase. Er stand plötzlich auf, hielt die Nase hoch und begann leise zu knurren. Sogleich sträubten sich auch dem anderen die Rückenhaare, und aus seiner breiten Brust drang ein dumpfes Murren. Der Inspektor erhob sich, und die Hunde an der Leine, ließ er sich von ihnen führen. Es war wieder eine sehr dunkle Nacht, und nur langsam kam der Mann voran, der im Begriff war, wenn auch mit dem äußersten Mittel, eine Situation zu klären, die unhaltbar geworden war. Alle zehn Meter blieb er stehen und lauschte. Neben ihm die beiden Hunde hielten ihre Köpfe schief und die Ohren gespitzt. Sie zitterten alle beide, die Boxer, und ihre Halsbänder lagen straff gespannt um ihre muskulösen Hälse.

Plötzlich hörte der Mann ganz deutlich das Geräusch von Holz, das man hin und her bewegt. Da jaulte einer der Hunde, Hassan, vor wütender Ungeduld auf. Im gleichen Moment rief eine Stimme, rechts vor dem Inspektor, hinter einem Holzstapel: »Aufgepaßt, 'n Köter!« Dann polterte Holz zur Erde, und dumpf klingende Sprünge wurden laut, die sich schnell entfernten. Da aber hatte der Inspektor die Hunde schon geschnallt.

Bellend der eine, stumm der andere, schossen sie davon, und in Gedankenschnelle hatte sie die Dunkelheit aufgenommen. Ihr Herr hörte nur das leiser werdende Prasseln ihrer Pfoten und den regelmäßigen Hetzlaut des einen.

Während er vorwärtsstürmte, den schweren Eichenstock in der Faust, drang auf einmal lautes Schreien und das wütende Belfern eines Hundes zu ihm durch die Finsternis. In dem Inspektor stieg die Wut auf, und er stürmte auf den Lärm zu. Gleich darauf stürzte er über einen querliegenden Balken. Das immer schrecklichere Schreien und Toben im Ohr, verbiß er den Schmerz, raffte sich auf und rannte weiter. Nun zerriß von einer anderen Seite her die Stille der Nacht. Auch dort schrie ein Mensch: »Hilfee! Hilfeee!«, und zugleich ertönte das mörderische, grunzende Bellen eines Hundes, der einen Feind gepackt hält. Da tauchte plötzlich vor den Augen des Vorwärtshastenden eine sich wild bewegende Gruppe aus der Dunkelheit auf. Ein röchelnder, schrecklich stöhnender Mensch stand mit dem Rücken gegen einen Holzstapel gelehnt und trat und schlug mit einer Latte auf den Hund ein, der knurrend an seinem Arm hing. Der Inspektor riß Hassan zurück und legte den Tobenden an die Leine. Als er sich dem Schwerverwundeten zuwenden wollte, brach der mit einem ächzenden Laut zusammen. Unterdessen erklang ein so gellendes Schreien von der anderen Seite herüber, daß der Inspektor, den widerstrebenden Boxer an der Leine, sich dorthin wandte. Als er wieder, diesmal mit dem Kopf, gegen Holz rannte, fiel ihm, etwas spät, die elektrische Lampe ein, die er in der Tasche hatte. Mit dem Lichtkegel vor sich ging es schneller. Der zweite Holzdieb lag an der Erde. Er weinte und bat und schrie, und das Blut lief ihm aus vielen schrecklichen Wunden. Seine Arme und Hände besonders, mit denen er Hals und Kopf schützte, sahen entsetzlich aus. Auch Pluto wurde von seinem Opfer gerissen und Hassans Leine schnell an einen Balken geknotet. Wimmernd und mit den Zähnen schnatternd, bat der grausam Zugerichtete immer wieder um sein Leben. Aber der Inspektor war hart. »Wer ist der Dritte? Oder ich laß den Hund wieder los!« So herrschte er den Rest von einem Menschen an.

»Fritz Lehmann aus Finkenbusch is es, aber nicht den Hund loslassen, nich den Hund – – –.« Da schwanden auch diesem schwer gestraften Dieb die Sinne.

Die beiden so schrecklich zerbissenen Männer wurden nach einer halben Stunde von dem alarmierten Arzt im Wagen abgeholt, gewaschen und verbunden. Es waren beide junge Gelegenheitsarbeiter, die in keinem guten Ruf standen. Ihr Zustand, besonders der des zweiten, schien hoffnungslos. Und doch wurden sie alle beide wiederhergestellt. Etwas krumm und ungelenk blieben sie, doch konnten sie, nachdem sie und der so billig davongekommene Kumpan eine schwere Gefängnisstrafe verbüßt hatten, wieder arbeiten.

Der Holzplatz hätte seit dieser Nacht keines Zaunes mehr bedurft, es wurde nicht ein Span mehr entwendet.

So mußte der Inspektor seine Nächte nicht mehr opfern, er konnte ruhig schlafen.

Ein halbes Jahr später aber schlief er für immer. Man fand ihn ermordet in seinem Hause. Ein Schuß durch den Kopf hatte seinem Leben ein Ende gemacht, während er an seinem Tisch in der Wohnstube Abendbrot aß. Der Schuß wurde nach hereingebrochener Dunkelheit abgegeben, während das Zimmer erleuchtet war. Der Mordschütze mußte, wie die Untersuchung ergab, von dem Kiefernhang her geschossen haben, und zwar durch das geöffnete Oberfenster.

Eine Nachsuche durch einen Polizeihund blieb ohne Ergebnis, da es in dieser Nacht gegen Morgen geregnet hatte. Eine Verbindung von dem Verbrechen zu den drei noch im Gefängnis sitzenden Holzdieben konnte in keiner Weise hergestellt werden, und so blieb dieser Mord unaufgeklärt.

Der Besitzer der Sägemühle aber verkaufte sie, um sich in einer weniger gefährlichen Gegend niederzulassen, und bot mittels Annonce die beiden Boxer dem, der sie haben wollte, zum Geschenk an. Herr Horn wollte sie haben.


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