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40. Kapitel

»Blut ist ein ganz besonderer Saft«, dies Wort versteht niemand so gut wie der Züchter.

Zu dem Oberförster kam mitunter an schönen Spätnachmittagen ein sehr alter Mann, der zu seiner Zeit ein passionierter Jäger gewesen war. Er verstand auch manches von Hunden und führte viele Jahre lang Jagdhunde, die größtenteils von ihm selbst gezogen worden waren. Er war nun schon an die neunzig, und sein Gehör hatte gelitten, doch geistig war er frisch, und vor allem sein Gedächtnis war erstaunlich gut.

Der Alte wußte dem Oberförster so manches aus der Jägerwelt des vorigen Jahrhunderts zu erzählen, aus der schönen Zeit, in der der Mensch, vorausgesetzt, daß er etwas Geld besaß, noch Zeit und Muße hatte, sich einer Liebhaberei zu widmen und in der Beschaulichkeit zu leben.

Ihr holden Tage unserer Großeltern, was haben wir Menschen von heute verbrochen, daß ihr so ganz und gar der Vergangenheit angehört?

Doch es kommt ja nicht so sehr auf die Form an, wesentlich ist der Inhalt.

Man kann auch mit Telephon, Radio, Flugzeug und Auto auf die leisen, aber starken Stimmen hören, die jedem von uns, und wenn er noch so kleine Ohren hat, eindringlich zuflüstern: Verkaufe die feinen Freuden des Lebens nicht für ein höheres Jahreseinkommen. Ersticke den Menschen in dir nicht durch steife Kragen und Manschetten und rase nicht an Blumen und Bäumen vorüber – sie duften und ihre Farben leuchten nur, wenn du sie auf eine Weile besuchst.

Der alte Mann mußte viel in sich aufgenommen haben, denn obwohl seine Welt längst untergegangen war, sprach er von den vergangenen Tagen kaum mit Wehmut und stets so, als hätte sich das Leben nicht sehr verändert und als wären die Keime zu dem, was ihn damals erfreut hatte, auch heute noch vorhanden.

Als ihm der Oberförster von Duros Sohn Melchior erzählte, da sprach er das bekannte Wort nachdenklich aus: »Blut ist ein ganz besonderer Saft.«

Dann erzählte er die Geschichte von Flambos Sohn Chasseur, dem besten Jagdhund, der ihm gehört hatte. Aber nicht so sehr das Leben und Wirken dieses Hundes als vielmehr seine Entstehung war es, die ihm Anlaß war, die Geschichte zu erzählen.

Man führte damals noch ganz allgemein die schweren altdeutschen Hunde. Sie waren unbeweglich, gehemmt durch ihren klobigen Körper, ihre übertriebene Größe und ihr oft sehr schlechtes Gebäude. Sie standen in vielen Fällen steil auf Hinter- und Vorderläufen, waren, oft kuhhessig oder tonnenbeinig, hatten mangelhafte, nicht fest geschlossene Pfoten – kurzum: es waren grobe Hunde, die nur eine kurze Suche hatten, wenig Ausdauer besaßen und in den meisten Fällen auch über eine sehr mangelhafte Nase verfügten. Solche Hunde ließen sich allenfalls im Walde verwenden, wo sie dicht unter den Augen des Herrn suchen sollten, zur Feldjagd waren sie so gut wie ungeeignet.

Zeichnung: Hans Hyan

Die Vorzüge dieser Hunde lagen in der Anhänglichkeit an ihren Herrn sowie in der Zuverlässigkeit und dem soliden Wesen. Der Erzähler war damals Verwalter auf einem größeren Gut, und in seinem Besitz war eine Jagdhündin des beschriebenen schweren Schlages. Sie hieß Bella und war für den damaligen Stand der Rasse schön. Grobe Fehler hatte sie nicht, obwohl man sie, gemessen an unseren heutigen Hunden, plump nennen würde. In dieser Zeit fing man in Deutschland an, englische Hunde in das einheimische Jagdhundmaterial einzukreuzen.

Auch der Herr Bellas hätte gern einen Pointer als Deckrüden für seine Hündin gehabt, er wußte auch einen so guten, wie er ihn sich nur wünschen konnte, doch gelang es ihm nicht, die Einwilligung des Besitzers zu der Paarung zu erlangen.

Der Pointer hieß Flambo und war ein brauner Hund mit geringen weißen Abzeichen. Kopf, Gebäude, Stand und Rute, alles war elegant und schnittig, dabei war er von stählerner Muskulatur. Jagdlich war der Hund wundervoll, wenn auch einseitig nur für die Feldjagd abgerichtet.

Gegen diesen hochgezüchteten Hund wirkte Bella wie eine Bäuerin gegen einen Stadtherrn. Und doch versprach sich der Verwalter viel von solcher Nachzucht, denn er wußte, daß die Welpen aus einer groben, primitiven Mutter, nach einem hochgezüchteten Vater, oft sehr gute Hunde werden.

Der Besitzer des Pointers war reich, ihn konnte der Verwalter mit irgendeiner Gegenleistung nicht locken, und da er ihn auch nicht umstimmen konnte, so mußte er auf den erträumten Wurf vorzüglicher Welpen verzichten.

»Ich kann doch nicht für jede Bauerntöle meinen Hund freigeben«, hatte der Besitzer gesagt.

Enttäuscht und auch etwas gekränkt, war der Verwalter abgezogen.

Er ließ die Hitze seiner Hündin ungenutzt vorübergehen, denn nachdem er nun wieder den feinen Pointer gesehen hatte, mochte er gar nicht daran denken, einen der klobigen Rüden aus der Umgebung als Vaterhund zu nehmen. So verging ein halbes Jahr, und wieder wurde Bella beiß. Als die Hitze ihren Höhepunkt erreicht hatte, traf es sich gerade, daß eine kleine Feier im Hause des Verwalters war, bei der dem Weine wacker zugesprochen wurde.

Nachdem die Gäste davongefahren waren, nahm der Herr des Hauses seine Hündin an die Leine, um noch einen kleinen Rundgang mit ihr zu machen.

Am Lederriemen mußte er die Gute schon führen, denn jetzt war sie soweit, sie würde bei der Annäherung eines Rüden stehen.

Der Mond schien hell, und der Wein war bestes Gewächs gewesen. Der Verwalter fühlte sich in der schönen Nacht so angeregt, daß er nicht daran dachte, schon schlafen zu gehen.

Und wie man geneigt ist, in solcher Stimmung sich in Gedanken dem zuzuwenden, was man sich wünscht, so dachte der Verwalter an Flambo und die kleinen Hundchen, die Bella eigentlich von ihm hätte haben sollen.

Plötzlich blieb der Mann stehen. Er sah einen Augenblick vor sich hin, dann machte er kurz kehrt und ging auf dem kürzesten Wege zum Pferdestall. Es waren noch keine zehn Minuten vergangen, da fuhr ein leichter Jagdwagen im Schritt vom Hof, und erst auf der Landstraße ließ der Verwalter den Gaul, einen hohen, knochigen Rappen, flotter gehen.

*

In der Allee alter Kastanien, die zum Schloß führte, band der Verwalter den Rappen fest. Doch vorher wendete er den Wagen um, so daß das Pferd mit dem Kopf in Richtung Heimat stand. Der Verwalter wollte, wenn er zurückkam, den Wagen schnell besteigen und losfahren können. In den kontrastreichen Schatten- und Lichtornamenten, deren Urheber die großen Hände der Kastanienblätter und der Mond waren, schritten Mann und Hündin leise dahin.

Bald standen die beiden vor dem Tor, das verschlossen war. Langsam ging der Verwalter an der Backsteinmauer entlang, die Hündin immer bei Fuß. Jetzt schlug auf dem Gutshof ein Hund an. Es war eine rauhe, alte Stimme, nicht der Hals des Hundes, dessentwegen der Verwalter wie ein Dieb in der Nacht hierhergefahren war.

Lang zog sich die Mauer hin, doch schließlich nahm sie ein Ende, und Maschendraht umfriedete den dahinterliegenden, weitangelegten Obstgarten.

Die hohen, alten Bäume hatten mit der Mauer aufgehört, und im vollen Mondlicht gingen nun der Verwalter und Bella am Zaun entlang. Nach kurzer Zeit bückte sich der Mann, er hatte gefunden, was er suchte.

Über der Erde war ein ziemlich großes Loch im Zaun. Der Verwalter kroch auf dem Bauch hindurch, die Hündin hinterher. Dann ging es unter Apfelbäumen und zwischen Johannisbeer- und Stachelbeerbüschen weiter. Dort hinter dem Gewächshaus, dessen Scheiben im Mondlicht glänzten, lag Flambos Zwinger.

Soweit sich der Verwalter entsinnen konnte, hielt der Besitzer zur Zeit im Zwinger keine Hunde außer dem Pointer. Er hoffte sehr, daß es sich so verhielt, denn waren mehrere Hunde oder gar Hündinnen dort, dann gab es bestimmt einen Höllenspektakel – alles, nur das nicht! Der Verwalter und Bella bogen um das Gewächshaus – da lag der Zwinger, er war nur etwa zwanzig Meter entfernt, und im hellen Mondlicht deutlich erkennbar, stand ein Hund regungslos hinter dem Maschendraht.

Als sich ihm der Mensch und die Hündin näherten, wedelte er mit der Rute und sprang in federnden Sätzen hinter dem Gitter auf und ab, wobei er ein unterdrücktes Miefen hören ließ. Er bellte nicht, was er, wenn der Mann allein gekommen wäre, bestimmt getan hätte. Seine feine Nase hatte ihm schon lange, bevor er sie eräugt hatte, die heiße Hündin gemeldet.

Dann die Begrüßung durch den Maschendraht – feurig und erregt der Rüde, zurückhaltend, aber doch leise mit der Rute wedelnd, die Hündin. Der Verwalter dachte schon, er werde wieder kriechen oder klettern müssen, doch als er sich die Tür besah, fand er sie nur mit einem Holzknebel versehen.

Gerade so weit, daß die Hündin hindurchkonnte, öffnete er, schloß sogleich wieder und stellte sich unter einen Holunderbusch, der den Zwinger zum Teil überschattete. Aus dem tiefen Dunkel leuchtete ein Streichholz auf, und nachdem es wieder erloschen war, glomm, bald stärker, bald schwächer, die rote Glut der Tabakspfeife.

Von den Bäumen und Büschen her trug die Nachtluft wunderbare Gerüche. Eine Fledermaus taumelte in jäher Kurve um den Holunderbusch, sie hatte dort etwas glimmen sehen.

Als der Verwalter die Zwingertür nach geraumer Zeit vorsichtig wieder öffnete, kam die Hündin wedelnd heraus, während der Pointer sich seiner Hütte zuwandte.

Der Mann verriegelte die Tür so, wie er sie vorgefunden hatte, leinte Bella an, und scheu und eilig, wie alle, die gestohlen haben, verließ er den Ort auf demselben Wege, auf dem er gekommen war. Wenige Minuten später saßen er und die Hündin auf dem Wagen, und weich und dumpf klangen die Hufe des Rappen auf dem Boden der Waldstraße, die der Verwalter der Landstraße doch vorzog, obwohl es tief in der Nacht war, am Wagen keine Lampen brannten und die tiefe Dunkelheit unter den Bäumen nur hin und wieder vom Blinken des Mondes durchbrochen wurde.

*

Dreiundsechzig Tage trägt die Hündin. Auch Bella, des Verwalters stämmige Jagdhündin, warf genau nach dieser Zeit acht stramme Welpen. Ihr Herr war glücklich und stolz. Stolz besonders deswegen, weil alle acht Hundchen Rüden waren. In der Farbe waren die Welpen, bis auf einen einzigen, der Mutter nachgeraten, es waren also Brauntiger mit mehr oder minder großen Platten. Nur einer hatte die Zeichnung des Vaters, das heißt er war einfarbig braun mit ein paar weißen Zehen und einem kleinen weißen Stich auf der Brust.

Dieser kleine Kerl war nicht etwa der stärkste Hund, doch zeigte sich früh ein fein modellierter Bau und ein lebhaftes, reges Wesen.

Nach einem Vierteljahr war es eine Wonne, diesen Wurf tolpatschiger, treuherziger kleiner Jagdhunde zu sehen. Sie wurden sauber gehalten, gut gefüttert und waren zweckentsprechend untergebracht. Es stand ihnen ein ausgedehntes Stück Rasen zur Verfügung, und wenn es regnete, verschwanden sie in einem Stall, der für sie hergerichtet war.

Die beiden stärksten waren ihrer Mutter sehr ähnlich. Sie wurden ziemlich massiv, und nur der Kenner erriet an gewissen Linien ihres Körperbaues, daß Pointerblut in ihren Adern floß. Die anderen waren alle leichter im Gebäude und zeigten mehr von der Rasse des Vaterhundes.

Nur ein einziger, eben dieser braune Welpe, hatte das volle Erbe Flambos angetreten, denn nicht nur Zeichnung, Gebäude und Kopf zeigten die edle Herkunft, er hatte auch das feurige Wesen des Pointers geerbt. Später, als er voll erwachsen war und der Verwalter ihn zur Jagd abrichtete, war es, wenn man ihn auf dem Felde suchen sah, als wenn Flambo, der Pointer, die Breiten nahm.

Aber er war ein Flambo, dessen Formen etwas abgerundet schienen und dessen Wesen sich nicht ganz so stürmisch erwies. Das war das Erbteil der Mutter, überdeckt von der stark hervortretenden Art des Vaters.

»Chasseur« nannte der Verwalter den Hund. Ihn und einen der Brauntiger behielt er bis zum Alter von eineinhalb Jahren, weil sie jagdlich die besten Hunde des Wurfes zu sein schienen. Dann verließ auch der Brauntiger den Hof, denn auch er kam in jagdlicher Beziehung nicht an Chasseur heran. Wirkliche »Kanonen« sind doch eben selten mehr als eine im Wurf, wenn überhaupt eine darunter ist. Ehe die Junghunde vier Monate alt waren, hatten sie alle, bis auf die beiden, die der Besitzer zurückhielt, ihren Käufer gefunden. Es hätten doppelt soviel Welpen sein dürfen, sie wären alle verkauft worden, denn jeder Jäger, der diese jungen Hunde nur einen Augenblick sah, begriff, daß hier etwas Besonderes, Feineres als sonst geboten wurde, und griff zu.

Damals hielt man noch nicht so viel auf den Stammbaum, wenn das Hundematerial nur vertrauenerweckend aussah.

Als die Puppis kaum ein Vierteljahr alt waren und der Verwalter noch keinen hergegeben hatte, weil er sich erst ein Bild über jeden einzelnen machen wollte, kam eines Sonntagvormittags der Besitzer Flambos auf den Hof, um sich einen jungen Bullen anzusehen, den er gern gekauft hätte. Nach Abwicklung des Geschäftes wollte er gerade seinen Fuchs vom Hofe reiten, als er drüben am Verwalterhaus den Wurf junger Jagdhunde hinter dem Maschendraht sah.

Zeichnung: Hans Hyan

»Na, da haben Sie nun doch wohl einen geeigneten Rüden für Ihre Bella gefunden – –«

So sprach er zum Verwalter.

»Ja, in der Nähe ist ein ganz netter Hund, von dem habe ich sie decken lassen ...«

Die beiden Männer traten an das Gehege, und der Besucher freute sich über die lebendige Schar kleiner Brauntiger und darüber, daß der Wurf so ausgeglichen war. Es fiel ihm auch auf, daß die Hunde feiner zu werden schienen als die Mutter.

»Sieben sind es, und alles Brauntiger – –«, sagte er eben, da kam tolpatschig und dennoch flink, mit einem Kalbsknochen im Fang, Chasseur aus dem Stallgebäude heraus. Braun, glatt und glänzend, lief er bis in die Mitte der Einfriedung, dort ließ er sich hinplumpsen, legte den Knochen vor sich nieder und sah mit schiefgehaltenem Köpfchen die Herren an.

Der Besucher lächelte, wurde dann ernst, seine Augen bekamen einen etwas stieren Ausdruck, und dann rief er plötzlich:

»Das ist ja Flambo!!«

»Ja, eine gewisse Ähnlichkeit hat er wohl – –«, meinte der Verwalter.

»Na, hören Sie mal, gewisse Ähnlichkeit nennen Sie das? Der ist doch wie ein Abziehbild von meinem Hund! Wenn ich nicht wüßte, daß es eine Unmöglichkeit ist, ich würde schwören, daß mein Flambo der Vater ist. Wie erklären Sie sich bloß diese Ähnlichkeit?«

»Wissen Sie«, antwortete der Verwalter ernst, »ich habe mir doch Ihren Hund immer so sehr als Deckrüden für meine Bella gewünscht. Na, und da denke ich eben, weil ich die Bella doch immer um mich habe, da hat das gewirkt, gewissermaßen eine Art suggestive Übertragung, davon haben Sie doch sicher auch schon gehört!«

Der Besucher sah den Verwalter mit hochgezogenen Brauen an, schüttelte den Kopf, sah noch einmal auf den durch Suggestivkraft entstandenen Welpen, verabschiedete sich und ritt heim.


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