Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

31. Kapitel

Heinrich Windholz blieb den kommenden Tag noch im Gasthaus. Es hatte ein Regen von der dauerhaften Sorte eingesetzt, und da er in dem Förster einen ausgezeichneten Gesellschafter gefunden hatte, wurde der trübe, nasse Tag recht interessant. Geschichten von Hunden, vom Wild, von Naturkatastrophen und von Menschen wechselten miteinander ab, und schließlich hatte sich eine kleine Gemeinde von Bauern um die beiden Erzähler zusammengesetzt, und es war sehr gemütlich.

Dann kam der Förster auf sein Spezialgebiet zu sprechen, die Wilddieberei. Es war sein Kummer, daß er die gute Jagd, die er betreute, nicht völlig von dieser Plage hatte säubern können.

Als er unter dem vorigen Pächter die Stelle antrat, wilderte das halbe Dorf. Doch schon nach wenigen Wochen hatten die so abgeschieden lebenden Bewohner des Waldnestes den neuen Förster als einen Mann erkannt, mit dem nicht zu spaßen war, und da ihnen ja eine anständige Pacht gezahlt wurde, gingen sie in sich, ließen ihre Schießprügel verschwinden, und nur zwei oder drei jagten im Herbst mit dem Jagdherrn an den Sonntagen auf Hasen und Hühner.

Nun blieb das Revier jahrelang von Wilddieberei verschont, und Hirsch, Sau und Reh wurden wieder vertraut und nahmen zahlenmäßig zu.

Fasanen wurden ausgesetzt, gediehen gut, und dieses schöne, ursprünglich asiatische Wild bot, zusammen mit dem sich stetig verbessernden Hasenbestand, die Hauptfreuden der Niederjagd. Rebhühner und einige Enten vervollständigten das bunte Bild.

Doch seit etwa zwei Jahren hatte die »Schweinerei« wieder angefangen. Zwei starke Hirsche und mehrere gute Böcke waren abhanden gekommen, und unablässig verminderten sich Hasen und Fasanen. Den Löffelmännern wurde mit Schlingen nachgestellt, den Fasanen mit Schwefel, den der Kerl zu den Schlafbäumen emporsteigen ließ. So vermied der Räuber den Schuß und hatte doch Erfolg. Förster Werner gab sich große Mühe, den Wilderer zu fassen, doch bisher erfolglos. Es schien, als wenn er nicht ortsansässig wäre, denn wochenlang verhielt er sich vollkommen still, und nichts deutete darauf hin, daß gewildert wurde. Zwei- oder dreimal hatte Werner schon geglaubt, er wäre diese Geißel los, dann fiel eines Abends wieder ein Kugelschuß, und aufs neue wurden Schlingen im Unterholz gefunden.

»Es ist, als wenn der Lump mich direkt unter den Augen hat«, meinte Werner, »denn noch nie ist ein Schuß gefallen, wenn ich im Revier war, immer, während ich mich zu Hause oder hier im Gasthof aufhielt.«

Der Bauer, der an diesem Schlechtwettertag zur Abwechslung einmal Gastwirt spielte, kam eben zur Tür herein und fragte, ob niemand heute Anton, den Knecht, gesehen hätte. Als alle verneinten, ging der Wirt in Antons Kammer, fand dort das Bett nicht berührt, jedoch die geringe Habe des Knechtes unversehrt.

Windholz und Pfeffer waren inzwischen auch zu ihrer Kammer hinaufgestiegen. Der Musiker war in den kleinen Raum getreten und pfiff dem Hund, der drüben auf der anderen Seite des Flurs an einer kleinen Tür aus rohem Holz schnüffelte. Als weder Pfiff noch Ruf Erfolg hatten, wußte Windholz, daß der Hund einen besonderen Grund haben müsse, nicht zu gehorchen. Er ging hin, um die Tür zu öffnen, doch sie war verschlossen. Vertraut mit den Gewohnheiten der Landbewohner, tastete Heinrich ein paar Balken ab, und bald hatte er den Schlüssel gefunden.

Als sich die Tür knarrend öffnete, drang Herrn und Hund ein süßlicher strenger Geruch in die Nasen. Der Raum war dunkel. Windholz ließ ein Streichholz aufflammen und erkannte einen kleinen, engen Raum, an dessen anderem Ende eine zweite Tür war. Sie war unverschlossen, und der Raum, zu dem sie führte, erhielt durch einen Glasziegel schwaches Licht. Hier verstärkte sich der unangenehme Geruch. An den Wänden hingen Rotwild- und Rehdecken sowie Sauschwarten, die nicht alle gut präpariert waren. Wo das Dach schräg emporstieg, stand eine große Kiste.

Windholz hob den Deckel und fand Stangen von Rehgehörnen und in Stücke zersägte Stangen von Rothirschgeweihen. Soviel Gefühl für Jagdliches besaß Windholz, daß ihm klar wurde, welch ein Barbar es gewesen sein mußte, der die zum Teil wundervollen Trophäen zerstückelt hatte.

Heinrich ging zur Treppe und rief nach dem Wirt und dem Förster. Es dauerte nicht lange, bis die beiden Männer oben waren. Der Bauer schüttelte bloß den Kopf, doch der Förster, nachdem es ihm erst die Rede verschlagen hatte, begann gewaltig zu schimpfen. Eine Flut von Kraftausdrücken, von denen »Gemeiner Saukerl« noch zu den milderen gehörte, ließ er hören.

»Na, hat sich denn der Anton gefunden?« fragte Windholz den Wirt.

»Nee«, meinte der.

Da unterbrach der Förster den Schwall seiner rauhen Worte, schlug sich an die Stirn und sagte: »,0h, ich Idiot! Dann ist es ja kein Wunder, denn der Kerl hatte mich ja ständig unter Kontrolle. Und dabei ist es mir auch wiederholt aufgefallen, daß der Bursche etwas vom Wild verstand, so daß ich ihn fragte, woher er das hätte. ›Von Vatern‹, meinte der Strolch ... Muß 'n netter Vater gewesen sein! Ich möchte wissen, was den Menschen bewogen hat, sämtliche Gehörne und Geweihe vom Schädel zu schlagen und in Stücke zu sägen! Daß er nur »Fleisch« hat machen wollen, ist ja klar, denn hätte er nur ein bißchen Freude an der Trophäe besessen, dann würde er niemals so damit umgegangen sein.«

Die Antwort gab der Wirt dem Förster: »Die hat er zersägt, um sie zur Verarbeitung vorzubereiten – Serviettenringe, Messergriffe und so. Wahrscheinlich hat er 'n Abnehmer gehabt, er fuhr ja mitunter in die Stadt.«

Die drei Männer blieben noch eine Weile auf dem Boden, und der Wirt wie der Förster konnten sich nicht genug wundern, wie dieser ungetreue, aber schlaue Knecht es fertiggebracht hatte, sie alle so zu hintergehen. Genau so lange, wie wieder gewildert wurde, war der Mensch in Diensten des Bauern gewesen. Gerade gegenüber dem Gasthof wohnte der Förster, da war es nicht zu verwundern, daß der Grünrock keinen Schritt aus dem Hause tun konnte, ohne daß Anton davon unterrichtet war.

Wenn aber dieser Gewohnheitswilderer schon in dieser Eigenschaft seine Gewissenlosigkeit bewiesen hatte, wieviel mehr noch durch die nichtswürdige Art, mit der er das Dachgeschoß als »spukig« hatte verschreien lassen. Eine Katze war immer aufzutreiben, und so war es dem Menschen gelungen, durch seinen Schornsteinzauber die Bodenräume ganz für sich zu haben. Da oben konnte er nun ungestört seine Wilddecken behandeln und die Stangen für den Verkauf an den Händler zersägen.

Ohne das energische Eingreifen Pfeffers hätte er das auch weiterhin gekonnt.

Der Schnauzer war, nachdem er noch eine Weile an den Wildhäuten herumgeschnuppert hatte, nach unten gelaufen. Sein Herr folgte ihm bald, und die beiden Gefährten standen nun vor der Haustüre und prüften eingehend das Wetter, denn sie waren schon zu lange an diesem Ort geblieben. Aber es regnete nach wie vor, und nichts ließ auf ein baldiges Aufhören schließen. So verzichteten sie und richteten sich auf eine weitere Nacht in dem entzauberten Spukhaus ein.


 << zurück weiter >>