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38. Kapitel

Aus weiter Ferne drang das Geräusch eines Motors heran. Es dauerte eine ganze Weile, bis endlich das Auto an einer Biegung der Waldchaussee sichtbar wurde.

Die Zigeunerwagen bogen auf den Sommerweg aus, um dem rasch herankommenden Lieferauto Platz zu machen. Das kleine, buntscheckige Füllen hielt sich dicht bei der Mutterstute, aber im letzten Moment sprang es aus einem unerklärlichen Grunde in die Mitte der Straße.

Der Lenker des Autos riß das Steuer nach rechts, der Wagen raste auf einen Chausseebaum los, in der letzten Sekunde gelang es dem Chauffeur, abermals das Rad herumzureißen, wobei er das Hinterrad des zweiten Zigeunerwagens traf.

Das Auto schleuderte etwa dreißig Meter weit auf der Landstraße hin und her, dann bekam es der Fahrer wieder in die Hand, und ohne sich im geringsten um die Zigeuner zu kümmern, sauste der Wagen davon. Der angefahrene Wohnwagen lag halb auf der Seite, die Achse war gebrochen, das getroffene Rad zertrümmert. Aus dem Innern des Wagens erscholl ein schrecklicher Lärm von kreischenden Frauen und Kindern, die eine harte Männerstimme zu übertönen suchte.

Die Mutterstute wieherte hell, denn ihr Füllen hatte, obwohl nicht verletzt, die Nerven verloren. Es sauste, dünn und schrill wiehernd, im Kreise immer um die Wagen herum, und einer der halbwüchsigen Zigeuner versuchte vorläufig vergeblich, es einzufangen.

Mit klaren unbeweglichen Augen lag der Collie auf der Seite und rührte kein Glied. Er war tot. Der Kotflügel des Autos hatte den Schädel erfaßt. Pfeffer aber war der Sklaverei ebenfalls entkommen. Als die Hinterachse zerbrach, fiel die Kette, die an ihr festgeschlungen war, zur Erde, und nachdem Pfeffer halb erwürgt war, fühlte er sich plötzlich frei. Er verschwand um die Ecke der Landstraße, und die Kette schleppte klirrend hinter ihm her.

*

Der Schnauzer trottete den Weg zurück, den er gekommen war. In einer knappen Stunde hatte er den Zigeunerlagerplatz erreicht, doch hielt er sich nicht auf, sondern klapperte und klimperte weiter durch die märkische Heide. Es dauerte nicht lange, und er erreichte den Ort, an dem er seinen Herrn zuletzt gesehen hatte. Jetzt fuhr er aufgeregt hin und her, wobei sich die lästige Kette an einer Staude verfing. Nur mit großer Anstrengung gelang es Pfeffer, sich loszureißen, und nun schleppte er nicht nur die Kette hinter sich her, sondern auch noch ein Ungetüm von vertrockneter Nachtkerzenstaude.

Zeichnung: Hans Hyan

So angetan, kam er in erhöhtem Tempo im Dorf an. Seine Gedanken galten nur seinem Herrn, doch konnte er nirgends die Fährte Windholz' aufnehmen, so sehr er auch kreuz und quer in den Straßen des Dorfes umherraste. Endlich gab er es auf und wandte sich dem Gasthof zu, in dem er sich mit seinem Herrn ein Weilchen aufgehalten hatte.

Als der Wirt ihn sah, wußte er sofort Bescheid. »Gestohlen – möchte wissen von wem – schwer gehungert und schließlich ausgerückt ...«, das waren die Schlüsse, die der Wirt aus dem Anblick des Schnauzers zog.

Er ließ ihm eine große Schüssel Kartoffeln, Gemüse, Fleischabfälle und Soße geben und sah lächelnd zu, wie sich die eingefallenen Flanken Pfeffers füllten.

Der endlich wieder einmal Gesättigte dachte gerade: »Das ist ein wirklich netter Mensch«, da wurde er auch schon enttäuscht. Der Wirt nahm ihn am Halsband, die Kette hatte er gleich zu Anfang abgemacht, und sperrte ihn in eine Kammer. Hier sollte Pfeffer bleiben, bis er Heinrich Windholz von der Rückkehr seines Hundes benachrichtigt hatte.

Diese Kammer, die nun das Gefängnis Pfeffers war, hatte nur ein ganz schmales, hoch gelegenes Fenster und war daher ziemlich düster. Der Gefangene bewegte sich voll Unruhe in dem kleinen Raum hin und her, verzweifelt über seine neuerliche Gefangenschaft, die ihn daran hinderte, weiter nach seinem Herrn zu suchen.

Der Wirt hatte inzwischen erfahren, daß der Wandermusiker für den nächsten Tag zurückerwartet würde, und da er den Freiheits- und Unabhängigkeitsdrang des Schnauzers kannte, wollte er ihn auf jeden Fall in dem kleinen Raum festhalten, damit die Wiedervereinigung von Herrn und Hund nicht verhindert würde.

Den Rest des Tages und die darauffolgende Nacht war Pfeffer unablässig in Bewegung. Es hielt ihn nicht auf der Kokosmatte, die man ihm hingelegt hatte. Auch winselte und bellte er in Abständen, was ihm von draußen untersagt wurde. Gegen Morgen aber begann er in schauerlich langgezogenen Tönen zu heulen, daß jedem, der es hörte, das Herz aussetzte.

Als der Herr des Hauses den ersten Schreck überwunden hatte, öffnete er die Tür zu dem Verlies des Hundes und schnauzte ihn gehörig an. Dann ging er brummelnd wieder in sein Bett und dachte: »Gott sei Dank, morgen kommt der Köter weg!«

Am Vormittag führte der Wirt den Schnauzer an der Leine hinaus, und währenddessen lüftete das Mädchen die Kammer. Als Pfeffer wieder eingeschlossen war, fiel ihm sofort das offene Fenster auf, und schon sprang er. Aber es war kaum breiter als der Hund selber, außerdem lag es fast zwei Meter über dem Boden. Pfeffer stieß sich also sehr unangenehm an der Schulter und fiel in die Kammer zurück.

Wohl zehn Minuten lang versuchte der Schnauzer es immer wieder, doch es gelang ihm nicht. Ziemlich zerschlagen gab er es schließlich auf und legte sich hechelnd auf die Matte.

Nach kurzer Zeit erhob er sich wieder, lief an die Tür, kratzte an der Schwelle, setzte sich, bellte leise, rannte an die entgegengesetzte Wand, und plötzlich, als folge er einer Eingebung, setzte er aufs neue zum Sprunge an, sein gedrungener und doch geschmeidiger Körper flog hoch und landete genau in dem schmalen Fenster. Auf der anderen Seite herunterzuspringen, war das Werk einer Sekunde, und Pfeffer war wieder frei.

Ohne sich beim Wirt für Kost und Logis zu bedanken, lief Pfeffer auf die Straße, um weiter nach seinem Herrn zu fahnden.

Er hätte nur um das Haus herumlaufen müssen, um Windholz in die Tür treten zu sehen. So aber eilte er, so schnell ihn seine Beine voranbrachten, in entgegengesetzter Richtung zum Dorf hinaus.

Der Wirt begrüßte Heinrich mit den Worten: »Ja, ich habe ihn, wir können ihn gleich rauslassen – –«, und damit ging er dem glückseligen Windholz voran, zu der Kammer.

Aber dort war kein Pfeffer, sondern nur ein offenes, wenn auch schmales und hoch gelegenes Fenster.

Der Wirt raste und schüttete eine Flut von Schimpfworten über »die Kuh, die Minna« aus, Heinrich war vollkommen zu Boden geschlagen, und Pfeffer war weg.

Zeichnung: Hans Hyan

In solchen Situationen reden die Menschen vor allen Dingen. Windholz wollte stehenden Fußes aus dem Hause stürzen und suchen, suchen, aber der Wirt wollte erklären, erklären ...

Da der Musiker auch wissen wollte, wie, wo, wann und warum, so ließ er sich auf langwierige Erörterungen ein, während er vor einem unberührten Glas Bier am Schanktisch stand.

Er hatte gerade die Absicht zu zahlen, ohne getrunken zu haben, da hörte er draußen an der Tür das Kratzen und Miefen eines Hundes.

Mit drei langen Schritten war Windholz an der Tür, riß sie auf, und herein stürmte Pfeffer.

Es war nicht genau festzustellen, wer sich närrischer gebärdete, der Mann oder der Hund.

War es ein Zufall, der den Schnauzer wieder zu dem Gasthaus zurückgeführt hatte?

Nein, es war seine gute Hundenase, die ihn, nachdem er außerhalb des Dorfes auf die Fährte seines Herrn gestoßen war, sofort in das Gasthaus zurückgeführt hatte.


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