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19. Kapitel

Sultan verschönte dem alten Herrn die letzten zweieinhalb Jahre seines Lebens. Kein Hund ist so vollkommen geeignet, einem Menschen Beschützer und vertrauter Freund zu sein, wie der Neufundländer. Stark wie ein kleines Pferd, geduldig wie ein Esel, klug wie ein Mensch und treu wie – wie eben ein Hund ist diese schöne und stolze Rasse.

Als sein Herr gestorben war, versank Sultan in tiefe Traurigkeit. Nach drei Tagen fraß er zum erstenmal ein wenig. Dann, als der Hausstand aufgelöst wurde, sah sich der Sohn des Verstorbenen, dessen Beruf ihm keine Zeit zur Haltung eines Hundes ließ, nach jemand in der Bekanntschaft um, dem er den Hund anvertrauen könnte. Doch dem einen war er zu groß, dem anderen zu schwarz, wieder anderen zu ernst. Die letzteren wollten, wenn schon einen, dann einen Hund, über den man lachen konnte und der vergnügt und beweglich war.

So kam dann Sultan, auf einem Umweg über einen Verwandten des Hauses, der sich mit dem würdevollen Hund vom ersten Tage an nicht verstand, in die Hundehandlung von Georg Horn.

Der wußte wohl, was für ein ungewöhnlicher Hund dieser Neufundländer war. Er behandelte ihn auch freundlich, aber was wollte das für diesen Hund bedeuten, der der einzige Kamerad eines Menschen gewesen war?

Sultan wäre nicht lange in der Hundekaserne geblieben, wenn Horn nicht einen zu hohen Preis für ihn verlangt hätte. So aber lag der wertvolle Hund herum, die ersten Anzeichen von chronischem Ohrenzwang Ohrenzwang = Entzündung im Gehörgang. machten sich merkbar, der Glanz des Felles ließ nach, und sein guter Charakter war in Gefahr, Schaden zu nehmen, denn Sultan fing an, mürrisch zu werden.

Fast ein Jahr lang quälte sich der edle Hund in dieser Gefangenschaft, da verhalf ihm der hervorstechendste Wesenszug seines Herrn und Meisters, das Großsprechertum, zur Freiheit und zu einem neuen guten Herrn.

Das geschah auf folgende Weise: Bekannt ist die große Wasserfreudigkeit aller Neufundländer. Die Vorfahren der heutigen Rasse wurden von den Fischern der Insel Neufundland benutzt, die Netze ins Meer hinaus- und an den Strand heranzuziehen. Auch weiß man, daß Menschen gerade von Neufundländern vor dem Ertrinken gerettet worden sind, Erwachsene wie auch vor allem Kinder.

Nun kam häufig ein Herr zu dem Hundehändler, der sich für alles, was mit Hunden zu tun hatte, lebhaft interessierte. Er war selbst Jäger und hielt stets einen, bisweilen zwei von ihm selbst sehr sachgemäß abgerichtete Jagdhunde. Dieser Herr schätzte an Horn das Erzählertalent, und oft unterhielten sich die beiden stundenlang über Jagd und Hunde. Horn ließ jede angefangene Arbeit im Stich, wenn er jemand fand, der unterhaltend, vor allem aber ein guter Zuhörer war.

So geschah es auch eines Sonntagvormittags. Es war ein sehr schöner Herbsttag, die Pfautauben gurrten auf dem Dache, die Hunde lagen im Krieg mit ihren Flöhen, und in der Dachrinne lärmte eine späte Spatzenhochzeit.

Der Besucher, den grauen, breitrandigen Hut auf dem ausdrucksvollen Kopf, zeigte mit dem Stock, dessen Elfenbeinkrücke in der Sonne glänzte, auf Sultan und gab seiner Begeisterung für diese schöne Rasse Ausdruck. Horn stimmte ihm zu und äußerte sich sehr lobend über die Verwendbarkeit der Neufundländer für das Wasser. Darüber entspann sich nun eine angeregte Unterhaltung, in deren Verlauf sich Horn zu der Behauptung verstieg, daß ihm dieser Neufundländer jeden Gegenstand, er sei so schwer wie er wolle, aus dem Wasser holen würde. Das bezweifelte der Besucher, indem er zu bedenken gab, daß der Hund wahrscheinlich bis heute seinen Herrn nicht vergessen habe und nur diesem solche Beweise der Pflichttreue geben würde.

»Meine Hunde lieben mich alle«, prahlte Horn, »und ich würde jede Summe wetten, daß dieser Neufundländer für mich durchs Feuer, nicht nur durchs Wasser geht. Wenn Sie einverstanden sind, lasse ich eine Taxe kommen, wir fahren zum nächsten Kanal, und dort werden wir sehen, was meine Hunde für mich tun.«

Der andere wollte eigentlich nicht, aber der Ostpreuße war schon am Apparat, seine helle Stimme klang aus dem Fenster: »Also Sie sind in fünf Minuten hier, bitte nicht warten lassen!«

Jägerjoppe und Jägerhut aus dem Schrank holen, der Frau einige Anordnungen hinterlassen und den Neufundländer anleinen, das alles war schnell getan, und die beiden Herren und der Hund traten vor die Holztür des Grundstücks. Da kam auch schon der Wagen um die Ecke. Während der Fahrt wurde nicht viel gesprochen. Als man nach etwa einer Viertelstunde am Ziel war, zog Horn einen Apportierblock aus einer Papiertüte, schritt zum Wasser hinunter und löste Sultan von der Leine.

Still und glänzend lag das Wasser an dem sehr warmen Tage zwischen Grasflächen und den Bäumen, die sich schon zu färben begonnen hatten.

Sultan war mit seinem alten Herrn oft zum Wasser gegangen und hatte sich schon im ersten Lebensjahr als ein begeisterter Schwimmer gezeigt. Als er nun das Wasser vor sich sah und sich frei von der Leine fühlte, wartete er gar keine Aufforderung ab, sondern sprang ins Wasser, daß es hoch aufspritzte.

Sein Besitzer strahlte. Er ließ den Hund sich ruhig im Wasser bewegen, um ihn erst mal mit dem Element vertraut werden zu lassen. Der Neufundländer schwamm weitausgreifend in den Kanal hinaus. Er genoß nach der langen Haft auf dem steinigen, schmutzigen Hof die köstliche Frische des reinigenden Elementes.

Dann hörte er den rufen, dem er, wie er wohl wußte, gehörte. Und im selben Augenblick, da er sich an die Unfreiheit seiner Existenz erinnerte, nachdem er sie ein paar schöne Augenblicke lang vergessen hatte, kam ihm zum Bewußtsein, daß ihn zur Zeit keine Mauer und keine Leine hinderte, dahin zu gehen, wohin es ihm gefiel.

So schwamm Sultan trotz des energischen Rufens des Hundehändlers ruhig weiter. Er war viel zu klug, um nicht zu begreifen, daß sein Herr wohl rufen und pfeifen könne, daß aber sein Arm nicht über das Wasser reichte. Noch ein paar kräftige Stöße, und der große, schwarze Hund war auf der anderen Seite des Kanals. Es kostete ihn einige Anstrengung, das Ufer zu erreichen, aber er schaffte es.

Abwechselnd der Trillerpfeife scharfe Pfiffe entlockend und in gereiztem Tone mit hoher Stimme »Sultan, hierher!« rufend, bemühte sich Horn, einen seiner wertvollsten Hunde zum Umkehren zu veranlassen.

»Wenn ich die Flinte hier hätte, ich würd' das Aas übern Haufen knallen!« sagte er wutbebend.

Sultan lief im ruhigen Trott über eine Grasfläche, überquerte einen Weg, und gleich darauf schlugen die Zweige eines Gebüsches hinter ihm zusammen. Er hatte sich nicht ein einziges Mal umgesehen.

Horn und sein Begleiter liefen nun zur nächsten Brücke und versuchten die Spur des Hundes aufzunehmen. Bei dieser Gelegenheit gerieten sie mit einem Parkwächter aneinander, der ihnen mit einer Anzeige drohte, wenn sie nicht sofort machten, daß sie aus den Anlagen kämen. Auch wenn dieser Zwischenfall nicht eingetreten wäre, hätten die beiden Herren die Fährte nicht halten können, denn der Hund war hinter dem Buschwerk über kurzgeschorenes Gras gelaufen. Sultan und Herr Horn sahen sich niemals wieder.

Eine halbe Stunde nach seiner Befreiung lag der Neufundländer in einer dichten Jasminhecke der weiten Anlagen des Tiergartens. Er war zu vielen Menschen begegnet, die ihn angerufen hatten oder die sogar, wie in zwei Fällen, versuchten, ihn am Halsband zu fassen, als daß er es nicht für geraten gehalten hätte, sich vorläufig unsichtbar zu machen und die Dunkelheit abzuwarten.

So lag er denn manche Stunde und schlief. Wenn er zwischendurch einmal aufwachte, erhob er sich und äugte durch das Blattwerk nach den Menschen, die er drüben gehen sah, trat aber nie aus der Deckung heraus. Dann legte er sich wieder hin und schlief weiter. Hunde können, wenn sie nichts Besseres zu tun haben, endlos schlafen.

So kam schließlich der Abend und die Nacht. Da erhob sich Sultan und begann seine Wanderung. Er wußte nicht, wohin er sich wenden sollte, ihm lag nur daran, die Stadt hinter sich zu bringen, um in ruhigere Gegenden zu gelangen, wie er sie aus der Zeit kannte, da er bei seinem alten Herrn war. So lief er denn in möglichst gerader Richtung los. Er trabte die ganze Nacht, und erst als der Morgen graute, legte er sich ermüdet nieder.

Die Stadt und die Vorstadt lagen hinter Sultan. Er legte sich auf das Stroh, das vor einer Scheune liegengeblieben war. Wie nun der große Hund sich ausruhte, kam von der Stadt her ein junger Mensch auf seinem Fahrrad daher. Er mochte so zwischen siebzehn und achtzehn Jahre alt sein und war im Begriff, auf Ferien nach Hause zu fahren. Als er den Neufundländer sah, hielt er an und rief: »Hektor.« Der Hund machte keinerlei Anstalten, also kam der junge Mann näher. Er war ein großer Hundefreund und sprach freundlich und verständig mit dem schönen Kerl.

Der Hund spürte gleich Sympathie für den jungen Menschen und wedelte leicht mit der Rute. Dadurch ermutigt, trat der junge Mann dicht zu dem Hund und sprach wieder ruhig und freundlich auf ihn ein. Da erhob sich der schwarze Riese, dem Jungen wurde etwas bänglich, und trat mit zurückgelegten Ohren dicht an ihn heran. Der streichelte den wundervollen Kopf, klopfte dem Hund die Seite und setzte sich dann auf einen Baumstamm, der an der Scheune lag, nahm seinen Rucksack ab und fing an zu frühstücken ... Da er gut versehen war, konnte er dem Hund reichlich abgeben, und so wurde die Freundschaft, die über dreizehn Jahre währen sollte, begründet.

Als Franz nach einer halben Stunde weiterfuhr, lief Sultan neben dem in mäßigem Tempo fahrenden Rade her, als wäre das die allein mögliche Lösung. So erreichten die beiden nach anderthalb Stunden das väterliche Anwesen. Nach verschiedenen Erörterungen durfte der Hund »vorläufig« dableiben, vorausgesetzt, daß in der Zeitung nicht nach ihm gefragt würde.

Nun standen zwar in zwei Zeitungen Annoncen, die nach Sultan fragten, Franz erhielt auch davon Kenntnis, aber er behielt es für sich. So hatte denn Sultan ein Heim und einen wenn auch jungen Herrn gefunden, mit dem er sich sofort verstanden hatte und den er lieben lernte.


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