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39. Kapitel

Duro war reifer, ruhiger bei seiner Arbeit geworden und sein Herr, der Oberförster, etwas gemächlicher, wie es ja bei seinem Alter nicht zu verwundern war. Es gab nicht viele Paare von Jägern und Hunden, die wie diese beiden sich mit einem Blick, einer Gebärde verständigen konnten, und die so aufeinander eingespielt waren, daß alle, die es sahen, an Wunder glaubten.

Der alte Herr war kein blitzschneller Schütze mehr, aber ein um so ruhigerer. Seine Erfahrung in allem, was mit der Jagd zusammenhing, war groß, und nun, da er seinen Duro wiederhatte, war es ihm nicht möglich, alle Jagdeinladungen anzunehmen, die ihm von Förstern und Privatjägern geschickt wurden, weil man die unfehlbaren Nachsuchen Duros ebenso schätzte wie die vorbildlich waidmännische Art des Oberförsters.

Das Stück bester Waidmannstradition, das diese beiden verkörperten, war für alle Freunde der Jagd anziehend. Der alte Flemming, Dietrich aus dem Winkell und Altmeister Dietzel, die weitberühmten Jagd- und Tierschriftsteller, schienen den Jägern Waidmannsheil zu wünschen durch ihren Freund, den Oberförster. Tradition im besten Sinne, Phantasie und Menschlichkeit, all das braucht lebensvolle Vertreter, es ist gebunden an Jäger von großem Format, das sehr selten geworden ist. Und so schien es diesen ausgewählten Männern von der grünen Farbe, denen die Jagd eine hohe, edle Form ihres Daseins bedeutete, als wenn mit diesem betagten Jäger und seinem Hunde ein Stück jagdlichen Idealismus Gestalt angenommen hätte, den sie in solch ausgeprägter Form sonst nur noch bei den alten, längst dahingegangenen Lehrern des Waidwerks und in ihren Büchern fanden.

Einen so schönen und jagdlich hervorragenden Hund wie Duro läßt man in seiner Nachkommenschaft fortleben. So wurden Duro im Laufe der Zeit eine Reihe mehr oder minder guter Hündinnen zugeführt, und mancher vielversprechende Jagdhund verdankte Duro seine Existenz.

Doch nicht immer läßt sich die Natur in die beabsichtigte Richtung lenken. Duro wurde, ähnlich wie Pfeffer, manchmal auch zum Vater, wo er es eigentlich nicht werden sollte.

Eines Tages brachte eine der rasselosen Hündinnen des Dorfes, mit der sich, neben anderen Hunden, auch Duro in der fraglichen Zeit eingelassen hatte, einen Wurf von acht Jungen zur Welt. Man ließ nur zwei von ihnen leben: eine schwarze Hündin, die der Mutter ähnelte, und einen Rüden, den man seiner vielfältigen Färbung wegen den zum Tode verurteilten Kleinen vorgezogen hatte.

Als der Hund heranwuchs, wurde seinem Besitzer klar, daß er einen Mißgriff begangen hatte, denn dieses Tier wuchs sich zu so abnormer Häßlichkeit aus, wie man sie selbst bei den schlimmsten Promenadenmischungen selten findet. Trotz dieser besonderen Häßlichkeit zeigte der Kopf des Hundes so große Ähnlichkeit mit dem Duros, daß dessen Vaterschaft nicht bezweifelt werden konnte.

Dieser mißratene Sohn eines edlen Vaters fiel schon durch seine Farbe auf. Er war auf eine ganz unruhige Art graubraun und weiß gescheckt und hatte außerdem rostrote Abzeichen an den Läufen und am Kopf. Als er ausgewachsen war, erreichte er die Länge eines normalen Jagdhundes, doch in der Höhe kam er nicht viel über einen Teckel hinaus. Das Haar war rauh, wie das des Vaters, aber struppig, abstehend. Dabei hatte er einen großen, schönen und rauhbärtigen Jagdhundkopf mit viel Brauen und Bart sowie langen Behängen, die bei den niedrigen Läufen besonders in Erscheinung traten. Auch das kluge, goldbraune Auge des Vaters war da, doch ist hier »das Auge« wörtlich zu nehmen, denn nur das eine Auge war schön in der Farbe und ruhig im Ausdruck. Das andere wirkte erschreckend kalt und leblos, da es weißlichblau war, ein sogenanntes Glasauge.

Solche Augen kommen bei Hunden und Pferden vor. Die Tiere können mit ihnen ebenso gut sehen wie mit normalfarbigen, es fehlt ihnen aber das Pigment, der Farbstoff. Daß nur ein Auge diese Farbe zeigt, ist häufiger, als daß beide sie aufweisen.

»Melchior«, so war der Name dieser einmaligen Erscheinung unter den Hunden, hatte noch ein paar andere äußere Merkmale, die man nicht vergessen darf zu schildern. Da war zum Beispiel seine Rute. Sie war lang, wurde hoch über den Rücken gekrümmt getragen und war an der unteren Hälfte nur dünn behaart. Nach oben hin wurden die Haare dichter und länger, um dann an der Spitze eine kleine Fahne zu bilden, die weiß war.

Die Schultern Melchiors waren lose, das heißt, die Ellbogen standen nach außen, die Vorderläufe krumm, wie bei einem Teckel alten Schlages, außerdem war der Hund überbaut, und zwar so stark, daß er hinten wohl zehn Zentimeter höher stand als vorn. Wenn dann noch hinzugefügt wird, daß Melchior einen Senkrücken hatte und stark kuhhessig war, so dürfte seine absonderliche Gestalt hinreichend umrissen sein.

Zeichnung: Hans Hyan

Hier nun aber mit seiner Beschreibung aufzuhören, hieße ein Buch nach seinem Einband zu beurteilen. Denn so bizarr und vielfältig die nicht aufeinander abgestimmten Einzelformen des Bastards waren, so reich und harmonisch waren seine inneren Eigenschaften.

Er gehörte einem armen Häusler, der draußen in den Wiesen sein Häuschen hatte. Der Mann war, während Melchior heranwuchs, oft nahe daran, sich seiner zu entledigen, denn das Tier wurde mit jedem Tag häßlicher, aber die schon früh erwachende Intelligenz des Hundes hielt ihn immer wieder davon ab.

Als er dann ein Jahr alt war, ließ der Mann nichts mehr auf seinen Hund kommen, so oft auch die Leute über ihn lachten.

Denn nun offenbarte sich, daß dieser häßliche Hund Verstand und Gemüt besaß. Er war so klug wie sein Vater, der reinrassige Jagdhund, aber bedeutend gerissener. Ihn zeichnete dieselbe Treue und Ergebenheit für seinen Herrn aus, wie sie Duro für den seinen empfand, nur wirkten die Liebesbezeugungen Melchiors komisch und grotesk, während sie bei seinem Erzeuger schön und harmonisch erschienen.

Vor allem aber hatte Melchior das volle Erbe der Jagdpassion angetreten, das ihm von seinem Vater mitgegeben wurde.

Melchior durfte nicht, Duro durfte. Duros Entwicklung in allem, was die Jagd betraf, wurde gefördert, Melchior wurde jeder Weg verbaut. Der Vater war in körperlicher Hinsicht glänzend für seinen Jägerberuf ausgestattet, die körperliche Beschaffenheit des Sohnes war ein einziges Handikap.

Da Melchior nicht hetzen durfte, so pirschte er, und wo es auch zum Pirschen nicht langte, da lag er wie ein Krokodil auf der Lauer, denn waren auch seine Glieder nicht viel wert, das Gebiß und vor allem die Nase waren vorzüglich.

Alles, was Melchior riß, brachte er seinem Herrn. Manches Rebhuhn und manchen Hasen schleppte er in guter Deckung nach Hause, und nie schnitt er an.

Der Oberförster wußte wohl, welch tüchtigen stillen Teilhaber er in diesem natürlichen Sohn seines Duro hatte, und er hätte ihm gern das Licht ausgeblasen, aber dies Kind der Liebe verstand sein Handwerk zu gut. Etwas amüsierte es den alten Herrn auch, seinen eigenen prächtigen Hund in dieser lebenden Groteske wiederzufinden, das Bild seines Duro gleichsam im Hohlspiegel zu erblicken.


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