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Schluß

Es mochten vier Wochen vergangen sein, da kam Herr Dunker eines Tages fröhlichen Antlitzes nach Hause und rief:

»So, Mutter, nun ist die Sache fertig. Christian hat die Stelle an der großen chemischen Fabrik hier bekommen. Er ist, nachdem er bei mir im Kontor war, einmal zum Direktor gegangen, um mit ihm allerlei zu besprechen. Schon am ersten August kann er eintreten.«

Frau Maria war sehr erfreut. »Gott sei Dank, da behalten wir unsern Jungen in der Nähe. Das ist viel Segen, viel Freude, für die wir Gott zu danken haben.«

Und als er nun selbst kam, freudestrahlend, wurde er von der ganzen Familie glückwünschend umringt.

Als er später mit den Eltern allein war, sagte er: »Liebe Eltern, meine Einnahme ist so, daß ich eine Frau ernähren kann. Darf ich zu Frau Röder gehen?«

»Unsern Segen hast du, das weißt du, lieber Sohn.«

Er ging langsamen Schrittes der Villa zu. Er war, seit er die Wochen zu Hause zubrachte, ein täglicher Gast dort gewesen. Frau Röder hatte ihn ganz in ihr Herz geschlossen, er hatte es durch sein offenes, nun nicht mehr zurückhaltendes Wesen, das sich in der Fremde abgeschliffen, dahin gebracht, daß Eva wirklich die Scheu vor ihm verloren hatte und nun offen und unbefangen mit ihm verkehrte. Er hatte nicht die leiseste Andeutung auf das Gespräch gemacht, das sie am Tauftag in der Laube gehabt hatten, war aber immer liebenswürdig und natürlich gewesen und hatte sich das »Herr Doktor« ruhig gefallen lassen. Sie hatten auch der Großmutter mitunter zusammen vorgesungen, kurz, das »Sichkennenlernen« war immer besser gelungen.

Und doch betrat er mit einer gewissen Befangenheit den Garten. Er ging nicht zur Haustür hinein, sondern schritt geradewegs auf die offene Glastüre zu, die in das Gartenzimmer führte, und fand, wie er sich gedacht, die alte Dame in ihrem Lehnstuhl sitzend, allein. Lange redeten die beiden miteinander. Sie drückte ihm zuletzt die Hand und sagte: »Suchen Sie sich meine Eva, sie ist im Garten beim Himbeerpflücken.« Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Eilenden Schrittes hatte er bald den hinteren Garten erreicht, wo er Eva, ein Körbchen mit Himbeeren unter dem Arm, an einem mit herrlichen Rosen bedeckten Busch stehend, erblickte.

Sie wandte sich um, als sie Schritte hinter sich hörte, erschrak nicht mehr wie früher, wenn er kam, sondern rief:

»Sehen Sie, Herr Doktor, diesen wundervollen Rosenbusch, wie herrlich er blüht. Und dies halb verschlossene Röschen, ist es nicht reizend?«

»Darf ich es mir pflücken?« fragte er.

»Gern, pflücken Sie, soviel Sie wollen.«

Er pflückte nur das eine und befestigte es an ihrem Gürtel. Sie errötete und sagte: »Ich wollte gerade eben die gepflückten Himbeeren ins Haus tragen, es gibt jetzt viel einzumachen von den Früchten des Gartens.«

»Und ich wollte Ihnen eben gerade etwas Schönes mitteilen. Setzen wir das Körbchen einstweilen dort auf die Bank und uns daneben.«

Neugierig, was er zu berichten habe, folgte sie ihm und vernahm nun, daß er so glücklich gewesen war, hier am Ort eine so einträgliche Stelle in der chemischen Fabrik zu bekommen.

Erfreut reichte sie ihm die Hand und rief: »Ich gratuliere, Herr Doktor, da bleiben Sie in der Nähe der Eltern, und auch wir können uns öfter sehen.«

Als er aber dann fortfuhr, daß er willens sei, sich eine Lebensgefährtin zu nehmen, die Freude und Leid mit ihm teile, und daß er sich eine erkoren, die es verschmähte, seine Schwester zu sein, daß er aber hoffe, sie werde es nicht verschmähen, sein Weib zu werden, da traf ihn ein wunderbar leuchtender Blick ihrer Augen. Es war ein »Ja« ohne Worte. Nun war ihr auf einmal das Rätsel gelöst, warum sie sich nicht in ein geschwisterliches Verhältnis zu ihm hatte hineinleben können. Es war eine andere Art der Zuneigung, die sie für ihn empfand, eine andere Liebe, die Geschwisterliebe übertrifft. Das Hineintragen der Himbeeren in die Küche war vergessen, man hatte viel, viel Wichtigeres miteinander zu reden, dort auf der Bank, unter der jungen Linde. Und als sie endlich aufstanden und der Villa zuschritten, da waren sie ein glückliches Brautpaar, das sich von der Großmutter den Segen zu ihrer Verlobung holen wollte.

Die alte Dame war tiefbewegt. Sie erhob beide Hände und segnete die vor ihr Knieenden aus vollem Herzen. Dann ging es zu den Eltern, die nicht mehr erstaunt waren, aber glücklich, daß alles so gekommen. Sie schlossen Eva in die Arme, und Frau Maria sagte: »Nun nicht mehr Pflegetochter, sondern eigenes, geliebtes Kind!«

Gertrud, die zufällig ins Zimmer kam, blieb verwundert an der Tür stehen.

»Na, Christian«, sagte sie endlich, »nun habt ihr euch wohl als Bruder und Schwester zusammengefunden, so vertraulich hat man euch ja noch nie nebeneinander stehen sehen. Nun hört doch wohl das ›Herr Doktor‹-Rufen von Evas Seite auf.«

»Für Eva bin ich von nun an ›Christian‹, aber sie ist nicht meine Pflegeschwester, sondern meine geliebte Braut, das merke dir, Gertrud.«

Diese sperrte Mund und Augen auf und rief: »Sie bleibt aber doch meine Schwester?«

»Das wird sie erst recht, Trude. Du sollst sie noch viel, viel lieber haben, als du sie gehabt.«

»Das kann ich gar nicht«, sagte Gertrud, die schon Eva umschlungen hielt, »denn ich habe sie schon immer so liebgehabt, wie man nur jemand lieben kann.«

Heinz seinerseits war ganz zufrieden mit der Sache und freute sich, daß beide am Ort blieben und ihre Wohnung, nach der Großmutter Wunsch, in der Nachbarschaft, im oberen Stock der Villa dereinst nehmen würden. »Das«, meinte er, »werden dann unsere besten Nachbarn, mit denen wir stets in Frieden und Eintracht leben werden.«

»Das gebe Gott«, sagte der Vater. »Böse Nachbarn sind ein Kreuz, unter dem wir alle geseufzt haben. Aber Gott der Herr hat auch da alles zum Besten gelenkt und wird ferner alles gut machen, wenigstens mit Frau Kramer und ihren Kindern. Des armen Mannes wolle Gott sich erbarmen und ihn zur Einkehr bringen.« Nun erschien Betty mit Tränen in den Augen glückwünschend. Sie brachte von Frau Röder eine Einladung zum Abend, die freudig angenommen wurde.

Betty konnte es sich nicht versagen, zu ihrer Freundin Rieke in die Küche zu eilen, um ihrem dankerfüllten Herzen Luft zu machen.

»Kommen Sie mit heute abend und helfen Sie mir, es geht heute hoch her bei uns.«

Und als am Abend die Gläser klangen, erhob sich Herr Dunker und ließ das Brautpaar leben. Zum Schluß sprach er noch einige ernste Worte:

»Möge Gott unser geliebtes Brautpaar, das er so wunderbar zusammengeführt hat, segnen und behüten, möge er es so glücklich machen, wie wir, meine liebe Frau und ich, es geworden. Erbauet euer Haus auf dem Grund, der nicht wankt, auf dem Glauben an unsern Herrn und Heiland Jesum Christum. Möchte sein Wort in allen Lebenslagen, in Freude und Schmerz stets eures Fußes Leuchte und ein Licht auf eurem Wege sein. Dann wird das wahre Glück in eurem Hause und in eurem Herzen wohnen. Der Segen Gottes aber und sein Friede wird auf euch ruhen.«

Alle Teilnehmenden waren durch den Ernst dieser Rede tief bewegt. Die Großmutter aber faltete die Hände und sagte leise: »Der Herr hat Großes an mir getan, des bin ich fröhlich.«


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