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17. Ein Krach

Von den nächsten Nachbarn hatten Dunkers lange nichts gesehen und gehört. Im Winter waren die Familien nicht mehr im Garten, so daß man weniger voneinander merkte und keine Unterhaltung über den Zaun führen konnte. Die beiden ältesten Söhne waren fort, mit den anderen Jungen hatten Georg und Heinz keine Gemeinschaft, sie gingen andere Wege, die ihnen nicht paßten. Nur Reinhold war ein braver Junge, er suchte, wo er konnte, Unterhaltung mit Gertrud; aber deren wurde immer weniger, Gertrud wuchs heran, die Schule stellte größere Anforderungen an sie, sie hatte nicht viel Zeit zum Plaudern.

Lieschen war die einzige, die Gretchens und Evas Gesellschaft mitunter suchte, doch wir wissen, daß ihre Anschauungen sehr auseinandergingen und Lieschen lieber dem Genuß und den Vergnügungen nachging, als sich an den einfachen Freuden der Dunkerschen Familie zu ergötzen. Es fiel jedoch auf, daß weniger als in früheren Jahren abends ein Wagen vor der Tür hielt, der die Damen ins Theater, Konzert oder in Gesellschaften fuhr, es fiel auf, daß Lieschen viel weniger davon sprach. Sonst liebte sie es, vor Eva und Gretchen zu prahlen mit allem, was sie erlebt, von ihren schönen Anzügen zu erzählen und wer sie darin bewundert hatte, von den Soupers, mit welchen Delikatessen man gespeist worden usw. Jetzt sah man sie, wie gesagt, wenig, und Gretchen und Eva entbehrten es nicht. Sie hatten an ihrer Freundschaft genug und hatten immer vollauf zu tun mit häuslichen und wissenschaftlichen Arbeiten, denn Gretchen lernte alles mit, was Eva zu ihrer späteren Ausbildung gebrauchte. »Schaden kann es mir nicht«, sagte sie fröhlich, »und für Eva ist es angenehmer, wenn ich mitlerne.«

Die Wege nach Langendorf konnten nun, da der Winter nahte, um so lieber unternommen werden, als der gute Pfarrer, wie schon gesagt, angeboten hatte, die Mädchen am Abend zurückfahren zu lassen, was den Brüdern auch recht war, da sie in den oberen Klassen tüchtig zu arbeiten hatten, zumal Georg, der Ostern sein Abiturium zu machen gedachte.

So ging die Zeit dahin. Eines Tages waren Gretchen und Eva in die Stadt gegangen, um Besorgungen zu machen. Sie traten eben aus einem Laden, in dem sie eine Weihnachtsarbeit für die Mutter besorgt hatten, da sahen sie Lieschen daher kommen, mit einer großen Tasche bewaffnet.

»Sieh da, Lieschen geht einkaufen«, sagte Eva, »das sieht man sonst nicht oft, es muß gewöhnlich das Mädchen tun. Was mag sie nur mit dieser großen Tasche wollen?«

Es schien Lieschen unangenehm, gerade jetzt mit den beiden zusammenzutreffen, aber sie waren schon bei ihr und Gretchen fragte lachend:

»Lieschen, was willst du denn für Einkäufe machen mit der riesigen Tasche?«

Lieschen wurde feuerrot und machte ein ganz weinerliches Gesicht.

»Ich sollte eigentlich nichts davon merken lassen, aber ich will es euch erzählen, wenn ihr versprecht, es niemandem weiter zu sagen.« Neugierig hörten sie, was Lieschen berichtete.

»Vater ist jetzt immer so mürrisch, besonders, wenn Mutter Geld haben will. Früher gab er ihr mit vollen Händen, jetzt wird er auf einmal geizig. Nun braucht Mutter aber doch immer viel Geld. Da sie heute alles verausgabt hatte und verschiedene große Einkäufe nötig waren, beim Fleischer, Bäcker usw. – die wollen uns nämlich nichts mehr auf Borg geben, wollen immer bare Bezahlung – da sagte Mutter, ich solle sehen, ein altes Kleid von ihr zu verkaufen. Es wohne in der Kurzen Straße ein Jude, der gern solche Sachen nehme; sie habe schon öfters, wenn ihr gerade Geld gefehlt hätte, dort etwas hingebracht. Ich gehe also in die Kurze Straße und sehe an der Ecke einen Laden, wo verschiedene Sachen durcheinander waren. Ich gehe hinein, da kommt mir ein Herr entgegen mit höflichem Diener. Als ich aber fragte, ob er alte Sachen kaufe, da wird er wütend und schreit mich an:

›Was! Alte Sachen soll ich kaufen? Für was halten Sie mich? Sieht mein Laden aus wie ein Trödelladen? Da müßt ich mich ja in die Seele hinein schämen! Was fällt Ihnen ein, mir alte Sachen anzubieten!‹

Ich war so erschrocken, daß ich eiligst hinauslief. Nun steh' ich hier und weiß nicht, was ich anfangen soll.« Die Tränen kamen ihr wieder, Eva und Gretchen aber standen ganz verwundert, sie waren ganz überrascht, daß die reichen Kramers alte Kleider verkaufen mußten, um Geld für den Fleischer zu bekommen. Und doch hätten sie Lieschen gern geholfen, wenn sie nur gewußt hätten wie.

Endlich machte Gretchen den Vorschlag, sie wollten noch einmal mit ihr in die Kurze Straße gehen, vielleicht fänden sie den Trödelladen heraus.

Das war für Lieschen eine große Erleichterung. So wanderten die drei zusammen und fanden richtig in der angegebenen Straße einen Laden, der allerlei altes Gerümpel schon am Schaufenster zeigte.

»Hier wollen wir nun hineingehen«, riet das beherzte Gretchen, während Lieschen scheu und gedrückt mit ihrer großen Tasche folgte.

Verschiedene Gerüche gab es in diesem Laden nach alten, traurigen Stiefeln, die oben an der Decke aufgehängt waren, nach alten, getragenen Kleidungsstücken, nach wollenen, gebrauchten Jacken u.dgl., kurz nach allem Möglichen und Unmöglichen.

Ein bärtiger alter Jude erschien auf niedergetretenen Schuhen und fragte nach dem Begehr. Als Lieschen das Kleid hervorholte, das von schwerer Seide war und kostbaren Besatz aufwies, funkelten die Augen des alten Mannes, man sah es ihm an, das war etwas für ihn. Aber er tat, als könne er so etwas nicht verwerten, er habe nur mit geringen Leuten zu tun, die solche Sachen nicht kauften. Er fragte aber doch, was Lieschen für das Kleid haben wolle. Als sie den Preis nannte, zwanzig Mark, schlug er die Hände zusammen, sagte, sie solle schnell zusammenpacken und sich davon heben.

Lieschen, die Auftrag hatte, das Kleid um jeden Preis loszuschlagen – denn bares Geld müsse sie haben, hatte sie Mutter gesagt – fragte beklommen, was er denn geben wolle.

»Was ich geben will? Je nun – das Kleid ist abgetragen, es sind Flecke darin« –

»O nein«, fiel Gretchen ihm in die Rede, »Flecke sehe ich keine und der Stoff ist gut. Sehen Sie nur die schwere Seide.«

»Was mach' ich mit schwerer Seide? Solche Ware werd' ich nicht los, bleibt liegen im Laden. Nix wie Schaden hab ich davon!«

»Nun, was wollen Sie denn geben?« fragte Lieschen wieder. Man sah es dem Händler an, er wollte sich das Kleid nicht entgehen lassen, aber den Preis bis zum Äußersten herunter drücken. Lieschen forderte schließlich nur zehn Mark, es wurde aber gehandelt und gefeilscht bis auf sieben Mark.

Sie ließ es fahren, des Handelns müde, gab das kostbare Kleid hin, strich das Geld ein und verließ hoch aufatmend den Laden.

»Welche Luft«, rief Eva, »ich konnte es kaum mehr aushalten.«

»Ich bin froh, daß der Handel hinter mir liegt, so etwas mach' ich nicht wieder. Ich danke euch, daß ihr mitgegangen seid. Ich hätte mich allein nicht wieder in die Straße gewagt.«

»Wir müssen nun eilen, nach Hause zu kommen, Mutter wird sich wundern, wo wir bleiben«, rief Gretchen.

»Ich«, sagte Lieschen, »muß erst meine anderen Besorgungen machen. Mit sieben Mark werde ich nicht weit kommen. Ich weiß nicht«, setzte sie hinzu, »es ist jetzt auf einmal ganz anders bei uns.« Ein tiefer Seufzer kam aus des jungen Mädchens Brust, das sonst immer nur lachte und tändelte und von den Sorgen des Lebens keinen Begriff hatte.

Die beiden jungen Mädchen unterhielten sich unterwegs aufgeregt von dem Fall, der ihnen ganz neu und unverständlich war. Daß man kostbare Kleider für einen geringen Preis verschleudern mußte, um Geld für Fleisch und Brot zu bekommen! Sie hätten jetzt das dem Lieschen zurückgeben können, was sie ihnen einst entgegenwarf: »Ihr seid sonderbare Menschen.«

Zu Hause empfing sie das trauliche Wohnstübchen, in dem die Mutter mit Gertrud und den fleißigen Schülern bei der hell strahlenden Hängelampe saß. Sie wurden freundlich begrüßt, packten ihre Besorgungen aus und gingen dann hinaus, um gemeinsam das Abendbrot zu bereiten. Von dem sonderbaren Handel bei dem alten Juden schwiegen sie. Sie hatten Lieschen versprochen, nicht davon zu reden.

Am folgenden Tage, Dunkers saßen alle beim Mittagsmahl, kommt Rieke herein, ganz blaß und aufgeregt, mit den Worten:

»Denken Sie nur, Herr Kramer ist verschwunden.«

»Wa – was?« ruft Herr Dunker, »verschwunden? Was soll das heißen?«

»Er ist gestern abend nicht, nach Hause gekommen und die ganze Nacht nicht, und als sie auf der Bank angefragt haben, wurde ihnen gesagt, er sei gestern mittag um 12 Uhr fortgegangen und sei bis jetzt nicht wieder erschienen. Lotte sagt, die Herren dort hätten alle so sonderbare Gesichter gemacht, als ob sie wüßten, was das bedeute. Aber drüben im Hause wäre es schrecklich. Die Frau Kramer schrie immer laut und jammerte, und die Jungen säßen starr da und sagten gar nichts. Fräulein Lieschen liefe immer von einer Stube in die andere und weinte. Lotte sagt, sie möchte keine Stunde mehr im Hause bleiben bei solchem Unglück.«

»Das ist das Ende vom Liede, ich habe es längst befürchtet«, sagte Dunker mit einem tiefen Seufzer und erhob sich vom Mahle. Auch die Mutter und die Kinder waren so erschrocken, daß ihnen aller Appetit vergangen war. Herr Dunker verließ dann das Haus, um in sein Kontor zu gehen. Er hoffte, dort näheres zu erfahren über das Unglück, das so plötzlich über die Familie Kramer hereingebrochen war.

Frau Dunker war im Zweifel, was sie tun sollte. Sie hatte nie gemerkt, daß Frau Kramer Freude geäußert hatte über einen Besuch, aufdrängen wollte sie sich nicht gern. Aber jetzt war es doch anders. Hier gab es vielleicht Trost zu spenden aus einer Quelle, die nie versiegt, die selten ihre Kraft und Wirkung versagt. Die arme Frau dauerte sie entsetzlich, wenn sie ihr Los mit dem ihrigen verglich. Welchen Halt hatte sie an ihrem prächtigen Mann, wie fest und unerschütterlich stand sein Glaube, wie handelte er im Leben, in allen Dingen, auch den kleinsten, nach dem, was recht, edel und treu war, o wie war sie zu beneiden! Das Mitleid, das sie übermannte, war so groß, daß sie beschloß, gegen Abend hinüberzugehen, um zunächst zu sehen, wie die Sachen standen. Sie wollte und konnte nicht glauben, daß Herr Kramer so gegen seine Familie handeln konnte, daß er sie einfach ihrem Schicksal überließ.

Aber es war so. Als sie hinüber kam, war alles wie ausgestorben im Hause. Beim Klingeln der Glocke öffnete sich leise die Tür, und ein Kopf guckte verstohlen durch die Spalte, dann aber wurde weit geöffnet und Lieschen flog heraus, warf sich leidenschaftlich in Frau Marias Arme und rief mit Tränen:

»Sie sind's, Frau Dunker! Ja, Sie müssen hereinkommen, wenn wir auch sonst niemand empfangen. Sie müssen meine arme Mutter trösten, sie hat seit gestern zu viel durchgemacht.« Ein erneuter Tränenstrom erstickte ihre Stimme, sie faßte Frau Marias Hand und führte sie durch die erste Stube, wo die Jungen saßen, teils lesend, teils arbeitend. In dem zweiten, kleineren Zimmer, wo nur gedämpftes Licht brannte, saß im Lehnstuhl die unglückliche Frau, starr vor sich hinsehend, Tränen konnte sie nicht finden für ihren namenlosen Jammer.

Frau Maria legte ihr die Hand auf die Schulter. »Frau Kramer«, sagte sie mit liebevoller Stimme, »ich möchte Sie gern trösten, kann es nur mit dem Wort eines, in dessen Mund Wahrheit ist. Unser Heiland spricht: ›Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.‹«

»Das Wort ist nicht für mich. Gott kann nur zürnen über mich, denn ich bin auch schuld an dem Ruin meines Mannes. Ich habe ihn zu Ausgaben veranlaßt, die nicht sein durften, ich habe das Geld verschleudert in kostbaren Toiletten, konnte nie genug haben an Gesellschaften und kostspieligen Vergnügungen. Ich hielt ihn für reich und ahnte nicht, daß alles, was nicht mit dem Gehalt bestritten werden konnte, der Bankkasse entnommen wurde. Aber das hätte er mir nicht antun dürfen, daß er sich durch die Flucht dem allen entzog, was nun über mich kommt. Ich hätte mit ihm darben und sparen wollen, aber daß er mich mit der ganzen Familie im Elend sitzen läßt, das kann ich ihm nicht vergeben.«

Frau Maria schwieg. Das Herz war ihr zum Zerspringen voll. Also Unterschlagungen bei der Bank waren vorgekommen, wie sie eben aus dem Munde der Nachbarin vernehmen mußte! Daher die Flucht. Frau Kramer hatte es sich wohl noch nicht klar gemacht, was, wenn ihr Mann hier geblieben wäre, mit ihm hätte geschehen müssen. Er hatte sich dem Arm der Gerechtigkeit entzogen.

»Gehen Sie nur wieder, Frau Dunker. Sie sehen jetzt, mit was für Leuten Sie zu tun haben. Gehen Sie, überlassen Sie uns unserem Elend!«

»Mitnichten, liebe Frau Kramer. Ich komme nicht, um von Ihrem Elend zu hören, sondern um Ihnen, wenn es irgend in unseren Kräften steht, beizustehen und zu helfen.«

»Was gibt's da zu helfen? Unser Haus und unsere Sachen sind bereits verpfändet. In wenigen Tagen müssen wir heraus und alles dahinten lassen, nur ganz weniges wird man uns lassen. Ist das Elend nicht groß genug? Wo soll ich hin mit meinen Kindern?«

»Die im Elend sind, führe in dein Haus.« Dieser Spruch wurde plötzlich lebendig in der Seele der edlen Frau. Ohne Überlegung rief sie:

»Gott sei Dank, daß wir ein eigenes schuldenfreies Haus für uns haben. Kammern und Stube gibt's oben genug. Kommen Sie, liebe Frau Kramer, mit dem, was Ihnen geblieben; was fehlt, dafür schaffen wir Rat. Wir können Sie ja nicht immer behalten, aber Sie sollen wenigstens für die erste Zeit einen Unterschlupf haben. Wir können dann miteinander beraten, was zu tun ist. Schwer liegt allerdings die Zukunft vor Ihren Augen, da alle Kinder noch erwerbsunfähig sind, aber Gott der Herr, der schon oft Wunder getan hat, wird auch hier Mittel und Wege finden, wenn's auch gleich noch dunkel ist vor unseren Augen.«

»Uns wird Ihr Gott nicht helfen, denn wir haben nichts denn Übles getan, haben seiner vergessen, nicht nach ihm gefragt.«

»Wenn Sie das einsehen, liebe Frau Kramer, und sich selbst anklagen, ist schon viel gewonnen. Wir haben nicht einen harten, sondern einen barmherzigen und gnädigen Gott.«

So redete Frau Maria tröstend und ermutigend zu der armen, gebeugten Frau, bekräftigte ihr noch einmal, daß sie sie gern in ihr Haus nähme, sie könne kommen zu jeder Zeit.

»Ich weiß nicht, ob ich es annehmen darf; vielleicht erbieten sich einige der vielen Freunde, mit denen wir verkehrt haben; das Opfer ist von Ihrer Seite zu groß.«

Frau Maria schwieg und fand es für besser, jetzt zu gehen. Sie empfahl Lieschen, dafür zu sorgen, daß die Mutter früh zur Ruhe komme.

»Sie ist diese Nacht immer umhergewandert, hat kein Auge zugetan«, sagte Lieschen, indem sie die Nachbarin hinaus begleitete.

»Gerade deshalb. Und ihr Jungen«, ermahnte sie die vier, die stumm am Tisch saßen und in ihre Bücher guckten, »Ihr müßt jetzt alles tun, der Mutter Freude zu machen.« Es schnitt ihr durch's Herz, wenn sie daran dachte, was aus dieser ungezogenen Schar einmal werden sollte.

Wie dankbar war sie, als sie zurück in ihr stilles, friedliches Heim kam.

Herr Dunker brachte böse Nachrichten über den Entflohenen. Es waren schon seit längerer Zeit Gelder in der Kasse vermißt, und nun – als alles genau revidiert wurde, fehlten Tausende. Und der Dieb war entflohen!

»Mir ist um den Mann bange gewesen vom ersten Augenblick an, als ich hörte, er sei an der hiesigen Bank angestellt. Es war nicht leicht für mich, ihn neben mir wohnen zu haben, statt meines geliebten Bruders. Ich möchte sagen: Gott sei Dank, daß das Haus wieder in andere Hände kommt«, sagte Herr Dunker, als er spät am Abend mit seiner Frau allein war.

»Du sagtest früher einmal«, äußerte Frau Dunker, »du habest ihn schon auf der Schule gekannt und hättest da etwas mit ihm gehabt.«

»Jetzt kann ich es dir ja sagen, da er einmal als Betrüger vor aller Welt entlarvt ist. Ich wollte seinem Ruf nicht schaden und habe hier zu niemand davon gesprochen. Es konnte ja sein, er hatte sich gebessert, aber ich traute ihm nicht, als ich sein scheues und verstecktes Wesen wahrnahm. Wir waren, wie du weißt, auf der Schule in der Residenz in einer Klasse, wir hatten also auch Turnstunden zusammen. Vor den Turnstunden entledigten wir uns unserer Uhren, oder was wir sonst dergleichen bei uns hatten. Ich hatte eine besonders wertvolle goldene Uhr mit Kette, diese hier, von meinem Großonkel und Paten bekommen und war stolz darauf, wurde deswegen bewundert und auch beneidet von meinen Mitgenossen. Eines Mittwochs, ich erinnere mich des Tages wie heute, es war im März, legten wir auch unsere Uhren ab, wie gewöhnlich, und als ich die meine wieder anlegen will, ist das Fach im Schrank leer. Ich hatte mich an dem Tage etwas lange mit Plaudern aufgehalten, so daß der größte Teil der Schüler verschwunden war. Das war insofern fatal, als nicht gleich nachgeforscht werden konnte. Am anderen Tage wollte natürlich keiner die Uhr gesehen haben oder etwas wissen. Es hieß, die habe gewiß ein Bettler oder Gauner während der Turnstunde genommen.

Meine Eltern waren sehr ungehalten und böse. Ich bekam Schelte genug, weil ich das kostbare Kleinod nicht besser verwahrt hatte. Da es nicht anders zu erforschen war, so wurde ein Geheimpolizist beauftragt. Und siehe da, genau nach vier Wochen brachte er die Uhr. Wie er es angefangen, ist mir nicht mehr gegenwärtig. Sie wurde gefunden bei dem jungen Kramer, und das Ende vom Liede war, daß er von der Schule verwiesen wurde. Ich glaube, er wollte eigentlich studieren, er ist aber später, wie ich hörte, zum Bankfach übergegangen. Ich habe ihn nie wiedergesehen, aber du kannst dir denken, wie ich erschrak, als er mein nächster Nachbar wurde. Und als wir uns das erste Mal wieder begegneten, da wußte ich, nach seinem Ausdruck und seinem ganzen Wesen zu urteilen, daß ich in meiner Nähe einen rachsüchtigen Feind haben würde. Viel Angenehmes haben wir in den Jahren von seiner Nachbarschaft ja auch nicht gehabt.«

Frau Maria seufzte tief. Sie wußte, was sie im stillen an der Nachbarschaft getragen hatte. Es war vielen kleinen Nadelstichen zu vergleichen, aber es hatte oft weh getan. Jetzt wußte sie, woher alles kam. Die Frau war vom Manne beeinflußt, wer weiß, was er ihr vorgesagt von ihrem Mann, aus Furcht, dieser könnte von ihm erzählen, was er auf der Schule mit ihm erlebt hatte.

»Die Frau hat natürlich auch viel Schuld«, meinte Herr Dunker, »weil sie mit ihm über die Verhältnisse gelebt hat. Es kommt ja so oft vor, daß die Leute für reicher gelten wollen als sie sind. Daher kommt so viel Elend und Unglück, es rächt sich stets.«

»Was sagst du nun?« fragte Frau Maria, nachdem sie ihrem Mann von ihrem Besuch drüben und von ihrem Anerbieten erzählt hatte.

»Ich konnte mir ja denken, daß meine liebe Frau, so wie ich sie kenne, derartiges anstellen würde. Meine Genehmigung hast du, mach', was du willst, richte es ein, wie du denkst. Als getreue Nachbarn müssen wir so handeln, wenn wir uns nach der vierten Bitte im Katechismus richten wollen.«


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