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11. Der Ausflug nach Langendorf

Eva hielt Wort. Sie war sehr aufmerksam und hilfreich in der Küche, und als es wieder Fische gab, durfte sie aus dem Munde des Hausherrn ein »ausgezeichnet« hören, »wirklich ausgezeichnet.« Und Frau Maria sagte freundlich: »Nun können wir uns auch wohl einmal allein an das Zubereiten eines Bratens machen, Gemüse kocht Eva schon ganz hübsch schmackhaft.«

An einem besonders schönen Maientag rief Frau Maria die jungen Mädchen zu sich und sagte: »Heute wäre schönes Wetter für Langendorf. Georg und Heinz haben nachmittags keinen Unterricht, sie können euch begleiten, habt ihr Lust, ihr Mädchen?«

»O, und wie Mutter! Eva, das ist fein, nun lernst du Pfarrers kennen und Tante Alice.« »Ja«, fiel die Mutter ein, »Tante Alice ist so freundlich gewesen, euch anzubieten, Englisch mit euch zu lesen, da wird es Zeit, daß ihr anfangt, der Sommer vergeht schnell.«

Die Mädchen eilten nun, mit ihrer Arbeit fertig zu werden. Es mußten Spargel gestochen werden, zugeputzt und gekocht, dazu Koteletten gebraten und Suppe bereitet, alles eine Stunde früher als gewöhnlich. Das Abtrocknen des Geschirrs nach Tisch wurde ihnen erlassen, so konnten sie um halb zwei abwandern, begleitet von den Brüdern. Es war Eva alles neu, was sie sah. Nach dieser Seite hin war ihr die Welt noch unbekannt; in der Stadt selbst, wo sie täglich mit Gretchen Einkäufe machte, war sie schon bekannter.

Als sie an den kleinen Häusern vorübergegangen waren, kamen sie an der hübschen Villa vorbei, die inmitten des herrlichen blühenden Gartens lag.

»Wer wohnt denn hier?« rief Eva entzückt, »sieh nur, Gretchen, diese geschmackvollen Blumenbeete, wie hübsch gruppiert und zusammengestellt sind die Pflanzen.«

»Das hat der vorige Besitzer noch getan, Herr von Henning war ein großer Blumenfreund und hat sich den Garten viel Geld kosten lassen. Die jetzige Besitzerin, oder vielmehr ihre Haushälterin, scheint es gut in Ordnung zu halten, die Wege sehen alle so sauber aus. Sieh, da sind schon wieder zwei ungezogene Jungen, die immer mit Steinen in den Garten werfen! Wollt ihr das wohl lassen, ihr Jungen! Mein Vater wird's der Polizei einmal sagen müssen, wartet nur. Was habt ihr da hineinzuwerfen?« »Ja, die Alte guckt dann immer heraus und droht. Die wollen wir gerne sehen«, lachten die Jungen. Aber vielleicht fürchteten sie, der Vater des Fräuleins möchte noch kommen und die Drohung ausführen, sie warfen die Steine, die sie in der Hand hielten, weg und liefen davon.

Eva aber stand starr am eisernen Gitter und sah nach den hohen Fenstern hinüber, wo wirklich eine alte Dame im grauen Haar mit einem vergrämten Gesicht heraussah und die Hände erhob, als wollte sie um Hilfe rufen. Als sie die jungen Mädchen erblickte, zog sie sich scheu zurück.

»Wer ist das?« rief Eva, indem sie weitergingen.

»Gretchen, kennst du die Leute, die dort wohnen; es sind doch auch Nachbarn, wenn auch nicht so nahe wie Kramers. Sind dort vielleicht auch junge Mädchen?«

»Nichts von allem«, sagte Gretchen. »Nur eine alte Dame soll dort wohnen mit ihrer Haushälterin, erst seit dem letzten Herbst. Wir wissen aber weder wie sie heißt noch wer sie ist. Wenn sie mit uns verkehren wollte, hätte sie uns einen Besuch machen müssen. Doch da kommen endlich die Jungen! Wo bleibt ihr so lange?«

Sie waren ganz atemlos vom Laufen und riefen: »Gut, daß wir euch einholen, wir glaubten schon, ihr wäret über alle Berge. Herr Hemsing will im Langendorfer Holz mit uns botanisieren gehen, da haben wir unsere Botanisiertrommel erst noch vom Boden geholt. Nun vorwärts.«

Jetzt schritten sie alle munter aus. Eva freute sich über alles, was sie sah, es war eine Lust, mit ihr zu gehen. Dem Mädchen aus dem Flachlande waren die Berge etwas Neues.

»Bei uns«, meinte sie, »hat man eine weite Fernsicht, aber hier hat man immer wieder andere Bilder. Hat man eine Höhe erreicht, zeigt sich eine andere Ansicht.«

»Ja, bei uns«, rühmte Georg, »ist es allerdings schöner als bei euch«, wogegen dann Eva schnell die Vorzüge ihrer Gegend hervorhob, denn Heimatliebe besaß sie in großem Maße.

Nun waren sie in Rotenau. »Eva, wenn du jetzt müde bist, können wir bei der guten Bäuerin, bei der ich Eier und Schinken kaufe, ausruhen. Oder wollen wir weiterschreiten?«

»Lieber weitergehen, ich bin noch nicht müde und möchte gern bald in Langendorf sein.«

Vor dem Dorf kam ihnen Herr Hemsing entgegen. Er winkte schon von weitem, die beiden Schüler vergaßen, daß sie Damen bei sich hatten, und liefen eilfertig auf ihn zu, während Eva leise fragte: »Ist das der Herr Kandidat?«

Gretchen nickte bejahend mit dem Kopf und schritt mit ihr gemessenen, würdigen Schrittes dem Herrn entgegen. Er reichte Gretchen freundlich die Hand und ließ sich dem fremden, jungen Mädchen vorstellen. Er schien überrascht von der Schönheit des Mädchens, dessen Liebreiz im freundlichen Grüßen zutage trat. Herr Hemsing gesellte sich zu den jungen Damen und ließ die Schüler voranschreiten.

Eva, der alles neu und interessant war, sah sich nach allen Seiten um und meinte, die Dörfer hätten hier ein viel großartigeres Ansehen als bei ihr daheim.

»Natürlich«, rief Heinz, sich schelmisch umsehend, »bei uns ist überhaupt alles großartiger, ansehnlicher und besser als bei euch.«

»Das wollte ich nicht sagen«, warf Eva schnell ein. »Unsere Dörfer sind gemütlicher mit ihren Strohdächern und Storchennestern darauf. Und die Leute sind alle so freundlich, gefällig.«

Doch jetzt waren sie auf dem Pfarrhof. Da kam schon Etty gesprungen, umarmte Gretchen und reichte Eva, von der sie längst gehört hatte, freundschaftlich die Hand, wollte eben etwas sagen, da sah sie, wie diese plötzlich stehenblieb, mit der Hand auf einem Punkt zeigte und fragte: »Wer ist denn das?«

Man sah eine ältere Dame mit großer Leinenschürze auf einer kleinen Leiter stehen, die nach dem Boden eines Stalles führte. Es sah ängstlich aus, denn sie trug etwas in der rechten Hand, während sie sich mit der linken an der Leiter festhielt und dieselbe emporstieg.

»Das ist Tante Alice«, erklärte Etty. »Unsere Katze, ihr Liebling, hat da oben kleine Kätzchen bekommen, und da hält sie es für ihre Pflicht, die kleinen Tiere täglich mit warmer Milch zu füttern, obgleich Mine das ebensogut könnte. Aber sie fürchtet, die könnte es vergessen. Doch kommt, laßt uns ins Haus gehen, sie sieht es nicht gern, wenn man dabeisteht und ihr zusieht.«

Sie betraten das Haus, doch Eva mußte sich immer wieder umsehen nach dieser wunderbaren Tante, die auf die Leiter stieg, um Kätzchen zu füttern. Sie konnte sich nicht denken, daß dieselbe Persönlichkeit in der großen Wirtschaftsschürze Englisch lehren könne. Nun hatte sie Herrn und Frau Pfarrer kennengelernt; sie hatte mit den freundlichen Wirten Kaffee getrunken, der heute hinter dem Hause in einer grünbewachsenen Laube eingenommen wurde, dann hatte Eva Garten und Haus besichtigen müssen, und nun hieß es: »Jetzt wollen wir zu Tante Alice gehen!«

»Ist denn die aber da?« fragte Eva. »Ich denke, sie ist bei den Kätzchen auf dem Boden.« Da lachten die beiden anderen Mädchen. »Dort bleibt sie doch nicht den ganzen Nachmittag.« »Nein, jetzt hat sie schon ihren Kaffee getrunken, um ½5 Uhr ist sie für jedermann in ihrer Stube zu sprechen.«

Man ging nach oben und klopfte. Auf ein »Herein«, von angenehmer Stimme gesprochen, betraten sie das Zimmer von Tante Alice. Die Dame, die auf sie zukam, bot einen ganz anderen Anblick als die auf der Leiter. In vornehmer Haltung, in Schwarz gekleidet, wie damals, begrüßte sie die jungen Mädchen und sah sie mit ihren schönen, lebhaften Augen so freundlich an, daß Eva gleich Vertrauen zu ihr faßte. Sie mußte sich zu ihr aufs Sofa setzen, während die anderen jungen Mädchen auf den hübschen Lehnstühlen Platz nahmen. Die Einrichtung des Zimmers war anders als sonst, sie war mehr nach englischer Art. Das ganze Zimmer war mit Teppichen belegt, viele Bilder mit Widmungen früherer Schülerinnen, schöne Decken und Kissen nach ausländischem Geschmack. Es war Eva, als sei sie in ein verzaubertes Schlößchen gekommen. Und als nun Tante Alice anfing, mit den Mädchen Englisch zu sprechen und diese versuchten, ihr in der fremden Sprache zu antworten, da gab es manche Rüge wegen der Aussprache, doch am Schluß sagte die Tante: »Ich freue mich, daß ihr so weit seid, ihr sprecht ganz leidlich. Da, denke ich, wir können schon ein etwas schweres Buch zur Lektüre wählen, wenn auch nicht gerade von Shakespeare, aber vielleicht von Dickens.« Die Tante wollte etwas heraussuchen. Sie hatte einen großen Glasschrank mit vielen Büchern. Es wurde ausgemacht, daß die beiden Mädchen jeden Mittwoch im Sommer von halb fünf bis halb sechs zum Lesen kommen sollten. Darauf freuten sie sich sehr.

Nun erzählte Tante Alice von ihrem Leben als Lehrerin im Ausland, von ihren Schülerinnen, zeigte Bilder von ihnen und von den Orten und Häusern, worin sie lebten, bis auf einmal Eva, die sie auch Tante nennen durfte, fragte: »Tante Alice, hast du dort auch Tiere gefüttert?« »Nein, mein liebes Kind, das ging in meiner Stellung als Lehrerin nicht, aber liebhaben durfte ich die Tiere. Da will ich euch einmal einige Photographien von Hundelieblingen zeigen.« Nun suchte sie auch die noch heraus aus ihrem Schreibtisch und wußte von jedem Hunde viel Interessantes zu erzählen, bis Gretchen Eva anstieß und flüsterte: »Eva, wir müssen gehen, es wird sonst zu spät, Georg und Heinz sind gewiß längst vom Botanisieren zurück und warten auf uns.«

Sie warteten nicht, ja waren noch gar nicht einmal da. Gretchen fand es für besser aufzubrechen, da Mutter sich sonst sorgen würde. »Die Jungen«, meinte sie, »haben schnellere Beine, die kommen uns schon nach.« Etty begleitete die beiden durch das Dorf, dann wurde einiges verabredet wegen Ettys Besuch, darauf verabschiedete man sich.

»Wie wär's, Gretchen, wenn wir immer dem Fluß nachgingen, dann kommen wir ebensogut nach Hause wie auf der staubigen Landstraße. Oder geht kein Weg daran entlang?«

»Ein Weg ist schon da«, sagte Gretchen nachdenklich. »Aber ich glaube, es ist ein Umweg und dann geht es zum Teil durch Wiesen. Die Brüder haben den Weg schon gemacht, ich kenne ihn nicht.« »Nun, der Fluß ist ja ein guter Wegweiser, es wird noch nicht gleich finster, ich denke es mir so schön, immer am Fluß entlang zu gehen, auf den Wiesen schöne Blumen zu pflücken und zuletzt unten an unserem Garten anzukommen.«

»Und dann über den Zaun zu klettern«, warf Gretchen ein.

»O, das macht gerade Spaß«, rief das lustige Evchen, »komm, laß uns den Weg gehen.«

Gretchen sah noch eine Weile nachdenklich vor sich hin, aber gefallen wollte ihr die Sache auch, also sagte sie: »Nun da, frisch voran!«, und bald wanderten sie höchst vergnügt lachend und schwatzend den schmalen Weg, der zwischen Feldern und Wiesen immer am Strom entlang führte. Sie pflückten Kornblumen am Feldesrand und schöne Vergißmeinnicht auf den Wiesen, und Eva rief: »Habe ich nicht recht gehabt, daß es hier viel schöner ist als auf dem staubigen Landweg?«

»Aber es geht langsamer. Sieh, der Fluß macht einen großen Bogen und der Weg mit ihm. Das Blumenpflücken hält auch auf.«

»Wir können ja damit aufhören«, meinte Eva, die auch merkte, daß die Stadt noch weit entfernt war und daß es bereits anfing zu dunkeln.

Nach einer Weile stand Gretchen still, sah sich rings um und sagte: »Es ist weiter, als ich dachte. Eva, wenn wir nur keine Dummheit gemacht haben.«

»Wir wollen nur etwas schneller gehen. Georg und Heinz müssen ja auch kommen.«

»Die werden wohl den kürzeren Landweg gehen«, erwiderte Gretchen. Sie schritten nun rüstig vorwärts, aber da krümmte sich der Fluß wieder und der Weg mit ihm. Sie wurden immer stiller und einsilbiger, bis Gretchen auf einmal rief: »Sieh, dahinten kommen zwei Gestalten, das sind gewiß die Brüder. Das ist fein! Nun haben wir gute Beschützer, wenn es dann auch etwas länger währt und dunkel wird. Mit ihnen brauchen wir uns nicht zu fürchten.«

»Aber was ist das? Hier hört ja auf einmal der Weg auf. Da müssen wir durch die Wiese gehen. Hoffentlich bekommen wir keine feuchten Füße. Eva, ich habe schon eben in etwas Nasses getreten. O weh, es ist ganz naß hier. Ist das aber dumm, was machen wir nun?«

»Wir gehen gerade durch«, meinte die tapfere Eva. »Wenn wir auch nasse Füße bekommen, wir können ja zu Hause die Fußbekleidung wechseln, es ist ja Sommer und kein Winter.«

»Ich mache mir auch nichts daraus, es war mir nur deinetwegen.«

Es wurde jedoch nachgerade unangenehm. Der Weg durch die Wiese wurde immer beschwerlicher, die Mädchen sahen immer sehnsüchtiger nach den Brüdern aus.

»Die kommen gar nicht, sie sind bestimmt den Landweg gegangen«, klagte Gretchen. »Jetzt sehe ich schwarze Gestalten«, rief Eva. »genau kann ich sie nicht erkennen, aber ich glaube, sie sind es.«

Die beiden Gestalten, die daherkamen, waren aber nicht Georg und Heinz, sondern Edgar, der Nachbarssohn, und ein Schulfreund von ihm.

»Sieh nur«, sagte der erstere, »wer krabbelt da in den Wiesen herum, das sind fürwahr ein paar Mädchen, die sich verlaufen haben.«

»Ist das nicht die Margarete Dunker, eure Nachbarin?« fragte der andere.

Edgar sah scharf hin. »Fürwahr, das ist sie. Und die andere? Das ist der kleine muntere Käfer, der seit kurzem bei Dunkers eingekehrt ist. Sieh nur, wie sie durch die nasse Wiese stelzen. Die müssen wir ein bißchen ängstigen. Das wird ein famoser Spaß. Die Grete tut immer so apart, als ob sie sich zu gut für unsereinen hält. Komm Oskar, das Abenteuer wollen wir uns nicht entgehen lassen.«

Die Mädchen waren stehengeblieben, weil sie im Herannahen die Brüder erwarteten. Wie groß war ihr Schreck, als sie den unliebsamen Edgar erkannten, der der unangenehmste von der ganzen Gesellschaft war.

»Schnell, Eva, laß uns eilen, nur nicht mit diesem gehen«, flüsterte Gretchen.

»Ich kann nicht«, jammerte Eva, »mein Fuß steckt in einem Wasserloch.«

»O, wären wir doch den Landweg gegangen, es ist zu dumm.«

»Nun, meine Damen«, erklang jetzt Edgars näselnde Stimme, »hier geht es sich wohl nicht ganz schön?«

»Wir sind auf eine nasse Wiese geraten, und meine Freundin steckt mit dem Fuß fest, kann nicht heraus.«

»Was bekomme ich, gnädiges Fräulein, wenn ich helfe?«

Eva, die nahe am Weinen war, sagte: »Wenn Sie einen Lohn verlangen für eine Hilfeleistung, dann muß ich sehen, wie ich mir selber helfen kann.« Sie bückte sich und bemühte sich mit aller Kraft, den Fuß, der in der Matte festsaß, herauszuziehen. Sie löste das Schuhband und wollte lieber den Schuh fahren lassen, als diesem Menschen in die Hände fallen.

Er sprang schnell herzu, zog erst den Fuß heraus, dann den Schuh, half ihr den letzteren anziehen, dann legte er den Arm um sie und sagte zärtlich: »Das verdient einen Kuß für treue Ritterdienste.« Sie stieß ihn zurück, in demselben Augenblick packte ihn jemand und rief: »Was fällt Ihnen ein, machen Sie, daß Sie hier fortkommen, belästigen Sie das Fräulein nicht weiter.«

Er lachte und trabte mit seinem Freund davon, während Herr Hemsing, denn dieser war es, Eva den Arm bot und sie fest und sicher durch die Wiese geleitete, während Georg und Heinz Gretchen in ihre Mitte nahmen und sie halb über die Wiese hinwegtrugen.

»Wo kommt ihr nur so schnell her?« fragte diese, noch ganz aufgeregt von der Angst, mit jenen beiden Burschen allein zu sein.

»Wir kamen sehr bald nach eurem Weggang mit Herrn Hemsing vom Botanisieren. Wir waren natürlich der Meinung, ihr seiet die Landstraße gegangen, und eilten euch nach. Herr Hemsing begleitete uns, da er sich von euch verabschieden wollte. Da wir euch nicht trafen, wurde uns angst, auch Herr Hemsing sorgte sich und wollte uns nicht eher verlassen, bis wir euch gefunden. Wir gingen immer schneller, fragten in Rotenau bei der Bäuerin, ob ihr vielleicht dort auf uns wartetet. Als wir euch auch dort nicht fanden, mußten wir zuletzt annehmen, daß ihr den Weg am Fluß entlang genommen, obgleich das ein großer Unsinn war, zumal im Frühling, wo die Wiesen oft voll Wasser stehen. Gretel, ich hätte dich für vernünftiger gehalten. Dieser einsame Weg.«

»Eva wollte so gerne«, unterbrach sie ihn, »und wir beide dachten es uns so hübsch. Wie kamt ihr nun aber so schnell von der Stadt her zu unserer Hilfe?«

»Als wir nach Hause kamen und euch nicht fanden, erschraken wir natürlich sehr, die Eltern mit uns. Wir bekamen unsere Schelte, daß wir nicht früher aus dem Walde gekommen waren. Wir machten uns nun schleunigst auf, liefen hinten durch unseren Garten, quer durch die Wiesen, Herr Hemsing immer mit, und entdeckten euch gerade zur rechten Zeit, als dieser Geck dreist werden wollte.«

»Ein wahres Glück, daß ihr kamt. Ich habe mich lange nicht so geängstigt wie an diesem Abend.«

»Nun, wir auch, besonders aber der gute Herr Hemsing, der immer sorgte, es möchte euch etwas passiert sein.«

Unter diesen Reden waren sie an die Häuser der Stadt gekommen und gingen hinten an den Gärten vorbei. Endlich waren sie an den ihrigen. Da galt es noch über den Zaun zu steigen, wobei die Brüder hilfreiche Hand leisteten.

»Gott sei Dank, daß wir sie soweit haben«, sagte Herr Hemsing. »Das war aber eine Reise, die machen Sie so bald nicht wieder, was, Fräulein Gretchen?«

»In meinem Leben nicht. Eva, wie geht es dir?«

»Ich bin ganz durchnäßt, muß mich gleich umziehen«, antwortete diese kleinlaut.

Da kamen die Eltern den Gartensteig herunter, voller Sorge und Unruhe. Es gab Schelte, die ruhig hingenommen wurden, weil wohl verdient. Dann dankten die Mädchen den Herren für freundliche Hilfeleistung und eilten ins Haus. Sie durften sich bei Beleuchtung nicht sehen lassen, sondern mußten sich schleunigst umziehen. Als sie herunterkamen, war Herr Hemsing gegangen. Er hatte sich nicht halten lassen und erklärt, der Mond ginge gleich auf, ein Mondscheinspaziergang sei ganz angenehm, besonders im schönen Monat Mai. Das war Evas erster Ausflug nach Langendorf, der ihr zeitlebens im Gedächtnis blieb.


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