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23. Christians Pläne

Die Eltern Hemsing hatten den Wunsch ausgesprochen, das Brautpaar am zweiten Feiertag bei sich zu sehen; am Tage nach dem Fest, wenn der Herr Pfarrer alle Predigten hinter sich hatte, sollte die ganze Familie nachfolgen.

Frau Röder war gebeten worden, am ersten Feiertag wieder im Dunkerschen Hause einzukehren. Das hatte sie abgelehnt mit dem Bemerken, daß es für ihre Kräfte zuviel sei.

»Aber«, hatte sie hinzugefügt, »wenn Sie mir Fräulein Eva ein Stündchen schicken möchten, so würde ich Ihnen sehr dankbar sein.«

Die drei Brüder machten am Nachmittag einen längeren Spaziergang, das Brautpaar hatte mit sich zu tun, Gertrud hatte eine Schulfreundin zu Besuch, und Eva ging, wie verabredet zu der alten Frau Röder. Diese empfing sie mit herzlicher Freude und nahm den Vorschlag des jungen Mädchens, ihr eine Predigt vorzulesen, mit großem Dank an, da sie am Morgen nicht hatte zur Kirche gehen können.

»Ich hoffe, wenn ich wieder etwas kräftiger werde, den weiten Kirchweg machen zu können, vielleicht im Sommer«, meinte sie. »Das Selbstlesen macht mir Mühe, da meine Augen, besonders im Winter, oft recht schwach sind. Da bin ich dankbar, wenn sich junge Augen finden, die es tun.«

»Ich würde es gern immer tun; jeden Sonntag, wenn Sie es mögen.«

»Gern, mein liebes Kind, wenn es Ihnen nicht langweilig ist, bei einer alten Frau zu sitzen.«

Mit klarer, deutlicher und doch sanfter Stimme las Eva die Weihnachtspredigt. Sie hatte ein sehr angenehmes Organ, und Worte des Friedens und der Freude fielen in das Herz der bekümmerten Frau.

Als Eva geendet hatte, mußte sie der alten Dame erzählen von ihren Eltern, die sie leider so früh verloren hatte. Daß es auch Pflegeeltern gewesen, mochte sie nicht sagen. Ihr waren sie von Anfang an eigene Eltern gewesen; was vorhergegangen, daran rührte sie nicht gern, davon wußte sie auch zu wenig. Sie erzählte von der Liebe und Sorgsamkeit, mit der sie erzogen, wie sie aber auch von frühester Jugend an strengen Gehorsam, an Fleiß und Ordnung gewöhnt sei, wie die Eltern sie dann in eine gute Pension gegeben und wie dann gerade, als sie von zu Hause abwesend gewesen, die gute Mutter gestorben sei.

»Armes Kind«, sagte Frau Röder und streichelte sie. »Ich habe es jetzt auch so gut. Dunkers, bei denen ich nur ein Jahr bleiben sollte, um den Haushalt zu lernen, haben mich gleich als Pflegetochter angenommen. Sie machen keinen Unterschied zwischen den eigenen Kindern und mir. Ostern werde ich wahrscheinlich ein Seminar besuchen, damit ich später einmal auf eigenen Füßen stehen kann.«

»Haben Ihre Eltern Ihnen nichts hinterlassen?«

»Nur ganz wenig. Es reicht wohl nur, um die Seminarkosten zu decken. Soll ich Ihnen jetzt noch ein Weihnachtslied singen, Frau Röder?« Sie sah nach der Uhr. »Um sieben werde ich abgeholt.«

Das Klavier wurde geöffnet, und Eva sang ein Lied nach dem andern. Frau Röder bat immer noch um mehr. Da klingelte es. Männliche Tritte nahten. Eva hörte es nicht, sie sang gerade: »Es ist ein Ros' entsprungen«, und draußen stand ein junger Mann und lauschte. Welch liebliche Stimme und doch, welche Fülle lag darin! Da Christian, denn er war es, auch gesangkundig war, so war es ihm, als müßte er mit einstimmen. Doch er wagte es nicht, er war ja fremd in diesem Hause.

Als das Lied zu Ende war, betrat er leise das Zimmer, verbeugte sich vor der alten Dame und sagte: »Ich wollte mir erlauben, Fräulein Eva abzuholen.«

Eva erhob sich schnell und stellte ihn vor als Herrn Doktor Dunker.

»Wir kennen uns schon«, bemerkte Frau Röder, »Ihre Frau Mutter hat mir gestern ihre drei Söhne vorgestellt. Aber ich habe allerdings nicht das Vergnügen gehabt, Sie eingehender zu sprechen. Sie waren mit Ihren Brüdern und mit Ihrem jüngsten Schwesterchen vollauf beschäftigt.«

»Es tut mir leid«, sagte Eva nun, »daß Sie sich herbemüht haben, ich hatte Georg gebeten, mich abzuholen.«

Christian runzelte die Stirn. »Georg bekam gerade, als er gehen wollte, Besuch von einem Freund, da bin ich statt seiner gegangen. Es ist Ihnen hoffentlich nicht unangenehm?«

»Nein«, versetzte Eva zögernd, »ich danke Ihnen.«

Christian mußte sich auf den Wunsch der alten Dame setzen und sich ein Weilchen mit ihr unterhalten. Sie schien sich für sein Studium zu interessieren und fragte, da er nun mit allem fertig sei, ob er schon eine Stelle in Aussicht habe.

»Gerade heute habe ich einen wichtigen Brief deswegen bekommen. Ich soll mich entscheiden, ob ich mich entschließen kann, mit einer Gesellschaft von Fachmännern auf eine kleine westindische Insel zu gehen, zur Ausbeutung von Guanolagern. Natürlich bin ich sehr dafür, es ist eine interessante Arbeit, überhaupt lockt mich das Ganze. Welcher junge Mann ginge nicht gern ins Ausland, in die Tropen! Nebenbei sind die Bedingungen sehr vorteilhaft, aber die Eltern wollen mir ihre Zustimmung noch nicht geben, namentlich der Mutter ist der Gedanke schwer, mich so in weiter Ferne zu wissen.«

»Warum so weit fort, junger Mann? Bleiben Sie in der Heimat, es gibt hier auch vorteilhafte Stellen für Leute Ihres Berufes.«

»Ich denke anders, verehrte Frau. Es ist gewiß ein großer Vorteil für einen jungen Mann, fremde Länder und Leute kennenzulernen, mich interessieren auch besonders Pflanzen und Steine und was dazu gehört. Und dann – es wäre nur eine zweijährige Verpflichtung. Zwei Jahre gehen schnell dahin, dann komme ich wieder.«

Eva hatte schweigend zugehört. Dies Neue interessierte sie mächtig. Fast wollte es ihr leid tun, daß Christian solche Pläne hatte. Sie hatte ihn beobachtet, während er lebhaft sprach. Wie wuchs er auf einmal in ihren Augen. Die kühne, freie Stirn, die klugen Augen, die feingebogene Nase, ja, man sah es ihm an, er war ein gescheiter, bedeutender Mann. Aber ein eigenes Wesen hatte er, ganz anders als andere junge Leute. Er hatte sie ziemlich ignoriert bis dahin. Nun auf einmal war er von einer Aufmerksamkeit, Freundlichkeit gegen sie –

Heinz hätte sie gewiß auch gern abgeholt, beinahe wäre es ihr lieber gewesen. Mit ihm stand sie ganz auf geschwisterlichem Fuß, vor Christian hatte sie nicht nur großen Respekt, sondern eine gewisse Scheu, die sie schwer überwinden konnte.

Sie verabschiedeten sich von Frau Röder und traten den Rückweg an. Durch den Garten gingen sie schweigend nebeneinander. Als sie die eiserne Gartenpforte hinter sich hatten, bot er ihr seinen Arm. Zaghaft legte sie den ihrigen hinein.

»Sie sind so fremd gegen mich, Eva. Mit den Brüdern sind Sie ganz anders.«

»Ich kenne Sie noch so wenig«, war die Antwort.

»Und wenn ich nun in die Tropen gehe, werden wir uns immer fremder.«

»Wollen Sie wirklich so weit hinaus?«

»Wenn die Mutter mich läßt, auf jeden Fall.«

Jetzt kam Heinz ihnen entgegen. »Endlich«, rief er, »es währte so lange, wir glaubten schon, es sei euch etwas passiert!«

»Ich hätte den Fuß gebrochen? O Heinz, gleich so ängstlich«, lachte Christian.

»Es ist viel Besuch gekommen, einige Freunde von dir, Christian, von der Schule her.«

»Dann müssen wir eilen.« Man beschleunigte die Schritte, denn Eva war besorgt, sie möchte der Mutter fehlen. Aber Gretchen war schon in der Küche zum Helfen, während Herr Dunker und Hemsing sich den Gästen widmeten.

Der Abend gestaltete sich zu einem sehr anregenden. Es wurde viel musiziert und gesungen, damit die Weihnachtsstimmung nicht verlorenging, die Unterhaltung war der Festzeit angemessen, später vereinigten sich die jungen Leute zu Gesellschafts- und Rätselspielen.

Am anderen Morgen war das Brautpaar schon früh nach Langendorf aufgebrochen, sie wollten zur rechten Zeit dort sein, um am Gottesdienst teilnehmen zu können. Gretchen sollte die Nacht bleiben, da die ihrigen am folgenden Tag alle erwartet wurden.

Mit der lieben Pfarrersfamilie und Tante Alice wurde ein schöner Feiertag verlebt, die Jugend ergötzte sich mit Schlittschuhlaufen. –

Nach den Feiertagen wurde Christians Vorhaben ernstlich erwogen. Er gestand den Eltern, es sei lange sein Wunsch gewesen, eine Zeitlang in die weite Welt zu gehen. Dies Anerbieten würde nach allen Seiten hin von großem Gewinn für ihn sein. Er würde bei seiner Rückkehr um so leichter eine passende Stelle finden.

Schließlich mochten die Eltern ihn nicht mehr hindern an dem, was er als großen Vorteil ansah für seine Zustimmung, und er war dankbar dafür. Ende Februar sollte die Reise vor sich gehen, vorher hoffte er noch kurz nach Hause kommen zu können, um Abschied zu nehmen.

Als nun aber Hemsing eines Tages freudestrahlend zur Braut kam mit einem Schreiben vom Konsistorium, worin ihm eine Pfarre verliehen war, und er nun daraufhin eine baldige Hochzeit wünschte, um für die Pfarre eine Pfarrfrau zu haben, da rief die Mutter: »Christian, zur Hochzeit können wir dich nicht entbehren, bis zum Sommer mußt du noch bleiben.«

»Das hängt von der Firma ab, die mich aussendet. Mir tut es selbst herzlich leid, unser Gretchen nicht mit unter die Haube bringen zu können, aber Pflicht geht vor Vergnügen.«

Hemsings Vorschlag, schon im Februar Hochzeit zu machen, wurde eifrigst widerlegt. »Du weißt nicht, lieber Schwiegersohn«, ließ sich die Mutter vernehmen, »was alles dazu gehört, um eine Aussteuer fertigzustellen. Wir müssen alle sehr fleißig sein, wenn wir bis zum Sommer alles beschickt haben wollen.«

Hemsing mußte schon gleich seine Stelle antreten, da es vor Ostern viel Arbeit gab. Es wurde beschlossen, daß Etty einstweilen mitgehen sollte, um ihm den Haushalt zu führen. Im Laufe der Zeit wollte dann Frau Maria mit Gretchen einen Besuch dort machen, um sich das Pfarrhaus anzusehen und ihre Einrichtung danach zu treffen.

Es war, zu ihrer Freude, nicht sehr entfernt von P. Man konnte es mit der Bahn in einigen Stunden erreichen und noch an demselben Tage, wenn es sein mußte, wieder zurückkommen.

Nachdem nun die Ferienzeit zu Ende war und das Schulleben wieder seinen Anfang genommen hatte, folgte für Frau Maria und ihre Töchter eine arbeitsreiche Zeit im Hinblick auf die immer näherrückende Hochzeit.


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