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27. Das Tauffest

Dem Zehnuhrzug an der kleinen Station Wendorf entstieg eine ganze Gesellschaft Herren und Damen, alte und junge. Sie eilten einem großen Omnibus zu. Der Primaner Heinz hatte schon den Wagenschlag geöffnet und stand höflich da, die Gesellschaft zum Einsteigen ermunternd.

»Großmama muß den besten Platz haben, es fragt sich nur, welches ist der bequemste, hinten oder vorn?«

»Nicht ganz hinten, wenn ich bitten darf«, bat Frau Röder, »es wird mir zu beklommen.«

»In der Mitte ist's am besten. Komm, Gertrud«, rief Etty, »wir beide setzen uns hinten in die Ecke und lassen Frau Röder und die Eltern in der Mitte sitzen, Eva und Heinz können dann vorn den Beschluß machen.«

Etty und Gertrud stiegen schnell ein, die andern folgten. Nachdem verschiedene Körbe, Taschen und Tücher unter den Bänken Platz gefunden, knallte der Kutscher und fort rummelte der alte Omnibus auf der Landstraße dahin.

»Eigentlich hätten wir ein Auto nehmen müssen«, sagte Herr Dunker, »es ist gar nicht zeitgemäß mit diesem altmodischen Fuhrwerk.«

»Aber für uns Damen ruhiger und gemütlicher«, versetzte Frau Maria, »das Rasen wäre nichts für Frau Röder gewesen, nicht wahr, liebe Großmama?«

»Ich bin sehr dankbar, daß wir nicht mit dem Auto fahren, es ist für mich der Schrecken aller Schrecken.«

»Ein famoses Fuhrwerk, nicht wahr, Eva?« konnte sich Heinz nicht versagen zu bemerken, worauf diese leise zustimmend nickte.

Man fuhr dahin in der heitersten Stimmung. Das Wetter war so schön, wie man es sich im Juni nur wünschen konnte. An duftenden Wiesen, wogenden Kornfeldern ging es vorüber in einen grünen Buchenwald hinein, wo die Vöglein auf den Zweigen saßen, singend und jubilierend. Das ermunterte auch die Jugend zum Singen. Frische Volkslieder erklangen, in die auch die Väter gesangsfroh einstimmten. Bald war das Dorf erreicht, in dem der junge Pastor Hemsing nun zwei Jahre tätig war. Man kannte ja schon die Heimat der jungen Pfarrersleute, aber heute galt es ein besonderes Fest zu feiern, darum waren alle Insassen des Wagens von froher Stimmung beherrscht.

Man fuhr in den Pfarrhof ein. Da ward schon die Haustür geöffnet. Hemsing stand grüßend und winkend in derselben. Hinter ihm, über seine Schulter weg, erschien das glückstrahlende Gesicht der jungen Frau. Herzliche Begrüßung von jung und alt, zärtliche Umarmungen, Händeschütteln, wie es so Brauch ist, bis alle glücklich im großen gemütlichen Wohnzimmer am vielversprechenden Frühstückstisch Platz genommen.

Das Festessen sollte erst nach der Taufe um vier Uhr stattfinden.

Frau Röder, von dem vielen Ungewohnten angegriffen und ermüdet, wurde nach oben geleitet, wo sie ruhen sollte bis zur Taufhandlung. Die beiden Großmütter und die jungen Mädchen begehrten natürlich den Täufling zu sehen, während die Herren sich in das Studierzimmer zurückzogen. Heinz bedauerte, seinen Bruder Georg nicht da zu haben, und schlenderte davon, das Dorf und die Umgebung in Augenschein zu nehmen. Um drei Uhr jedoch war alles in Festkleidung und Feststimmung im besten Zimmer versammelt, um der heiligen Handlung beizuwohnen. Die jungen Mädchen hatten den Tauftisch mit zartem Grün und Rosenknospen geschmückt. Etty und Eva waren beauftragt, das Kindlein zu halten, während der Vater Hemsing die Taufhandlung vollzog.

Gerhard Otto wurde der Kleine getauft, zur großen Befriedigung aller Anwesenden. Bewegten Herzens nahm die Mutter ihr getauftes Kind, ebenso bewegt trat auch die Großmutter hinzu, sich des Kindleins freuend.

Dann ging es zum fröhlichen Mahle.

Ernste und scherzhafte Reden wechselten miteinander ab, man saß lange bei Tisch und ließ sich die Speisen vortrefflich munden. Später wurde im Gartenzimmer bei weitgeöffneten Flügeltüren der Kaffee eingenommen. Man war so eifrig in der Unterhaltung, daß ein Klopfen ganz überhört wurde. Die Tür wurde leise geöffnet und herein traten zwei junge Männer, der eine, ein frischer flotter Student, den man bald mit dem Ausruf: »Georg, wo kommst du her?« begrüßte.

»Mich scheint niemand zu kennen, ich muß mich wohl sehr verändert haben?« Kaum hatte er den Mund zum Sprechen geöffnet, so rief Frau Maria: »Das ist ja unser Christian!«

Und im Nu war er umringt von der ganzen Gesellschaft. Es rief und schwirrte durcheinander: »Christian, wo kommst denn du in aller Welt her?« Es gab ein Umarmen, ein Begrüßen, keiner achtete auf den anderen, alles drängte zu Christian hin.

Eva, die ganz blaß geworden, als sie ihn erkannte, entschlüpfte unbemerkt in den Garten. Sie konnte ihn jetzt in der großen Menge nicht begrüßen, warum nicht, das war ihr selbst nicht klar. Sie ging nach unten, hinunter in den Garten, wo das Gebüsch am dichtesten war, und setzte sich in eine Rosenlaube.

Der Lärm der durcheinander redenden Stimmen drang aus der Ferne zu ihr. Sie glaubte, sie würde jetzt nicht vermißt, wenigstens fürs erste nicht. Später hoffte sie dann, sich unbemerkt zu den jungen Mädchen zu gesellen, die gewiß bei dem schönen Wetter in den Garten kommen würden. Da machte sich dann die Begrüßung mit den Neuangekommenen eher.

»Komm Christian nur recht freundlich und herzlich entgegen«, hatte die Mutter gesagt. Sie hatte es auch gewollt, und nun auf einmal war wieder diese Scheu und Beklommenheit über sie gekommen. Wer konnte aber auch denken, daß er so plötzlich hereinbrechen werde, während sie ihn noch auf dem Ozean schwimmend sich dachte. Und nun sollte sie ihn mitten in der Gesellschaft freundlich und herzlich begrüßen, wo aller Augen auf sie gerichtet waren? Nein, das konnte sie nicht.

Plötzlich wurde der Eingang zur Laube verdunkelt. Eine hohe Gestalt stand da, Eva sprang auf mit den Worten: »Herr Doktor!«

Er runzelte leicht die Stirn, verbat es sich aber diesmal nicht.

»Wo stecken Sie in aller Welt, Eva, ich habe Sie immer mit den Augen gesucht. Nun, nachdem ich von den Meinigen gründlich begrüßt und ausgefragt worden bin, nachdem ich oben gewesen und mich vom Reisestaub befreit habe, dachte ich, mich einmal im Garten nach Ihnen umzusehen. Die Damen sind alle mit dem kleinen Buben beschäftigt, die Herren sind gegangen, sich die Kirche anzusehen. Und ich möchte Ihnen sagen, Eva, wie herzlich ich mich gefreut habe, daß Sie jemanden gefunden haben, dem Sie zu eigen gehören. Meine Eltern waren ja nur Pflegeeltern zu Ihnen, die Geschwister nicht wirkliche Brüder und Schwestern –«

»Ich habe sie aber lieb, als ob es eigene Eltern wären. Sie haben mehr an mir getan, als die eigenen hätten tun können. Auch meine Pflegegeschwister sind mir wie eigene Brüder und Schwestern –«

»Ausgenommen der Christian, der taugt nicht zum Bruder, na, der hat's nicht besser verdient.«

Da übergoß eine jähe Röte Evas Gesicht, Hals und Nacken, sie senkte beschämt das Köpfchen, wußte nicht gleich zu antworten. Endlich sagte sie: »Wir müssen uns erst etwas näher kennenlernen, Herr Doktor.«

»Ja, Sie haben recht, wir müssen uns näher kennenlernen. Vielleicht darf ich hoffen, daß es dann zu einem besseren Verhältnis zwischen uns kommt, besser als –«

Sie errötete wieder und schlug fragend die Augen zu ihm auf, als man plötzlich Schritte herantraben hörte und in demselben Augenblick Ettys frische Stimme sich hören ließ: »Hier bist du, Christian, wir haben dich schon überall gesucht.«

Die beiden Mädchen, Etty und Gertrud, standen atemholend vom schnellen Laufen, vor der Laube, während er ruhig sagte: »Ich mußte doch Eva auch ›Guten Tag‹ sagen.« Sie fanden das beide so natürlich, er war ja Evas Pflegebruder, so gut wie Georg und Heinz. Sie gingen nun alle vier dem Hause zu. Christian mit Etty, die eben sagte: »Wir hielten das Bübchen heute für den Held des Tages, nun bist du es geworden, Christian, alle Welt verlangt nach dir, du sollst erzählen von deinen Taten auf der Insel, von deiner Rückfahrt und wie es kommt, daß du gerade zum Tauffest des Neffen eintreffen konntest.«

»Ich empfing ja den Brief der Mutter in Bremen, worin sie schrieb, daß ihr alle heute zum Tauffest bei Gretchen und Gerhard versammelt sein würdet. Da habe ich meine Geschäfte in Bremen so schnell ich konnte erledigt und bin hierher geeilt, um euch zu überraschen.«

Eva und Gertrud gingen umschlungen hinter den beiden her. Gertrud sah Eva besorgt an und sagte: »Evchen, du freust dich doch auch, oder hat dich Christian wieder geärgert? Er ist manchmal komisch.«

»Nein, er hat mich gar nicht geärgert. Ich bin sehr glücklich, es ist hier bei Gretchen wunderschön.«

»Nicht wahr? Das finde ich auch!« rief Gertrud erleichtert. »Nun komm zu Bubi, er schläft jetzt und sieht so wunderlieblich aus.«

Daß Christian so unvermutet gekommen war, belebte die ganze Gesellschaft. Alles lauschte gespannt seinen Erzählungen, und der Tag endete so froh, wie er angefangen hatte. Pastor Hemsing dankte in der Abendandacht für den reichen Segen, den der Tag gebracht, betete für den Täufling, daß ihn Gott in seiner Gnade erhalten, ihn wachsen und gedeihen lassen wolle zu seines Namens Ehre. Er dankte für die glückliche Heimkehr Christians und betete, daß Gott der Herr sie alle stärken und erhalten wolle im rechten lebendigen Glauben an ihn und in der Gemeinschaft und Liebe untereinander.


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