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XXX

Der Urgroßvater, welcher sich in der Zeit der herben Prüfung Onkel Harre in seiner Gesinnung genähert hatte, war der einzige unter uns, der sich durch die Art seines Todes zurückgestoßen fühlte. Denn er hielt den Selbstmord, wie ich schon gesagt habe, für eine der ärgsten Sünden, ja, geradezu für die unverzeihlichste, nicht von jener landläufigen Meinung ausgehend, daß er ein Zeichen von Feigheit sei, sondern als frechen, eigennützigen Eingriff in die göttliche Weltordnung, die einen schon selbst aus der Kette des Lebens lösen würde, wenn man seinen Zweck erreicht habe. Ich konnte mich nie des Gedankens erwehren, daß die unausrottbare, durch keine Erfahrung oder Enttäuschung zu tilgende Lust am Leben, die in dem zähen, alten Manne war, die letzte Quelle sei, aus der seine Ansichten über diesen Punkt flossen. Er verdammte die Abtrünnigen, die den Tod suchten, weil sie seiner kindischen, blinden Anhänglichkeit mit ihrem weltüberwindenden, dämonischen Abfall nicht ohne Großartigkeit widersprachen.

Daß aber Onkel Harre, wenn auch nicht in moralischer Richtung, darüber zu urteilen will ich vermeiden, doch in Bezug auf seine Absichten das Richtige gewählt hatte, erwies sich daraus, daß der Flor unseres Geschlechtes sich nach seinem Tode zu erneuern schien. Wie nun einmal die Menschen, die leicht beschuldigen, gemeinhin auch leicht verzeihen, besonders wenn ein eindrucksvolles Ereignis sie in Rührung versetzt, so legte sich auch die Entrüstung gegen Onkel Harre im Volke, nachdem er sich ihr gewissermaßen geopfert hatte. Diejenigen, die ihn früher verteidigt und seine Verdienste gegenüber seinen Irrtümern hervorgehoben hatten, kamen jetzt wieder zur Geltung, und in vielen Kreisen fing man an, den sowieso durch seinen Sozialismus verdächtigen Doktor Wittich bitter anzuklagen, daß er einen alten verdienten Mann in den Tod gehetzt habe. Daß Eva mit dem ihr gebliebenen Vermögen einfach und zurückgezogen lebte, gefiel den Leuten, da sie im allgemeinen keine Tugend höher schätzten als die löbliche Bescheidenheit. Ezard aber schritt nun wirklich auf den Höhen, nach denen er mit soviel Tapferkeit und Ausdauer gerungen hatte. In der Cholerazeit war er mit fast allen Schichten der Bevölkerung bekannt geworden, und überall waren ihm Neigung und Dankbarkeit entgegengekommen. Beides hatte er im höchsten Maße verdient. Daß er einst scheinbar gesunken war und geirrt hatte, erhöhte jetzt gemäß einem richtigen Instinkte die Bewunderung seiner Kraft und die Teilnahme an seinen Erfolgen. Zugleich zeigte es sich endlich, daß er den Norweger mit bestem Recht empfohlen und unterstützt hatte; denn das bei den Wasserwerken zur Anwendung gekommene System erwies sich nicht nur als brauchbar, sondern als über Erwarten vorzüglich. Dieser Umstand warf auch ein nachträglich verklärendes Licht auf Onkel Harre; kurz, es kam bald dahin, daß man unserer Familie eine Art von märtyrerhafter Würde zuwies, indem der Senat uns seiner Selbstsucht geopfert und mit seiner Schuld beladen in die Wüste gejagt habe wie die Hebräer ihren sprichwörtlich gewordenen Sündenbock. Dies alles bemerkten wir erst nach und nach; bei einem Ereignis, das meine Schwester Galeide betraf, trat es uns zum ersten Male recht eindrucksvoll vor die Augen.

Galeide hatte nämlich inzwischen ihre Studien an dem Konservatorium in Genf und in einigen anderen schweizerischen Städten vollendet und verfügte allen Berichten zufolge über eine ungewöhnliche Fertigkeit im Spiel, welche der genialen Auffassung, die sie aus ihrer Natur schöpfte, die volle Entfaltung ermöglichte. Wie in vielen größeren Städten, hatte man auch in Genf eine mildtätige Sammlung zu Gunsten unserer verheerten Stadt veranstaltet und war außerdem auf den Einfall gekommen, durch ein Konzert das Ergebnis der Beiträge noch zu vermehren. Indem man Musiker warb, die ohne Entgelt ihre Kräfte diesem Zweck widmen würden, hatte man es zugleich praktisch und sinnig gefunden, wenn man auch Galeiden, ein Kind der unglücklichen Stadt, der man helfen wollte, und Zögling der eigenen Schule, zur Teilnahme aufforderte. Da ihr dies als die beste Gelegenheit erschien, sich zuerst in der Öffentlichkeit zu zeigen, zögerte sie keinen Augenblick, der Aufforderung nachzukommen. Es scheint, daß sie mehr Anklang fand, als man beim erstmaligen Auftreten einer eben erst ausgebildeten Schülerin erwarten konnte, und daß sie die schönste Ermutigung für ihre weitere Laufbahn aus diesem Erfolge gewann. Von diesen Vorgängen hatte uns Galeide nur flüchtig und andeutungsweise geschrieben, so daß wir sehr überrascht waren, als uns ein Brief anzeigte, daß sie kommen werde, um der Stadt den Erlös der Sammlung und des Konzertes im Auftrage der Veranstalter selbst zu überbringen. Hierüber erschrak ich zunächst mehr, als ich mich freute; denn im Vergleich zu jener aufgeregten Zeit, wo Ezards und Galeidens verhängnisvolle Leidenschaft sich entwickelte, lebten wir jetzt in leidlicher Behaglichkeit dahin, an die man sich nur allzuleicht gewöhnt, selbst wenn man von den zerstörungsfähigen Gewalten Bescheid weiß, die im Grunde zurückgehalten sind. Nun war es, wie wenn ein Sturm sich von weitem ankündigt, der eine blühende Landschaft verheeren kann; denn es war unabsehbar, was für Unheil aus dem Wiederbegegnen der beiden mit so viel Schmerz Getrennten entstehen würde.

Der Urgroßvater zeigte sich bei dieser Gelegenheit in seiner ganz unverminderten, blinden Selbstsucht; denn er wollte von alle dem nichts hören, freilich unter dem Vorwande, daß ich ein schwerblütiger Schwarzseher sei wie mein Vater, daß gerade Galeidens Kommen beweise, daß sie die Vergangenheit, wenn auch nicht vergessen, so doch überwunden habe und willens sei, ihr neues Leben wie einen bedeckenden, abschließenden Grabstein darauf zu bauen. Gegen diese eigensinnige Verblendung und Galeidens ungestümes Wollen bedeuteten Vorsicht, Vernunft, überhaupt jeglicher Einwand weniger als Spreu. Gegen des Urgroßvaters Eigenwilligkeit hätte ich vielleicht noch etwas ausrichten können, da sie mich an dem alten Manne ärgerte und zum Widerspruch reizte, aber Galeidens wildes Heimweh und unbändige Sehnsucht kam wie ein Frühlingssturm, in dessen verwegener Umschlingung ein Widerstreben sich nur zu gern ergibt.

Also fand ich mich eines Tages auf dem Bahnhof ein und erwartete sie, bedenkend vor wie langer Zeit ich sie eben dahin begleitet hatte, als sie für immer zu scheiden schien, und ich versuchte mich in die Vorstellung hineinzuträumen, ich sei inzwischen nicht vom Platze gewichen und hätte nur die Augen geschlossen und im Augenblick einen kurzen Bildertraum an mir vorüberrollen lassen. Dadurch geriet ich in eine wunderliche Stimmung, so daß ich wie ein Verschlafener dastand, als der Zug hereinsauste, die Reisenden hervorströmten und auf einmal Galeide vor mir stand mit lachenden Augen, aus denen rasche Tränen stürzten, mich auf den Mund küßte und sagte: »Ludolf, wie siehst du denn aus? Du bist ja gar kein kleiner Junge mehr!« Sowie ich ihre klarklingende Kinderstimme hörte, die sich gleichgeblieben war, brauchte ich es nicht mehr zu ersinnen, sondern fühlte in Wahrheit so, als wäre sie immer dagewesen, nur daß inzwischen hier alles anders geworden war. Sie verlangte nach einem Wagen, denn sie zittere, bis sie den Urgroßvater gesehen habe. Da sie zu erregt war, um während der Fahrt viel zu sprechen, betrachtete ich sie in Muße und fand, daß sie wohl älter geworden sei, aber nur insofern, als das Alter bis zu einem gewissen Zeitpunkt einen Zuwachs an Kraft bedeutet. Die unschuldsvolle, treuherzige Kinderseele strahlte ihr noch von Stirn und Wangen; ihr Mund hatte einen zufriedenen Zug, als ob sie in all den Jahren viel gelacht und niemals geweint habe, was fast zu verwundern war bei der mühevollen Zeit voll herzzerreißender Erfahrungen, die hinter ihr lag. Als wir in die Gegend kamen, von wo aus man unser altes Haus sehen konnte, kehrte sie den Kopf weg, sagte aber kein Wort, und so schwieg ich auch; denn wir wußten ohnehin beide, wie uns zu Mute war. Zuletzt fragte sie jeden Augenblick: »Sind wir jetzt da? jetzt?« vor lauter Erregung, denn sie hörte meine Antwort gar nicht. Als der Wagen stillstand, wich ihr alle Farbe aus dem Gesicht. »Wo?« fragte sie. - »Eine Treppe,« entgegnete ich. Da stürmte sie mit ihrem leichten Schritt vor mir hinauf; aber auf der letzten Stufe stand der Urgroßvater mit ausgebreiteten Armen, und sie warf sich mit einem lauten Schrei so gewaltsam an seine Brust, daß er leicht darüber hätte zu Falle kommen können. Neben ihrer hohen Gestalt wurde es recht deutlich, wie er wenig gebeugt, aber ganz in sich zusammengesunken war.

Danach zog sie uns mit sich fort ins Zimmer und sagte zu mir, während sie Hut und Mantel abwarf: »Ludolf, setze den Urgroßvater in einen Sessel,« und begann durch alle Zimmer zu laufen, sah aus jedem Fenster, überflog die Bilder an den Wänden, feierte ein Wiedersehen mit jedem Gegenstande, dessen sie sich aus früherer Zeit erinnerte, und begleitete das alles mit herzhaften Ausrufen. In allem diesem mahnte sie mich an unsere Mutter, obwohl sie deren makellose Schönheit nicht besaß; dafür aber sah man ihr die Kraft und Gesundheit an, deren sie sich sicher fühlte, was das Auge fast so sehr erfreut wie vollkommene Regelmäßigkeit der Gesichtszüge.

Ich war innerlich voll Unruhe, da ich jeden Augenblick Ezards Schritte hören zu müssen glaubte; indessen kam er nicht, und am Abend erfuhr ich, daß er auf einen oder zwei Tage verreist sei. Sogleich stieg in mir die Vermutung auf, daß er Galeiden unterwegs getroffen habe, um der erste zu sein, der sie begrüßte. Ich fragte sie aber nicht danach, im Grunde deshalb, weil ich Angst hatte, diese unseligen Dinge anzurühren. Lucile hatte erklärt, daß sie die Stadt nicht verlassen würde, da es nicht an ihr sei, vor Galeiden zu weichen. Sehen aber wollte sie sie nicht und würde sie schon zu vermeiden wissen, desgleichen wolle sie dafür sorgen, daß sie von ihren Kindern nicht gesehen werde. Ich teilte dies Galeiden mit, wobei sie mich ruhig anhörte und sagte, daß Lucile das Recht habe, so zu handeln und daß sie trotz aller Sehnsucht, den kleinen Harre wiederzusehen, diesen Wünschen nicht in den Weg treten wolle. Aus eigenem Antrieb setzte sie hinzu, daß sie nicht lange hierbleiben werde, da sie wohl wisse, es gehe nicht an, daß sie und Ezard in derselben Stadt seien. Wie der Urgroßvater das aufnehmen würde, das war freilich eine andere Frage, mit der wir uns einstweilen noch nicht beschäftigten.

Denn da fürs erste alles gut geordnet schien, freute ich mich an Galeidens Gegenwart; sie war so ebenmäßig, ruhig, heiter und zuversichtlich, daß man leichter zu leben glaubte, wenn sie da war und sich zugleich von ihr besänftigt und erfrischt fühlte. Häufig begleitete ich sie zur Geige, die sie wahrhaft schön spielte, daß man, wenn man sie mit ihrer leichten und stolzen Haltung dabei sah, sich gläubig der Meinung hingab, sie werde noch Großes, ja das Höchste in ihrer Kunst leisten. Der Urgroßvater hatte zuerst einige Mühe gehabt, bis er ihre wirkliche Erscheinung mit dem Erinnerungsbilde, das er sich von ihr gemacht hatte, verschmolzen hatte, dann aber wuchs seine Zufriedenheit von Tag zu Tag und steigerte sich ins Ungeheuerliche, als nun noch die Bewunderung der fernerstehenden Menschen dazukam. Denn alte und neue Bekannte drängten sich allgemach heran, um zu sehen, was aus dem wiederkehrenden Fremdling geworden sein möchte. Sie wurde auch eingeladen, öffentlich in einem Konzert aufzutreten; denn die Freuden und Festlichkeiten sollten sich nun von neuem auftun, da die Krankheit dem Winter endlich völlig gewichen war. Die so lange geängsteten Menschen, die sich füglich als wunderbar Gerettete betrachten durften, stürzten sich mit lechzenden Sinnen in die wiedergeschenkten Genüsse, und Galeide, die als Stadtkind, aber in der Fremde geprüft und anerkannt, die Herzen zum voraus für sich hatte, hätte auch ohne bedeutende Leistungen eines ungewöhnlichen Erfolges sicher sein können. Ich muß aber sagen, daß sie den ungemeinen Beifall, der ihr gebracht wurde, auch verdient hatte.

Ezard befand sich unter den Zuhörern, was, da die öffentliche Meinung nun einmal für uns war, für recht und billig gehalten zu werden schien; ich glaube, Ezard und Galeide stellten sich in den Augen der Leute als diejenigen dar, die zwar gefehlt, ihre Verirrung aber durch kräftige, glänzende Handlungen reichlich und rühmlich wieder gutgemacht hätten. Ebenso selbstverständlich schien es, daß Ezard sich nach dem Konzert mit zu uns begab, und ich sah nun die beiden zum ersten Male seit meines Vaters Tode wieder zusammen. Die frohe Unbefangenheit, mit der sie sich begrüßten, bestärkte mich in meiner Vermutung, daß sie sich schon vorher gesehen haben müßten, der Urgroßvater hingegen fand seine Ansicht bestätigt, die nämlich, daß beider Empfindungen sich zu einer guten, geschwisterlichen Freundschaft abgeklärt hätten. Der selige Glücksschimmer, der, sowie sie beieinander waren, von ihnen ausging, hätte ihn eines andern belehren können.

Es waren noch mehrere Bekannte bei uns, darunter jener Wendelin, welcher noch immer ledig war, und zwar einzig deswegen, weil er Galeiden nicht vergessen konnte. Der Armselige hatte sich mit seinen versengten Flügeln sogleich an das Licht geschleppt, das wieder aufging, und erneuerte seine alten Leiden, die er sich mit blinden Hoffnungen zu versüßen suchte. Galeide begegnete ihm mit Unbefangenheit, als ob nichts geschehen wäre, was bei ihr nicht erzwungen war, sondern der Liebesschmerz eines Verschmähten machte so wenig Eindruck auf sie, daß sie ihn nicht einmal zu vergessen brauchte, um mit dem Betroffenen gleichgültig wie mit jedem andern verkehren zu können. Auch hatte sie, ausschließlich und gewaltig wie ihre Leidenschaft war, von keinem Menschen eigentlich Bewußtsein als von Ezard und gab sich mit aller Kraft der Wonne hin, ihn in ihrer Nähe zu wissen. Einige Male wußten sie es unter irgend welchen Vorwänden so einzurichten, daß sie sich auf Augenblicke außerhalb des Gesellschaftszimmers allein sahen; das taten sie mit vergnügter Arglosigkeit wie Brautleute, so völlig schloß das besiegende Gefühl ihrer Einigkeit und Liebe den Gedanken an den Frevel aus, den sie dabei verübten. Diese Unbefangenheit war es gerade, die, worauf sie es freilich nicht ablegten, allen anderen ihren Verkehr als etwas ganz Unverdächtiges erscheinen ließ; denn der Beschauer, welcher das Fehlerhafte von seinem unbeeinflußten Zuschauersitze aus deutlich wahrnehmen kann, begreift selten, daß sich der Verbrecher selbst desselben durchaus nicht in dem Maße bewußt zu werden braucht.

Als die fremden Gäste uns verlassen hatten, blieb Ezard noch zurück. Nun war es, wie wenn Feuer oder Wasser, ein mit Anstrengung gedämpftes Element, freigelassen wird und hervorstürzt. Nicht, daß sich ihre Leidenschaft in verletzenden Liebesäußerungen verraten hätte, aber sie verkündete ihr unnennbares Dasein geheimnisvoll stark, wie der Duft einer Nachtblume, wenn es dunkelt, sich auszuhauchen beginnt. Galeide hatte als Huldigung einen Blumenstrauß erhalten, aus dem hatte man die Rosen herausgenommen und ihr rote und weiße durcheinander ins Haar gesteckt; in diesem Schmucke saß sie da, ruhig und doch glühend wie das Leben selbst, als etwas Berechtigtes und Unumstößliches, das kein Widerspruch auflösen zu können scheint. Das war, wie ich sicher glaube, die Folge der inneren Ruhe, die sie wirklich besaß, die ich aber keineswegs Selbstzufriedenheit oder Selbstgefälligkeit genannt haben möchte; denn wenn sie überhaupt mit sich zufrieden war, so war das unschuldige Dankbarkeit, wie man sich eines Geschenkes freut, oder noch mehr, daß sie ihre Natur und Art als etwas Unabänderliches betrachtete, wobei man besser keine Zeit verliert; zur Eitelkeit war sie viel zu unüberlegt und zu wenig zur Selbstbetrachtung geneigt.

Wenn ich mich zuerst durch die gewaltige Sicherheit dieses Wesens hatte hinreißen lassen, daß ich das Unerhörte in Ezards und Galeidens Verhältnis übersah und ihr inniges Verbundensein als etwas unumstößlich Gegebenes hinnahm, so kehrte mir doch, als wir nun allein waren, die Einsicht zurück, und ich empfand die Gleichgültigkeit, mit der sie sich vor unseren Augen gehen ließen, als verletzende Geringschätzung oder denn als eine Raserei, wie die eines wildgewordenen Tieres, das in seiner Blindheit, ohne es zu wollen, alles vor sich niederwirft. Mein Betragen mochte die beiden zur Besinnung bringen, denn Ezard brach plötzlich auf; dennoch als Galeide erklärte, ihn bis zur Haustür begleiten zu wollen, vermochte ich nicht dazwischenzutreten, sondern blieb untätig zurück, als ob ich angekettet gewesen wäre. Ich glaube, daß der Urgroßvater so gut wie ich mit Zittern die kurzen, ewig erscheinenden Augenblicke zählte, die sie ausblieb. Als sie wieder eintrat, war sie sehr blaß unter ihren roten Rosen und schien einen Vorwurf oder Angriff von uns zu erwarten. Da wir aber still blieben, kniete sie neben dem Urgroßvater nieder und sagte ihm mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit gute Nacht. Es mochte ihm auf einmal die Erkenntnis gekommen sein, daß alle die Hoffnungen, die er sich eingeredet hatte, nichts als Schaum waren, und daß sein Liebling von dem Verhängnis, das ihre eigene Schuld war, unentrinnbar bedroht sei; denn er preßte sie mehrmals heftig an sich, und indem er ihren Kopf zwischen beide Hände nahm, betrachtete er sie mit einem langen, inständigen Blicke.

Es schien nun die Zeit wiederkommen zu sollen, wo man beständig vor einem vernichtenden Wetterschlage bangt und ihn doch zugleich herbeiwünscht, um nur von dem Druck einer entsetzlichen Schwüle so oder so befreit zu werden.

*

 


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