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II

Ich bin in einer norddeutschen Hansastadt geboren, einer Stadt, deren ich niemals gedenken kann ohne Verwünschungen und niemals ohne Tränen. Mein Vater war ein begüterter Kaufmann; aus solchen setzt sich dort die angesehene Bevölkerung zusammen. Diese haben meist viele Länder und Völker gesehen und haben sich dadurch weltmännische Gewandtheit erwerben können. Da man sich in der Fremde weniger gehen lassen kann als zu Hause, haben sie sich eine feine Haltung und gefälliges Wesen angewöhnt, wie man es nicht in vielen Kreisen findet; damit machen sie Eindruck, und es erfüllt mich noch mit Behagen, mich im Geiste in eine Gesellschaft solcher Männer zurückzuversetzen. Wenn sie nun auch viele Sorgen haben, so geht doch alles im großen zu, und solange sie überhaupt mitspielen im Leben, haben sie auch Geld und geben es reichlich aus. Eine wahrhaft gediegene Bildung geht ihnen zwar ab, und sie fragen auch nicht danach, obwohl sie um keinen Preis den Anschein derselben missen möchten. Es ging schön und herrlich zu in meiner Jugendzeit, wie bei den Phäaken. In unserm Hause herrschte diese Art zu leben auch, und doch war vieles anders als bei den anderen. Meine Familie von Vaters Seite war auch nicht von jeher einheimisch in dieser Hansastadt gewesen, erst mein Großvater war eingewandert. Meine Vorväter waren Pfarrherren gewesen, wovon zwar nichts mehr an den Nachkommen haften geblieben war, als ein Hang zur Gelehrsamkeit und zu dem, was über diesem Irdischen ist.

Die Ursleuen der alten Zeit waren vielleicht religiöse Schwärmer; die, deren ich mich entsinne, hielten es nicht mehr mit der Religion, wie das denn jetzt dem Zeitgeiste weniger entsprechend ist. Sie beschäftigten sich mit der Poesie, den Künsten und Wissenschaften, nur obenhin zwar und nach der Weise von Laien, aber gerade darum so recht herzlich und voll Begeisterung und gar nicht wie die übrigen Phäaken, nur um es in den Gesellschaften wieder anwenden zu können. Denn wir lebten meist für uns, das will sagen innerhalb der Familie, die nun freilich groß genug war.

Mein Vater, Ludolf Ursleu der Ältere, mußte seine herrlichen Kräfte leider in kaufmännischen Geschäften und Sorgen aufzehren. Aber aus Rücksicht für uns und aus einem gewissen Schönheitssinn ertrug er das alles heimlich für sich. Denn im Herzen hielt er seine Beschäftigung für ein notwendiges Übel zum Zwecke des Gelderwerbens und verachtete sie; man hielt in unserem Hause für die eigentliche Aufgabe des Menschen, das Leben wie ein schönes Gewand oder Schmuckstück zu tragen, das Haupt hoch zu halten und heiter zu sein. Mein Vater mochte das auch darum für das Allerwürdigste halten, weil meine Mutter zur Verwirklichung solcher Auffassung geschaffen schien.

Wie schön war sie! Wenn man sie ansah, dachte man zwar zuerst nicht an das Schöne, denn sie war vollkommen und deshalb weit weniger auffallend als eine, der noch irgend etwas gemangelt hätte. Aber man wurde heiter und froh diesem Antlitz gegenüber, und soviel ich weiß, kam es auch den Frauen nicht in den Sinn, sie um dieses Vorzuges willen zu beneiden. Sie machte niemals Staat mit ihrer Schönheit, obwohl sie großes Vergnügen an ihr hatte; denn sie war in der Art kindlich, wie man es von den wilden Völkern geschildert liest, und wie solche hätte sie sich mit bunten Glasperlen behängen und ihr Spiegelbild im Wasser anlachen können, ohne daran zu denken, daß sie es sei, die da so reizend hervorglänze. Alles was sie sagte und tat war so lauter und urwüchsig wie ein Quell an der Stelle, wo er oben in prächtiger Waldwildnis aus der Erde herausspringt. Ich pflegte sie als Knabe öfters zu betrachten und darüber nachzusinnen, wie sie im Alter aussehen würde; das machte mich nachdenklich, denn ich konnte es mir in keiner Weise vorstellen, ebensowenig wie man sich die Venus von Milo als eine alternde Frau denken kann. Sie schien in Wahrheit den leichtlebenden, unsterblichen Göttern anzugehören. Mein Vater war wohl auch ein starker und schöner Mann, aber Denken und Sorgen und die Jahre gingen doch nicht über ihn hin, ohne ihre Furchen einzugraben. Als ich den Mythus von der Göttin der Morgenröte und ihrem sterblichen Gatten kennen lernte, wie er in ihren rosigen Armen unaufhaltsam welkte, kamen mir immer meine Eltern in den Sinn, weniger wie sie gegenwärtig waren, als wie ich sie mir in der Zukunft dachte. Meiner Mutter selbst wäre ein solcher Vergleich niemals eingefallen, denn sie dachte überhaupt wenig über sich nach, und empfindsam war sie gar nicht. Nichts, weder Liebe noch Haß, hätte bei ihr eine Leidenschaft werden können. Ihre glückliche Natur stand gewissermaßen mit ihrer Schönheit im Bunde; was sie fühlte war nie so heftig, daß es die letztere hätte verletzen können.

Ich, das älteste Kind, wurde nach meinem Vater benannt. Ich glich ihm aber wenig im Innern und Äußern, immerhin doch so viel, um anderen Leuten gegenüber die Gemeinschaft mit ihm stark zu empfinden. Ich hatte leichteres Blut als er. Das war die Ursache, daß ich eine wildere Jugendzeit durchlebte, als er sich je gewünscht oder gestattet hätte; hernach aber, daß meine Jugend rascher von mir abfiel als von ihm und ich ein griesgrämiger Greis wurde in einem Alter, wo er seinerzeit noch ein stattlicher Mann gewesen war.

Nach mir kam meine Schwester Galeide, von der ich auf diesen Blättern am allermeisten zu sprechen haben werde. Weil sie bei weitem nicht so schön war wie meine Mutter, kam ihr Äußeres bei uns nicht in Betracht. Doch war sie im Grunde ein wonnig Ding, weich und rund an allen Gliedern, bequem und wohlig auf dem Schoß zu haben wie eine junge Katze, still und zufrieden. Sie wurde deshalb gehätschelt und verzogen, was sie sich alles gleichmütig gefallen ließ und nur mit geringer Zärtlichkeit erwiderte. Ich muß aber sagen, daß sie auch sehr anhänglich und liebevoll sein konnte, wenn sie einmal eine Zuneigung gefaßt hatte; böse war sie eigentlich mit niemandem. Sie hatte gern, daß man sie gewähren ließ, und war nicht ungern allein. Sie lag dann etwa in der Sonne und spielte Theater mit den Wolken, oder träumte auch nur und hatte meistens ein Kätzchen, ein Kaninchen oder ein anderes Tier bei sich, wie sie denn überhaupt die Tiere den Menschen vorzuziehen schien. Es war auffallend, wie auch die Tiere sie von jeher aufsuchten und ihr zahm wurden. Weil sie für gewöhnlich sanft und friedfertig war, hatte man sich in der Verwandtschaft angewöhnt, sie »das gute Kind« oder »die gute kleine Galeide« zu nennen. Diese Redensart machte ich nicht mit; denn ich sagte mir immer, gut ist sie eigentlich nicht, sie tut nur, was ihr behagt, und es trifft sich, daß das gerade mit dem Behagen der anderen übereinstimmt.

Gegen mich ist sie immer sehr liebreich gewesen und obwohl ich um mehrere Jahre älter war, oft in mütterlicher Weise. Überhaupt war es eigentümlich, wie sie zugleich so kindisch und so mütterlich sein konnte; das war sie beides, solange sie lebte, dazu freilich auch noch manches andere, wovon ich später reden will.

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