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X

Wie ich mir das vorhin wiedergegebene Gespräch zwischen Ezard und Galeide zurückrufe, kommen mir die neueren Bestrebungen der Frauen, gleiche Rechte mit dem Manne zu erwerben und ihr Wunsch, ihre Persönlichkeit um ihrer selbst willen auszubilden, in den Sinn. Ich hatte infolge einer gewissen Anhänglichkeit an die Schweiz eines meiner Studiensemester in Zürich zugebracht, wo den Frauen die Erlaubnis erteilt worden war, neben den Männern die Universität zu besuchen. Ich hielt dies für eine gröbliche Verirrung des guten Geschmackes und war bereit, das Ärgste von den Mädchen zu glauben, die ich dort antreffen würde. Nun aber tat die flüchtigste Umschau dar, daß es dort weibliche Wesen gab wie anderswo auch, nette und häßliche, gescheite und einfältige, überspannte und vernünftige, zumeist mit etwas mehr Frische und Kernigkeit ausgestattet, als die Hausweiber besitzen. Ich fuhr aber nichtsdestoweniger fort, diese Mädchen grundsätzlich zu mißbilligen und vermied sorgfältig, mich im Gespräch mit ihnen antreffen zu lassen.

Einmal besuchte ich aus Neugierde das Kollegium eines Professors, welcher über ein schwieriges philosophisches Thema las. In den Reihen seiner Zuhörer bemerkte ich ein junges Mädchen, welches mir trotz meiner Vorurteile ungemein anziehend vorkam, von schönem slawischen Typus, mit völlig farblosem, ovalem Gesicht, um das herum kurze, leidenschaftliche Locken der schwärzesten Färbung fielen. Ihre Augen voll trauriger Schwärmerei hingen unverwandt an den Lippen des Professors, und ich konnte nicht umhin, das junge Wesen zu bewundern, das diese trockenen und spitzfindigen Dinge so emsig verständnisvoll in sich aufnahm. Ich besuchte diese Vorlesung nun regelmäßig, und zwar einzig, um mich an dem Anblick des Mädchens zu weiden; denn ich muß sagen, daß ich immer, und vorzüglich damals, zu trägen und prachtliebenden Geistes war, als daß ich mich gern in abstrakte Philosopheme vertieft hätte. Die melancholische Schönheit mit soviel Geistesschärfe vereint bestrickte mich gänzlich und ich faßte den Entschluß, die Bekanntschaft der Fremden zu machen, was auch mit keinerlei Schwierigkeiten verbunden war. Sie benahm sich artig und fein, war sogleich sehr zutraulich gegen mich und hieß Vera mit einem langen, schweren, russischen Geschlechtsnamen. Meine Unfähigkeit, denselben richtig auszusprechen, gab mir den Vorwand, sie Fräulein Vera zu nennen, was sie mir auch lächelnd gestattete. Ich fing zuerst an, mit ihr über die in der Vorlesung behandelten Themata zu reden; da aber erklärte sie mir sogleich, sie besuche dieselbe nicht des Inhaltes wegen, sondern nur um Deutsch sprechen zu hören, denn sie sei der Sprache noch nicht ganz mächtig; sie hätte aber gehört, daß der betreffende Professor ein besonders gutes Deutsch rede, und deshalb gehe sie in alle seine Vorlesungen. Weit entfernt hierdurch entnüchtert zu sein, sagte ich mir frohlockend, mein Gefühl habe mich richtige Wege geleitet, ich habe es mit keinem gelehrten Fräulein, sondern mit einem unschuldigen, fleißigen Mädchen zu tun, und nur deshalb könne sie auch im Besitze einer so rührenden Schönheit sein. Da ich nun mehr Teilnahme für die Verhältnisse der studierenden Russenkolonie hatte, achtete ich auch mehr auf das, was von ihnen erzählt wurde, und darunter wiederholte sich am häufigsten der Bericht von der großen Armut dieser unglücklichen Menschen, die wirklich den Genuß der Wissenschaft mit Entbehrungen des eigenen Leibes erkauften, wie die braven deutschen Gelehrten zur Zeit des Humanismus. Auf einmal kam es mir in den Sinn, daß die blutlose Blässe des geliebten Gesichtchens von unzureichender Ernährung herrühren könne, und wohl wissend, wie jämmerlich ich selbst mich in solcher Lage benehmen würde, ergriff mich ein unbehagliches Mitleiden, und ich beschloß, dies keinen Tag länger mit anzusehen. Die zarteste Art ihr zu helfen schien mir die zu sein, daß ich sie zu Spaziergängen auf den nahen Berg einlud, wobei es sich dann von selbst ergeben würde, daß wir in einem schön gelegenen Wirtsgarten einkehrten, und etwas genossen. Es glückte mir so vortrefflich, wie ich nur hatte hoffen dürfen. Sie ging willig mit mir, war auch so schwächlich und des Wanderns so ungewohnt, daß sie bald auszuruhen verlangte und mir sogar noch einen Rat gab, wo wir am schönsten und besten einkehren könnten. Es war ein freundliches, von Pappeln umgebenes Haus zwischen Weinbergen, von wo wir die rauchende, emsige, weithinverlaufende Stadt tief unter uns sahen und in östlicher Ferne die silbergraue, zackige Linie der Alpen. Ich bestellte Wein, Brot und Käse; mehr wagte ich nicht. Veras Augen leuchteten, und während des Essens und Trinkens wurde sie sehr aufgeräumt und plauderte mit behendem Zünglein, was ich nur hören mochte: von ihren Eltern, ihrer Heimat, den dortigen Zuständen, den Nihilisten und Anarchisten. Es machte sie anfänglich stutzig, daß ich kein solcher war, aber da ich aus meinem vollen, liebenden Herzen bekannte, daß ich in der russischen Barbarei eiligst einer der hervorragendsten werden würde, wurde sie wieder ganz vergnügt und schien über meinen moralischen Wert beruhigt. Ich ließ unter dem Vorwande eigenen unersättlichen Hungers noch mehr Brot und Käse kommen, wovon sie auch noch etwas nahm; zuletzt aber sagte sie mit schüchternem Aufblick ihrer sinnenden Augen, der Käse sei so gut, daß sie gern einer kranken Freundin davon mitnehmen möchte, die das Zimmer mit ihr teile. Ich begriff sogleich, daß sie sich ein Abendessen davon machen wollte und verriet mit keiner Miene, wie gering ich die arzneiliche Wirksamkeit des Käses in krankhaften Zuständen anschlug, vielmehr half ich ihr ein strammes Paketlein von den reichlichen Überresten unserer Mahlzeit zu machen.

Da wir solche Spaziergänge nun häufig wiederholten, nahm sie sichtlich an Wohlbefinden zu, und es war lieblich zu beobachten, wie eine zarte Rosenröte sich immer mehr über ihre Wangen ausdehnte, ähnlich wie im Spätsommer das Aufblühen der Erika eine Purpurwelle über die dürre Heide ergießt, oder wie sich das erwachende Leben in Pygmalions Marmorweibe mit einer leicht durchschimmernden Blutröte angekündigt haben mag.

Auch meine Empfindungen mögen mit denen Pygmalions Ähnlichkeit gehabt haben, insofern als ich mich für den Schöpfer dieser Lieblichkeit hielt und ein Anrecht auf den Liebeslohn der Neubelebten selbstverständlich zu haben glaubte. Als das Semester sich seinem Ende näherte, sah ich ein, daß ich mit dem handgreiflichen Ausdruck meiner Gefühle nun beginnen müsse, denn alle meine stummen Andeutungen in Blicken und Mienen hatte sie bisher nie verstehen wollen. Ich führte deshalb, um genugsam Zeit vor mir zu haben, meine Vera nach einem entfernteren Ziele als gewöhnlich, nach einem anmutigen kleinen Ort am See, wo wir an Wochentagen ganz einsam unter breiten Linden sitzen konnten. Wir tranken dabei von dem heitern, prickelnden Landwein und sahen auf das gelind und regelmäßig bewegte Wasser träumerisch hinaus. Ich schob meine Erklärung noch hinaus, denn es schien mir schade, das friedliche Schlummern der Landschaft zu unterbrechen. Man hörte nichts als das Aufschäumen des Wassers beim Kommen und Gehen der Dampfer und das rieselnde Geplätscher um den Kiel der Kähne, die unablässig vorübergerudert wurden. Da wir so allein waren, bat ich Vera, mir ein russisches Volkslied vorzusingen, was sie mir schon mehrmals versprochen hatte. Sie war auch dazu bereit, setzte sich auf das Geländer, welches den Garten vom See schied, und sah nicht mich an, sondern über das Wasser hin gegen die beleuchteten Berge. Dann fing sie sogleich an, ein Lied zu singen, dessen Inhalt ich nicht verstand, wohl aber die seelenvolle, mit kindlicher Eindringlichkeit immer wiederholte Klage der Melodie, die sich wunderbar mit der klangreichen Sprache verband. Das Lied hatte viele Verse, die sich alle gleich waren, so daß man den Eindruck eines unerschöpflichen, unabänderlichen Wehs empfing, das das duldende Herz zuletzt unbewußt erleidet, wie Kinder unter ihren Tränen einzuschlafen pflegen. Auch mir, der ich zuhörte, ging es so; es kam mir vor, als wäre ich nur ein Schatten in einem Traume, und es wurde mir leicht, zu dem fremdartigen Mädchen, das, nachdem das Lied beendigt war, still auf dem Geländer sitzen geblieben war, von meiner Liebe zu sprechen. Da nun freilich riß mich ihr ängstliches Erschrecken schnell genug aus meiner wonnigen Stimmung.

»Ach,« sagte sie, »ich habe es Ihnen gerade heute mitteilen wollen, da Sie mir so sonderbar vorkamen, nämlich daß ich schon seit geraumer Zeit verheiratet bin.« Das war nun allerdings genug, um meine Schäferlaune ganz und völlig umzublasen und mich, nachdem ich Besinnung und Fassung wiedererlangt hatte, mit einem wohlerworbenen Ingrimm zu erfüllen. Vera schien denselben zwar gar nicht unberechtigt zu finden, ertrug ihn aber mit ziemlicher Leichtherzigkeit und erzählte mir in beschwichtigendem Plaudertone, daß der vermaledeite Gemahl Russe und Student sei wie sie, und daß sie, da seine wie ihre Eltern durch schlechte Ernte und sonstiges russisches Elend schwer betroffen gewesen seien, längere Zeit ohne Geld hätten auskommen müssen. Es sei ihnen sehr kümmerlich ergangen, und sie hätte dem hungernden Gatten stets die Käsebrote mitgenommen, die nach ihrer listigen Angabe für eine kranke Freundin bestimmt gewesen wären. Ich hatte anfänglich Lust, das leichte Wesen zu nehmen und mit kräftigem Schwunge weit in den See hinaus zu werfen, doch legte sich meine Wut, je mehr ich anfing, das Abenteuer seltsam und belustigend zu finden. »Aber,« sagte ich grollend, »war denn der einfältige Tropf nicht eifersüchtig?« »O,« sagte sie, »ich erzählte ihm Wort für Wort wieder, was ich mit Ihnen sprach, und dann bekam er doch das Brot und den Käse; wir sind auch nicht mehr so kindisch, da wir ja schon über ein Jahr verheiratet sind.« Sie erzählte mir weiter, daß die Verhältnisse ihrer Eltern sich gebessert hätten, daß sie wieder Geld bekämen, und daß sie, wie sie mir auch heute hätte ankündigen wollen, auf unsere gemeinsamen Spaziergänge nun verzichten wolle, da sie doch einmal anfangen müsse, gründlich zu studieren. »Ja, das wird denn auch wohl das Beste sein,« sagte ich und führte sie auf dem nächsten Dampfschiff in eintretender Dämmerung nach Hause. Wir trennten uns in Minne, und ich war bei späterer Überlegung im Grunde nicht unzufrieden mit dem gutartigen Ausgang dieser Liebesgeschichte. Auch darf ich mir das Zeugnis ausstellen, daß ich aus dem Ereignis in keiner Weise verallgemeinernde Schlüsse zog und mich mit Äußerungen über die moralische und intellektuelle Beschaffenheit der studierenden Mädchen stets behutsam zurückhielt, da es mir schien, als seien sie besser als ihr Ruf, so daß ich es für unbillig gehalten hätte, denselben aus Gehässigkeit und Rachsucht noch zu verschlechtern.

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