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V

Kaum kann ich es erwarten, und doch zage ich davor, den Schatten des Mannes im Zuge meiner Erinnerung heranschreiten zu sehen, an dem wie an keinem andern meine Seele Anteil nahm. Ich spreche von meinem Vetter Ezard Ursleu, dem einzigen Menschen, der ich hätte sein mögen, da er mir besser gefiel als ich. Sein Vater, mein Onkel Harre, war ein namhafter Arzt in meiner Vaterstadt. Er übte aber, solange ich denken kann, die Praxis nicht mehr aus, ausgenommen in einigen befreundeten Familien, wo er seit Jahren der Hausarzt war. Im übrigen suchte er fortwährend seine Wissenschaft zu ergründen und zu fördern, worin er auch von Erfolgen beglückt war, verfügte über ein ungemeines Wissen in seinem Fache, aber auch auf anderen Gebieten, denn nach der Art unserer Familie beschäftigte er sich mit vielen Dingen, die ihn von Rechts wegen nichts angingen. Es gibt zwar für einen ganzen Menschen nichts, das ihn nichts anginge, aber unsere irdischen Verhältnisse lassen solche nun einmal nicht werden: denn die Erde verschüttet unendlichen Überfluß, und die Schüssel, die wir zum Auffangen haben, ist flach und winzig. Harre Ursleu war indessen mehr als die meisten Menschen zu solcher Handlungsweise berechtigt, weil er mehr faßte als sie, und man durfte ihm nicht nachsagen, er wisse vieles anstatt viel. Seine gute Gesundheit und mäßige Lebensweise ermöglichten ihm stundenlanges Arbeiten und Denken. Er war aber kein Büchermensch, vielmehr stellte sich sein Geist mit soviel Glanz dar, daß man oft ungerechterweise an seiner Tiefe zweifelte, auch genoß er das Leben, und mehr als manchem Sittenrichter erlaubt schien. Aber so wenig er auf sie hörte, so aufmerksam gehorchte er seiner Natur und unternahm nie mehr, als er ohne sich zu schädigen ertragen konnte und hätte es für eine Schmach angesehen, eine wissenschaftliche Sitzung zu verfehlen oder irgend eine Arbeit hintanzusetzen um eines materiellen Vergnügens willen. So war er ein Mann von Bedeutung und der Jugend ein zusagendes Vorbild, da er beides in sich darstellte, was ihr erstrebenswert erscheint, einen in seinem Berufe rühmlich Ausgezeichneten und einen, der die Leckerbissen des Lebens zu würdigen und zu genießen weiß.

Sein Sohn, obwohl von ihm ganz verschieden, war sein vornehmster Stolz. Er sollte etwas Großes werden. Und wo waren dazu bessere Aussichten als in der alten Hansestadt? Er konnte als überseeischer Kaufmann in großartiger Weise den Strom des Goldes leiten zu eigenem und des Vaterlandes Gedeihen, oder als Mitglied unserer Regierung im kleinen Kreise das Ansehen eines Fürsten genießen. Es ist bekannt, daß die Herren einer aristokratisch regierten Republik sich oft mehr dünken als die Könige von Gottes Gnaden, wozu sie freilich auch berechtigt sein dürften; denn unsere jetzt lebenden Fürsten stammen alle nur von Vasallen ab, während sich von den Geschlechtern der alten Städte manche mit Fug Nachkommen der freien Leute unter den germanischen Eroberern nennen. Mein Onkel hielt es nach Erwägung und Verwerfung der anderen Pläne für das beste, seinen Sohn die Rechte studieren zu lassen, da er auf die Art am ehesten an die Spitze der Regierung gelangen konnte.

Ich war noch nicht zwanzig Jahre alt, als Ezard von den Universitäten zurückkehrte und ich zum ersten Male mit vollem Bewußtsein seine Bekanntschaft machte. Er kam gerade an dem Tage, als Galeide konfirmiert wurde und nahm an dem dazu veranstalteten Festessen teil. Die Aufmerksamkeit wandte sich von der eigentlichen Heldin des Tages, die in ihrem schwarzen Schleppenkleide sehr schlank, blaß und betrübt aussah, bald gänzlich auf ihn. Tritt er nicht wie Odysseus unter die Phäaken? so dachte ich. Denn so hatte ich mir den göttlichen Dulder vorgestellt, nicht etwa die Spuren überstandener Leiden im Gesichte, sondern in seiner Erscheinung den Bekämpfer und Besieger des Schicksals verratend. Und es gibt keinen Gegner, gegen den sich erfolgreich gestemmt zu haben so mit Kraftgefühl und Befriedigung erfüllen kann, wie das Schicksal. Ja, mit dem Schritt und der Haltung eines Siegers schritt er einher. Man begann sich gesichert zu fühlen in seiner Nähe, weil man ihm zutraute, er vermöge alle Widerwärtigkeiten des Lebens zu überwinden. Worin das eigentlich lag? Er war als Mann nicht groß; schlank, ebenmäßig. Seine Schönheit war edel und maßvoll, aber höchst eindringlich dadurch, daß sie vollkommen mit dem seelischen Ausdruck verschmolz; man hätte glauben können, sein Gesicht sei nur durch den Adel des Ausdrucks schön, wiederum, es sei nur die äußere Harmonie der Züge, welche die Erscheinung des Seelenvollen hervorbringe.

Ich empfand dies alles damals, ohne es mir ganz einzugestehen; denn ich war in den Jahren der Anmaßung und überhaupt zu gut beanlagt und ausgestattet, um mich mit dem Bewundern und Trabantsein in der Welt zu begnügen und nicht selbst etwas vorstellen zu wollen. Mein Vetter Ezard besaß die Zierde angeborener, natürlicher Bescheidenheit, die man wohl eine Zwillingsschwester der Schönheit nennen kann; ich meine der Schönheit, die das feine Gemüt durchschimmern läßt, das sie erfüllt und belebt, einem venezianischen Glaskelch von grüner Farbe vergleichbar, der seinen wahren Sinn erst dartut, wenn das tiefe Gold edelsten Rheinweins ihn durchleuchtet. Es hatte wohl kaum jemals ein Mensch meinem Vetter Ezard Liebe und Anerkennung versagt; eitel zu sein hatte er also auch keine Ursache. Man sagt, daß die Schäfer eine besondere Art haben, ihre Tiere anzugreifen, so daß sie sich geduldig von ihnen scheren lassen. Solchen glücklichen Griff hatte Ezard in der Behandlung der Menschen, die ihm gegenüber stets das Beste ihres Innern hergaben, freilich ebensoviel zum eigenen Vorteile wie zu seinem.

Es zeigte sich bald, daß Ezard ein besonderes Wohlgefallen an Lucile fand. Nach der Art reich entwickelter Männer, welche zu den Vorzügen ihres Geschlechtes auch einige des weiblichen mitbesitzen, bewunderte er hauptsächlich solche Frauen, die durch Selbständigkeit, Eigenart und Tatkraft hervorragten. Lucile ihrerseits war mit einem Schlage von Ezard bezaubert. Aber sie verbarg es hinter einer anmutigen Sprödigkeit, widersprach keinem so viel wie ihm, wobei sie äußerst launig und anregend sein konnte, und baute gewissermaßen eine Festungsmauer um sich herum, die für seine Jugendkraft und Lust zu handeln und sich zu regen ein neuer Antrieb war, dies Mädchen zu erringen. Onkel Harre liebte es, sich im Gespräch mit ihr zu messen. Sie bewunderte ihn; die Rastlosigkeit seines Geistes, der wie ein Wasserfall dahinschoß, jeden darübergleitenden Strahl in alle Regenbogenfarben zersplitterte und mit dem vielfarbigen Geschmeide spielte, blendete und entzückte sie. Ihn belustigte die gerüstete Unerschrockenheit, mit der sie ihn bald hierin bald darin angriff und tadelte. Häufig gab die Religion Anlaß zu Streitigkeiten. Lucile war, der Tradition ihrer Familie folgend, Katholikin. Das veranlaßte den Onkel, sie mit dem, was er für ungeheuerliche Auswüchse dieses Glaubens hielt, und was sich durch einen geschickten Redekünstler leicht als etwas Abenteuerliches und Widersinniges darstellen läßt, zu necken und zu reizen, was sie nicht ungern hatte, da es ihr Gelegenheit gab, ihren Glauben in beredten Auslassungen zu verteidigen. Galeide schämte sich bei solchen Gelegenheiten, daß sie sich zu keiner Partei mehr oder weniger hingezogen fühlte, und hätte gern ein heiliges Flämmchen der Gläubigkeit in ihrer unschuldigen Brust angezündet. Der Urgroßvater pflegte diejenige zu unterstützen, welche am schwächsten schien, oder er bildete für sich eine neue, indem er die buddhistischen oder meinetwegen parsischen Meinungen als die Fundgrube überirdischer Weisheit anpries. Onkel Harre begünstigte die Neigung seines Sohnes, solange er sie für eine Spielerei ansah, aber er betonte, daß er nie etwas Ernstliches daraus werden sehen wolle. Eine schweizerische Erzieherin zu heiraten, das war nicht, was er für Ezard erhofft hatte. Immerhin hätte dieses Vorurteil sich überwinden lassen; denn Harre Ursleu war kein gemeiner Jäger nach weltlichen Vorteilen und noch weniger ein barbarischer Vater, der dem Herzen seines Kindes nicht gegönnt hätte, sich auszuleben. Aber Lucile war die Frau nicht, die einen bedeutsamen Eindruck auf ihn ausüben konnte. »Sie hat Verstand, das kleine Ding,« sagte er von ihr. »Ihr Geist zuckt beständig wie ein Fixstern; aber ich ziehe das stille, stete Leuchten der großen Planeten vor. Ich frage auch, was für ein Modell könnte sie einem Bildhauer sein? Eine Hexe? Lächerlich! Eine Venus? Unmöglich! Eine Diana? Gott bewahre! Sie ist zu allem zu klein. Als Minerva könnte man sie sich am ehesten denken, wenn nicht wiederum die geringen Dimensionen störten. Ihr Körper ist zu klein, als daß sie ein herrliches Weib, und ihr Geist ist zu groß, als daß sie ein niedliches Püppchen sein könnte. Ich will wohl in Gesellschaft neben ihr sitzen, aber in meiner Familie will ich sie nicht haben.«

Ezard ließ sich durch die Meinung seines Vaters nicht im geringsten erschüttern. Ihm mochte manches an Lucile gefallen, was Onkel Harre selbst an sich hatte und darum an andern nicht bemerkte oder nicht schätzte. Er umwarb sie, und sie war von dieser Neigung, wie von einer bengalischen Flamme beleuchtet, hübscher, feuriger, kräftiger als früher. Galeidens liebevolle Aufmerksamkeiten setzten da ein, wo Ezard die seinigen einmal unterbrechen mußte. Das Glück trug sie froh dahin wie eine große Welle ihr glitzerndes, stolzes Schaumkrönchen. Es war ein lustiges Leben damals im Hause der Ursleuen; es ging den Berg hinan, und jeder war sich noch eines solchen Vorrats von Kräften bewußt, daß er getrost davon verausgaben mochte.

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