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XVII

Das Ansehen, das unser Name, und das im besonderen Onkel Harre und sein Sohn Ezard genoß, war die Ursache, daß mein Onkel es ohne Mühe einrichten konnte, meinem Vetter einen Teil seiner Geschäfte zu übertragen. Er tat das umso lieber, als er anfing, eine Menge Zeit auf das Töchterchen zu verwenden, das ihm Eva geboren hatte. Seine Liebe für die junge Frau vertiefte und verstärkte sich mehr und mehr und ruhte nun auf einem sichereren Grunde als zuvor. Man konnte sich auch kaum etwas Reizenderes denken, als die zierliche blonde Mutter mit dem winzigen Geschöpfchen, das sie zur Welt gebracht hatte; es sah aus, als wenn ein halbwüchsiges Mädchen mit der Puppe hantiert. Dabei war sie aber bei weitem vernünftiger, als der Anschein verriet, und übte alle mütterlichen Pflichten mit der größten Bravheit und Zuverlässigkeit aus. Dagegen war ihr Gefühl für meinen Onkel in der Art, wie sie es anfänglich gehabt haben mochte, ein für allemal erloschen. Wäre sie nicht seine Frau geworden, so hätte sie vielleicht in Ewigkeit eine schwärmerische Verehrung für ihn gehegt; nun aber stand sie ihm dazu zu nahe, und es war noch ein Glück, daß sie den Vater ihres Kindes in seiner Person hochhielt und auch gescheit genug war, um die Bedeutung seines Charakters und seines Geistes nie zu verkennen, überhaupt war sie keine von jenen Urnaturen, die mit den Elementen zugleich entstanden zu sein scheinen und deren blind und mächtig wirkende Seele haben; vielmehr schien sie eine liebliche Miniaturmalerei Gottes zu sein, von seiner sorgfältig pinselnden Hand an ein feines Plätzchen im Buche der Menschheit gesetzt.

Seit dem Tage, an dem ich Eva so innig weinen gesehen hatte, war ich ein häufiger Gast in meines Onkels Hause, war auch Pate des Töchterchens gewesen und hatte mir geschworen, das zarte Wesen zwar nicht gerade im Christentum zu erziehen, wie ich vor dem Taufbecken versprechen mußte, wohl aber ihm in meiner Person einen zweiten Vater zu bewahren, in dessen Genuß es treten könne, sowie es seiner bedürfe. Es wurde auf meinen Wunsch nach meiner Mama Heileke genannt; fast täglich kam ich, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen und es zu betrachten. Eva empfing mich stets mit herzlichem Vergnügen, schmückte sich mit den Blumen, die ich selten vergaß ihr mitzubringen, ließ mich ihr etwas auf dem Klavier vorspielen und bat mich, wenn ich ging, am folgenden Tage wiederzukommen. Onkel Harre sah meine Besuche gern, wie er mich denn von jeher als einen vielversprechenden Burschen begünstigt hatte, lud mich auch oft ein, das Mittag- oder Abendessen mit ihnen zu nehmen, was ich aber nie tat, ohne zuvor Eva gefragt zu haben, ob es ihr angenehm sei.

Zuweilen traf ich dort mit Ezard zusammen, der seit jener geschäftlichen Übereinkunft, von der ich erzählt habe, stets vielerlei mit seinem Vater zu bereden hatte, und wenn er ihn nicht zu Hause traf, im Wohnzimmer auf ihn zu warten pflegte. Eva war gegen ihn nicht freundlicher als gegen mich, wohl aber ganz anders; denn während sie zum Beispiel mir die kleine Heileke brachte und mich auf alle Art mit ihr plagte, indem ich sie tragen oder wiegen oder in Schlaf singen sollte, hielt sie sie stets ängstlich fern, wenn Ezard kam, damit er nur ja nicht durch ihre Unruhe gestört würde (dabei liebte er aber im allgemeinen kleine Kinder weit mehr als ich, wußte auch besser mit ihnen zu verkehren), war überhaupt ganz still und verschlang jedes seiner Worte mehr mit den Augen als mit den Ohren, als wäre es ein Orakel, das man nicht erst auf seinen Inhalt zu prüfen, sondern sogleich gläubig zu verehren habe. Das fiel mir bald auf, und ich ärgerte mich nicht wenig darüber, legte es auch zeitweise Ezard zur Last, obgleich er durchaus nicht schuld daran war; ich muß sogar sagen, daß er Evas Gesellschaft nicht aufsuchte, sondern sie vermied, soviel er konnte, ohne seinen Vater zu verletzen. In dieser Stimmung suchte ich leicht Händel mit ihm, wenn ich bei Eva mit ihm zusammentraf, und so sagte ich denn auch einmal zu ihm im Hinblick auf sein Umherreisen und seine mannigfaltige Tätigkeit, worüber ich mir zwar bisher wenig Gedanken gemacht hatte: »Wie lange werden eigentlich deine Erforschungsreisen noch dauern? Viele Männer von Urteil verwundern sich, daß du deinen ehrenvollen Beruf vernachlässigst, um dich mit Dingen abzugeben, die dir ganz fern liegen. Man erzählt sich, du studiertest auch beiläufig Medizin, und betrachtet dich schon ganz als einen Mann, von dem sich lustig reden läßt. Es ist das alles nicht gerade rühmlich und angenehm für unsere Familie.« Daraufhin hätte Ezard mich leicht fragen können, was ich denn schon getan hätte, um den Glanz unseres Namens zu erhöhen; doch unterdrückte er diese allzu naheliegende Bemerkung in der Feinheit seines Denkens und sagte nur, diese Beschäftigung sage ihm zu, und er hoffe, sie werde der Stadt und auch der Familie Nutzen bringen. Er war, sowie ich diesen Punkt berührt hatte, sehr blaß geworden, und sein Gesicht schien sich zu versteinern, gleichsam als rüste er sich, einen Angriff abzuwehren. Eva betrachtete ihn unverwandt voll hingebenden Mitgefühls und sagte schüchtern: »Wir bedauern es ja nur deshalb, lieber Ezard, weil dich dein jetziges Leben uns so viel entzieht, und wir alle, besonders Lucile, entbehren dich ungern.« - »Es muß ein jeder vieles entbehren lernen,« sagte Ezard kalt. Eva faltete krampfhaft ihre kleinen Hände und sagte noch leiser als vorhin: »Lieber Ezard, wenn ich dir doch helfen und dich so recht glücklich machen könnte. Siehst du, das, was wir für das Allerhöchste und Schönste ansehen, das erwerben wir fast nie im Leben. Aber könnte es dich nicht zufrieden machen, zu wissen, daß deine Frau ihr ganzes Glück in dir findet, und deine Kinder, die ja so lieb und schön sind, unter deinen Augen fröhlich heranwachsen zu sehen? Mehr als das wird so wenigen zu teil, und du sagtest ja eben selbst, es müßten alle entbehren lernen.« Hierauf entgegnete Ezard ungefähr mit folgenden Worten: »Daß es meine Pflicht wäre, mich mehr um Frau und Kinder zu bekümmern, weiß ich gut genug. Ihr tut, wenn ihr es mir vorhaltet, was ihr müßt, und ich tue, was ich kann. Was ich nicht kann, ist: liebevoll scheinen, wo ich es nicht bin. Was ich kann, mag euch wenig scheinen, aber es kostet mich mein ganzes Leben. Wir wollen diese Unterhaltung lieber abbrechen.« Hiermit stand er auf und entfernte sich, und wir beide sahen vor uns nieder, ich mit finsterer Miene, Eva um die Tränen zu verbergen, die über ihr bekümmertes Gesicht liefen. Ich ward ihrer aber trotzdem gewahr und sog meinem Grolle neue Nahrung daraus. Als nun Eva sogar, in kindlicher Ratlosigkeit bestrebt, irgend jemand für alles Unglück verantwortlich zu machen, zu mir sagte, ich hätte von diesen Dingen lieber nicht anfangen sollen zu sprechen, konnte ich vollends nicht mehr an mich halten, sagte noch ein paar bissige Worte und ging im hellsten Mißmut davon. An der Haustür traf ich mit Ezard zusammen, der wohl nicht länger auf seinen Vater warten wollte, und benutzte meine augenblickliche Aufwallung, um ihm alles das vorzuwerfen, wozu ich bei ruhiger Stimmung den Mut nicht fand. Gegen den Willen seines Vaters, sagte ich, habe er Lucile geheiratet; auf einmal habe ihm Galeide besser gefallen, und er habe ihr argloses Gemüt mit Wünschen und Leidenschaften erfüllt, die sie zum Unglück führen müßten. Meinen Vater habe er dadurch seiner letzten Lebensfreude beraubt. Nun werde seine eigene Stiefmutter sich noch in ihn verlieben, und es bereiteten sich durch diese Dinge Greuel in unserer Familie vor, wie sie die sagenhaften Geschlechter des Altertums, die man aber unter einem Fluche der Götter leidend gedacht hätte, bis auf den heutigen Tag furchtbar denkwürdig gemacht hätten. Bereits sei aller Friede und alle Vertraulichkeit aus unserm Hause entflohen, und nichts bleibe als Verwirrungen, die ein schreckliches Ende herbeiführen würden. Ezard hörte das alles ruhig an und erwiderte: »Ja, das ist alles wahr, und ich wünsche dir nur, daß du dir niemals in langen, schlaflosen Nächten solche Sachen selber sagen mußt. Was aber Eva anbetrifft, so mag es wohl sein, daß sie mich lieb hat, jedoch nicht mehr als dich, und ich sehe zu meiner Freude, daß mein Vater sich täglich glücklicher und zufriedener mit ihr fühlt. Es kann nicht ausbleiben, daß ihr das nach und nach auch Befriedigung gewährt, die sie ja übrigens jetzt schon in ihrem Kinde findet.« Er sagte dann noch kurz: »Grüße Galeiden!« und verabschiedete sich von mir.

Zum ersten Male kam es mir in den Sinn, warum eigentlich ein solches Elend, wie es Ezard und Galeide durch ihre Liebe trugen, durchaus bestehen bleiben müsse. Ich vergegenwärtigte mir ihre beiden hohen, kräftigen Gestalten, wie ich sie öfter nebeneinander gesehen hatte, und konnte nicht anders als ein Wohlgefallen dabei empfinden, was jede völlige Harmonie in der Seele erweckt. Wenn zwei so füreinander bestimmt zu sein scheinen, dachte ich, ist das nicht ein Fingerzeig Gottes oder der allweisen Natur, daß sie zusammen sein sollen? Ist solch eine Leidenschaft etwas anderes, als der Wille der Natur, der sich zuerst durch liebliche Anzeichen verkündet, dann aber, wenn man ihm widersteht, verheerend dahinfährt? Das nennt man Verhängnis und Schicksal. So sind im Grunde nicht sie es, die sündigen, sondern die Menschen, die nicht erkennen, was aus ihnen spricht, und ihre erkünstelten Formen an die Stelle des Natürlichen gesetzt haben.

Mit diesen Gedanken im Sinne richtete ich Galeiden meines Vetters Gruß aus, worüber sie zuerst errötete und glücklich lächelte; dann aber, wohl bedenkend, daß er neben mir gegangen, ihr so nah, und doch so unerreichbar weit war, verfiel sie in Traurigkeit. Um sie zu trösten, forderte ich sie auf, da ich nichts Besseres wußte, mit mir zu musizieren. Sie ging darauf ein, aber sie spielte so seelenlos, daß ich mich verwundert nach ihr umsah, und da bemerkte ich im Spiegel, daß ihr Gesicht denselben versteinerten Ausdruck angenommen hatte, den ich vorhin an Ezard beobachtet hatte. Ja, dachte ich, diese Liebe ist kein Frevel, sie ist Verhängnis. Sie sind von Gott ergriffen so gut wie die Propheten, und man steinigt sie wie jene. Ich hatte aber nicht den Mut, irgend jemandem gegenüber für sie einzutreten, sondern ließ die Dinge weitergehen, wie sie zuvor gegangen waren, und fühlte mich wie ein Weltweiser, der zwischen den flutenden Ereignissen steht und nichts verurteilt, weil er alles versteht.

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