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III

Wer meine Vaterstadt schön nennt, der liebt breite und gerade Straßen, große und reinliche Häuser und viereckige Plätze. Mir ist alles das zuwider. Es gibt da auch alte Quartiere, aber sie weisen sich als solche nur durch ihren Schmutz und ihre Enge und Dumpfheit aus, nicht durch ein würdiges Antlitz voll Erinnerung. Ja, in Schwaben sollte man leben, in den uralten Reichsstädten, in denen man einhergeht wie mitten in einem liebreichen Märchen der Vorzeit. In meiner Knabenzeit freilich verstand ich davon nichts, einesteils weil ich es nicht kannte, dann aber hätten mir auch die Kenntnisse und die Erfahrung dazu gefehlt.

Anders ist es mit der Natur; das Verständnis ihrer Sprache wird mit uns geboren. Ja, sie ist die älteste und treueste und echteste Freundin der Menschen. Einer, an dessen Wiege sie nicht steht, und dessen Jugend sie nicht behütet, auf dem liegt ein Fluch; seine Seele wird nie gelöst, sein Busen kann sich nie ganz eröffnen, er ist wie ein Keim, dem die Sonne fehlt. Ich wäre auch anders geworden, wenn ich in der Schweiz geboren wäre. Denn ich glaube, mein Genius war nicht übel geartet, und es fehlte nur wenig, daß ich etwas Rechtes geworden wäre. Aber wenig oder viel, fehlt überhaupt etwas, so ist es mißraten und taugt nichts.

Als ich ein Knabe von dreizehn Jahren war, nahmen meine Eltern mich mit in die Schweiz. Damals war ich noch leidlich brav, fleißig und verständig. Als ich nun die Berge eine Zeitlang gesehen und mich an sie gewöhnt hatte, kam ein nie geahntes und wahrhaft himmlisches Glück über mich. Ich liebte den Wald und die weißen Bergköpfe mit stürmischer Zärtlichkeit, Demut und Angst. Ich kann mich noch wohl in meine unschuldigen und seligen Gefühle aus jener Zeit versetzen, und kann es nicht ohne Rührung. Ich meine das zutrauliche Bübchen zu sehen unter den gewaltigen guten Tannen und zwischen den Felsblöcken mit ihren verwitterten Gesichtern. Galeide war auch mit, und ohne großes Erstaunen von sich zu geben, rannte sie mit wilder Freude in diese schöne Natur hinein, als ob sie es nie anders gehabt hätte. Während ich mich gern in den schönen Wäldern im Tale erging, verlangte sie beständig auf die hohen Berge hinauf, zu deren Besteigung sie auch eine Kraft und ein Geschick zeigte, die an einem Kinde ihres Alters in Erstaunen setzten. Wenn wir auf einer Höhe ankamen, pflegte sie vorauszuspringen, ein bacchantisches Triumphgeschrei erschallen zu lassen und ihre Locken im Winde zu schütteln.

Dies ärgerte mich, da ich es für indianermäßig, unästhetisch und ganz unmädchenhaft ansah. Indem ich es mir jetzt vergegenwärtige, sage ich mir, daß es immerhin charakteristisch für meine Schwester Galeide war.

Sie bekam einmal, während wir im Gebirge waren, ein Murmeltier geschenkt, worüber sie eine unsinnige Freude hatte, die mich auch ärgerte. Noch mehr die närrische Art, in der sie sich mit dem Tiere gebärdete, als ob es viel vorzüglicher sei als alle Menschen. Später, als wir wieder zu Hause waren, paßte das Bergestier nicht mehr in unsere städtischen Verhältnisse, und unsere Eltern nahmen es Galeiden fort. Sowie sie das erfuhr, erzeugte der Kummer ein heftiges Fieber in ihr; ich sehe sie noch, in einen goldfarbigen Plüschsessel gekauert, mit halber Stimme seltsam singen in ihren Phantasien. Der Zustand war so beängstigend und keineswegs von ihr erkünstelt, daß man ihr das Tier wiedergeben mußte. Das Merkwürdigste ist nun dies: als es starb, während sie gerade nicht zu Hause war, bemächtigte sich der ganzen Familie ernste Besorgnis vor Galeidens wilden Schmerzensausbrüchen. Keiner mochte der Überbringer so gräßlicher Nachricht sein (über die im Grunde jeder vernünftige und reinliche Hausbewohner von ganzem Herzen erfreute Loblieder anstimmte). Mit höchster Zartheit und Schonung wurde ihr endlich der Todesfall mitgeteilt, aber siehe da! nicht ein einziges Tränlein rötete ihre milden Augen. Sie streichelte den pelzigen kleinen Leichnam liebevoll und bemitleidete das Tierchen in den holdseligsten Ausdrücken, daß ihm sein lustiges Lebensfädlein so früh durchschnitten sei. Auch bewahrte sie ihm ein wahrhaft treues Andenken und erzählte stets gern Histörchen und Anekdoten aus Urselinos Leben (so hatte sie die unselige Kreatur benannt); wollte auch nie ein anderes haben. Aber ich hatte immer den Verdacht, als freue sie sich über das hübsche Bildchen, das als Zuwachs in ihren Gedächtnis- und Erinnerungskasten gekommen war.

Während meine jüngere Schwester solchergestalt noch mit ganz einfachen und kindlichen Leidenschaften wirtschaftete, entspann sich für mich das erste Liebesabenteuer. Ich kann nicht umhin, dieses artigen Geschichtchens hier zu gedenken; es verlief so unschuldig und sittig, wie es mir leider späterhin nicht mehr geraten ist. Hätte ich immer mit der Seele jenes dreizehnjährigen Bürschchens fürliebgenommen! So wäre manches nicht gewesen, was mich damals wenig beglückte, und dessen ich mich jetzt schäme.

Nun also: Wir waren an dem unsäglich schönen Wallensee, dem man tückische Wildheit nachsagt. Ich liebte ihn dafür umsomehr, daß er die Menschen befehdete, die ihn befuhren, und hegte daneben die Zuversicht, er werde wohl wissen, daß ich jenen nicht beizurechnen, sondern ein Mensch für sich sei, der ihn wohl verstehe und heilig halte. Außerdem hielt ich es für ein seliges Los, unter diesen grünen Wellenhügeln begraben zu sein und durch das bewegliche smaragdene Glas unbeweglich in den blauen Himmel darüber sehen zu können. Meine Eltern erlaubten mir aber niemals, allein auf den See zu gehen. Hierüber war ich anfangs schwer beleidigt und erschien mir für ewig geschändet, als mir der Schiffsmann einmal zur Begleitung sein Töchterlein mitgab, welches allem Anscheine nach jünger als ich war. Dies Ding, Kordula, ergriff behende die großen Ruder und setzte sie in Bewegung, und ich betrachtete voll Verwunderung die mageren, aber höchst zierlichen braunen Arme, wie sie wacker und unermüdlich arbeiteten. Ihre Haare waren ein wenig zottig, was ich aber bald, entgegen meiner sonstigen Geschmacksrichtung, sehr liebreizend fand; ihre dunklen Augen waren nicht groß, aber gluh und nicht ohne eine gutmütige Schlauheit im Ausdruck. Als sie anfing zu reden, entrüstete sich aber mein Schönheitsgefühl, und ich begann sie ärgerlich zu kritisieren wegen ihres heimatlichen Dialektes. Das ließ sie sich aber mit nichten gefallen, sondern sagte, das sei schön und vaterländisch, hingegen wir draußen im Reich müßten den Königen dienen, uns bücken wie Sklaven, kurz, wir seien nicht frei und könnten nicht tun, was wir wollten. Das reizte mich aufs höchste, und ich erinnerte mich mit Vergnügen, daß ich auch ein Republikaner war, was ich ihr aber nicht begreiflich machen konnte. Bald erlosch mein Übermut völlig und löste sich in Bewunderung des kühnen Schweizermädchens auf. Im Schatten der reckenhaften Churfirsten auf dem lauteren Wasser des Bergsees wurde es mir nicht schwer, mir mein Vaterland als schmachvoll geknechtet vorzustellen, und das kernigere Wesen der Schweizer, die Kraft und die Derbheit der Bergleute hielt ich alles für einen Ausfluß ihrer glücklichen Freiheitslage. In der Art verschmolz mir das braune Mädchen Kordula mit dem edelsten Gedanken, den der Mensch denken kann, mit der Freiheitsphantasie, und mein Herz bekam soviel Inhalt, daß ich ordentlich schwer daran zu tragen hatte; aber man lebt ja desto leichter, je voller das Herz ist.

Die Kordula hatte trotz ihrer gutgemeinten Vaterlandsprahlerei eine nicht geringe Ehrfurcht vor weithergekommenen Städtern mit ihren feineren Lebensgewohnheiten, so daß ihre Bewunderung meiner Person ungefähr ebensogroß war wie die meine der ihrigen, und das machte unsere Liebe zu einer so erfreulichen Erscheinung. Meine Eltern hielten sie für ein allerliebstes Idyll und behinderten uns gar nicht, verrieten auch nicht einmal das Vergnügen, das wir ihnen gewährten.

Einmal an einem Abend fuhren wir im Kahn, als die Sonne sich neigte. Ein Eisenbahnzug sauste schnaubend vorüber. Es wurde mir weich und wohl, als ich ihn dahinfahren sah, ohne mit ihm zu müssen, was doch einmal zu geschehen hatte; aber noch nicht. Als er vorbei war, erschien die Stille tiefer als vorher. Das Eisgrau der Bergspitzen nahm in der Sonnenbeleuchtung allmählich eine warme Veilchenfarbe an. Der See war ganz glatt und schien selbst atemlos das Wunder um sich her anzuschauen. Während ich unsagbar grenzenlose Empfindungen fühlte, gestaltete sich das in Kordulas Innern zu etwas ganz Bestimmtem, und sie fing plötzlich an, ein pathetisches Vaterlandsgedicht aufzusagen, welches sie in der Schule gelernt haben mochte.

Ich war über alle Maßen davon ergriffen. Eine heiße Verzweiflung erfaßte mich, daß ich kein Schweizer war und diese Berge und das geliebte grüne Wasser nicht mein nennen konnte. Ich machte nun auch Verse, richtete sie alle an Kordula und gab sie ihr. Ob sie sie nun verstand oder nicht, sah sie doch, daß es Reime waren, und also war ich für sie ein Dichter; denn zwischen guten und schlechten unterscheiden konnte sie noch nicht. Sie sah mich seitdem mit vergrößerter Ehrfurcht an, und besonders gern betrachtete sie meine Augen. Einmal fragte ich, was sie denn da sehe; da antwortete sie mit einem recht lieblichen Bilde: ich sehe deine Gedanken darin herumschwimmen wie schwänzelnde Fischlein in einem See, viele, viele. Ich wurde rot und schämte mich und war doch so stolz und froh wie noch nie.

Zuletzt mußten wir dennoch Abschied voneinander nehmen; das war herzzerbrechend. Das Allerschlimmste aber kam erst, als wir wieder daheim waren. Auszugehen war mir verleidet, und auf dem Wege zur Schule schlug ich trotzig die Augen nieder, um die verhaßten Steinhäuser und den ungeschmückten Horizont nicht sehen zu müssen. Am liebsten saß ich zu Hause und weinte und weinte in meinem untröstlichen Heimweh, und das Seligste, was ich mir auszudenken vermochte, war ein Grab im Wallensee unter den Zacken der Churfirsten. Es war ein großes Elend, und im Grunde hatte ich nicht so unrecht, zu weinen. Wenn man sich von der Natur entfernt, so entfernt man sich vom Guten und Schönen, und vor allem vom Glück. Ich hätte als Hirtenknabe auf einer Alp geboren werden sollen; dann säße ich wohl jetzt noch und jodelte und juchheite, anstatt daß ich hier im Kloster eine schleichende Träne erdrücke, wenn es von den Bergen herüber in mein kahles Gemach tönt.

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