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VII

Ich erzählte zu Hause von meinen Liebesabenteuern nur dem Urgroßvater, der mich selbst dazu ermunterte. Man darf sich aber nicht vorstellen, ihn habe eine häßliche Lüsternheit dazu bewogen; denn was ihn antrieb, lag ganz anderswo und ließe sich eher moralisch nennen. Er war überzeugt, daß das Gemüt aus jeder Liebesangelegenheit bereichert hervorgehe, wie sich der Körper im Turnen und jedem Gebrauch seiner Kräfte stählt. Da ich ihn wohl kannte, pflegte ich meine Geschichten romantisch auszuschmücken und vorzüglich mit allerhand Bemerkungen aus dem Gebiete der Seelenkunde zu verbrämen, als ob ich eigentlich mehr zum Behuf einer psychologischen Studie, als um des Vergnügens willen geliebt hätte. Ich erlog dies zwar nicht ganz, aber meine diesbezüglichen Beobachtungen kamen mir meist erst in dem Augenblick zum Bewußtsein, wo ich dem Urgroßvater gegenüber saß und erzählte. Er selbst besaß so viel natürliche Menschenkenntnis und Lebhaftigkeit, daß er über die in Frage kommenden Personen die zutreffendsten, feinsten Urteile fällen konnte, als hätte er jahrelang mit ihnen verkehrt.

Er schrieb mir auch, wenn ich fort war, über alles was zu Hause vorging, geistreiche und anmutige Briefe, in denen sein ganzes Wesen wie auf einer Photographie niedergelegt war, bis auf das allerjüngste Fältchen. Es belustigte mich besonders, wahrzunehmen, wie sich in jedem Briefe seine hauptsächliche Zu- und Abneigung verriet, nämlich die überschwengliche Liebe zu Galeiden und die Feindseligkeit gegen Onkel Harre. Denn Onkel Harre hielt er für einen nicht gut konstruierten Menschen, etwa einem gotischen Dome der Spätzeit ähnlich, den der ungewissenhafte Baumeister mit Hintansetzung der Kunstregeln in zu kühnen Formen hat aufschießen lassen, als daß sie sich noch selbst zu tragen vermöchten. Mit solchen Aussprüchen suchte er seine Abneigung vor sich zu erklären und zu rechtfertigen.

Um die Zeit, von der ich spreche, wurmte es ihn besonders, daß die Beziehungen zwischen meinem Vetter Ezard und Lucile Leroy sich immer fester knüpften; denn er hatte Ezard, dem er sehr gewogen war, meiner Schwester Galeide zugedacht und hielt diesen Plan, da er sich einmal in ihm festgesetzt hatte, für den Willen der Vorsehung, der mit allen Mitteln auszuführen sei. Er war also in dem einen Punkte mit Onkel Harre einig, daß Ezard nicht die Lucile heimführen dürfe. Aber dessenungeachtet maß er die Hauptschuld an der Durchkreuzung seiner Hoffnungen eben diesem zu; denn so fein auch sein Verstand war, immer trugen es seine Gefühle über ihn davon und verführten ihn zu den absonderlichsten Verstößen gegen die klare Logik. So behauptete er, durch sein verfrühtes, unvernünftiges Reden gegen eine Heirat mit Lucile habe Onkel Harre einen solchen Gedanken erst in Ezard geweckt, ja, durch seine Sucht, ihn eine möglichst vorteilhafte Verbindung eingehen zu lassen, habe er in seinem Sohne, der das natürlich nicht billigen könne, die Gegensucht rege gemacht, nun gerade eine Frau heimzuführen, die ihm nichts als sich selber mitbringe.

In Wahrheit lag ein solcher Eigensinn gar nicht in Ezards Art; er sah nun einmal sein Heil in dem braunaugigen, feurigen Schweizermädchen. Galeide war noch ein Kind; und warum hätte er überhaupt gerade die lieben sollen? Der Urgroßvater lächelte, indem er an sie dachte, und sagte, das verstände ich nicht; Brüder seien nie unbefangen und könnten nur entweder zu hoch oder zu niedrig schätzen. »Sie ist ein holdes, unschuldvolles Kind,« sagte er, »eine Blume. Oft mahnt sie mich an eine weiße Lilie auf hohem, schwankem Stengel, voll beseligender Düfte in ihrem tiefen Kelche. Sie wird euch noch alle in Erstaunen setzen.«

Dieses oder ähnliches sagte der Urgroßvater zu mir, als ich einmal in den Universitätsferien zu Hause war und unsere Unterhaltung, wie so oft, die Liebe zwischen Ezard und Lucile berührt hatte. An einem der folgenden Tage vollzog sich die Verlobung. Der Urgroßvater war voll Zornes und beschuldigte meine Eltern, die Verbindung begünstigt, ja, herbeigeführt zu haben, wie sie überhaupt, seit Lucile im Hause sei, ihr eigenes Kind, die »gute kleine Galeide«, in empörender Weise hintangesetzt und um ihre Anrechte betrogen hätten. Meine Mama nahm sich diese Anschuldigungen nicht sehr zu Herzen, freute sich vielmehr über des Urgroßvaters Vorliebe für Galeiden, die sie als eine Art Bürgschaft für ihre Vorzüge ansah. Denn diese sprangen damals nicht allen Menschen in die Augen.

Ezard war in liebenswürdiger Weise bekümmert darüber, daß der alte Herr so unzufrieden mit ihm war. »Aber,« sagte er, »ich kann mich doch nicht ihm zu Gefallen in Galeiden verlieben. Ich wüßte nicht, wie ich das machen sollte, und bezweifle noch mehr, ob sie es sich gefallen ließe. Sie zeigt bei weitem mehr Wohlwollen für ihre Salamander und Frösche - so ekelhafter Geschöpfe hatte sie nämlich einen ganzen Glaskasten voll - als für mich. Und ich kann doch nicht dem Urgroßvater zuliebe ein Amphibium werden.« Meine Eltern stimmten ihm völlig bei, denn Berechnung der Zukunft lag ihnen fern, und sie hatten innige Freude an dem bräutlichen Glück, das sich in ihrem Hause auftat.

Lucile war eine sehr reizvolle Braut. Das unablässige Strahlenspiel ihrer großen, glänzenden Augen zu sehen, war mein besonderes Vergnügen. Ihre Zunge war noch geläufiger als sonst, hingegen verfiel sie nun auch manchmal in eine träumerische Schweigsamkeit, die man vorher nie an ihr beobachtet hatte. Gegen ihren Verlobten war sie bald schelmisch und spröde, bald hingebend, anziehend und abstoßend zugleich. Sie liebte ihn, wie ein jeder bemerken konnte, über alle Maßen, aber sie schien sich Mühe zu geben, mit der Äußerung dieses Empfindens zurückzuhalten, als wolle sie die Würde der eigenen Persönlichkeit wahren.

Galeide verriet in ihrem schwermütigen Wesen, wie schwer es ihr wurde, Lucile zu verlieren; denn es war ihr, als ob es nun gleich nichts mehr wäre, da sie sie nicht mehr allein hatte. Sie hatte eine Art, die Menschen, die sie lieb hatte und die ihr gefielen, mit ihrer Zuneigung wie mit einem starken Magneten an sich zu ziehen und für sich zu haben. Sie verfuhr mit ihnen ungefähr so, wie sie es von ihren Tieren her gewohnt war, die sie dermaßen pflegte und verzärtelte, daß sie zuletzt gar nicht mehr ohne sie sein konnten und rein verderben mußten, wenn sie die Hand von ihnen abzog. Ich sage ihr das nicht als etwas Böses nach, es war ihre Natur, und sie handelte aus ihrem gedankenlosen unersättlichen Herzen heraus. Damals freilich war sie noch ein Kind, und für ihre Beute Lucile hatte es einen stärkeren Magneten gegeben. Immerhin war Lucile, unähnlich manchen von der Liebe ganz überwältigten und hypnotisierten Bräuten, nach wie vor von großer Zärtlichkeit für meine Schwester. Sie sagte einmal in meiner Gegenwart zu Ezard: »Wenn ich du wäre, so hätte ich Galeiden geliebt; es ist gut, daß du nicht weißt, wie wohl es tut, sie zu küssen.« Was denn in der Tat gut war, denn Lucile hätte dabei nicht so großmütig entsagend zugesehen, wie sie sich vom sicheren Port aus eingeredet hatte.

Onkel Harre suchte dem unerwünschten Verlöbnis dadurch einen Stein in den Weg zu legen, daß er von Lucile verlangte, sie müsse den protestantischen Glauben annehmen, obwohl er selbst unbedenklich eine Türkin geheiratet hätte, wenn es ihn gelüstet hätte. Ezard erklärte zwar, daß er an Lucile festhalten werde, welcher Kirche sie auch immer angehöre, aber er sah ein, daß es der Kinder wegen zuträglicher wäre, wenn sie protestantisch würde, und es war ihm wohl auch ein lieber Reiz, zu prüfen, ob sie ihm etwas recht Großes zuliebe tun könnte. Es setzte nun jedermann in Erstaunen, wie rasch sich Lucile zu diesem Schritt bereit erklärte. Das Verstandesmäßige im protestantischen Glauben mochte ihr zusagen; ich bemerkte aber, daß sie überhaupt gar nicht im stande war, eine Überzeugung, mit der sie in ihrer Umgebung allein stand, auf die Dauer festzuhalten. Während sie einen Grundsatz fortwährend in beredtester Weise verteidigte, wurde er unmerklich an den gegnerischen so abgeschliffen, daß er ihr entfremdet war, wenn sie ihn einmal wieder prüfend betrachtete. Sie hielt aber immer den Schein aufrecht und glaubte auch selbst, daß sie durch verständiges Erfassen der protestantischen Lehre von der Richtigkeit derselben überzeugt worden sei und einzig deswegen übertrete. Im Grunde wollte sie sich nur in ganz denselben Formen bewegen, in denen Ezard lebte. Der Urgroßvater, welcher Lucile längst nicht mehr leiden mochte, stellte leichthin, aber nicht ohne Bosheit, die Behauptung auf, es ließe sich begreifen, daß einer von der protestantischen zur katholischen Religion übergehe, nicht aber das Umgekehrte. Lucile errötete und sagte eifrig: »Wie die Menschheit vom Katholizismus zum Protestantismus gekommen ist, so ist dieser Weg auch für den einzelnen der richtige. Von kindlicher, unüberlegter Gläubigkeit schreitet man fort zur Forschung und zum geläuterten, bewußten Erkennen. Mir scheint das Umgekehrte den Rückschritt zu bedeuten.«

Galeide wiegte sich während dieses Gespräches in einem großen, grünen Schaukelstuhle, der in einer nur halb beleuchteten Ecke des Zimmers stand. »Aber warum streitet ihr?« sagte sie schläfrig; »man tritt einfach zum Glauben des Mannes oder der Frau über, um heiraten zu können.«

»Du Heidenkind,« rief Mama und lachte, »sag das niemals laut in Gesellschaft! Unter gebildeten Leuten hat man seine Überzeugung.« - »So?« entgegnete Galeide, »aber wenn ich nun ein Hindu werden wollte, würdet ihr mich doch nicht lassen.« Sie sah, indem sie dies sagte, so lieblich herausfordernd aus, daß ich einmal begriff, wenn einer sie hätte beim Kopf nehmen und recht gründlich küssen mögen.

Unterdessen neckte Ezard seine Braut, da er der unschuldigen und richtigen Meinung war, sie habe den Übertritt in erster Linie um seinetwillen vorgenommen und bedacht, daß der Unterschied zwischen protestantischem und katholischem Glauben nicht groß genug sei, um einen Gott in der Beurteilung von Menschenseelen zu beeinflussen; sie suche es nun aber nachträglich sich und andern als eine Folge ihrer klügeren Einsicht darzustellen, etwa um ihrer Würde als Erzieherin nichts zu vergeben. Als er aber sah, mit welcher Empfindlichkeit sie es aufnahm, wurde er traurig und sagte sehr freundlich zu ihr: »Nun, dann ist es ein Glück, daß deine Überzeugungen dir ermöglichen, einen Schritt zu tun, der meinen Vater mit so viel Freude und Dankbarkeit erfüllt.«

Lucile mochte durch seine Zartheit beschämt sein, denn sie legte plötzlich eine freiwillige Hingebung an den Tag, die bei ihrer vorherrschenden Herbheit wohl etwas Bezauberndes für den hatte, dem sie galt. So schienen sie nach jenem Streite verliebter und glücklicher als zuvor.

Der Urgroßvater sagte nachher zu mir: »Wenn man Lucile reden hört, so erfährt man reichlich, was sie sein möchte, und das ist etwas Außerordentliches; was sie in Wirklichkeit ist, wird man vielleicht später erfahren, vielleicht aber nie, wenn sie nämlich überhaupt gar nichts ist. Das kann bei den Leuten leicht vorkommen, die allzuviel aus sich machen wollen.«

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