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XIX

Ich gewann es nicht über mich, mit Galeiden offen von ihrem Verhältnis zu Ezard zu sprechen, denn ich gehörte zu denen, welche die Aufregungen fürchten, und die, wenn etwa in ihrer Nähe irgend eine Untat geschieht, womöglich schnell in eine Seitengasse einbiegen, damit sie nicht als Zeugen geladen werden. Indessen teilte ich alle meine Betrachtungen und Beobachtungen Eva mit, was bei weitem behaglicher war und doch auch allgemach zu etwas führen konnte. Ich war auch Mensch genug, um es als einen angenehmen Reiz zu empfinden, wenn ich Eva beweisen konnte, wie Ezard ganz und gar in einer anderen lebte und webte und nicht einen Daumbreit nach ihr fragte, was sie freilich auch ohne mich schon gut genug wußte.

Zwar war ich durchaus nicht in Eva verliebt, sondern hatte so gute und brave Gefühle für sie, daß es mir jetzt noch wohltut, mich daran zu erinnern. Sie ging mit lieblicher Tapferkeit auf mein Gespräch ein und redete mit vieler Herzlichkeit von Galeiden, was ich ihr besonders hoch anrechnete, da es schon unter gewöhnlichen Umständen ebenso selten wie erfreulich ist, daß Frauen ohne Hintergedanken Liebes und Schönes voneinander sagen. Mit zarter Schonung teilte sie mir dann mit, daß diese unglückselige Leidenschaft bereits das Gerede vieler Leute in der Stadt geworden sei, da sich Ezard und Galeide mit unbegreiflicher Sorglosigkeit öffentlich zusammen sehen ließen, und daß sie selbst bereits eingesehen habe, daß es die Pflicht der Verwandten sei, etwas zu tun, wodurch größeres Verderben abgewendet werde. Hiebei überlief es mich heiß, wie man denn einen unglücklichen oder unrechtmäßigen Zustand erst recht als solchen empfindet, wenn er einmal durch den Mund der Leute gegangen und dadurch zu einer geschichtlichen Tatsache geworden ist, die man objektiv betrachten kann. Daran dachten wir aber beide nicht, etwas Rechtes und Ordentliches zu unternehmen, wodurch die ganze Sache zum Austrag käme, sondern wir wollten sie von hintenher eindämmen und flicken, soviel als möglich wäre. Nun hielten wir das für besonders schlimm, daß Galeide immer so allein war, und wir meinten, es wäre gut, wenn noch jemand in unserm Hause wäre, mit dem sie sich beschäftigen müsse, so daß ihr auf sanfte Weise Zwang angetan würde, die Begegnungen mit Ezard zu unterlassen. Eva hatte sich bereits alles ausgedacht, nämlich daß ihre ältere Schwester Anna Elisabeth uns besuchen könnte, wozu sich viele Gründe oder Vorwände finden ließen: sie konnte kommen, um den Urgroßvater oder Eva zu sehen, und die Gelegenheit unseres fast leerstehenden Hauses benützen, oder auch um ein wenig für unseren Haushalt zu sorgen, denn Galeide stand in dem unerschütterlichen Rufe, daß sie davon nichts verstehe. Wie sich das, nebenbei gesagt, eigentlich verhielt, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, doch muß ich gestehen, daß mir im Grunde nichts abging, solange sie die Oberaufsicht führte, und ich fand es lobenswürdig an ihr, daß sie kein großes Wesen davon machte, wenn etwas nicht in Ordnung war, sondern es gelassen und vergnügt nachholte oder irgendwie wieder einbrachte, so daß man jedesmal dachte, es müsse so sein oder sei sogar noch viel besser so.

Anna Elisabeth hatte ich nur ein einziges Mal vor langen Jahren gesehen, und sie schwebte mir als etwas sehr Feines, ja Königliches vor, weshalb mir der Gedanke an ihr Kommen keineswegs unangenehm war. Indessen lag es mir doch schwer auf der Seele, wie ich den Plan Galeiden mitteilen sollte; denn obgleich es etwas völlig Harmloses und Natürliches sein konnte, machte mich doch das Bewußtsein des Zweckes befangen, so daß ich nicht glaubte, es ihr ohne Erröten vortragen zu können.

Es war damals Spätherbst. Dessen entsinne ich mich aus dem Grunde, weil ich um diese Zeit einmal einem Auftritte im Garten beiwohnte, und mir noch wohl die neblige Luft, die fallenden Blätter, die auflösende Schwermut der Natur vergegenwärtigen kann, die ich dabei wahrnahm. Es war in der Tiefe unseres Gartens ein grottenartiger Platz, dem breite Kastanien einen waldähnlichen Schatten verliehen. An dem Nachmittage freilich, an den ich jetzt denke, waren ihre Äste gelichtet, und man konnte durch sie hindurch die Türme der Stadt und hohe Fabrikschornsteine ragen sehen. Ich schlenderte von einem Spaziergange kommend durch den Garten, um mir noch eine reife Pflaume oder Reineclaude zu suchen, und gewahrte nun auf diesem Platze zwei Gestalten, die ich für Galeiden und Lucile erkannte. Galeide saß auf einem vorspringenden Steine der Grotte und hatte Lucile, die beträchtlich kleiner war, auf ihrem Schoß, so daß sie recht zärtlich verschlungen dasaßen. Ich dachte voll Ärger: Galeide hat es ihr wieder einmal angetan; denn so lieb sie sich beide früher gehabt hatten, hatte Lucile doch in den letzten Jahren einen Haß auf meine Schwester geworfen, was denn auch begreiflich und verzeihlich genug war. Ich kam nun näher heran und konnte den Ausdruck von Schmerz und Liebe in Galeidens Zügen deutlich wahrnehmen, mit dem sie zu Lucile aufsah. Lucile wandte sich nach mir um, als sie meine Schritte hörte, und ich sah, daß sie Tränen in den Augen hatte; sie kehrte sich gleich wieder zu Galeiden, als ob ich gar nicht da wäre, sagte zu ihr: ich habe deine lieben Haare naß geweint, und suchte sie mit den Händen zu trocknen, wobei sie Galeiden anlächelte. Ich hatte es bereits in der Gewohnheit, zu tun, als ob manches ganz selbstverständlich wäre, was ich im Grunde höchst auffallend und wunderbar fand, und so brach ich denn flink eine gleichgültige Unterhaltung vom Zaune, worauf die beiden auch ebenso eingingen.

Hernach, als Lucile fort war, fragte ich aber doch meine Schwester, ob etwas zwischen ihnen vorgefallen sei, worauf sie antwortete: »O nein, wir sprachen von den früheren Zeiten, und Lucile beklagte sich, daß ich nicht mehr so zärtlich gegen sie sei wie damals.« - »Warum bist du es denn nicht?« fragte ich. »Sie würde mir's ja doch nicht glauben, jetzt oder später,« antwortete Galeide und starrte trostlos ins Leere. »Aber ihr schienet doch sehr liebevoll gegeneinander zu sein, als ich in den Garten kam,« fuhr ich fort. »Ich konnte nicht anders,« sagte Galeide, als ob etwas dabei zu entschuldigen sei. Ich erkundigte mich auch, ob sie von Ezard gesprochen hätten, wobei Galeidens Gesicht sofort jenen versteinerten Ausdruck annahm, den ich schon kannte, und sie sagte kalt und ruhig: »Sie fragte mich, ob ich ihn liebte.« - »Und was sagtest du?« fragte ich. »Ich sagte nein,« gab sie mir zur Antwort. Ich versuchte mir klar zu machen, warum sie wohl nein gesagt habe, und was wohl Lucile im Sinne gehabt hätte, zu tun, wenn die Antwort anders ausgefallen wäre. Als ich über das letztere Galeiden nach ihrer Meinung fragte, sagte sie: »Vielleicht hatte sie sich vorgenommen, in diesem Falle zu sagen: Nimm ihn, er soll frei sein, ich verzichte auf ihn! Aber das hätte sie in Wirklichkeit doch nicht vermocht. Also was hätte es geholfen?«

Was eigentlich Ezards und Galeidens Wünsche und Pläne waren, konnte ich mir weder hieraus noch überhaupt ganz erklären, und ich erkundigte mich auch nicht danach, weil ich selbst nicht wußte, was ich hätte raten oder widerraten sollen. Ich nahm mir nun von Tag zu Tag vor, mit meiner Schwester von Anna Elisabeth zu sprechen, mit welcher Eva und ich bereits in briefliche Unterhandlung getreten waren, ob sie mit Anbruch des neuen Jahres kommen wolle. Es wurde mir aber desto schwerer, je mehr ich es hinausschob, und der Gedanke setzte sich in mir fest, dies würde den Anstoß zu irgend einem traurigen oder schrecklichen Ereignis geben, von dessen Art ich freilich durchaus keine Vorstellung hatte. Als Weihnachten herankam, nahm ich mir vor, erst das Fest vorbeigehen zu lassen oder aber eine Gelegenheit zu benützen, wo die Stimmung ohnehin ernsthaft wäre, daß es in einem hin ginge. Ich war dadurch in diesen Tagen sehr bedrückt und dachte öfters an das Märchen vom eisernen Heinrich, der sein Herz in Bande geschlagen hatte; denn so war mir zu Mute. Vollends verstört war Galeide, und ich sah sie oftmals, wenn sie sich auf der Geige üben wollte, den Arm mit dem Bogen langsam sinken lassen und mit Augen voll Angst und Weh wesenlos ins Weite starren, als wäre sie ein verlorenes, heimatloses Kind, um das man den Mantel schlagen möchte, um es mit sich nach Hause zu nehmen und zu pflegen. Gegen mich war sie von ausgesuchter, zarter Freundlichkeit und machte auch Anstalten, daß wir ein anmutiges Weihnachtsfest verleben sollten, worin ich ihr mit gleichem Bestreben entgegenkam. Wir kauften einen schöngewachsenen, stattlichen Tannenbaum, stellten ihn im unteren Saal auf und beschlossen, ihn mit buntem Zuckerzeug und vielen farbigen Kerzen aufzuputzen, wie wir es als Kinder am liebsten gehabt hatten, kauften alles das zusammen ein und waren so vergnügt dabei wie junge Eheleute, die zum ersten Male einen Baum für ihre Kinder machen. Wir richteten alles aufs behaglichste ein, legten das Zuckerzeug und eine Menge goldiger und silberner Glaskugeln in einen großen Korb und setzten ihn am Vorabend des Weihnachtstages, nachdem wir gegessen hatten, auf den Tisch. Der Urgroßvater war mit diesem Beginnen sehr einverstanden und ging auf alle unsere Wünsche ein, blieb bei uns sitzen und ließ sich von uns necken, weil er nicht ein einziges Stück kunstgerecht am Faden zu befestigen wußte, während wir in derselben Zeit deren zehn fertig hatten, und erzählte uns dabei aus seiner Jugend, wozu er ein liebenswürdiges Talent besaß, so daß man alles hätte niederschreiben mögen, damit es aufbehalten bleibe. Er erzählte auch allerhand Stücklein, die wir in unserer Kinderzeit verübt hatten, oder lustige und ernste Dinge von unseren Eltern und deren Eltern, und zwischen hinein flocht er feine, sinnige Betrachtungen wie Arabesken und Vignetten zwischen den einzelnen Kapiteln einer alten Chronik. Nachdem er zu Bett gegangen war, blieben wir noch sitzen, bis alles gerichtet war, daß wir am Morgen den Baum nur mit den bunten Sachen zu schmücken brauchten. Dann standen wir auf, und ich wollte mich zur Ruhe begeben, allein Galeide schien dazu noch nicht gelaunt zu sein; sie reckte sich, stellte sich vor einen der hohen Spiegel und schüttelte ihre Haare, die bei der Arbeit in Unordnung geraten waren, dazu lachte sie hell und sagte, sie wolle nun noch ein wenig träumen und den Weihnachtsbaum betrachten. Ich ging und ließ sie allein, aber es war mir auffällig, und ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, als hoffe sie, Ezard an diesem Abend noch zu sehen. So waren die Verhältnisse unseres Lebens, daß, wie wir eben noch friedlich wie Kinder miteinander geplaudert hatten, ein Wort, ein Hauch plötzlich den ganzen Wust von Argwohn und Qual in Bewegung bringen konnte, daß er verheerend auf uns hereinzubrechen drohte. Ein Zorn stieg in mir auf, daß diese hartnäckige Leidenschaft unser Leben so rücksichtslos verderben sollte, und ich dachte, dies sei die Gelegenheit, wo ich mich einmal gründlich mit Galeiden aussprechen und ihr sagen könnte, ich habe dafür gesorgt, daß sie nicht länger den unerhörten Eingebungen ihres rasenden Herzens sich hingeben könne. Ich grübelte mich immer mehr in einen Groll hinein, während ich am Fenster stand, um alles zu sehen, was vorgehen würde, und nicht mehr der dumme Betrogene zu sein. Auf einmal sah ich Ezards kräftige Gestalt den Promenadenweg herkommen, so leichten Schrittes, daß der Schnee kaum unter seinen Füßen knirschte; er sah an unserem Hause hinauf. Dabei mochte er wohl Galeidens gewahr werden, denn er bewegte ein wenig nickend den Kopf in der Richtung des Saales und trat dann in den Garten ein. Es war weit und breit eine kalte, tote Stille; aber dennoch war dies Beginnen maßlose Kühnheit und konnte, wenn der Zufall einen späten Nachtschwärmer vorbeiführte, zum peinlichsten Verderben für uns ausschlagen. Mein Herz schlug in raschen Schlägen in meiner Brust, als ich ihn sah, wie er sich dem Hause näherte und sich an der Mauer hinaufzuschwingen begann. Dies alles ist mir jetzt, als ob ich es geträumt hätte, denn seltsam und unbegreiflich genug nahm es sich aus in der starrenden Winternacht. In meiner Entrüstung war mir ein aufregender Auftritt jetzt gerade recht, und ich eilte die Treppe hinunter und in den Saal hinein. Der war nur durch zwei kleine Weihnachtslichter erleuchtet, die Galeide wohl in der Zwischenzeit am Tannenbaum befestigt und angezündet hatte. Sie und Ezard standen dicht am Fenster, noch glühend und zitternd von der stürmischen Begrüßung, aus der mein Eintreten sie aufgeschreckt hatte, wie ich wohl sehen konnte. Indessen war ihre Haltung keineswegs die ertappter Sünder, sondern sie standen hoch aufgereckt und majestätisch da, wie etwa ein Steuermann auf einem untergehenden Schiffe, der die verschlingenden Wellen herankommen sieht und unerschüttert auf seinem Platze ausharrt. Dies empfand ich wohl, aber es empörte mich zwiefach, sie so in prangender Lebenslust dastehen zu sehen ungeachtet des armen Lebens, das sie mit ihren Füßen zertraten, und ich besann mich nicht, ihnen das alles ins Gesicht zu sagen, obschon ich anfing, mir mehr wie ein lästiger Störenfried als wie ein berufener Rächer vorzukommen. Galeide kam rasch auf mich zu, legte ihre Hand auf meinen Arm und sagte: »Sprich nicht so laut, Ludolf, damit der Urgroßvater dich nicht hört.« Sie schien zwar sehr erregt zu sein, dabei aber völlig unbefangen, desgleichen Ezard, welchen ich niemals so schön gesehen zu haben glaubte. Er sagte zu mir: »Wenn du willst, laß uns morgen weiter davon sprechen, Ludolf. Ich werde jetzt gehen, und du kannst ruhig sein über den Verlauf, ich werde sorgen, daß mich niemand sieht. Laß aber Galeiden jetzt schlafen, das fordere ich.« Galeide lächelte ihn an und sagte: »Beunruhige dich nicht darum, geh nur jetzt.« Darauf sahen sie sich noch einmal fest und mit einer seltsamen Kraft an, als ob ein geheimer Zauber dabei wäre, gaben sich aber weder die Hand, noch küßten sie sich, und Ezard schwang sich auf die Fensterbank und ließ sich an der Mauer hinab. Galeide blickte ihm nach, und nach einer Weile, wahrscheinlich nachdem er unbemerkt und unbeschädigt auf dem Promenadenweg angelangt war, wandte sie sich nach mir um mit den Worten: »Ich will dir sagen, das nimmt nun alles bald ein Ende, denn nach Weihnachten gehe ich fort.« Ich war völlig und fassungslos überrascht. »Du?« sagte ich. »Fort? Wohin?« Sie sagte: »Entweder nach Wien oder nach Genf auf ein Konservatorium, um mich in der Musik ausbilden zu lassen.« Ich wußte nicht, was ich denken sollte. »Du allein?« fragte ich. Sie sah mich halb lächelnd und halb angstvoll an, und ich glaube, daß mein Erschrecken ihre eigene Bangigkeit vermehrte, aber sie suchte sie zu unterdrücken und sagte: »Ja, es muß sein und muß gehen!« Sie warf den Kopf mit einer raschen Gebärde zurück, wie einer tut, der ein aufquellendes Schluchzen in sich unterdrücken will, dann reichte sie mir die Hand und sagte: »Gute Nacht, Ludolf!« wobei sie mich so eigen und lieblich ansah, daß ich nicht anders konnte als sie küssen, obwohl ich mit ganz anderen Absichten gekommen war. Ich erinnere mich mit Deutlichkeit, daß ich, indem ich aus der Tür gehen wollte, die beiden Kerzen brennen sah und einen Schritt zurücktat, um sie auszulöschen; dann aber dachte ich: Wozu? sie sollen nun leuchten, so lange sie können, und ging hinauf. Als ich im Bett lag, mußte ich beständig an die beiden Kerzen denken, wie sie so allein in dem weiten, leeren Saale brannten, und da ich sehr ermüdet und zugleich aufgeregt war, gingen mir die Gedanken durcheinander, und ich hatte kein Bewußtsein mehr davon, ob es Kerzen oder Menschen waren, und fing aus Mitleiden zu weinen an und weinte mich in den Schlaf, wie ich zuweilen als kleiner Junge getan hatte, wenn es mir so traurig und unbegreiflich in der Welt zu sein schien. Nun brauchte ich Galeiden nichts mehr von Anna Elisabeth zu sagen, und Anna Elisabeth brauchte nun gar nicht mehr zu kommen. Ja, aber wer sollte denn das Hauswesen regieren? Alles, was ich dachte, führte mich wieder auf das große, leere Haus und an den langen Tisch, um den einst eine zahlreiche, fröhliche Gesellschaft versammelt gewesen war, und an dem künftig der Urgroßvater und ich einander allein gegenübersitzen sollten. Ich hatte noch niemals so empfunden, wie vergänglich alles das ist, was den Kindern heilig und ewig zu sein scheint, und ich fühlte mich in einem Augenblicke steinalt und lebensmüde und im andern winzig und hilflos, daß ich laut hätte rufen mögen, bis einer käme, mich zu trösten. Es war mir auf einmal, als sei Galeide das Allerschönste und Allerliebste, was ich auf Erden hätte, obwohl wir gar nicht so traulich und innig miteinander verkehrt hatten, wie manche Geschwister tun. Daß ich sie zurückhalten könnte, daran kam mir kein Gedanke, denn sie tat das Richtige und Vernünftige, indem sie ging, und was hätte sonst noch werden sollen? Es war eine trostlose Nacht, wie ich mich kaum einer andern entsinne. Wenn man in der Mitte der Ereignisse ist, so hat man alle Hände voll zu tun und erträgt vieles, ohne es zu wissen; aber dazwischen gibt es Ruhepausen und Augenblicke, wo man gleichsam das graue Gespenst des künftigen Unheils aus der Ferne winken sieht, und das sind die allerschlimmsten; sie schließen sich an jene, wo man das längst Durchlebte und Durchlittene rückblickend noch einmal erleidet, wie dieser einer ist. Jetzt ist das Blatt, auf dem ich schreibe, von meinen Tränen naß, wie in jener Nacht das Kissen, auf dem ich lag.

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