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VI

Ich habe das Wünschen ganz und völlig abgetan, denn wäre ich in dieses Kloster gegangen, wenn ich noch hätte wünschen mögen? Ich habe es oft mit angesehen und weiß es: wer wünscht ist wie einer, der sich Äpfel vom Baume schüttelt; die Erfüllung fällt ihm auf den Kopf und schlägt ihn blutig. Dennoch kann ich mich des einen Wunschgedankens nicht erwehren, daß die Studienzeit noch einmal wiederkäme, die Zeit, wo man sich den Stil auswählt, in dem man das Haus seines Lebens aufbauen will. Herr des Himmels, wie unreif und unberaten taumelte ich in diese Aufgabe hinein! Wollen und Streben hielt ich für Empfindeleien vergangener Zeitalter. Arbeiten, dachte ich, sei Knechtschaft und das Schicksal des Unfähigen wie die Kartoffel die Speise des Armen. Mir machten die Leute den größten Eindruck, die von den Spargeln nur die Köpfe, von den Austern nur die lose Gallerte aßen. So, fand ich, müsse man das Leben zu verzehren lernen, nur das Kostbarste davon nippen, daß man den Genuß und Geschmack, aber nicht die Last des Verdauens davon habe. Hätte ich nun diesen Grundsatz auf den wirklichen Vorgang angewendet, von dem ich das Bild entlehnte, so hätte ich aus dem Kampfe des Lebens wenigstens eine Trophäe davongetragen: einen guten Magen. Und dieses würde ich nicht gering anschlagen. Aber da war es mit Nippen und Abschäumen nicht getan, sondern ich beteiligte mich kräftig an allen Gelagen und wollte hier vor allem der erste sein; ein solcher Eifer war für einen Studenten der damaligen Zeit in keiner Richtung so schwer zu befriedigen wie in dieser. Auch ein guter Fechter wollte ich sein und brachte es mit vieler Übung ziemlich weit darin. Ich glaube, daß ich niemals so viel Fleiß und Ausdauer auf irgend etwas verwandt habe, wie auf den Gebrauch des Schlägers; und das tat ich nicht in dem Sinne wie die frommen Turnerknaben im Anfange des Jahrhunderts, um den Leib zu stählen, der für das Vaterland kämpfen sollte, sondern um ein Ansehen unter meinen Gefährten zu gewinnen, von denen kaum der zehnte den wahren Wert eines Menschen beurteilen konnte, geschweige denn selbst etwas davon in sich hatte.

Von dem was ich studierte dürfte ich billig schweigen, da es den allergeringsten Teil meiner Studienzeit in Anspruch nahm. Ich studierte nämlich die Rechte, hauptsächlich aus dem Grunde, weil Ezard es getan hatte, und weil ich die unverständige Einbildung hegte, freilich ohne mir selbst darüber klar zu sein, wenn ich nur so im gröbsten seine Handlungen nachahmte, würde ich ganz von selbst das werden und so werden wie er.

Liebschaften hatte ich auch. Es war aber nichts darunter, woran ich mich mit Lust erinnern dürfte. Nun, hie und da doch einiges, was der Aufzeichnung wert ist. Wiewohl ich mir vorgesetzt hatte, diese Pfade meines Lebens nicht noch einmal zu durchwandeln, verführt mich nun doch der eine oder andere mit anmutigem Schlängeln oder waldiger Vertiefung, ihn sinnend einzuschlagen. Wird man doch durch Verirrungen weise. Auch den heiligen Augustinus brannte das Feuer, ehe er geläutert daraus hervortrat. Wenn ich mir nun auch nicht anmaße ein Heiliger zu sein, so scheint es mir doch, daß meine Natur verwerfliche Vergnügungen nicht nur suchte, um sich zu vergnügen, sondern um sich durch Erfahrung vom Schlechteren zum Besseren zu erziehen. Dadurch unterscheidet sich ein wilder lasterhafter Jüngling vom stilleren, aber gemeineren Wüstling.

Es gab in einer Universitätsstadt, wo ich mich mehrere Semester lang aufhielt, in einem kleinen Häuschen eine Verkäuferin, die Süßigkeiten und allerlei Getränke feilhielt. Es galt unter den jungen Leuten für fein, die Gunst dieses Mädchens einmal besessen zu haben. Deshalb zeigten sich alle Studenten gern in dieser Bude, obschon sie die dort ausliegenden, abgestandenen Eßwaren verschmähten. Sie bezahlten sie, ohne davon zu sich zu nehmen, und gerade deshalb war es umso feiner. Das Mädchen hieß Georgine, war von weißer Hautfarbe und durch rötliche Haare ausgezeichnet. Sie war von Natur und durch die Gewohnheit des Dasitzens in der Bude sehr träge, langsam von Bewegungen, welcher Umstand sie davor bewahrte, gemein zu erscheinen. Ich war über alle Maßen in sie verliebt, und ich muß sagen, daß sie eine Schönheit an sich hatte, der man sonst nur in Märchen oder Träumen begegnet. Wenn sie sich zu ihrer vollen Höhe aufrichtete, ihre schweren Augenlider ein wenig hob und die vollen Lippen lässig bewegte, erwartete man, daß sie etwa so sprechen würde: Ich bin die Meerkönigin und habe einen Palast von Perlmutter und Stühle von Korallen; schwöre mir Treue, so darfst du mit mir kommen. Sie trug ihre leuchtenden Haare wie eine Krone und jede geschliffene Glasperle darin wie einen unschätzbaren Diamanten. Ein jeder wußte, daß sie ihre Liebesgunst an den Meistbietenden verschleuderte, aber daran dachte der nicht, dem sie einen Kuß gewährte, als wäre er ein Bettler, und sie reichte ihm ein Almosen aus ihrem Überfluß. Sie war auch im Empfinden träge und hatte sich lieben lassen, wie ein Schoßhündchen sich von vielen Händen streicheln läßt. Sie war vorher und nachher dieselbe. Überhaupt hatte sie etwas von einem schönen Tier oder Halbmenschen an sich, von einer Nixe mit Fischschwanz. So viel Anteil an ihrer Gunst zu gewinnen, wie sie jedem gab, der ihr nicht gerade mißfiel, war keine Kunst. Aber damit war mir denn doch nicht gedient. Es wurde mir klar, daß ich mir durch nichts ein so gewaltiges Ansehen erwerben könnte, wie wenn ich die Georgine ganz und ungeteilt für mich bekäme. Darauf ging nun mein Sinnen und Trachten. Ich darf zwar wohl sagen, daß ich es nicht nur aus Ehrgeiz erstrebte; mein Herz war damals noch frisch und unverdorben genug, um sich nicht mit Abfall abspeisen zu lassen. Ich wollte keine Katze im Sacke kaufen, ich wollte nicht nur einen Leib, sondern eine Seele dazu. Von der ich freilich mehr nicht verlangte, als daß sie mich lieben könnte. Eine solche hatte die Georgine wirklich aufzuweisen, wie nun an den Tag kam. Sie war wie das Blatt des Perückenbaumes, das nur duftet, wenn man es zerreibt; bisher hatte noch niemand versucht, die Würze herauszupressen.

Ich pflegte ihr zu erzählen von meinen Eltern und meiner Schwester und unserer Art zu leben. Davon verstand sie nicht viel, aber doch das, daß ich sie wenn auch nicht in höherem Grade liebte als die übrigen, doch in würdigerer Weise. Und das war ohne Zweifel die Hauptursache davon, daß sie mir wiederum mehr gab als allen übrigen. Die Art eines Menschen zeigt sich nicht nur, wenn er große Taten verrichtet, sondern ebensogut, wenn er ins Zimmer tritt und Gutenmorgen wünscht. Ein ungewöhnlicher Mensch küßt anders und läßt sich anders küssen als ein ganz gemeiner, und daran mochte es die Georgine bemerken, daß sie eine seltenere Beute am Schopfe hielt als sonst, eine, die sie nicht alle Tage wieder bekommen konnte. Nun fing sie an, mich mehr und mehr zu lieben, ängstlich und eifersüchtig zu werden. So sehr sind die meisten Geschöpfe bereit, sich höher hinaufzuschwingen, wenn man ihnen nur eine Leiter hinhält. Sie trat damit etwas aus ihrer Art heraus und verlor mit ihrer Ruhe auch von dem prächtigen Anstand einer orientalischen Haremskönigin; aber da ich einmal mitten in der Verliebtheit war, machte mich das nicht mehr irre, sondern verstärkte im Gegenteil die Gefühle.

Sie gab nun allen anderen um meinetwillen den Abschied und wurde unnahbar, weil ich es so haben wollte. Das verschaffte mir nun zwar das erhoffte Ansehen, aber nicht ohne Unliebsames auf der anderen Seite. Es war herkömmlich, daß die schöne Georgine in ihrem Stuhle lehnte, Limonade einschenkte und aus ihren grünen Augen wohlig lächelte. Wie sollten sich die jungen Leute nun zu dem schönen Weibe stellen? Sie hätten sich gern vor ihr auf den Knieen gewälzt; aber ein bißchen Achtung und Ehrfurcht vor einem Gemüte, das vom Schlechteren zum Besseren übergeht, wollten sie nicht haben. Vielmehr empfanden sie den Wechsel als eine arge Beleidigung. Aber Georgine kehrte sich nicht daran, sondern fuhr fort, mir als Liebesgabe blutende Männerherzen zu Füßen zu legen, wie ein Indianer seiner Geliebten die Skalpe erlegter Europäer überreicht. Es gefiel mir außerordentlich und ihr nicht minder. Sie behandelte die Verschmähten schnöder als nach allem Vergangenen billig und geraten war. So kam es dazu, daß ein niedriger Wicht eine höchst teuflische und unwürdige Rache an ihr nahm, indem er über ihr schönes, weißes Gesicht ätzende Schwefelsäure ausleerte und dies wunderbare Gebilde der Natur dadurch auf immer zerstörte. Es war ein Jammer, sie anzusehen. Die goldene Haarkrone thronte über dem elenden Antlitz wie die Sonne über einem wüsten, rauchenden Schlachtfelde. Sie war nicht nur nicht mehr schön, sie war scheußlich. Ich saß dabei und weinte, nicht anders wie ein Vater über den geschändeten Leib eines verlorenen Kindes. Die unselige Georgine war ganz und gar vernichtet. Sie löste mit zitternden Händen ihre Haare und preßte sie vor ihre Augen. »O mein schönes Gesicht! mein schönes Gesicht!« stöhnte sie, und weiter hörte ich überhaupt kein Wort mehr von ihr. Sie rief diese Worte mit solcher Seelenangst und flehentlicher Klage, daß man im innersten Herzen erbebte, obwohl sie nur einem äußerlichen, vergänglichen Vorzuge galt. Aber man fühlte, daß sie recht hatte, wenn ihr Herz brach; denn sie war nun ganz verwaist, entblößt, geschändet und arm. Ich fürchtete mich in meiner Kläglichkeit, daß sie mich anflehen würde, sie wie bisher zu lieben. Aber das kam ihr nicht in den Sinn, vielmehr schickte sie mich heftig fort und wollte auch kein Geld von mir annehmen. Ich ließ mir das nicht zweimal sagen und unternahm einen weiten Ausflug, um mich meinen Gedanken zu überlassen, die mir sehr tief und bedeutend vorkamen.

Unterdessen ertränkte sich das verlorene Weib. Sie hatte auf einen Fetzen Papier in großen, schiefen Buchstaben ihre letzte Bitte niedergeschrieben, nämlich daß man, wenn sie im Sarge läge, ihr Gesicht mit ihren Haaren zudecken möge. Das geschah, und es nahm sich recht symbolisch aus; denn ungefähr wie der Goldmantel die Schmach ihres Antlitzes verbarg, so hatte, während sie lebte, ihre Schönheit über der armen entstellten Seele ihre göttlichen Schwingen ausgebreitet, daß man ihr gern verzieh um der hohen Fürbitterin willen. Ihr seltsames Unglück rührte auch alle Gemüter, so daß ihr beim Leichenbegängnis alle Ehre erwiesen wurde: man huldigte unbewußt der waltenden Natur, die ihr Füllhorn ausgießt, wo es sie gutdünkt, nach keinem anderen Plane als ihrer Laune; aber die Launen der Natur sind Gesetz.

Ich weiß nicht mehr, ob ich mir vorzuspiegeln suchte, ich sei der Held dieses traurigen Abenteuers. Jedenfalls trug ich eine tiefgehende Verstimmung davon und bildete mir ein, das Schicksal verkümmere mir meine wohlerworbenen Genüsse und zeige mir die schönsten Früchte nur, um sie meinen greifenden Händen tückisch zu entziehen wie dem Tantalus. In Wahrheit war es ganz anders und ich oder vielmehr die Mischung meiner Seelenkräfte war an allem schuld. Es gibt unter den Vögeln die hin und her segelnden Schwalben, die wirbelnden Lerchen, die Bachstelzen, die auf und ab trippeln und wippen, die wackelnden, patschenden Enten. Der stolze und gewisse Flug des Falken, der sich wie ein Pfeil in die Lüfte wirft und packt was ihm taugt, dann wiederum über der Erde steht, als hinge er an einem goldenen Faden vom Himmel herab, ist nicht jedem verliehen.

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