Felix Hollaender
Das Schiff der Abenteuer
Felix Hollaender

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27

Fräulein Testini hatte sich für ein helles, leichtes Gewand entschieden. Sie wünschte schon durch ihr Äußeres der Unterhaltung einen heiteren Grundton zu geben.

249 Pünktlich auf die Sekunde war sie erschienen – von Wanner keine Spur. Sie sah auf ihre Armbanduhr, ob sie sich etwa in der Zeit geirrt hätte.

Dann kam grüßend Kapitän Groen vorbei.

»Haben Sie eine richtiggehende Uhr, Kapitän?«

»Eine Minute über halb zwölf, Fräulein Testini.«

»Danke, Kapitän!«

Sie wandelte die kleine Kommandobrücke ab – unruhig und nervös. Zwei . . . drei . . . fünf Minuten verstrichen.

Diese Miß Bottchen, sagte sie vor sich hin – und nagte an ihrer Unterlippe.

Jetzt erschien Wanner.

Sie streckte ihm mit leichtem Erröten freimütig ihre Hand hin. Aber Wanner küßte diese Hand nicht – ließ sie vielmehr sofort fallen.

»Fräulein Testini«, begann er, »es war sehr freundlich von Ihnen, zu kommen.«

»Oh, bitte, bitte, Herr Doktor!«

»Nein, es war sehr freundlich von Ihnen! Denn ich habe Ihnen gewisse Dinge zu sagen, von denen ich nicht weiß, ob sie Ihnen angenehm klingen werden!«

»Das macht nichts, Herr Doktor!«

»Ich stehe hier, um das von vornherein zu betonen, nicht als Verliebter – verspüre keinerlei Leidenschaft zu Ihnen.«

»Es macht nichts, Herr Doktor!«

Er sah sie einen Augenblick flüchtig an.

»Aber davon einmal abgesehen«, fügte er hinzu, »habe ich gute Gründe, Sie vor mir zu warnen.«

250 »Das, Herr Doktor, ist vergebliche Liebesmühe. Ich habe mir alles reiflich überlegt.«

»Nicht reiflich genug, wenn Sie mich bis zu Ende gehört haben werden. Ich stelle einen Grenzfall dar, wie man es in der Psychiatrie ausdrückt. – Die Handlungen, die ich begangen habe, sind weder im moralischen noch im juristischen Sinne einwandsfrei.«

»Das macht mir gar nichts, Herr Doktor Wanner!«

»Ich habe in meinen Lehrjahren gestohlen, Fräulein Testini, Geld und Bücher, um zu meinem Ziele zu gelangen.«

»Das macht mir gar nichts – das haben andere auch getan!«

Dieses: Das macht mir gar nichts! stieß sie bereits mit erbitterter Energie hervor.

»Fräulein Testini, ich habe Papiere gefälscht.«

»Gut, Sie haben Papiere gefälscht, was weiter?«

»Fräulein Testini, ich habe einen Meineid geschworen.«

»Das macht mir ebenfalls nichts.«

»Ich war und bin ein Mann ohne Hemmungen, den die bürgerliche Moral nie berührte, sobald es sich um seine Arbeit oder um die Frauen handelte.«

»Ein schöner, menschlicher Zug, den viele sich zum Beispiel nehmen sollten.«

»Fräulein Testini, ich habe – – –«

»Das macht mir alles nichts«, schrie sie und war dem Weinen nahe.

Er war eine Sekunde fassungslos. Dann glitt um seinen Mund ein vielwissendes Lächeln.

251 »Ich fürchte, Fräulein Testini, Sie haben Miß Bottchens Ratschlägen ein allzu offenes Ohr geliehen. In dem Wunsche, mir nahe zu kommen, suchen Sie meine amoralische Betrachtungsweise noch zu übertrumpfen.«

»Für Miß Bottchens Ratschläge«, antwortete sie tiefernst, »bin ich empfänglich – soweit sie mit meinen eigenen Interessen und Empfindungen übereinstimmen. Sonst – geht mich diese ordinäre Person nicht das geringste an.«

»Sie ist ein ungewöhnlich kluger Mensch.«

»Sie ist eine bösartige Natter, der man den Kopf abschlagen müßte.«

Er verschränkte die Arme.

»Fräulein Testini, ich bin eine Verbrechernatur.«

»Gut, Sie sind eine Verbrechernatur – aber könnten Sie nicht nach alledem mir etwas Gütigeres, Freundlicheres, Liebenderes sagen? Ich bin mir darüber klar, daß unter den weißen Westen die feigsten und niederträchtigsten Herzen schlagen – daß es immer nur die triebhaften Menschen sind, die Impulse geben und mit ihrem mächtigen Atem die anderen vorwärtstreiben.«

Er schüttelte den Kopf, und es schien ihr, als ob seine Züge furchtsam und von beängstigender Blässe wurden.

Sie zögerte eine kleine Weile, ehe sie mit großer Anstrengung fragte: »Doktor Wanner, klebt Blut an Ihren Händen?«

»Meine Hände sind rein.«

Sie atmete wie befreit auf.

252 »Wissen Sie, darüber wäre ich vielleicht, ich sage vielleicht, nicht hinweggekommen. Blut ist – –«

»Ein besonderer Saft«, ergänzte er. Und jetzt lächelte er wirklich. »Wenn ich mich zu dieser Unterredung entschlossen habe, mein gnädiges Fräulein«, sagte er dann, »so geschah es immerhin aus einer zwiespältigen Empfindung. Und auch hierüber möchte ich Ihnen Rechenschaft geben. Wer wie ich sein ganzes Dasein hindurch abseits von der allgemeinen Heerstraße gegangen ist – immer nur das tat, worin die Menschen etwas Verkehrtes – Schiefes – und sogar Verbrecherisches sahen und sehen mußten, hat plötzlich, verstehen Sie, eine grenzenlose Sehnsucht nach der geraden Linie. Er möchte auch einmal die Decke über die Ohren ziehen und dem Schlaf des Gerechten sich hingeben.«

Fräulein Testini sah ihn äußerst befremdet an.

»Jetzt, Herr Doktor Wanner, werden Sie von mir nicht die gleiche Antwort zu hören bekommen. Denn gerade, daß Sie anders waren als die anderen – den Mut, die wunderbare Frechheit besaßen, Ihr Leben auf eigene Faust zu leben – die Dinge zu verbrechen und zu zerbrechen, hat mich zu Ihnen gezogen. Aber vielleicht«, setzte sie nachdenklich hinzu, »wird das ganz anders, sobald ich erst Ihre Frau bin. Vielleicht wird, was Sie jetzt sagen, dann für mich Grund sein, nicht bei jedem Schritt und Tritt, den Sie außerhalb des Hauses tun, aufzuschrecken – nicht in der ewigen Angst zu leben, daß Sie mit jeder neuen Frau, der Sie begegnen, mich betrügen werden.«

253 Er ließ unwillkürlich den Kopf auf die Brust sinken, als blickte er zur Erde.

»Fräulein Testini«, entgegnete er, aufschauend – und wieder hatte sein Gesicht jenen merkwürdigen, reizvollen und zugleich problematischen Zug, der sie bei der ersten Begegnung mit ihm gefesselt hatte – »für den letzten Punkt möchte ich keinerlei Garantie übernehmen. Streichen wir aus unserem Lexikon das häßliche Wort ›betrügen‹ – und alles in der Welt wird geordneter, besser und schöner sein.«

Sie lachte hell auf.

»Nie, nein niemals werden Sie sich ändern, Doktor Wanner – wer ändert sich überhaupt! Und ich, für mein Teil, möchte Sie auch nicht um ein Jota anders haben! Wollen Sie mich nicht küssen!«

Ganz vorsichtig und behutsam berührte er ihre Stirn.

»Nicht so – nicht so – –«

Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, und ihr Mund grub sich mit einer Leidenschaft in den seinen, daß er sich ein paar Sekunden mitfortgerissen fühlte.

Als sie ihn locker ließ, sagte sie: »Und jetzt, Doktor Wanner, machen Sie mir endlich einen richtiggehenden Heiratsantrag! Die Geschichte hat für meinen Geschmack schon viel zu lange gedauert.«

»Fräulein Testini, wollen Sie meine Frau werden?«

»Mich brauchen Sie das nicht zu fragen, Doktor Wanner«, und von neuem umhalste und küßte sie ihn. 254

 


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