Felix Hollaender
Das Schiff der Abenteuer
Felix Hollaender

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23

Miß Bottchen lag, in Decken gehüllt, auf ihrem Liegestuhl. Sie hatte es im Bett nicht länger auszuhalten vermocht. So erschöpft ihr Körper war, ihr Geist arbeitete um so lebendiger. Unter den wärmenden Strahlen der Sonne hielt sie gewissermaßen Cercle ab. Einer nach dem anderen trat an sie heran, richtete freundliche, beglückwünschende Worte an sie.

Und jetzt hatte Fräulein von Seckendorf ihren Stuhl dicht neben sie gerückt und sprach flüsternd auf sie ein.

»Ich weiß doch nicht, Miß Bottchen, ob ihre Mutmaßungen stimmen – ob Herr Testini im Ernst . . .«

»Von Mutmaßungen kann nicht die Rede sein – ich habe mit Herrn Testini so ausführlich über Ihren Fall gesprochen – habe so direkte Anweisungen von ihm erhalten, daß ein Mißverständnis unmöglich ist.«

»Und Teresina?«

»Dies ist der einzige Haken in der Geschichte, den wir noch entfernen müssen. Daß Fräulein Testini von der Entdeckung, den größeren Teil ihrer Erbschaft eines Tages an Sie abtreten zu müssen, nicht gerade erbaut sein wird, können Sie sich vorstellen. Das ist klar wie Bouillon – darüber brauchen wir 215 kein Wort zu verlieren. Lassen Sie sich kein graues Haar wachsen, Komtesse – ich bringe das in die Reihe. Mit Fräulein Testini wird im Moment niemand so leicht fertig wie ich. Bei dieser Gelegenheit übrigens fällt mir ein«, fuhr sie fort und zog aus ihrem Ridikül ein Notizbuch hervor, »die geschäftliche Seite der Affäre muß doch auch einmal geordnet werden.«

Sie schlug es auf und reichte mit einer gewohnheitsmäßigen Bewegung der Seckendorf ihre Füllfederhalter. »Darf ich gütigst – hier an dieser Stelle – um Ihre Unterschrift bitten!«

»Fünfzigtausend Mark Provision, das ist ja mehr als ein Drittel meines ganzen Vermögens!«

»Im Verhältnis zum Objekt ein Pappenstiel«, antwortete Miß Bottchen frostig. »Was wollen Sie eigentlich,« setzte sie verärgert hinzu. »Sie sind es doch nicht, die diese Summe zahlen wird!«

»Wer denn?«

»Selbstverständlich Herr Testini!«

»Ja, warum wenden Sie sich dann nicht gleich an ihn – wozu erst die Abmachung mit mir?«

»Weil bei allen Partien die Vermittlungsgebühren vom Brautvater gezahlt werden – das ist Usance, Komtesse, von der ich noch nie abgewichen bin. Da ein Brautvater in Ihrem Falle nicht existiert – so sind Sie, rein formell gesprochen, die Partei, die mir haftet. In Wirklichkeit werden Sie keinen Pfennig bezahlen. Herr Testini ist viel zu sehr Gentleman, um einen Scheck zu refüsieren, der Ihre Namenszüge trägt.«

216 Die Komtesse zögerte noch.

»Wissen Sie, was fünfzigtausend Mark für Ihren künftigen Herrn Gemahl bedeuten? Nicht mehr, als wenn ich, Miß Bottchen, ausspucke. Das können Sie sich doch an Ihren zehn Fingern abzählen. Und meinen Sie, daß meine Mühe und Arbeit damit entlohnt ist? Woher, glauben Sie, kommt der Kollaps, den ich gerade hinter mir habe? Bilden Sie sich ein, daß es ein Pläsier ist, mit Fräulein Testini zu verhandeln?«

Die Komtesse griff nach dem Halter und setzte in großen, steilen Lettern ihren Namen unter das Blatt.

»So, mein Fräulein, nun wäre auch das erledigt! Haben Sie denn Ihre Papiere in Ordnung? Ich vermute nämlich, Herr Testini wird darauf bestehen, daß seine Eheschließung an dem gleichen Tage stattfindet, an dem Doktor Wanner seine Tochter heiratet.«

Fräulein von Seckendorf zuckte leicht zusammen. Über ihrer Nasenwurzel bildeten sich ein paar mürrische Falten.

»Nicht doch, nicht doch, Komtesse! Ärger ist kein Verschönerungsmittel, Sie dürfen es mir glauben!«

»Und wann, meinen Sie, wird es dazu kommen?«

»Rascher vielleicht, als Sie denken.« Miß Bottchen zog ein vieldeutiges Gesicht. »Ich müßte mich sehr irren, wenn nicht alle Beteiligten dringend interessiert wären, zu baldigem Abschluß zu gelangen.«

Diese Worte hatte sie kaum zu Ende gesprochen, als sie, drei Schritte von ihrem Liegestuhl entfernt, 217 den Friseurgehilfen wahrnahm, der in abwartender Haltung sich bemerkbar zu machen suchte.

»Würden Sie nicht die Freundlichkeit haben, Fräulein von Seckendorf, und den Mann da bitten, näher zu treten. Ich habe es total verschwitzt, daß er mich schampunieren sollte.«

Die Seckendorf tat, wie ihr geheißen.

»Wollte nur mitteilen«, sagte der Gehilfe kaum hörbar, »daß die gewünschten Papiere in meinem Besitze sind.«

»Gehen Sie unauffällig in meine Kabine und erwarten Sie mich dort«, entgegnete sie in dem gleichen leisen Tone.

Der Gehilfe nickte.

Auf einen Wink Miß Bottchens trat ein Steward heran, um ihren plumpen, fetten Körper langsam und vorsichtig aus den wollenen Decken zu befreien. Schwer auf ihren Stock gestützt, verließ sie das Deck.

Vor ihrer Kabine blieb sie einen Moment stehen, um ihrer Erregung Herr zu werden – dann erst öffnete sie vorsichtig die Tür. Ohne sich jedoch in der Gewalt zu haben, riß sie dem Gehilfen einen Stoß von Papieren aus den Händen.

»Hier sind hundert Dollars«, stieß sie hervor, »die endgültige Abrechnung erfolgt später. Und nun verschwinden Sie, damit Ihre Abwesenheit nicht . . .«

»Den geladenen Revolver habe ich auch mitgenommen«, sagte der Gehilfe und legte ihn vorsichtig auf den kleinen Tisch. »Ich dachte, für alle Fälle, besser ist besser.«

218 Sie starrte ihn fassungslos an, dann drängte sie ihn hinaus, riegelte ab und sank erschöpft in den Fauteuil.

Einige Sekunden hielt sie die Papiere krampfhaft fest, ohne den Mut aufzubringen, sie anzuschauen. Als sie endlich den Versuch machte, raschelten sie dermaßen, daß sie zusammenfuhr und einzelne Blätter zur Erde fallen ließ.

Vor ihren Augen begann es zu flimmern. Mühsam erhob sie sich, nahm von der Waschtoilette einen Flakon mit Kölnischem Wasser, befeuchtete sich Stirn und Schläfen und zog langsam den scharfen Ruch ein.

Sie atmete mehrere Male tief auf und begann zu lesen. Und je länger sie las, um so triumphierender, gieriger, raubtierähnlicher wurden ihre Züge.

Es war eine Unmenge von Empfehlungsschreiben hoher und höchster Persönlichkeiten, die sich mit der Person Doktor Wanners befaßten. Da figurierten der gewesene Großherzog von Mecklenburg, der ehemalige Kronprinz Ruprecht von Bayern, der Kardinal Merry del Val und ein Freiherr von Stumm. Dann folgten bekannte Finanzgrößen und die Träger großer wissenschaftlicher Namen. Zuletzt stieß sie noch auf ein Schreiben des Auswärtigen Amtes, das der Minister Stresemann unterzeichnet hatte.

In allen diesen Schriftstücken wurde den Behörden dringend ans Herz gelegt, Doktor Ernst Wanner, einer wissenschaftlichen Autorität ersten Ranges, in jeder Weise entgegenzukommen und seine Wünsche nach Möglichkeit zu berücksichtigen.

»Dieser Fälscher«, murmelte Miß Bottchen, »dieser ausgepichte Verbrecher.«

219 Und plötzlich riß sie ihre Augen weit auf. In dem Schreiben des Kardinals befand sich eine Stelle, die ihr ganzes Interesse in Anspruch nahm.

Sie kramte mit fiebernden, lüsternen Händen in ihrer Handtasche, bis sie eine Lupe gefunden hatte. Dann starrte sie angestrengt auf das Wort Wanner, dessen erste beiden Buchstaben offenbar ausgebessert waren. Doch trotz des scharfen Vergrößerungsglases war es ihr unmöglich, den Urzustand zu erkennen.

Mit Ausnahme dieses einen Blattes schloß sie sämtliche Papiere sorgfältig ein und eilte, so rasch es ihr geschwächter Körper erlaubte, zum obersten Deck, auf dem sich die Arbeitsräume des Photographen befanden.

»Schließen Sie einen Augenblick ab – ich habe etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen. Hier sind zwanzig Dollar – aber kein Laut darf über Ihre Zunge kommen, mit keiner Silbe und zu niemandem dürfen Sie den Auftrag, den ich Ihnen jetzt erteilen werde, erwähnen. Im Falle Ihrer Diskretion erhalten Sie, bevor ich das Schiff verlasse, eine weitere Remuneration. Sehen Sie sich einmal dieses Wort genau an – nehmen Sie meine Lupe – sehen Sie, daß ursprünglich an dieser Stelle zwei andere Buchstaben standen?«

»Sonnenklar!«

»Sind Sie imstande, diese beiden Buchstaben durch Photographie und sonstige Mittel kenntlich zu machen?«

»Einen Augenblick, Miß Bottchen. Folgen Sie mir 220 gefälligst in meine Dunkelkammer. Bitte, noch einen Moment zu warten – ich muß nur noch ein Fläschchen mitnehmen.« Gleichzeitig holte er von dem Wandbrett einen dünnen Behälter mit einer gelblichen Flüssigkeit.

»Darf ich jetzt bitten?«

Nur eine einzige rote Lampe brannte in dem dunklen Raume. Der Photograph setzte sich vor einen schmalen Tisch und fuhr dann behutsam mit einem feinen Pinsel, den er zuvor in die mitgenommene Flüssigkeit getaucht hatte, über die betreffenden Lettern.

»So, nun können Sie mich wieder begleiten. In einer Sekunde werden wir Bescheid wissen!«

Er hielt das Blatt prüfend ans Licht.

»Kein Zweifel,« sagte er, »die Buchstaben vor der Verbesserung hießen ›G ö‹! Bitte, überzeugen Sie sich selbst!«

Miß Bottchen schwankte.

»Wollen Sie mich stützen«, sagte sie dann, »ich bin immer noch schwach auf den Füßen.« Ihre Stimme klang heiser.

Klar und deutlich traten die beiden Lettern vor ihr Auge.

»Lassen Sie mich bitte ausruhen.«

Dienstbeflissen schob er ihr den einzigen Stuhl hin, der sich in der engen Werkstatt befand.

»Sind Sie imstande«, sagte sie, und legte dabei die Hand auf ihr überlaut schlagendes Herz – »eine einwandfreie Photographie dieses Blattes herzustellen, wobei es mir besonders darauf ankommt, daß 221 die beiden von Ihnen entdeckten Buchstaben sich scharf abheben?«

»Ich glaube dafür bürgen zu können!«

»Haben Sie inzwischen das Bild Doktor Wanners entwickelt?«

»Gewiß, Miß Bottchen!«

»Wann erhalte ich die Abzüge?«

»Heute Nachmittag!«

»Und die Photographie dieses Schriftstückes?«

»Frühestens morgen Abend – es ist eine sehr diffizile Arbeit, Miß Bottchen!«

»Sie wird dementsprechend honoriert werden. Ihrer Diskretion bin ich sicher?«

»Vollkommen!«

»Ich danke Ihnen, mein Herr! Es handelt sich nämlich um eine hohe Wette, die ich einen Moment schon verloren zu haben fürchtete.«

»Sehr wohl, Miß Bottchen.«

»Gefangen, mein Füchslein!« jauchzte sie auf, als sie die frische Meerluft wieder einsog. Dann begab sie sich in ihre Kabine.

Sie brauchte jetzt Ruhe – unbedingte Ruhe – durfte niemanden sehen und hören, wenn sie nicht zusammenbrechen sollte.

Sie warf sich auf ihr Bett und schloß die Augen.

Zu schlafen vermochte sie nicht.

 


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