Felix Hollaender
Das Schiff der Abenteuer
Felix Hollaender

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10

Der Wind hat sich gedreht – das Meer ist unruhig geworden – das Schiff beginnt zu schwanken. Die Passagiere suchen sich dem Rhythmus der Bewegung anzupassen, tun freiwillig oder gezwungenermaßen mit.

Die Komtesse Seckendorf, eben noch strahlend, holt auf alle Fälle Mothersills Sea-sick aus der kleinen, goldenen Handtasche, während Fräulein Testini mit einem bittersüßen Lächeln plötzlich verschwindet.

Stärker schaukelt das Schiff – die Musik spielt 114 unaufhörlich – die jungen Menschen tanzen wie Rasende. Sie gleiten und schweben mit den Bewegungen des Fahrzeuges über die Diele, während das Fähnlein der Aufrechten immer dünner wird, immer mehr zusammenschmilzt.

Und mit einemmal scheint die »Orinoco« den spitzen, unablässig bohrenden Wellen des Mittelmeeres nicht mehr standhalten zu wollen, krümmt und windet sich – biegt mit einem Ächzen sich tief zur Seite. Messer, Gabel, Teller, Tassen und Gläser fallen klirrend zu Boden.

Die Stewards eilen herbei, um die Scherben zu sammeln – aber die Paare tanzen weiter, mit der Widerstandskraft ihrer leuchtenden Jugend. Der Sturm tobt unausgesetzt. Wie auf ein Zeichen erheben sich die Musikanten und verlassen die Diele. Und mit einemmal ist der Saal fast leer geworden – die meisten sind mit schlotternden Knien und todesblassen, grünen Gesichtern in ihre Kabinen geeilt, um dem Schrecken dieser Nacht zu entrinnen.

Auch Camilla gehört zu den Flüchtigen – und Toni ist eben im Begriff, der Schwester zu folgen, als Benjamin Sterzel ihr in den Weg tritt.

»Bleiben Sie noch eine Minute«, sagt er bittend, »ich habe Ihnen noch etwas mitzuteilen.«

»Herr Benjamin Sterzel . . .«

Sein Blick ließ sie nicht locker. Mit einem unterdrückten Seufzer nahm sie ihm gegenüber Platz. Er erschien ihr in diesem Augenblick noch älter, verwitterter und runzliger als sonst.

»Ich kann mich«, begann er zögernd, »mit Ihrem 115 letzten Bescheide nicht abfinden. Mein Bruder, der Doktor, hat mich zwar einen Narren gescholten und eine gründliche Abfuhr mir vorausgesagt. Ich weiß, ich bin ein Narr! Aber, Fräulein Toni, Sie sollten sich die Geschichte doch noch einmal gründlich überlegen, ehe Sie endgültig »Nein« sagen. Sehen Sie, ich habe drüben wie ein Lasttier geschuftet – geheiratet, wie man so zu heiraten pflegt, Frau und Kinder mit trockenen Augen begraben – das Herz ist mir nicht in Stücke dabei gegangen. Waren Zufallsangelegenheiten, waren keine Notwendigkeiten. An die Brüder habe ich mich erst erinnert, als alle anderen Bande – oder sage ich besser Stricke? – gerissen waren. Und nun geschieht etwas, was ich nüchterner Kerl nicht für möglich gehalten hätte – die Welt erscheint mir plötzlich anders – ich finde einen Sinn im Leben.«

Er atmete schwerer – und Toni Wünsch, so unbeteiligt ihr Gefühl blieb, hatte nicht den Mut, sich zu erheben. Wie ein armer, geprügelter Hund erschien ihr der alte Mann, der zusammengekauert vor ihr saß.

»Es ist gut, daß Sie nichts sagen«, fuhr Benjamin Sterzel nach einer Pause fort, »es ist gut, daß Sie wenigstens den Grad von – Mitleid aufbringen, um mich zu Ende zu hören. Ich werde nicht ins Wasser gehen, so bequem es hier an Bord auch wäre, wenn meine Hoffnungen unerfüllt bleiben. Dazu bin ich nicht mehr jung genug, Fräulein Wünsch! Und indem ich dies ausspreche, bin ich auch schon bei dem springenden Punkt unseres Geschäfts 116 angelangt. Es ist ein Geschäft, das ich Ihnen vorschlage, Fräulein Toni – und dazu ein solides Geschäft! Nehmen wir einmal an, ich werde siebzig, dann sind Sie siebenunddreißig – und das ganze Leben steht noch vor Ihnen – bitte, unterbrechen Sie mich jetzt nicht – denn das Wichtigste kommt erst. Gewiß, Sie können einwenden, daß die Sterzels ein kerngesundes Geschlecht sind und achtzig, ja noch älter zu werden pflegen. In diesem Fall soll es in Ihrem Belieben stehen, nach meinem siebzigsten Geburtstag die Ehe zu lösen. Ich schließe mit Ihnen einen notariellen Vertrag laut dem die eine Hälfte meines Vermögens am Tage der Eheschließung an Sie ausgezahlt wird, während Sie den Rest nach meinem Tode erhalten. Mit vierundzwanzig im Besitz einer halben Million und mit der Aussicht, später die gleiche Summe zu erben, steht Ihnen das ganze Leben offen – sind Sie in der Lage, jede Partie zu machen, die Ihren Wünschen und Interessen . . .«

»Herr Sterzel, jetzt muß ich Sie wirklich bitten . . .«

»Ach, Fräulein Toni, nicht beleidigt sein – nicht in die Höhe fahren – glauben Sie, ich könnte Sie kränken wollen? Sie dürfen beruhigt sein, wir Sterzels sind sanftmütige Leute. Ich bin auch schon am Schluß – aber bis zum Schluß müssen Sie aushalten! Nämlich, ich bin ein vorsichtiger Geschäftsmann, der bei jedem größeren Abschluß alle Eventualitäten ins Auge faßt. Sollten Sie ein Zusammenleben mit mir unerträglich finden – gewissermaßen nicht auf Ihre Rechnung kommen, so haben Sie die Freiheit, mir vorn und hinten Hörner aufzusetzen. Ich werde 117 stillhalten – werde nicht mucksen – kein Wort des Vorwurfs wird je aus meinem Munde kommen. Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe, Fräulein Toni, ich denke, es ist ein klarer – es ist ein reinlicher Vorschlag!«

Toni wußte nicht, ob sie auflachen oder aufheulen sollte. Da saß jemand und klammerte sich mit seinem ganzen Denken und Fühlen an sie – machte von ihrer Antwort die letzten Freuden seines Daseins abhängig – würde wie ein Hund mit dem Schwanze wedeln, wenn sie ihm den armseligsten Knochen hinwürfe – und sie hatte nicht einmal ein Trostwort für ihn übrig.

Wäre er nicht Friedrich Sterzels Bruder gewesen, sie hätte ihn aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einmal aussprechen lassen. Welche Antwort konnte er von ihr erwarten, die sie selbst in tiefen Sorgen war!

Ritt sie der Teufel, als sie jetzt erwiderte: »Verlangen Sie im Augenblick keinen Bescheid von mir, Herr Benjamin Sterzel, er müßte unbedingt verneinend sein – aber das Ende aller Dinge kennt nur Gott.«

Bei diesen Worten war sie fahl geworden – ein abgründiges, schmerzhaftes Lächeln entstellte ihre Züge.

 


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