Felix Hollaender
Das Schiff der Abenteuer
Felix Hollaender

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24

Die Passagiere der »Orinoco« hielten sich von Doktor Wanner in sichtbarer Entfernung. Bei allem schuldigen Respekt, den sie dem berühmten Manne 222 entgegenbrachten, war doch das Urteil der Gräfin Plessen das allgemeine.

Sie hatten in seiner unmittelbaren Nähe ein peinliches Empfinden. Und Doktor Holzmann, der durchaus kirchlich gesinnt war, fand die Formel: er gehört zu den Leuten, die weder an Gott noch an den Teufel glauben.

Fräulein Testini allein verteidigte ihn mit Feuereifer.

»Ich glaube auch, meine Herrschaften, daß der Teufel ihn nicht erwischen wird, denn in dem Augenblicke, wo Petrus im Begriff stünde, ihm vor der Nase die Himmelspforte zuzuschlagen – wird Gott dazwischentreten: Verwehre ihm nicht den Eintritt, Petrus, denn er gleicht mir – er ist gut und böse – wie ich gut und böse bin.«

»Hübsch ausgedrückt«, sagte der Lehrer. »Doktor Wanner verkörpert in der Tat das Goethesche Prinzip – ist Faust und Mephisto in einer Person – ein Mann von mächtigem Impuls und zugleich von einer femininen Hysterie. War Goethe, ohne etwa einen Vergleich ziehen zu wollen, nicht von ähnlicher Wesenheit? War er nicht Götz und Weislingen – und zugleich Tasso und Octavio? Trug sein Antlitz nicht ebenso Züge von Clavigo und Fernando, wie von Oranien und Reineke Fuchs –?«

Camilla hatte voll Spannung zugehört, und als jetzt zum Schrecken aller Anwesenden Wanner unvermutet auftauchte, eilte sie ihm spontan entgegen.

Mit einer zur Schau getragenen, abweisenden Miene kehrte er ihr den Rücken.

223 Sie wich nicht von seiner Seite.

»Behandeln Sie mich nicht derartig«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor. »Sie schneiden mich, geben mir zu verstehen, daß ich Luft für Sie bin – weniger als Luft – diesen Zustand halte ich nicht aus – hören Sie?!«

»Ich möchte Sie weder sehen noch hören, nachdem Sie mir Ihr wahres Gesicht gezeigt haben.«

Sie wurde überrot.

»Verstehen Sie so wenig, in das Herz einer Frau zu schauen – begreifen Sie denn nicht – können Sie es nicht wenigstens ahnen, was in dieser Nacht in mir vorging?!«

»Ich weiß nur«, entgegnete er langsam, »daß Sie mit mir ein infames Spiel getrieben haben – das dreisteste, das eine Frau überhaupt zu spielen fähig ist.«

»Ich hätte das getan?« fragte sie entsetzt.

»Sie haben mich auf eine schändliche Art gedemütigt – ich finde kein bezeichnenderes Wort für Ihr Benehmen.«

Sie war ganz blaß geworden. Ihre Züge drückten Verwirrung, Gequältheit und Hilflosigkeit aus. Sie wollte etwas erwidern – gab es jedoch auf – von der Aussichtlosigkeit ihres Versuches überzeugt. Die Arme fielen ihr schlaff herunter.

Als er jetzt eine Bewegung zum Gehen machte, ergriff sie seinen Arm und klammerte sich an ihn.

»Doktor Wanner, was bedeute ich für Sie – eine Frau mehr oder weniger, das ist alles!«

224 »Eine Frau weniger«, entgegnete er unsanft, »bedeutet für mich eine Schwächung meiner Lebenskraft – ein Symptom meines Verfalls, Fräulein Camilla Wünsch – und jetzt – gerade jetzt bin ich mehr den je auf mein Selbstbewußtsein, auf das Gefühl meiner Stärke und Überlegenheit angewiesen. Um es schärfer zu fassen: ich bin in einer Situation, in der ich versinke, wenn ich den Glauben an mich verliere. In meinem ganzen Dasein war Selbstvertrauen für mich von zwingender Notwendigkeit! Sie suchten es mir zu nehmen, haben mich im Stich gelassen, weil im entscheidenden Moment es Ihnen an Instinkt und Mut gefehlt hat.«

Camilla verstand von alledem keine Silbe. Nur eines war für sie gewiß: sie mußte ein ungeheuerliches Verbrechen gegen ihn begangen haben, denn anders war dieser Aufruhr – dieses gewaltsame Ausbrechen seines Hasses nicht zu erklären.

»Gesegnete Mahlzeit«, sagte die Bottchen, und winkte Wanner mit aufdringlicher und verdächtiger Freundlichkeit zu, während zugleich ein Blick ihrer stechenden Augen Camilla streifte.

»Wissen Sie zufällig, wo sich Fräulein Testini befindet? Ich suche sie an allen Ecken und Enden des Schiffes. Ah, da ist sie schon! Gnädiges Fräulein, bitte eine Sekunde!«

Miß Bottchen hängte sich in Teresinas Arm. »Spitzen Sie mal Ihre Ohren, mein Kleinchen«, sagte sie flüsternd und zog sie aus dem Schwarm der Menschen. »Jetzt ist es so weit – Sie dürfen im Laufe der nächsten Tage – vielleicht schon der nächsten 225 Stunden mit einer Erklärung Doktor Wanners rechnen.«

»Miß Bottchen, leisten Sie sich um Gotteswillen keinen schlechten Spaß – ich ertrüge es nicht!«

»Drücken Sie mich nicht zu Tode«, schrie die Bottchen auf. »Grüne und blaue Flecke werde ich am Arm haben. Ich wollte Ihnen nur die nötigen Verhaltungsmaßregeln geben, damit Sie nicht noch im letzten Moment Dummheiten machen! Zunächst frage ich Sie, hat sich inzwischen in Ihren Entschlüssen irgend etwas geändert – sind Sie nach wie vor gewillt, Doktor Wanner zu heiraten?«

»Das ist eine überflüssige Frage, die keine Antwort erfordert. Entweder, ich heirate Doktor Wanner, werde meinethalben auch seine Geliebte, oder das Leben hat für mich keinen Sinn mehr. Mit siebenundzwanzig Jahren, denke ich, weiß man, was man will.«

»Gut, Fräulein Testini, mehr brauche ich nicht zu hören! Doktor Wanner wird Ihnen also innerhalb einer kurzen Frist seinen Antrag machen. Sie wissen, ich bin bei dem Geschäft nicht unwesentlich interessiert. Und dennoch rate ich Ihnen, sich noch einmal ernstlich zu prüfen. Ich nehme es mit meinem Berufe sehr, sehr ernst – und zuletzt müssen bei mir alle persönlichen Interessen in den Hintergrund treten.«

»Weshalb«, unterbrach sie Fräulein Testini, »halten Sie mir eigentlich diesen Vortrag? Das ist das reinste Gewäsch«, setzte sie verärgert hinzu. »Ich heirate Doktor Wanner nicht, damit Sie Ihre 226 reichlich unverschämte Provision schlucken – sondern weil ich ohne diesen Menschen – das geht Sie übrigens gar nichts an – ist meine Sache.«

»Bon –« erwiderte die Bottchen, »sprechen wir also über diesen Punkt nicht mehr. Aber darüber müssen Sie sich im klaren sein – leicht zu behandeln ist Doktor Wanner nicht – und ebensowenig darf es Sie überraschen, wenn Sie eines Tages gewisse Flecken und dunkle Punkte in seiner Vergangenheit entdecken sollten.«

»Ich weiß, daß Wanner kein Unschuldsengel ist – Männer wie er – –«

»Haben mancherlei auf dem Kerbholz«, ergänzte die Bottchen.

»Selbstverständlich – ich meinerseits habe nie daran gedacht, einen Apotheker zu heiraten.«

»Weshalb ausgerechnet einen Apotheker?«

»Ach, das ist so ein Sammelbegriff für Spießer und Philister.«

»Darüber dürfen Sie beruhigt sein – zu der Sorte zählt Wanner wahrhaftig nicht. Nur, wie gesagt, er will behandelt sein – er muß zum mindesten das Gefühl haben, daß auch Sie mit gewissen bürgerlichen Anschauungen gebrochen haben.«

»Ich hoffe, daß er sich davon sehr bald überzeugen wird. Gerade das reizt mich ja an ihm, daß er nicht mit dem gewöhnlichen Maß zu messen ist – sondern außerhalb des Weichbildes geordneter Existenzen steht. Aber eine Frage noch: Worauf gründet sich überhaupt Ihre Mutmaßung, daß Doktor Wanner . . .«

227 »Diese Frage dürfen Sie nicht stellen, meine Liebe! Damit stören Sie nur meine letzten und wichtigsten Operationen. Nehmen Sie das ganz wörtlich! Kein Chirurg duldet, daß man ihn während der Arbeit unterbricht. Sie dürfen und müssen zu mir blindes Vertrauen haben, – das ist die Voraussetzung des Erfolges. Sorgen Sie lediglich dafür, daß Ihre und Ihres Vaters Sachen rechtzeitig gepackt sind. Übrigens bitte ich Sie, Herrn Testini keinerlei Andeutungen vorher zu machen – es genügt, wenn sein Diener angewiesen wird, alles reisefertig zu halten. Es könnte nämlich unter gewissen Umständen der Fall eintreten, daß wir auf Jerusalem und Korfu verzichten.«

»Das wird ja immer rätselhafter und geheimnisvoller«, seufzte Fräulein Testini.

»Die Lösung werden Sie früh genug erfahren, das schönste im Leben, mein liebes Kind, sind die Überraschungen. Wüßte man alles vorher – das Dasein wäre grenzenlos langweilig! Noch eins: Ich hätte nichts dagegen, wenn Sie jetzt vertraulich mit Fräulein von Seckendorf über die kommenden Dinge sich unterhalten würden – es hat keinen Zweck mehr, Versteck zu spielen – könnte sogar hinterher Anlaß zu Verstimmungen geben, oder haben Sie etwa bereits mit der Seckendorf gesprochen?«

»Nicht gerade direkt«, antwortete Teresina zögernd, »nur sind wir seit ein paar Tagen wieder befreundet geworden – Fräulein von Seckendorf hat plötzlich ein Anlehnungsbedürfnis, das ich im Interesse meines Vaters toleriere. Sie begreifen, ich suche 228 mich mit meiner künftigen Stiefmutter zu stellen, ich mache lieber gute Miene zum bösen Spiel, als daß ich . . .«

»Sie sind eine der klügsten Klientinnen, die mir je begegnet sind. Kompliment, Fräulein Testini! Doktor Wanner ist ein Glückspilz! Eine gescheitere und bessere Frau hätte er nie bekommen können – er macht eine Partie, wie sie in Jahrzehnten nur einmal – – – – aber jetzt bitte ich, mich zu entschuldigen – Sie wissen, wie lange man im Friseursalon warten muß, wenn man die vereinbarte Zeit nicht innehält.«

Und schon war sie davongeflitzt und ließ das Fräulein in einem Zustand gründlichsten Aufgerührtseins zurück.

Miß Bottchen winkte dem Gehilfen, der gerade die Ondulation einer anderen Dame beendet hatte.

»Wollen Sie sich noch eine Extraprämie verdienen?«

»Immer derjenige, welcher!« antwortete er.

»Dann verfolgen Sie, zumal in den Nachtstunden, Doktor Wanner auf Schritt und Tritt – und ebenso kontrollieren Sie die Damen Wünsch, besonders das jüngere Fräulein. Sobald irgend etwas Verdächtiges Ihnen auffällt, erwarte ich unverzügliche Mitteilung. Wanners Kabine kennen Sie – die der Damen Wünsch ist Nr. 21 auf dem C-Deck!«

Der Gehilfe machte eine tiefe Verbeugung. Ein Ausdruck ehrlicher Bewunderung breitete sich über seine Züge.

229 Als Miß Bottchen den Salon verließ, stieß sie im Korridor auf den Großindustriellen.

»Sagen Sie, mein Herr«, fragte sie leisen Tons, »sind Sie immer noch so scharf auf Fräulein Camilla Wünsch? Bitte, ich mische mich nicht gern in fremde Angelegenheiten – vielleicht aber könnte ich Ihnen in dieser Sache behilflich sein – ich gebe kein festes Versprechen – ich rede nur von einer Möglichkeit – von einer Wahrscheinlichkeit immerhin!«

»Unsinn, woher wissen Sie überhaupt . . .?«

»Ich weiß alles, mein Herr, ich bin im Bilde. Wer Augen hat zu sehen – wer Ohren hat zu hören – ist stets auf dem Qui vive!«

»Sie vermitteln Heiraten, wie man mir erzählt hat?«

»Allerdings, mein Herr – im Nebenberuf sozusagen!«

»Ich denke nicht daran, die betreffende Dame zu heiraten!«

»Gar nicht nötig, mein Herr, ich bin orientiert.«

»Sie haben gelauscht?«

»Nur von einer interessanten Konversation ein paar Brocken aufgeschnappt – mein Gott, was soll man tun, man hört das Gras wachsen!«

»Sie sind wirklich gefährlich, Miß Bottchen!«

»O nein, mein Herr – nur fördernd – nur nützlich. Das Interesse beider Geschlechter liegt mir am Herzen!«

»Was würde mich der Spaß kosten?« fragte der Großindustrielle nach kurzem Besinnen. »Ich liebe Klarheit und reinliche Verhältnisse.«

230 »Das ist ein aufrechtes Manneswort«, entgegnete sie und lächelte dabei abgründig. »Bestimmen Sie gefälligst selbst«, fügte sie hinzu.

Der Großindustrielle überlegte: »Fünftausend Emmchen!«

»Danke bestens, mein Herr, wünsche wohl zu schlafen!« Und tief gekränkt: »Wofür halten Sie mich? Bin ich eine Gelegenheitsmacherin, eine Kupplerin? Oder arrangiere ich ernsthafte und dauernde Beziehungen, mögen sie nun legitim oder illegitim sein?«

»Ja, was haben Sie sich denn vorgestellt?«

»Bei einem Objekt von dieser Größe . . .?«

»Von welcher Größe?«

»Bei einem Vermögensstand wie dem Ihren dachte ich an mindestens . . .« sie machte eine kleine Pause, schöpfte Atem und ergänzte dann kurz und entschlossen – »dachte ich an mindestens vierzigtausend Mark!«

»Sie sind verrückt, glatt verrückt!«

»Möglich, mein Herr, niemand weiß, wie es um ihn steht.«

»Hören Sie, Miß Bottchen, das Arrangement mit der betreffenden Dame kommt mir nach allen meinen bisherigen Anstrengungen so unwahrscheinlich vor, daß ich glaube, wir streiten um des Kaisers Bart!«

»Umso bereitwilliger und leichter können Sie demnach meine Bedingungen akzeptieren. War es nur ein Spaß, mißlingt das Experiment, so gehen Sie kein Risiko ein. Im anderen Falle aber ist das 231 geforderte Honorar nur eine loyale und absolut angemessene Entschädigung für meine Bemühungen.«

»Ich denke nicht daran.«

»Dann darf ich diese Unterredung wohl als eine kleine Unterbrechung meiner aufreibenden Tätigkeit betrachten.« Sie nickte hoheitsvoll, im Begriff, sich zu entfernen.

»Zehntausend!«

»Vierzig!« beharrte sie eigensinnig.

»Fünfzehn!«

»Ich würde jetzt an Ihrer Stelle, mein Herr, hinzufügen: zum ersten . . . zum zweiten . . . zum dritten!«

»Mein letztes Angebot, Miß Bottchen, fünfundzwanzigtausend – und zugleich mein Ehrenwort, daß ich nicht einen Pfennig mehr biete, daß damit der Kuhhandel für mich erledigt ist.«

Miß Bottchen zog ihr Notizbuch hervor.

»Unterschreiben Sie«, sagte sie kurz und barsch.

»Donnerwetter noch einmal«, stieß er perplex hervor, »da steht ja bereits die Zahl.«

»Ich wußte ja im voraus«, antwortete sie übellaunig, »daß aus Ihnen nicht mehr herauszuschlagen sei. Man kennt doch seine Kunden.«

Der Großindustrielle unterzeichnete.

»Wollen Sie für mich reisen, Miß Bottchen? Sie sind ein Geschäftsgenie.«

»Verbindlichsten Dank, mein Herr, Sie können mich nicht bezahlen! Meine Geschäftsspesen sind sechsstellig – und Sie haben mich soeben um fünfundsiebzig Prozent gedrückt.«

232 Als sie außerhalb seiner Sicht war, brach sie in ein wieherndes Lachen aus.

»Dieser Narr«, sagte sie vor sich hin und schlug ein anderes Blatt ihres Kontobuches auf – »für zehntausend hätte ich es gemacht – um fünfzehntausend hat er überzahlt – und obendrein wird ihm dies Luderchen, wenn es je dazu kommt, die Hölle heiß machen . . . gnade ihm Gott . . . ich möchte nicht in seiner Haut stecken.«

 


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