Felix Hollaender
Das Schiff der Abenteuer
Felix Hollaender

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

19

Eine vierzehnstündige Nachtfahrt lag hinter den Passagieren, als die Schlafwagenkontrolleure sie mit dem Rufe: Luxor . . . Luxor! weckten. Noch 190 schlaftrunken, durchrüttelt und durchschüttelt – voller Erwartung und Erregung, schlüpften sie in die Kleider.

Wieder tönte ihnen von allen Seiten: Bakschisch – Bakschisch . . .! entgegen – zwei Silben nur, in denen die ganze Bettelarmut des Orients sich ausdrückt.

Die Zeit war kostbar – keine Minute durfte versäumt werden. Rasenden Schrittes eilte man in das prunkhafte Winterpalacehotel, das hart an den Tempel von Luxor stößt. Auf weißgedeckten Tafeln wartete das Frühstück. Wieder harrten aufrecht und in königlicher Haltung, lautlos und stumm arabische Kellner des europäischen Winks.

Man schlürfte mit Wohlbehagen den starken Mokka – spürte auf der Zunge den süßen, milden Honig – und eilte in den Garten des Hotels, um zum erstenmal das Wunder der ägyptischen Sonne auf sich strömen zu lassen.

Toni stand wie benommen da – sie hatte unwillkürlich die Hände gefaltet. Der Garten in seiner überquellenden Farbenpracht – in der Unwahrscheinlichkeit seines Kolorits, in der zitternden, durchsichtigen, überhellen Lichtfülle spann sie in seinen Zauber ein. Die Umwelt versank.

»Verträume Dich nicht«, sagte Camilla und ergriff sanft ihren Arm. Toni sah sie gerührt an – von neuem wurde ihre schwesterliche Liebe wach. Vor ihnen schritten die Brüder Sterzel und Doktor Wanner. Der Lehrer drehte sich um: »Eilen Sie sich, meine Damen, die Boote warten nicht!«

191 Man stieg gemeinsam in eines dieser Dahabijen, die mit ihren dreieckig geschnittenen, vom Winde geblähten Segeln etwas Unirdisches an sich haben, als drängten sie in versunkene Zeiten zurück. Und das Gefühl des Weggerückt-, Verwandelt- und Verzaubertseins wurde noch verstärkt durch die monotonen Lieder der Ruderer.

An den kleinen Nildampfern glitt man vorbei – und ehe man sich's versah, war das Ziel erreicht. Ohne jeden Übergang fast tauchte die Welt der Wüste in der Flut ihres blendenden, weißen Lichtes auf. Die Ureinsamkeit eines unübersehbaren Sandmeeres, das von granitenen, schroff abfallenden Gebirgszügen umrahmt war, umfing die Reisenden.

»Hier sind wir im Tal der Toten«, sagte der Lehrer. »Hier hat man vor Jahrtausenden die Felsen aufgerissen, um in dieser grenzenlosen Weite und Stille den ägyptischen Königen ihre letzte Ruhestatt zu richten.«

Man stieg unter die Erde zum Grab des Tutanchamon. Aus dunklen Gängen drang siedende Hitze, die einem den Atem benahm. Elektrische Birnen verbreiteten ihr mattes, kümmerliches Licht.

»Schauen Sie auf die Wandgemälde«, nahm der Lehrer das Wort wieder auf. »Hier ist das Leben des Königs verzeichnet, der nur achtzehn Sommer gesehen hat. Dann wird er ermordet – ein Opfer seiner politischen Gegner. Menschen und Zeiten ändern sich nicht. Und hier ist sein goldener Sarkophag, dessen Kostbarkeiten und Geschmeide man in das Museum von Kairo . . .«

192 Der Lehrer kam nicht weiter. Aus unmittelbarer Nähe wurde ein Schrei vernehmbar.

Gerade noch im letzten Moment war Miß Bottchen von Doktor Holzmann aufgefangen worden – und alles mühte sich nun, die Ohnmächtige ins Freie zu schaffen. Auch die anderen Reisenden drängte es aus der erstickenden Atmosphäre wieder an das Tageslicht. Erst nach langem Bemühen gelang es Doktor Sterzel, Miß Bottchen wieder zum Bewußtsein zu bringen.

Sie blickte sich irr und ängstlich nach allen Seiten um, dann knöpfte sie sich erschrocken ihre Bluse wieder zu.

Ihr Auge traf Doktor Wanner.

»Sehen Sie mich nicht so an –« rief sie, »Sie haben den bösen Blick!«

»Ich glaube«, erwiderte er trocken, »Sie sind wieder auf dem Posten. Und sollte ich den bösen Blick haben, so hängt in Ihrem Munde bestimmt die noch bösere Zunge!«

»Pst!« machte Doktor Sterzel, »jetzt keine noch so witzigen Zwiegespräche! Halten Sie sich ganz still, Miß Bottchen, sonst garantiere ich für nichts!«

»Ist denn mein Zustand besorgniserregend?«

»Ihr Zustand ist ganz ungefährlich, solange Sie Ruhehalten!«

»Nehmen Sie meinen Arm«, sagte Doktor Holzmann.

Miß Bottchen stützte sich schwer auf ihn.

Inzwischen waren die übrigen in die Wagen gestiegen, um den Amonstempel zu erreichen. Ein 193 Urwald von Säulen – unfaßbar in den Proportionen – tat sich vor ihnen auf.

»Kann man sich vorstellen, daß von Menschenhänden diese Steinmauern herangewälzt, geformt und aufeinandergetürmt wurden – und dies zu einer Zeit, da Europa noch im tiefsten Schlafe lag?« fragte der Lehrer.

Niemand antwortete ihm. Man war verstummt unter der Wucht der Eindrücke. Erst, als man wieder bis zur Grenze von Fruchtland und Wüste vorgedrungen war und Menschen begegnete, die hager und aufrecht neben ihren Schafen, Büffeln und Kamelen schritten, erwachte man aus seiner Dumpfheit.

»Sie gehen nicht – sie schreiten«, sagte Toni in andächtigem Entzücken.

»Ja«, antwortete Doktor Sterzel, »Sie sind mit ihrem Sande verwachsen, weil sie sich ihre Demut und ihr Herrengefühl gewahrt haben – und weil sie stolz sind auf den kargen Streifen Fruchtland, den sie dem gelben Sandmeer abgerungen haben.«

 


 << zurück weiter >>