Felix Hollaender
Das Schiff der Abenteuer
Felix Hollaender

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26

Doktor Wanner klopfte an Miß Bottchens Tür. Niemand öffnete.

Er riß an der Klinke; die Kabine war geschlossen.

Er raste von einem Deck zum anderen. Seine Augen flackerten, seine Bewegungen waren fahrig, seine Knie zitterten.

Ruhe . . . Ruhe . . . Ruhe . . . zusammengenommen, sonst ist alles verloren!

Er blieb stehen und atmete tief.

Im Schreibzimmer stieß er endlich auf Miß Bottchen.

»Ich möchte Sie unter vier Augen sprechen«, sagte er in dringlichem Ton.

Sie schüttelte den Kopf.

»Bedaure! Nach den Erfahrungen, die ich mit Ihnen gemacht habe, Doktor Wanner, verzichte 236 ich auf ein solches Zwiegespräch. Was Sie mir zu sagen haben, darf alle Welt hören!«

»So kommen Sie aufs Deck!«

Sie überlegte ein Weilchen.

»Meinethalben«, entgegnete sie dann, »aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß sämtliche Deckstewards die Order haben, wie die Luchse aufzupassen, sobald Sie in meiner Nähe sind. Bitte, nehmen Sie Platz; hier sind wir in jedem Sinne geschützt. Sprechen Sie leise; ich glaube, es liegt in Ihrem Interesse.«

»Sie haben meine Papiere und meinen Revolver gestohlen, Miß Bottchen«, stieß er ohne jeden Übergang hervor.

»Ich habe Ihre gefälschten Schriftstücke und Ihre Mordwaffe an mich genommen, um Sie vor Unheil, das heißt in diesem Falle, vor einer weiteren Zuchthausstrafe wegen neuer Urkundenfälschungen, zu bewahren; ich leugne es nicht.«

»Diese Papiere«, sagte er, und in seinem Gesicht zuckte es beständig, »sind echt . . .«

»Wie der Name Doktor Wanner, wie Ihre Erfindung, daß der Nobelpreisträger Ihr Onkel und Pate sei«, vollendete sie. ». . . . Unterbrechen Sie mich jetzt nicht, Herr Göhring; wir spielen um das Ganze. Achten Sie genau auf jedes meiner Worte, wenn Ihre Freiheit Ihnen noch einen Pfifferling wert ist. Nämlich, Sie sind bei allen Ihren Fähigkeiten ein armes Luder, ein Stümper, wie er im Buche steht. Auf diese Fälschungen konnte nur ein deutscher Gesandtschaftsrat hereinfallen – so dumm, so kindisch 237 sind sie! Sie sollen mich ausreden lassen, hören Sie! Ich vermag nämlich, dank Ihrer ärztlichen Kunst, auch lauter – viel lauter zu sprechen!«

»Nicht eine Sekunde werde ich dieses irrsinnige Zeug länger mit anhören, verstehen Sie mich! Und um Sie, Miß Bottchen, nicht im unklaren zu lassen, erkläre ich Ihnen, bei allem, was mir heilig ist . . .«

»Ach, Mister Wanner«, entgegnete sie mit einem wahrhaft mitleidigen Gesicht, »lassen Sie die schweren Worte beiseite. Noch sind wir nicht in der Tragödie; noch liegt es in Ihrer Hand, das Ganze in eine Komödie mit einem happy end zu verwandeln!«

»Eine Komödie soll es werden«, schrie er unbeherrscht, »aber Sie, verehrte Dame, dürften nicht in das Gelächter mit einstimmen, wenn ich bei Tisch an mein Glas schlagen und sobald es totenstill geworden ist, etwa folgendes sagen werde: Meine Herrschaften, ich habe Ihnen eine kurze, aber vielleicht nicht uninteressante Mitteilung zu machen: die nämliche Miß Bottchen, der ich das Leben rettete, hat meinen geringen Anspruch auf Dankbarkeit damit quittiert, daß sie in meine Kabine eingebrochen ist, um Papiere zu stehlen, die für mich von größter Wichtigkeit sind.«

Sie lachte äußerst belustigt auf.

»Wie dumm von Ihnen, Doktor Wanner, immer wieder an diese peinlichen Papiere zu erinnern! Diese Papiere sind ja der Strick, den Sie sich selbst gedreht haben. Schauen Sie einmal her!«

238 Sie entnahm ihrer Handtasche das Schreiben Merry del Vals.

»Sehen Sie: an dieser Stelle haben Sie zuerst Doktor Göhring schreiben wollen; nach den ersten beiden Buchstaben entdeckten Sie den Irrtum und machten aus Gö einfach Wa. Sie waren zu träge, den Brief noch einmal zu schreiben.«

Er blickte entsetzt auf die von ihr bezeichnete Stelle und riß das Blatt mitten durch.

»Das sind doch Kindereien, lieber Herr Göhring; ich habe von den versiegelten und im Schiffsbureau deponierten Originalen ein rundes Dutzend Photographien anfertigen lassen. Was ist das übrigens für ein leichtsinniger und plumper Einfall«, fuhr sie fort, »gleich mit einem Schock von Zertifikaten berühmter Persönlichkeiten zu arbeiten! Das muß doch jeden halbwegs vernünftigen Menschen stutzig machen. Obendrein sind die aller Welt bekannten Unterschriften geradezu dilettantisch nachgeahmt. Der Herr Außenminister würde sich die Hüften halten, wenn er sein Autogramm in Ihrer Fälschung zu sehen bekäme. Lassen wir das gefälligst beiseite; wir haben über wichtigere Dinge zu sprechen, und die Zeit fliegt rascher als das rascheste Flugzeug!«

Ihre letzten Worte hatten ihm den Rest gegeben. Er saß zusammengesunken da, das Gesicht fahl, die Finger unablässig bewegend, als übte er die schwierigsten Passagen.

»Miß Bottchen«, brachte er mühsam hervor, und auf einmal huschte ein wunderbares Lächeln um 239 seinen Mund, das seinem geistreichen Gesicht ein zauberhaftes, unirdisches Aussehen gab, »Miß Bottchen, Sie haben mir den Revolver gestohlen und vielleicht noch andere Trostmittel, aber das Meer, Miß Bottchen, werden Sie mir nicht stehlen – das geht selbst über Ihre Kraft!«

Es war der letzte Triumph, den Doktor Wanner über Miß Bottchen davontrug.

Ein paar Sekunden keuchte sie schwer – sie sah die »Orinoco« mit Mann und Maus – mit sich und sämtlichen Passagieren versinken; dann aber ging über ihre Züge ein Leuchten. Der Himmel war wieder von makelloser Reinheit – kein Wölkchen trübte den Horizont.

»Ich bin bereit, Mister Wanner, Ihnen den geladenen Revolver ohne weiteres wieder auszuhändigen – Sie werden nicht Hand an sich legen – Sie werden nicht über Bord gehen – Sie haben im Leben noch einiges zu tun – Sie werden es nicht früher verlassen, als bis Sie Ihre große Entdeckung unter Dach und Fach gebracht haben. Und nun achten Sie genau auf jedes meiner Worte! Denn vielleicht haben wir keine Stunde mehr zu verlieren, vielleicht ist das die letzte Unterredung zwischen uns beiden. Ihre Photographien, betrachten Sie gefälligst das von mir angefertigte Konterfei, sind in fünfzig Exemplaren an alle Bahn- und Hafenbehörden adressiert. Auf einen Wink von mir werden sie befördert – jeder Fluchtversuch ist also aussichtslos. Es ist ein schwerer Irrtum«, fuhr sie in sich überstürzender Rede fort, »eine fixe Idee, wenn Sie glauben, daß ich 240 Sie ruinieren will. Ob Sie Wanner oder Göhring heißen, ist mir unter gewissen Voraussetzungen vollkommen gleichgültig. Mein Interesse für Ihre eigenartige Persönlichkeit hat seine ganz bestimmten Gründe! Um mich kurz zu fassen: Sie sind für mich lediglich ein Gegenstand der Spekulation – denn als Mensch haben Sie Ihre Rolle ausgespielt. Das Objekt ist es, das mich interessiert. Sie sind ein Geschäft für mich, Doktor Wanner, das ich mir nicht entgehen lassen möchte.« Sie machte eine kleine Pause, strich mit dem Taschentuch über ihre feuchte Stirn, ehe sie fortfuhr: »Herr Testini bietet Ihnen als Mitgift eine runde Million – sage und schreibe – eine Million– und dazu kommen nach seinem Tode ungezählte andere Millionen. Wenn Sie sich heute der jungen Dame erklären – kann übermorgen in London die Trauung stattfinden. Die Pässe genügen – Flugzeuge sind von mir bereits bestellt – alle weiteren Formalitäten werden bei meinen Londoner Beziehungen spielend von mir erledigt werden. In London hat man noch die wenigsten Scherereien. Bedenken Sie, welch ungeheure Chancen sich Ihnen noch einmal bieten – eine runde Million – oder sagen wir genauer 900 000 Mark, nach Abzug meiner Provision, werden, sobald die standesamtliche Trauung vollzogen ist, an Sie ausgezahlt. Die Welt öffnet weit ihre Tore – die Möglichkeiten sind phantastisch – sind unbegrenzt! Um des Himmels willen, jetzt keinen Zwischeneinwurf! Natürlich werden Sie zunächst Ihre Ehe auf den gestohlenen Namen Wanner schließen. Da hilft nichts – in diesen sauren Apfel 241 müssen wir beißen. Aber nach kurzer Zeit schon leiten Sie – im Einverständnis mit Ihrer Gattin – die Scheidungsklage ein. Bei meinen Erfahrungen und Kenntnissen auf diesem Gebiet wird das im raschesten Tempo vor sich gehen. Sie werden sich alsdann einen neuen Namen zulegen, vielleicht von französischer Abstammung – wenn ich mir einen bescheidenen Rat erlauben darf: Laporte, Ledouble, Lafortune, wie es der Gemahlin am besten zusagt – die Wahl dürften Sie getrost Frau Doktor Wanner, geborener Testini, überlassen. Bevor Sie Ihre zweite Ehe mit Frau Dr. Wanner schließen, treten Sie selbstverständlich zum Katholizismus über, damit wir eine durchgreifende Änderung Ihrer Personalien herbeiführen – und die letzte Spur Ihres früheren Erdenwallens aus den Akten tilgen. Und was bezwecken alle diese Maßnahmen? werden Sie fragen. Sie sollen endlich die Möglichkeit haben, innerhalb der kürzesten Frist die offiziellen Examina nachzuholen – entweder in Frankreich, besser vielleicht noch in der Schweiz. Bei Ihren ungewöhnlichen Fähigkeiten wird es ein Kinderspiel sein. Wenn man Ihr Hirn besitzt und dazu eine Million – verzeihen Sie – 900 000 Mark in der Tasche hat – gibt es keine Schwierigkeiten. Inzwischen sind Sie mit der geschiedenen Frau Doktor Wanner eine neue Ehe eingegangen und allen Nachforschungen ist ein Riegel vorgeschoben. Unbehelligt von aller Welt werden Sie Ihrer Praxis oder Ihren wissenschaftlichen Forschungen leben. Noch einmal bietet Ihnen das Schicksal die Hand – schlagen Sie ein, Mister 242 Wanner – fackeln Sie nicht lange – es könnte sonst zu spät werden!«

Miß Bottchen hatte während dieser Rede einen feuerroten Kopf bekommen – ihre Augen glühten, jeder Muskel ihres Gesichtes war gespannt.

Auch Doktor Wanner brannte bis in die Eingeweide.

»Geben Sie mir eine Frist von zwei Stunden«, stammelte er.

»Nein und abermals nein«, erwiderte sie in kategorischem Ton. »Jetzt gibt es kein Reflektieren und Spintisieren mehr – jetzt heißt es auf der Stelle handeln. Die Uhr, Mister Wanner, ist abgelaufen.«

Er erhob sich und schritt ein paarmal auf und nieder.

Miß Bottchen verfolgte ihn mit Raubtierblicken.

Als er wieder an sie herantrat, glaubte sie, aus seinen Zügen ihren Sieg zu lesen.

»Miß Bottchen«, sagte er, »es ist Ihnen gelungen, das Netz so dicht zusammenzuziehen, daß es für mich in der Tat kein Entrinnen gibt – es bleibt mir nur der von Ihnen gewiesene Ausweg. Ob Ihre Kalküls betreffs der genannten Dame stimmen, vermag ich nicht zu entscheiden. Sollten Sie indessen zutreffen, so erkläre ich Ihnen, daß ich unter allen Umständen dem Fräulein vorher meine ganze Vergangenheit offenbaren werde. Ich denke nicht daran, mich ein zweites Mal von Ihnen oder einer Miß Bottchen in erneuter Auflage zu Tode hetzen zu lassen! Ist Fräulein Testini dann noch bereit, das 243 Risiko mit mir einzugehen – gut, so geht es auf ihre Kappe.«

Miß Bottchens Gesicht war bei diesen Worten immer länger – ihre Nase immer spitzer geworden.

»Darauf, Mister Wanner, habe ich Ihnen folgendes zu erwidern: Sie sind ein großer Narr – und zugleich ein großes Kind. Immer sind Sie durch die Weiber auf die schiefe Ebene – man könnte beinahe sagen, unter die Räder geraten. Ihr ganzes Pech geht von den Weibern aus, die Ihre geborenen Freundinnen – und zugleich Ihre erbitterten Feindinnen sind. Denken Sie nur daran, was Sie allein in den letzten Wochen hier an Bord getrieben haben. Bilden Sie sich ein, Mister Wanner, all ihr Tun blühe wie ein Veilchen im Verborgenen? Lassen wir in Gottes Namen die Vergangenheit, inbegriffen bis zum gestrigen Tage, ruhen. Aber nun kommt eine Frau, die quasi als Revanche für das, was Sie zeitlebens durchgemacht, Sie aus dem ganzen Schlamassel herausreißen will – – und in diesem bedeutsamen Augenblick, wo das große Los Ihnen gewissermaßen in den Schoß fällt – sind Sie drauf und dran, eine Dummheit zu begehen, die, saftiger als alle vorangegangenen, nie mehr reparabel ist. Ihr Dasein hindurch haben Sie gefälscht, gelogen und betrogen – und plötzlich sind Sie von dem Wahrheitsfanatismus eines Sekundaners besessen! Wissen Sie, die Wahrheit ist das Heikelste auf Erden – wenn man sie nicht mit der Zange anfaßt, richtet sie den größten Schaden an. Meine selige Mutter hat bei jeder 244 passenden und unpassenden Gelegenheit gesagt: Was ich nicht weiß – macht mich nicht heiß. Und glauben Sie mir, in dem Wort liegt mehr Sinn und Verstand als in den Evangelien und allen Philosophien zusammengenommen! Übrigens sollte ich meinen, daß diese Auffassung mit Ihren eigenen Gedankengängen eine verfluchte Ähnlichkeit hat.«

»Advocatus diaboli«, sagte Wanner leise vor sich hin.

Aber Miß Bottchen hatte es trotzdem gehört.

»Irrtum«, erwiderte sie, »ich bin der Anwalt der leidenden Menschheit. Ich werfe Ihnen, Mister Göhring, in höchster Not das rettende Seil zu – das ist Gottes- und nicht Teufelswerk!«

»Bedaure, Miß Bottchen! Ich erkläre mich Fräulein Testini nicht, ohne ihr vorher reinen Wein eingeschenkt zu haben.«

Miß Bottchen war der Verzweiflung nahe.

»Tun Sie, was Sie nicht lassen können, und tragen Sie die Folgen! Ein guter Trinker läßt in der Flasche immer noch eine Neige – gönnt den Rest der Bouteille anderen. Wenn Sie klug sind, schenken Sie das Glas nicht zu voll ein! Und um endlich auf etwas anderes zu kommen, Mister Wanner«, fuhr sie nach einigem Zögern fort, »um völlig korrekt und hinterher nicht Mißdeutungen ausgesetzt zu sein, mache ich Sie noch darauf aufmerksam, daß Sie selbstverständlich die Lasten der Provision nicht allein tragen. Ihr Herr Schwiegervater ist genau mit der gleichen Summe beteiligt. An und für sich brauche ich von Ihnen keine Unterschrift. Sie sind mir sicherer als 245 irgendein Mensch auf dieser Erde. Aber für Leben und Sterben muß doch alles seine Richtigkeit haben – darf ich also bitten?«

»Ich unterschreibe diesen Wisch, weil er ja nur für den Fall des Zustandekommens Gültigkeit hat.«

»Danke, mein Herr! Ach, Doktor Wanner, es ist verflucht schwer, mit Ihnen Geschäfte zu machen. Und nun eine letzte Frage: Es ist Schlag halb elf – kann Fräulein Testini Sie in einer Stunde oben auf der Kommandobrücke treffen? Man ist am ungestörtesten dort.«

Wanner zog seine Uhr und nickte stumm.

»Ich rechne damit, daß Sie auf die Sekunde pünktlich sind. Man läßt eine junge Dame in einer derartigen Situation nicht warten!«

Sie machte mit der Hand eine grüßende Bewegung und verschwand eiligst.

Als sie nach einigem Suchen Fräulein Testini erspäht hatte, drängte sie sie wortlos in ihre Kabine, die sie hinter sich abriegelte.

»Es ist so weit«, brachte sie atemlos hervor. »In einer Stunde wird er sich Ihnen erklären. In einer Stunde sollen Sie oben auf der Kommandobrücke sein!«

Teresina sank wortlos in den Fauteuil. Die Rede verschlug ihr. Eine feine Röte überzog ihr intelligentes Antlitz.

Nachdem sie sich wieder gefaßt hatte, war das erste, was sie hervorstieß: »Ist es nicht die höchste Zeit, daß ich mich umziehe – halten Sie ein dunkles oder helles Kleid für geeigneter?«

246 Sie war im Begriffe, sich zu erheben, aber Miß Bottchen drückte sie sanft in den Sessel zurück.

»Ich bitte Sie, für ein paar Sekunden Ihre Ungeduld zu zügeln! Es ist da noch ein Punkt, auf den ich Sie aufmerksam machen muß. Sie wissen, sämtliche Männer haben irgendeinen Spleen – sind in gesteigerten Momenten ihres Lebens unberechenbar. Was nun Mister Wanner betrifft – so hat er es sich in den Kopf gesetzt, mit Ihnen – wie soll ich es nur ausdrücken – eine Art Feuerprobe anzustellen. Er hat die fixe Idee, er müßte Ihnen alle seine Jugendsünden beichten. Das ist, unter uns gesagt, nichts weiter als eine heroische Pose! Er möchte die Heldenrolle bis zu Ende zu spielen. Er glaubt durch ein großes, umfassendes Bekenntnis sich selbst die Dornenkrone auf's Haupt zu drücken, um dann gewissermaßen im Glorienschein vor Ihnen zu stehen. Offen gestanden, ich finde es reichlich überspannt! Was soll man tun – man muß die Männer nehmen, wie sie sind! Sie werden sich erinnern, Fräulein Testini, daß ich Ihnen gegenüber immer betont habe: leicht ist der Mann nicht. Ich habe Ihnen auch nie verschwiegen, daß seine Vergangenheit nicht ganz so kristallrein ist, wie man es sich wünschen möchte. Wo viel Licht – ist auch viel Schatten. Seien Sie also auf ihrer Hut! Lassen Sie es nicht so weit kommen, daß er später ein Gefühl der Scham hat, vor der Hochzeitsnacht im moralischen Sinne sich bis auf die nackte Haut entblößt zu haben. Ein Mann vergißt und verzeiht das nie! Ihre ganze Ehe könnte verpfuscht sein, bevor sie noch begonnen hat. Das ist 247 der letzte Ratschlag, den ich noch zu geben vermag . . . Und nun Gott befohlen, Sie haben noch gute fünfundzwanzig Minuten Zeit, um Toilette zu machen.«

»Miß Bottchen, ich werde mich streng an Ihr Worte halten – werde nie vergessen, was Sie für mich getan haben!«

Miß Bottchen stand mit gefalteten Händen da. Und wirklich überkam sie eine leise Rührung – sie glaubte wenigstens selbst daran, als sie mit dem Ärmel über ihre Augen strich. Wie wunderbar ist doch das Leben, dachte sie, während sie wieder ins Freie trat. Ganz versonnen wandelte sie das Deck ab.

Der Großindustrielle grüßte sie mit einem ironischen Zwinkern. Sie ging schnurstracks auf ihn los.

»Die Angelegenheit mit Fräulein Camilla Wünsch ist reguliert, mein Herr! Stellen Sie jetzt, bitte, keine indiskreten Fragen – lassen Sie es sich an der Tatsache genügen!«

Er sah sie so perplex an, daß sie sich eines leichten Lächelns nicht erwehren konnte.

»Sie werden sich in Haifa mit Fräulein Wünsch von den übrigen Reisenden trennen. Ihre Sache, mein Herr, ob Sie mit Ihrer Dame nach Jerusalem fahren – oder eine andere Route einschlagen. Ich für meinen Teil würde Ihnen das letztere empfehlen.«

»Und Fräulein Toni Wünsch? . . .«

»Wird Ihre Kreise in keiner Weise stören. An Bord wird man Sie nicht vermissen, denn auch andere 248 Reisende werden die ›Orinoco‹ früher, als sie beabsichtigt hatten, verlassen.«

»Das ist ja äußerst interessant . . . äußerst . . . hatte ich mir nie träumen lassen – jedenfalls haben Sie das Ding fabelhaft gedreht!«

Die Bottchen wehrte bescheiden ab.

»Man tut, was in seinen Kräften steht! – Wenn Sie übrigens in Anerkennung meiner Dienste das vereinbarte Honorar zu erhöhen wünschen, werde ich nichts dagegen einzuwenden haben.«

Der Großindustrielle lachte geräuschvoll.

»Darüber können wir später reden, meine Verehrte!«

Miß Bottchen zuckte die Achseln.

»Großzügigkeit gehört nicht zu Ihren Tugenden. Nun, es war lediglich ein Vorschlag! Geschäft ist Geschäft – und einmal getroffene Vereinbarungen behalten ihre Gültigkeit, auch wenn der eine Teil hinterher dabei den Kürzeren zieht! Darf ich innerhalb der nächsten vier Wochen auf das Honorar rechnen?«

»Ich bitte um Ihre genaue Adresse, Miß Bottchen, – es wird schon vorher in Ihren Händen sein.«

Er drückte ihr die Hand, während sie ihm verschmitzt und listig zublinzelte.

 


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