Felix Hollaender
Das Schiff der Abenteuer
Felix Hollaender

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13

Die Schwestern Wünsch waren mit Doktor Wanner einer Aufforderung des Kapitäns gefolgt, um das Schiff in allen seinen Teilen zu besichtigen.

Bis in den Maschinenraum war man gestiegen, wo die Heizer in einer siedenden Atmosphäre die Kohlen aufschütteten. Von da begab man sich zu den eisigen Kühlanlagen, in denen alle Schätze des Meeres und der Erde aufgespeichert waren: Süße Früchte des Südens, kostbare Weine aus aller Herren Länder, Kaviar und Hummern, Brüsseler Poularden, Prager Schinken, gewaltige Ochsenrücken, ungeheure Massen von Konserven und dazwischen junges Gemüse, das man in den Häfen aufgekauft hatte.

Aus der Wäscherei schlugen ihnen heiße Dämpfe entgegen.

Ein kleiner Trupp von Chinesen, der das seidene Unterzeug der Damen vorsichtig mit dem heißen Eisen bearbeitete, die eleganten Sportanzüge der Herren bügelte, blickte flüchtig einen Moment auf – lächelte den Ankömmlingen mit seinem asiatischen, geheimnisvollen Lächeln zu, grüßte mit einer 146 Handbewegung und arbeitet weiter, rastlos, stumm mit einer Ausdauer und einem Fleiß, die keine Unterbrechung duldeten.

»Heute noch Kulis – morgen vielleicht schon die Herren der Welt«, bemerkte Doktor Wanner.

»Sind wir nicht alle Kulis – wo sind die Herren, wo die Sklaven?« fragte Toni.

»Nein, meine Dame! Den einen wird von Kindesbeinen an jedes Steinchen aus dem Wege geräumt – die anderen können in ihrem Unrat und Dreck ersticken – und die Eltern atmen am Ende noch befreit auf. Das Dasein solcher Menschen ist ständige Hungerkur – ist ewiger Kampf. Und falls sie mit unheimlichen Energien sich aus der Tiefe hocharbeiten, versetzt man ihnen bei der ersten Gelegenheit einen Tritt in den Hintern, daß ihnen Hören und Sehen vergeht!«

Sein Ton klang so gereizt, daß die Schwestern sich entsetzt ansahen.

»Ihnen, Herr Doktor, ist es jedenfalls besser ergangen – und selbst wenn Sie aus dem Dunkel gekommen sind, wie man aus Ihren Worten schließen muß, so ist es Ihrer Willenskraft gelungen, das Höchste zu erreichen«, antwortete Toni leise.

»Ach, Fräulein Wünsch, auf das Urteil eines gelehrten Ausschusses lege ich nicht allzu großen Wert. Wieviel wissenschaftliche Entdeckungen hat man in den siebenten Himmel gehoben, um später mit einem Achselzucken über sie hinwegzuschreiten!«

»Auf Sie dürfte das nicht zutreffen«, warf Kapitän Groen mit verbindlichem Lächeln ein.

147 »Gerade auf mich trifft jedes meiner Worte zu. Ich bin grau an den Schläfen geworden und habe mir auf äußere Erfolge nie etwas eingebildet. Glauben Sie, daß Erfolg glücklich macht? Erfolg weckt nur den Haß und Neid der Menschen!«

»Und was macht glücklich?« fragte Camilla.

»Wenn man seinen natürlichen, eingeborenen Trieben folgt – wenn man atmet, schläft, zeugt, gebiert, betrügt, stiehlt, mordet, wie es sich gerade trifft.«

Der Kapitän schlug sich mit beiden Händen auf die Schenkel.

»Ich habe gewiß schon manchen tollen Burschen erlebt, aber Sie sind der witzigste Passagier, mit dem ich je gefahren bin. Nach Ihrer Theorie wären demnach kleine Einbrüche eine durchaus erlaubte Angelegenheit?!«

»Jeder schütze sich, so gut er kann. Wenn mir eine Schlange in den Weg tritt, würde ich ihr den Kopf abschlagen, ehe sie mich beißt.«

Sie waren jetzt in der mächtigen Küche angelangt, in der vor kupfernen Kesseln und Pfannen eine Schar weißgekleideter Köche hantierte. Die Dünste der Braten und süßen Speisen, der Geruch heißen Fettes stieg ihnen in die Nasen.

»Lassen Sie uns in die frische Luft gehen«, bat Toni.

Sie und Doktor Wanner schritten voran – der Kapitän folgte mit Camilla.

»Ich wäre außerstande«, sagte Toni tiefunglücklich, »mit solchen Gedanken, wie sie in Ihrem Kopfe rumoren, das Leben zu ertragen.«

148 »Das hängt von der Natur des einzelnen ab. Außerdem ist man ja in der Lage, durch eine kleine Injektion jederzeit ein Ende zu machen. Das ist das große Trostmittel meines Lebens.«

»Doktor Wanner!« schrie sie auf – und ihre Züge hatten sich bis zu dem Grade verändert, waren in solches Entsetzen getaucht, daß er plötzlich, angesichts der vielen Menschen, seinen Arm in den ihren legte, ohne daß sie sich dagegen auflehnte. Ja, in einem Zustand jämmerlicher Hilfsbedürftigkeit schmiegte sie sich eng an ihn.

»Ist Ihnen schlecht?« fragte er besorgt.

Sie mühte sich, zu lächeln. Aber es war ein verkrümmtes, todestrauriges Lächeln, das ihn betroffen machte.

»Mir ist schon wohler«, stieß sie mit sichtlicher Anstrengung hervor. Und nach einem Weilchen: »Ihre Worte hatten eine solche Stoßkraft, daß ich wirklich einen Moment umzufallen fürchtete. Kommen Sie, Doktor Wanner.« Sie zog ihn aus dem Strom der Menschen auf die Kommandobrücke und sagte plötzlich mit großer Einfachheit:

»Ich liebe Sie, Doktor Wanner!«

Sein vergrämtes Gesicht hellte sich bei ihren Worten nicht auf.

»Ich habe noch niemandem Glück gebracht. Wer sich mit mir einläßt, ist immer noch unter die Räder gekommen.«

Es wurde leer und dunkel in ihr. Klang das nicht wie die härteste Absage! . . . Zum erstenmal fühlte sie sich einem Manne verhaftet – mit den feinsten 149 Fäden innersten Denkens und Wünschens sich ihm verbunden. Gegen ihren Willen – gegen ihr Schamempfinden war ihre Leidenschaft durchbrochen – hatte sie Bekenntnis abgelegt. Was kümmert sich die Natur, ob sie Dämme einreißt!

Und in diesem schicksalsschweren Moment war sie mit einer nichtssagenden Redensart zurückgestoßen worden.

Doktor Wanner zog sie mit sanfter Gewalt in einen der abseitigen Schiffskorridore und umschlang sie mit einer Gewalt, daß ihr die Sinne vergingen.

Sie vergaß die Umwelt. Es hätte ihr nichts ausgemacht, wenn plötzlich die Tür aufgerissen worden wäre und sämtliche Passagiere in die Hände geklatscht und »bravo« gerufen hätten. In einem Taumel der Wollust und Entzücktheit war sie trunken von seiner Kraft.

Sie schloß die Augen.

Und eine Sekunde schoß es ihr durch den Kopf, daß, wenn Gott gnädig und barmherzig wäre, sie jetzt in die Abgründe des Todes sinken müßte.

 


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