Felix Hollaender
Das Schiff der Abenteuer
Felix Hollaender

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11

Als die Reisenden am frühen Morgen erwachten, hatte der Sturm sich gelegt – strahlender Himmel wölbte sich über der schimmernden Bläue des Meeres. Die »Orinoco« fuhr durch die Dardanellen. 118 Alles war, mit Krimstechern versehen, auf Deck geeilt und scharte sich um den Lehrer Sterzel, der jeden Strich der Küste deutete.

»Sehen Sie, meine Herrschaften, jetzt sind wir an der berühmten Straße, die einst Lord Byron gelähmten Körpers durchschwommen hat – damals ein heldisches Unternehmen, das ihm mehr Ruhm eintrug als sein Manfred oder sein Kain.«

»Und heute«, rief der Großindustrielle aus Düsseldorf dazwischen, »durchqueren Hans Vierkötter und Gertrud Ederle den Kanal! Die Welt schreitet beständig vorwärts – und wir Deutsche stehen an der Spitze von Sport und Kultur. Ist es nicht so, Fräulein Wünsch?« wandte er sich an Camilla.

Sie hörte kaum auf seine Worte, schaute unentwegt nach der anderen Seite hin, wo Toni sich mit Doktor Wanner so lebhaft unterhielt, daß sie für nichts anderes Sinn zu haben schien.

»Bitte, blicken Sie einmal dorthin«, redete der Großindustrielle wieder auf sie ein, »da in dem Felsen ist das Zeichen des Islam, der liegende Halbmond mit dem Stern darunter, eingegraben – interessant – wie?«

Camilla nickte zerstreut und suchte nach einem schicklichen Grund, um Tonis habhaft zu werden.

Und jetzt baute sich vor aller Augen, von der Sonne übergossen, amphitheatralisch das alte Byzanz auf. Hügel kettete sich an Hügel, und von schlanken, spitzen Minaretts überragt, leuchteten ihnen die mächtigen Kuppeln der Moscheen entgegen.

Es war ein wunderbares Bild. Die Reisenden 119 warteten erregt auf den Moment, in dem die »Orinoco« anlegen würde.

Endlich stieg man aus, eilte an zerfallenen Häusern und übelriechenden Straßen vorbei, in denen verlumptes Volk herumlungerte, um zuletzt in der berühmtesten Moschee, der Hagia Sofia, zu landen. Unvermutet stand man in einem reinlichen Vorhof, in dessen Brunnen Priester und Gläubige sich Hände und Füße waschen, bevor sie zum Gebet eintreten. Der düstere, ernste Raum ließ die Reisenden einen Augenblick verstummen. Das Haus Allahs mit seiner mächtigen Kuppel, seinen erhabenen, strengen Linien nötigte ihnen Schweigen ab. Sie versanken in den schweren, kostbaren Teppichen, von einer ungeheuren Stille umfangen.

Mitten in die Grabesruhe hinein ließ sich die Stimme von Frau Doktor Holzmann vernehmen.

»Sagen Sie«, wandte sie sich an den Fremdenführer, »auf welche Art reinigt man diese Riesenteppiche, diese Wunder an Schönheit – hat man Staubsauger oder . . .«

Sie sah sich verstimmt um. Ein paar Passagiere hatten plötzlich aufgelacht.

»Weshalb lachen Sie eigentlich, meine Herrschaften?« stieß sie ärgerlich hervor, »das ist doch eine durchaus angebrachte Frage!«

»Selbstverständlich haben wir Staubsauger«, antwortete der Fremdenführer.

»Da haben Sie es! Man hat hier Staubsauger genau wie bei uns, das war es, was ich feststellen wollte. Die Welt ist eine kleine Stadt – da bildet man sich ein, 120 an der Tete der Kultur zu marschieren – und dann kommt man zu den Türken . . .«

»Aber Eugenie!« unterbrach sie Doktor Holzmann.

»Was heißt hier Eugenie? – ich stelle eine allgemeine Wahrheit fest – und Du sagst ›Eugenie‹ und fällst mir in die Rede. Ich finde das absurd, mein Lieber!«

Doktor Holzmann drängte sie trotz ihres Sträubens weiter.

»Eigentlich bin ich ein bißchen enttäuscht«, äußerte Herr Testini zu dem Großindustriellen, als man am Abend müde und abgehetzt wieder an Bord war. »Die europäisierte Türkei ist nicht nach meinem Geschmack – man sieht keine Feze mehr – man sieht keine verschleierten Frauen – alles ist von der gleichen Wohlanständigkeit wie bei uns in Hamburg!«

»Erlauben Sie mal, was den Dreck, das Elend und die Armut betrifft, sind sie uns noch immer über! Und die Vielweiberei – unter uns gesagt, wem das Spaß macht – der kann überall auf seine Kosten kommen! Dieser Kemal Pascha übrigens, der hier die Revolution gemacht hat, ist ein raffinierter Bursche. Die Vielweiberei hat er abgeschafft – und die Liebesstunden eingerichtet.«

»Liebesstunden, was ist denn das?« fragte Herr Testini interessiert. Der Großindustrielle zog ihn beiseite.

In diesem Moment trat Fräulein Testini zu den beiden Herren.

121 »Ich wollte Dich nur erinnern, Papa, daß Miß Bottchen Dich erwartet.«

Sie sah blaß und verstört aus – ihre Bewegungen hatten etwas Fahriges – und ein Zucken um ihren Mund verriet ihre innere Bewegung.

»Ist Ihnen etwas, mein gnädiges Fräulein?«

Teresina Testini sah den Großindustriellen wie geistesabwesend an, ohne seine Frage zu beantworten.

»Sage Miß Bottchen, daß ich sie in fünf Minuten aufsuchen werde – so lange wird es wohl noch Zeit haben«, entgegnete Herr Testini gereizt.

»Was hat denn Ihr Fräulein Tochter, sieht ja total verändert aus – ordentlich beängstigend . . .?«

Herr Testini brummte ein paar unverständliche Worte vor sich hin – etwas lauter setzte er hinzu: »Ich bitte mich zu entschuldigen, diese Miß Bottchen hat mich um eine Unterredung ersucht, die ich ihr nicht gut abschlagen konnte.«

Langsam und übelgelaunt begab er sich in das Schreibzimmer.

Miß Bottchen trat ihm entgegen.

»Sie wünschen mich zu sprechen?«

Sie sah ihn erstaunt an.

»Hier dürfte ein kleines Mißverständnis vorliegen«, erwiderte sie mit leichtem Spott. »Ihr Fräulein Tochter hat in Ihrem Auftrag mich ersucht . . .«

»Streiten wir nicht um die Form, kommen wir zur Sache!«

»Bedaure sehr – Herr Testini – ich möchte jedoch unter keinen Umständen mich Ihnen aufdrängen.«

122 Herr Testini zog die Schultern ein wenig hoch – er pflegte das immer zu tun, wenn seine Nerven außer Rand und Band gerieten.

»Bitte, setzen wir uns!«

Miß Bottchen folgte mit einer hoheitsvollen Miene seiner Einladung, lehnte sich in den Sessel zurück und gab keinen Laut von sich.

Mit so einem Luder muß ich verhandeln, dachte Herr Testini im Stillen. Er wäre am liebsten aufgesprungen, um hinter sich die Tür dröhnend zuzuschlagen. Statt dessen biß er die Zähne zusammen, schluckte seinen Ärger herunter und sagte mit verändertem Tonfall: »Meine Tochter berichtete mir, daß Sie eventuell geneigt wären, die betreffende Angelegenheit in die Hand zu nehmen. Sie wissen, dieser Doktor Wanner ist mir persönlich durchaus unsympathisch – ich habe, wie Sie sich entsinnen werden, Ihnen gegenüber daraus nie ein Hehl gemacht.«

Miß Bottchen nickte.

»Schließlich aber«, fuhr Herr Testini fort, »bin ich es nicht, der Herrn Wanner zu heiraten wünscht. Was in meinen Kräften stand, habe ich getan, um meiner Tochter diesen Wahnsinn auszureden. Wem nicht zu raten ist – dem ist nicht zu helfen. Ich lehne also in der Sache selbst jede Verantwortung ab – möchte jedoch, daß gewisse Präliminarien erledigt werden, bevor die Geschichte ihren Lauf nimmt.«

»Darf ich fragen, was Sie darunter verstehen?«

»Ich wünsche zuvörderst über Doktor Wanner 123 einige Auskünfte einzuholen – ich möchte nicht Gefahr laufen, etwa einem Schwindler auf die Leimrute gegangen zu sein!«

Miß Bottchen erhob sich.

»Ich glaube wirklich, wir können unsere Unterredung abbrechen. Ich verspüre keine Lust mehr, mich mit dieser Sache zu befassen.«

»Ja, sind Sie denn von Sinnen?« begehrte Herr Testini auf, »es wird doch wohl mein gutes Recht sein, mich nach meinem künftigen Herrn Schwiegersohn zu erkundigen. Bilden Sie sich ein, ich tätige Geschäfte, ohne vorher genaue Informationen einzuziehen?«

»Ich bilde mir gar nichts ein. Wenn Sie aber meine aufrichtige Meinung hören wollen, so ist es die: Trotz Ihres jugendlichen Aussehens stammen Sie aus dem vorigen Jahrhundert, mein Herr! Die Zeiten haben sich, auch was das Heiraten anbelangt, gründlich geändert. Wer könnte das besser beurteilen als ich, die nicht nur auf dem Kontinent die größten Partien vermittelt.«

»Darf ich Sie um eine nähere Erklärung bitten?«

»Man zieht keine Erkundigungen mehr ein – das ist eine antiquierte Methode. Erkundigungen einziehen, das heißt, jede Heirat von vornherein unmöglich machen. Sie können die Bonität eines Kunden feststellen – eine zuverlässige Analyse seines Charakters werden Sie nie erhalten – im Gegenteil – –« Sie lachte mitten im Satze amüsiert auf, »was für Auskünfte, Herr Testini, meinen Sie 124 wohl, würde ich beispielsweise über Sie erhalten, wenn ich Ihre ganze Vergangenheit durch peinliche Recherchen aufhellen wollte.«

»Das ist eine Unverschämtheit!«

»Die Wahrheit ist es«, erwiderte sie mit unerschütterlichem Gleichmut. »Die Welt, Herr Testini, besteht aus Hochstaplern oder Dummköpfen – und vor die Wahl gestellt, wem von beiden ich meine einzige Tochter anvertrauen soll, würde ich für mein Teil auch nicht eine Sekunde zögern.«

»Also gehört Herr Doktor Wanner in die Kategorie der Hochstapler?!«

»Herr Doktor Wanner ist vom Scheitel bis zur Sohle ein Gentleman – ist vielleicht sogar ein Phänomen! Im übrigen ist es mein oberster geschäftlicher Grundsatz, über die Herren, deren Interessen ich vertrete, keinerlei Auskünfte zu geben. Ich verspüre nicht die geringste Lust, mir Beleidigungsklagen wegen übler Nachrede auf den Hals zu laden.«

»Dann schlage ich vor, die Angelegenheit zu vertagen, bis wir wieder in Deutschland sind.«

»Ganz nach Ihrem Belieben, mein Herr! Auf eines jedoch möchte ich Sie in aller Bescheidenheit aufmerksam machen: Herr Doktor Wanner wird verlobt, verheiratet sein – bevor wir noch das Schiff verlassen. Wenn nicht mit Ihrem Fräulein Tochter – dann mit einer anderen Dame. Nach diesem Herrn ist hier an Bord eine derartige Nachfrage, eine so stürmische Nachfrage, darf ich wohl sagen, daß ich mich der Reflektantinnen kaum erwehren kann.«

»Und weshalb haben Sie es so eilig?«

125 Miß Bottchen betrachtete ihn mit großartiger Überlegenheit.

»Ein Geschäft muß man im richtigen Augenblick abschließen, Herr Testini! Verpaßt man ihn, kann es einem passieren, daß man hinterher auf dem Trockenen sitzt! Sie wissen, Geld ist heute nicht flüssig – und von den Spesen meines Betriebes – von den Auslagen vermögen Sie sich keinen Begriff zu machen. Meinen Sie, ich wollte es riskieren, daß mir das Geschäft ›Doktor Wanner‹ durch die Lappen geht? Nein, mein Herr! Mein Prinzip ist, auf dem Quivive zu sein!«

»Wissen Sie was? Ich pflege mir jedes Ding noch einmal zu überschlafen – wenn es Ihnen also recht ist – können wir morgen um die gleiche Zeit unsere Unterredung fortsetzen.«

»Ganz wie es Ihnen gutdünkt, Herr Testini!«

 


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