Felix Hollaender
Das Schiff der Abenteuer
Felix Hollaender

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5

Toni und Camilla sogen mit stillem Entzücken die Wunder der ihnen neuen Welten ein. Sie machten die allgemeinen Ausflüge mit – hielten sich jedoch zum Ärger der Mitreisenden nach wie vor abgesondert, nur ihrem Ruhebedürfnis lebend. Sie wußten ja, welch aufreibende Tätigkeit nach dieser kurzen Erholungsfrist in Berlin ihrer harrte.

Wenn sie aus den Häfen an Bord zurückkehrten – und die anderen Passagiere in lebhaften Gesprächen ihre Eindrücke austauschten, zogen sie sich in die stillsten Winkel zurück – lagen nebeneinander, und Toni hielt Camillas Hand, mit der sie sänftigend und glättend über ihr nervöses Gesicht strich. Oder sie wandelten, eng aneinander geschmiegt, schweigend das Deck ab, ohne sich besonderen Gedanken hinzugeben. Sie hörten nicht, was man hinter ihrem Rücken tuschelte, sahen nicht die spöttischen Gesichter, die sie verfolgten.

54 »Sehen Sie sich nur einmal das Getue an!« äußerte die Gräfin Plessen zu Frau Doktor Holzmann. »Man könnte es beinahe genant finden, wie die beiden Modedämchen sich aufführen.«

»Beinahe – Sie drücken es gelinde aus! Für mein Empfinden gibt es nichts Schamloseres, als wenn zwei Frauen sich derartig vor aller Welt enthüllen. Am liebsten würden sie sich gegenseitig mit ihren Blicken auffressen – und was mögen sie erst treiben, wenn sie unter vier Augen sind?«

Die Plessen spitzte die Ohren. »Deutlicher, meine Liebe, sprechen Sie getrost deutlicher. Das sind ja höchst interessante Beobachtungen –«

»Pst –« machte Frau Doktor Holzmann. Die Schwestern standen in ihrer unmittelbaren Nähe. Sie trugen leichte Sommerkleider, und schwebend im Gang, im gleichen Rhythmus sich bewegend, boten sie ein Bild beschwingter Anmut und Jugend.

»Ich möchte etwas von Dir wissen, Toni,« unterbrach Camilla das Schweigen, »gewissermaßen bist Du mir noch eine Erklärung schuldig.«

»Bitte, stelle nur Deine Fragen!«

»Erinnerst Du Dich noch Deiner Bemerkung, daß Du diese Reise eigentlich mehr meinetwegen unternommen hättest?«

Toni blickte überrascht auf. Ihr sonst blasses Gesicht war von der Seeluft leicht gebräunt – und über diese Bräune glitt jetzt ein flüchtiges Rot.

»Ach, Camilla, frage mich nicht! Das waren Worte, die nicht so ernst zu nehmen sind.«

»Weshalb machst Du Ausflüchte, Schwesterchen? 55 Glaubst Du, ich fühlte nicht, daß Du irgend etwas mir verbergen möchtest? Ich bin immer so stolz darauf gewesen, daß es zwischen uns nie Unklarheiten gegeben hat.«

Dabei schmiegte sie sich noch zärtlicher an Toni und sah mit liebenden Augen zu ihr empor.

»Ach, Camilla, es gibt Stunden, in denen ich gerade deswegen bedrückt bin.«

»Jetzt verstehe ich Dich tatsächlich nicht.«

»Ich bin dann«, fuhr Toni fort, »von der Angst befallen, daß wir zu eng miteinander verwachsen sind – zu viel voneinander wissen.«

»Ist das nicht das Glück in all dem Unglück unserer Jugend gewesen?«

»Gewiß – aber denke Dir, ich war neulich außer mir vor Freude, als Du am Ende des Gespräches über Tante Cäcilie Gedanken äußertest, die ich Dir nie zugetraut hätte. Gott sei Dank, dachte ich, so wie du dir diese Camilla vorstellst, ist sie denn doch nicht. Sie hat ihre Hintergründe – und es bedarf nur der Gelegenheit, daß etwas von ihrem Geheimnis herausbricht.«

»Nein, Toni, ich habe vor Dir keine Heimlichkeiten – es gibt keinen Gedanken, den ich Dir verberge.«

Sie blieb plötzlich stehen – und ihre Miene schien tief bekümmert.

»Wie feierlich Du jedes Wort nimmst«, erwiderte mit leisem Vorwurf die Ältere – »und wie Du hinter einer flüchtigen Bemerkung« – sie suchte einen Moment nach dem passenden Ausdruck – »gleich 56 Unfreundlichkeiten witterst. Was ich Dir damals sagen wollte, ist, in ein paar Sätzen ausgedrückt, etwa folgendes: Beziehungen, wie sie zwischen uns bestehen, Vertrautheiten, die alle Grenzen verwischen, haben auch ihre gefährlichen Seiten. Sie lassen irgend etwas für unsere natürliche Entwicklung Wesentliches verkümmern. Es geht auf Kosten unserer Jugend – unserer Körper. Das ist«, unterbrach sie sich, »fast schon schamlos formuliert – und Du darfst mir glauben, daß es mich innere Kämpfe genug gekostet hat, ehe ich mir darüber klar wurde.«

»Und trotzdem begreife ich Dich noch immer nicht.«

Ein nervöses Zucken ging über Tonis Miene.

»Du machst es mir nicht leicht, Schwesterchen! Kann man denn noch hemmungsloser und unbedenklicher sein Inneres ausschütten? Hast Du Dich denn, um es ganz unzweideutig auszusprechen, niemals nach der Zärtlichkeit eines Mannes gesehnt?«

»Nein, Toni!«

»Das ist eben das Anormale an Dir!«

»Ja, ist es Dir denn anders gegangen?«

»Bei mir liegt der Fall komplizierter. Abgesehen davon, daß ich zwei Jahre älter bin, habe ich wohl meiner ganzen Natur nach . . .«

»Siehst Du, Toni, das ist des Pudels Kern.« Sie lachte vergnügt und hell auf. »Auch meine Natur drängt mich nicht zu dem anderen Geschlecht. Haben wir uns wegen dieses Defektes – denn nach Deiner Ansicht scheint es sich ja um einen solchen zu handeln – jemals elend gefühlt – und weshalb 57 sollten wir einen Zustand ändern, bei dem wir glücklich gewesen sind?«

»Um nicht die Zeit zu verpassen. Damit Du nicht eines Tages mit einem grauen Zopf aufwachst und deine ganze Jugend verschlafen hast.«

»Wie alt bist Du, Toni? Netto vierundzwanzig – und ich bin um zwei Jahre jünger – wenn man Dich anhört, sollte man meinen, wir seien alte Jungfern und so eingetrocknet bereits, daß jeder Jüngling einen weiten Bogen um uns macht. Ich finde, wir sehen noch leidlich gut aus – und mit dem Kuppelpelz könntest Du Dir noch eine Weile Zeit nehmen, denn darauf läuft es ja hinaus, wie ich endlich kapiert habe.«

Toni betrachtete sie mit einer gewissen Überlegenheit.

»Du bist ein Gänschen – unter Menschen wollte ich Dich allerdings bringen – und dem Schicksal oder Zufall die Hand bieten.«

»Loswerden wolltest Du mich – und das auf eine schickliche und bequeme Art – oder solltest Du vielleicht selbst – ach, Toni, beichte mir, ich platze vor Neugier.«

Toni war bei diesen Worten überrot geworden.

»Du bist von Sinnen, Camilla, ich denke nicht daran!«

Die Jüngere atmete wie befreit auf.

»Ich bin zwar in Deinen Augen ein Dummchen. Eines möchte ich Dir verraten – ich glaube, Jakob Leichtentritt und seine Dorothea haben in ihrem gehetzten Dasein nicht nur ihr Geld verloren, 58 sondern obendrein noch ihr gesamtes Liebesvermögen zugesetzt, so daß für uns kein Heller übriggeblieben ist. Ich denke, mit dieser Tatsache werden wir uns abfinden müssen. Denn Geschlechter geben sich schließlich auch einmal aus – und sind dann dem Untergang geweiht. Du merkst, über gewisse heikle Dinge habe ich mir ebenfalls den Kopf zerbrochen.«

Toni beugte sich zu ihr und küßte sie, nachdem sie sich vergewissert hatte, daß kein neugieriges Auge in der Nähe war.

»Tausendmal gescheiter bist Du als ich, mitten ins Schwarze triffst Du mit deinem Mutterwitz.«

»Hör auf, um Himmelswillen, sonst werde ich noch schamrot! Wer sagt Dir denn übrigens, daß unsere Mutter Witz besessen hat – ich glaube, sie bestand aus Gefühl – und nur aus Gefühl.«

 


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