Felix Hollaender
Das Schiff der Abenteuer
Felix Hollaender

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7

In Athen wurde die Reisegesellschaft von dem berühmten Archäologen Geheimrat Dörpfeld empfangen, der sich bereit erklärt hatte, ihr die historischen Stätten zu zeigen und zu deuten. Er war ein Mann von über siebzig Jahren, glich aber in seiner strammen, kerzengeraden Haltung, mit den kurzgeschorenen Haaren mehr einem preußischen Oberst als einem großen Gelehrten und weltbekannten Forscher. Von Hause aus Architekt und Mathematiker, hatte er vor mehr als einem Menschenalter gemeinsam mit Schliemann das alte Troja ausgegraben.

Mit der Gläubigkeit orthodoxer, fanatisierter, von einer Idee besessener Menschen hatten sie darauf geschworen, daß man nur den Angaben und Schilderungen Homers zu folgen brauche, um bis zu dem mythischen Land der Griechen, das kein Mythos, sondern erschütternde Wahrheit sei, vorzudringen.

Damals hatte alle Welt sie gehöhnt und verlacht. Der Gelehrtenstand hatte gegen sie mobil gemacht, der Spießer, soweit er überhaupt Notiz davon nahm, hatte sich den Bauch gehalten, und von den Witzblättern waren freche Karikaturen gebracht worden.

Mitten in diesem Trubel, angepöbelt von aller Welt, dem Spotte preisgegeben, war Schliemann (der sein ganzes Leben hindurch für diesen Zweck und diese Expedition gehungert und gedarbt hatte, um die nötigen Geldmittel aufzubringen) mit seinem jungen Gefährten Dörpfeld an die Arbeit gegangen.

Schliemann hatte als kleiner Kommis begonnen 66 und Dörpfeld als Mathematiker. Was wollten diese beiden Outsider? Die Menschen bluffen? Sich in ein sensationelles Abenteuer stürzen, das der Hochstapelei verteufelt ähnlich sah?

Als dann die Kunde in die ganze Welt drang, daß die phantastischen Hirngespinste Wahrheit geworden, daß es den beiden gelungen war, das Troja des Priamus zu entdecken und auszugraben, daß der Dichter Homer ihnen dabei, wie sie vorausgeahnt, als Führer und Wegweiser gedient hatte, da gingen allenthalben die Wogen der Begeisterung hoch – und aus zwei armen Narren waren plötzlich Propheten und Weise geworden.

»Kann man sich«, fragte der Lehrer Sterzel die Schwestern Wünsch, »die Gefühle der beiden Männer vorstellen, als sie auf einmal ihren spukhaften Traum verwirklicht sahen! Ich habe mir immer gedacht, daß sie vor Bewegung zuerst keinen Laut hervorzubringen vermochten, daß sie still und stumm dagestanden haben, bis sie sich überwältigt in die Arme sanken.«

»Du wirst bei dieser Vorstellung ja selbst zum Rhapsoden«, scherzte der Doktor.

»Ach, Onkel Doktor, unterbrechen Sie ihn nicht, es ist ja schöner als der schönste Roman und zugleich spannend und erregend.«

»Es gibt nichts weiter zu berichten, Fräulein Toni«, fuhr der Lehrer fort.

»Schliemann, der längst tot ist – sein Haus steht hier in Athen – und dieser alte Herr vor uns, der jugendlicher ist als wir Sterzels 67 zusammengenommen – sehen Sie nur, mit welchen elastischen Schritten er uns voraneilt –, sind die Begründer der modernen Archäologie geworden. Alle späteren Ausgrabungen –und wir werden noch manche auf unserer Reise zu sehen bekommen – beruhen auf ihren Methoden. Und jetzt pilgern aus allen Welten die Menschen hierher, um die gehobenen Schätze anzustaunen. Daß es uns aber beschieden sein sollte, dem Zeugen und Mitbegründer einer der merkwürdigsten wissenschaftlichen Epochen hier an Ort und Stelle zu begegnen, daß er unsere Karawane führen würde, hätte ich mir allerdings nicht träumen lassen. Siehst du, Schuster, das hat mit den sieben Weltwundern oder Rätseln nichts zu tun – ist nackte Wirklichkeit und dabei sinnreicher als deine Mysterien.«

Der Schuster lächelte auf seine eigene, spitzbübische Art.

»Lehrer, es gibt zwischen Himmel und Erde Dinge . . .«

»Schuster, das sind olle Kamellen, mit denen ich nichts anzufangen weiß.«

Die Passagiere der »Orinoco« suchten insgesamt sich in die Nähe des Geheimrats Dörpfeld zu drängen, um seiner Worte habhaft zu werden. Ein schneidender, frischer Wind pfiff ihnen um die Ohren, als sie unter Führung des Gelehrten den Weg zur Akropolis emporklommen. Vom griechischen Frühling war zunächst verdammt wenig zu spüren. Als dann aber der Himmel sich plötzlich aufklärte, fühlten sie, auf der Akropolis angelangt, das Wunder des griechischen Lichtes, die sengende Kraft der Sonne, die den 68 unvergleichlichen Bau des klassischen Altertums in ihr funkelndes flüssiges Gold tauchte.

Einen Augenblick verstummten und erschraken sie vor dieser Schönheit.

Der Geheimrat hatte den Hut abgenommen, stand jünglinghaft mit seinen siebzig Jahren da und begann mit weitausladenden Bewegungen und durchdringender Stimme vor den zweihundert Passagieren seinen Vortrag. Seine hellen Augen leuchteten und weiteten sich. Aller Gelehrtenstaub war von ihm abgefallen. Ein Mensch, der auf ein großes Lebenswerk zurückschaute, der mitgeholfen hatte, geheimnisvolle Riegel der Vergangenheit aufzuschließen – öffnete sich, wurde durchsichtig, blühte trotz seinen Jahren noch einmal auf.

»Und was sagst Du jetzt, Benjamin – findest Du diesen Anblick nicht schöner als den des herrlichsten Baumes – sind Kraft- und Energieentfaltung des Mannes nicht einfach zauberhaft?« fragte der Lehrer.

Der Amerikafahrer zuckte nur mit den Achseln.

»Und das ist der Areopag«, sagte Dörpfeld, mit einer richtungweisenden Handbewegung auf einen kleinen Hügel deutend. »Hier unter freiem Himmel haben die Griechen Gerichtsbarkeit abgehalten, losgesprochen oder zu Tod und Gefängnis verurteilt. Das freieste und unfreieste Volk zugleich – gebunden an seinen Schönheitskult und seine Irrlehren. Hart und unbarmherzig gegen jeden Künder neuer Wahrheiten. Wer ihre Götter und ihren Glauben antastete, war ein Bilderstürmer und Verführer der Jugend, den sie vom Leben zum Tode beförderten. 69 Und hier«, fuhr er mit gehobener Stimme fort, »liegt der Pentelikon, aus dem das kostbare Material des Landes, der pentelische Marmor gebrochen wurde. Und nun werde ich Sie zu dem Theater des Dionysos führen, bevor wir noch einen Sprung in das Museum machen.«

Sie standen in dem Riesenraum, der dreißigtausend Menschen fassen mochte. Unübersehbare Massen waren vor zwei Jahrtausenden in dieses Freilichttheater geströmt, um die großen Werke der griechischen Tragiker zu sehen. Hier wurde das Privatleben des Sokrates von dem Lustigmacher Aristophanes dem Gelächter athenischer Spießer ausgeliefert – und mit der großartigen Überlegenheit eines aus seiner Gelassenheit nicht aufzustörenden Geistes hatte der Philosoph in das grausame Lachen mit eingestimmt.

Der Geheimrat wies auf die Marmorsessel zu ebener Erde, von denen jeder ein kleines Schild trug.

»Schauen Sie her, meine Damen und Herren. Hier hat der König – hier der Priester der Musen gesessen.«

Zu der gleichen Stunde, in der die Reisenden den Worten des Geheimrates lauschten, spazierte Doktor Wanner unruhig vor der deutschen Botschaft auf und nieder.

Plötzlich zuckte er zusammen. Hundert Schritte von ihm entfernt tauchte Miß Bottchen auf. Er ging schnurstracks auf sie los. »Sieh da, sieh da, Timotheus – die Kraniche des Ibykus«, rief er ihr mit erkünstelter Heiterkeit entgegen.

70 Sie sah ihn groß an und hob die Schultern ihrer Gewohnheit gemäß ein wenig hoch.

»Wohin des Weges, Mister Wanner?«

»Die gleiche Frage wollte ich an Sie richten«, entgegnete er. »Da Sie mir indessen zuvorgekommen sind, verrate ich mein Geheimnis – ich bin trotz meines Ihnen gegebenen Versprechens im Begriff, den Herren der Gesandtschaft einen kleinen Besuch abzustatten. Wenn Sie, wie ich annehme, das nämliche Ziel haben, könnten wir ja gemeinsam . . .«

»Ich denke nicht daran«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Wir haben Frieden geschlossen, und ich, Mister Wanner, halte mich an unsere Abmachung.«

»Tun Sie das wirklich?«

»So wahr mir Gott helfen möge!«

»Und wie kommen Sie ausgerechnet in diese Gegend?«

»Sehr einfach, ich hatte mit einem Male den Verdacht, Sie könnten wortbrüchig werden, und wie ich sehe, bin ich noch gerade im rechten Moment gekommen, um Sie vor einer Dummheit zu bewahren. Weshalb wollen Sie nicht Ruhe halten? Ich für meinen Teil bin eine zuverlässige Bundesgenossin – aber wenn es sein muß«, schloß sie langsam, mit einem leisen, ironischen Unterton, »stehe ich auch als Feindin meinen Mann.«

»Niemand kann davon tiefer durchdrungen sein als ich«, erwiderte er. »Bilden Sie sich wirklich ein, daß ich Ihnen auch nur ein Wort geglaubt hätte?«

»Sie sind ein Gehängter, Mister Wanner! Zehnmal vom Galgen geschnitten, werden Sie das elfte 71 Mal daran glauben müssen. – Über Ihre eigene Schläue werden Sie purzeln und sich das Genick brechen. Weshalb haben Sie denn kein Vertrauen zu mir? Warum sprechen Sie sich nicht rückhaltlos aus? Um wieviel unkomplizierter und einfacher wäre dann alles! Wer könnte Ihnen besser mit Rat und Tat zur Seite stehen als ich? Ich habe Leuten in schwierigeren – in ganz anderen Situationen aus der Klemme geholfen! Seien Sie doch vernünftig«, schloß sie schmeichlerisch und blickte ihn dabei gutmütig, fast mitleidig an, während sie die Augen ein wenig zusammenkniff.

Doktor Wanner spürte ein Zittern, spürte, daß er einem Kollaps nahe war, wenn er nicht alle seine Kräfte zusammenraffte. »In Ihnen habe ich mich nicht getäuscht«, sagte er langsam, »Sie sind reif für das Irrenhaus – Sie sind gemeingefährlich, wenn man Sie auf freiem Fuße läßt; – und jetzt –«

»Doktor Wanner«, sie faßte ihn mit ungewöhnlicher Kraft an seinem rechten Handgelenk. »Warum spielen wir Katze und Maus? Warum leugnen Sie? Sie haben mich damals in Verlegenheit gesetzt, weil Sie meine Kreise störten. Ich war gerade im Begriff, an Bord ein paar große Abschlüsse zu tätigen, als Sie mir sozusagen in den Rücken fielen. Ein Skandal hätte damals meine Transaktionen empfindlich stören können. Das mußte ich verhindern. Glauben Sie im Ernste, meine vorgesetzte Behörde nähme Anstoß daran, daß ich Privatgeschäfte und offiziellen Beruf miteinander verknüpfe? Im Gegenteil, man findet diese Kombination witzig und förderlich 72 zugleich. Seien Sie überzeugt, es wäre mir ein Leichtes gewesen, von der Funkstation ›Orinoco‹ chiffrierte Telegramme nach Athen, Berlin und Konstantinopel zu senden. Meinen Sie wirklich . . .«

»Ich meine gar nichts mehr, ausgenommen, daß Sie . . . lassen Sie übrigens meine Hand los«, schrie er unvermittelt, »ausgenommen, daß Sie mir jetzt zur Gesandtschaft folgen werden – verstehen Sie. Der Verkehr mit einer Wahnsinnigen steckt an, bringt einen schließlich in Gefahr, selbst seinen Verstand zu verlieren. Und jetzt kommen Sie gefälligst!«

»Ihnen ist nicht zu helfen«, sagte sie achselzuckend. »Aufrichtiger als ich konnte niemand gegen Sie sein. Nicht aus christlicher Liebe und Barmherzigkeit. Gott bewahre! Ich habe Ihnen stets reinen Wein eingeschenkt – nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich das bessere Geschäft darin sah, Sie zu verheiraten, als den Staatsanwalt gegen Sie mobil zu machen. Ich könnte hinzufügen, wenn dies meinem anständigen Charakter nicht widerspräche, daß es sogar ein Dauergeschäft gewesen wäre. Denn wer hätte mich später hindern können, Sie unablässig zu erpressen, Ihnen den letzten Dollar aus der Tasche zu ziehen? Auf unbegrenzte Möglichkeiten habe ich also aus freien Stücken verzichtet, Mister Wanner!«

Sie atmete tief auf, ehe sie fortfuhr: »Neben meinem persönlichen Profit mag da noch eine gewisse Sympathie mitgespielt haben. Ich gebe ohne weiteres zu, für Sie etwas übrig zu haben – für den Menschen, nicht für den Mann«, setzte sie rasch hinzu. »Sie imponieren mir bis zu einem gewissen Grade, 73 weil Sie ein durch widerwärtige Schicksale steckengebliebenes Genie sind – schade, jammerschade, daß eine derartige Persönlichkeit gehandikapt wurde. Nein, bleiben Sie noch eine Sekunde. Es ist äußerst wichtig, daß wir uns näher kennenlernen. Ich muß Ihnen nämlich noch etwas enthüllen. Ich hätte tausend Eide geschworen, daß ich Sie hier an der Gesandtschaft treffen würde. Ich kalkulierte: dieser Herr traut dir nicht über den Weg. Er wird hier Posten fassen, um dich abzufangen. Er hat eine Todesangst, ich könnte ihn da oben denunzieren und seiner Vergnügungstour ein jähes Ende bereiten. Und sehen Sie, ich habe mich nicht getäuscht! Wenn Sie sich jetzt revanchieren wollen, mein Herr, so sagen Sie mir, wie haben Sie es angestellt, aus dem Zuchthause zu entkommen? Ich brenne vor Neugier, die Frage interessiert mich aus rein kriminellen Gründen.«

Doktor Wanners Züge hatten sich total verändert. Niemand, nicht einmal Miß Bottchen, hätte im Moment zu enträtseln vermocht, was in ihm vorging. Sein Gesicht war bis zur Nasenwurzel in beängstigende Blässe getaucht – seine Stirn zeigte eine fleckige, krankhafte Röte.

Er kehrte ihr plötzlich den Rücken und verschwand eiligst hinter dem Portal der Gesandtschaft.

Miß Bottchen blickte ihm verdutzt nach. »Das ist ein neuer Bluff«, sagte sie leise vor sich hin, »in einer Sekunde kommt er wieder zum Vorschein wie der Bonbon aus dem Automaten.«

Sie irrte sich. Es verstrich eine knappe halbe 74 Stunde, ehe er endlich aus dem Hause trat. Seine Züge waren straff – sein Körper hatte Haltung.

Die Bottchen rührte sich nicht, blieb in ihrem Versteck, bis Wanner, der sich ein paarmal flüchtig umgedreht hatte, ihren Blicken entschwunden war. Dann trat sie selbst in das Haus der Gesandtschaft – ließ sich melden und wurde unverzüglich von einem nicht mehr ganz jungen Herrn empfangen.

»Denken Sie sich, ich habe mich gerade mit Ihnen beschäftigt. Vor ein paar Minuten hat mich ein Herr Doktor Wanner verlassen, der nachdrücklich gegen eine systematische Verfolgung Ihrerseits Protest einlegte und zugleich erklärte, ein Opfer Ihrer fixen Vorstellung geworden zu sein. Dieser Herr hat Empfehlungsschreiben so hoher und einwandfreier Persönlichkeiten vorgelegt, daß an der Wahrheit seiner Aussage nicht der leiseste Zweifel bestehen kann.«

Die Bottchen hatte ohne die geringste Bewegung zugehört.

»Gerade aus dem Grunde bin ich gekommen«, erwiderte sie dann, »um jedes Wort Doktor Wanners zu bestätigen. Ich selbst bin in eine plumpe Falle gegangen und habe in diesem Sinne das Berliner Polizeipräsidium, das an der Verwirrung des Falles nicht ganz unbeteiligt ist, orientiert. Auch Herrn Doktor Wanner gegenüber habe ich mich in aller Form entschuldigt. Es schien mir, wenigstens glaubte ich dies seinen Worten entnehmen zu dürfen, daß für beide Teile damit die Angelegenheit erledigt sei. Ich stelle zu meinem Bedauern fest, daß der genannte Herr sich nicht gerade als Kavalier benommen hat.«

75 Der Vertreter des Gesandten, der sich während ihrer kurzen Rede ein paar Notizen gemacht hatte, lächelte diskret.

»Es ist mir jedenfalls lieb«, äußerte er, »daß ich noch Gelegenheit hatte, Sie zu sprechen. Ein Bericht unsererseits dürfte sich nach der Sachlage erübrigen. Herrn Doktor Wanner habe ich zugesagt, entweder nach Berlin oder direkt an Sie eine Mitteilung ergehen zu lassen. Ich denke, mit unserer Aussprache dürfen wir den Fall abschließen.«

Er streckte ihr die Hand entgegen, in die Miß Bottchen einschlug. Dann schickte sie sich an, das Zimmer zu verlassen. Aber an der Tür drehte sie sich noch einmal um.

»Verzeihen Sie, Herr Sekretär, das Wichtigste hätte ich um ein Haar vergessen. Würden Sie die große Güte haben, den Inhalt unserer kurzen Unterredung in ein paar Sätzen festzulegen und Ihrem Fräulein zu diktieren. In dem Schriftstück müßte allerdings unzweideutig zum Ausdruck gelangen, daß ich nicht auf Grund einer Aufforderung, sondern aus eigener Initiative zu Ihnen gekommen bin, um meinen Irrtum – meine Schuld, wie Sie es immer nennen mögen, einzugestehen. Diese Zeilen könnten für Doktor Wanner von der gleichen Bedeutung werden wie für mich. Da unser Schiff heute bereits wieder Athen verläßt, wäre ich Ihnen zu besonderem Danke verpflichtet, wenn ich auf das Dokument gleich warten dürfte.«

Er überlegte einen Moment.

»Ich habe keinerlei Bedenken, Ihren Wunsch zu 76 erfüllen. Herr Doktor Wanner«, fügte er hinzu, »scheint mit seinen Nerven etwas herunter zu sein. Ich denke, es wird zu seiner Beruhigung beitragen, wenn Sie ihm das Schriftstück gelegentlich zeigen würden. Übrigens überlasse ich das Ihnen. Wollen Sie sich etwas gedulden, ich bin sofort wieder zur Stelle.«

Miß Bottchen nickte demütig. Als die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte – horchte sie angestrengt einige Sekunden, dann glitt ein triumphierendes Lächeln über ihre aufgeworfenen Lippen. Ohne daß sie es wußte, rieb sie ihre fleischigen Hände gegeneinander. In ihrer Aufregung begann sie durch das Zimmer zu laufen und leise zu zählen. Als der Sekretär wieder eintrat, stand sie kerzengrade hinter ihrem Stuhl.

Miß Bottchen nahm den Bogen und überflog seinen Inhalt: Von der deutschen Gesandtschaft zu Athen wird Miß Bottchen bestätigt, daß sie unaufgefordert und aus eigenem Antrieb die Erklärung abgegeben hat, auf Grund irrtümlicher Informationen in bezug auf Herrn Doktor Wanner zu falschen Annahmen und Schlüssen gelangt zu sein. Miß Bottchen fügt insbesondere noch hinzu, daß sie lebhaft bedaure, durch ihre im Auftrag und Dienst der Behörde angestellten Beobachtungen Herrn Doktor Wanner Ungelegenheiten bereitet zu haben. Von der Haltlosigkeit ihres Verdachtes bereits überzeugt, bedurfte es nicht mehr der Aufklärungen seitens der Gesandtschaft, die an der Hand zuverlässiger Dokumente in der Lage gewesen ist, die einwandfreie Persönlichkeit Doktor Wanners festzustellen. Gez. v. Rohden.

77 »Genügt Ihnen das?«

Miß Bottchen strahlte.

»Hier ist mit aller Kürze und Präzision des Ausdrucks das Notwendige gesagt. Man erkennt, ein Staatsmann war am Werke. Ich danke Ihnen aufrichtig.«

Herr von Rohden machte eine leichte Verbeugung – und Miß Bottchen verließ erhobenen Hauptes die deutsche Gesandtschaft.

 


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