Felix Hollaender
Das Schiff der Abenteuer
Felix Hollaender

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21

Verliebte gleichen Verrückten – und entrückt ihrem Wesen war Toni Wünsch. Sie stand in Flammen – wurde von der eigenen Glut verzehrt. Jeder Gedanke – jede Empfindung gehörte Wanner.

In Bereitschaft sein ist alles – und sie war bereit, zu empfangen und zu geben – in seinen Armen die Welt und Gott zu vergessen.

Aber Wanner schien ihr nach der letzten, bedeutenden Unterredung, in der ihm unbewußt das »Du« entschlüpft war, scheu und zurückhaltend, als wollte er das Zusammensein mit ihr auf das kargste Maß beschränken.

Sie litt darunter mehr, als sie ertragen zu können glaubte – und geriet in Erregung, sobald sie ihn nur mit anderen im Gespräche sah.

Sie wollte unter keiner Bedingung sich ihm aufdrängen – wollte warten, bis ihre Stunde schlagen würde. Dann jedoch verließ sie ihre Selbstbeherrschung – und der Drang, der sie zu ihm trieb, war stärker, war so gewaltsam, daß alle ihre Vorsätze zerbrachen und sie seine Nähe suchte.

Er brauchte nur ihre Hand ein wenig zärtlicher zu drücken, ihr einen liebenden Blick zuzuwerfen, 205 um sie in einen Zustand zu versetzen, in dem nur noch ihre Sinne sprachen.

Waren ihre Tage voller Unruhe – so schrie sie in ihren Nächten, von Angstträumen geschüttelt, auf.

Camilla erwachte dann regelmäßig – drehte das Licht an und sah stumm zu ihr hinüber. Ohne eine Frage zu stellen, suchte sie den Blicken der Schwester auszuweichen und gehorchte lautlos Tonis Weisung, wieder dunkel zu machen.

Zwischen ihnen war es anders geworden. Sie mieden sich – sprachen gerade das Notwendigste miteinander, gingen zu verschiedenen Stunden schlafen und standen getrennt auf, um gesondert das erste Frühstück einzunehmen.

Nie war es zu einer Auseinandersetzung gekommen. Aber Toni hatte einmal einen lauernden Blick aufgefangen, den die Schwester heimlich und versteckt Wanner zugeworfen hatte. Camilla war blutrot geworden, um dann ein verlegenes, erzwungenes Lachen von sich zu geben.

In Camillas Gesicht wußte Toni zu lesen, und dieses merkwürdige Lachen kannte sie obendrein noch von Jakob Leichtentritt und Tante Cäcilie her.

Wenn dem Vater eine Frage Dorothea Wünschs lästig gewesen war – oder die Tante über eine ihrer problematischen Unternehmungen von den Schwestern in peinliches Verhör genommen wurde, so hatten sie genau auf die gleiche Art gelacht – Tonfall und Klangfarbe hatte Toni noch im Ohr. Es war das besondere Leichtentrittsche Lachen, das in solchen Fällen verräterisch durchbrach.

206 Böser, blinder, bis auf die Zähne bewaffneter, tödlicher Haß stieg in Toni auf. Denn daß Camilla um ihre Beziehungen zu Wanner wußte, zum mindesten ihre Empfindungen ahnte – daran konnte sie nicht zweifeln. Und wenn sie trotzdem eine herausfordernde Haltung annahm – und ihre Augen gefährlich zu spielen begannen, so glaubte Toni hierin nicht nur einen Mangel an Taktgefühl, sondern ein Sichenthüllen der schwesterlichen Seele zu erkennen, das sie im Innersten erschrecken ließ.

Hatte nicht Camillas ganzes Benehmen auf dem Schiffe ihr Überraschungen bereitet – sie von einem Staunen in das andere versetzt? War ihr die Schwester nicht plötzlich als eine Fremde, Unbekannte erschienen, die von den Fesseln des Alltags und Berufs befreit, jetzt erst ihre eigentliche Natur offenbarte, nachdem sie ihre Frauennatur entdeckt hatte? . . .

War Toni zu solchen Schlüssen vorgedrungen, machte sie sich selbst die bittersten Vorwürfe. Vielleicht sah sie Dinge und Geschehnisse, die nur in ihrer Phantasie – nicht in der Wirklichkeit bestanden – vielleicht trieben ihre überreizten Nerven ein Spiel, in dem Klarheit und Vernunft ausgelöscht wurden.

Wer konnte sie inniger und selbstloser lieben als Camilla? . . . Waren sie nicht durch das Erlebnis einer tieftraurigen Jugend zusammengeschmiedet, durch gemeinsame, von Erfolg gekrönte Arbeit eng verbunden? Konnten all die Jahre, in denen sie jeden Atemzug miteinander geteilt hatten, Lug und Trug gewesen sein? . . . Mit welcher Freude hatten 207 sie gegenseitig die Wärme ihrer jungen Körper empfunden und an den ausgetauschten Zärtlichkeiten sich berauscht!

Toni atmete schwer – und neue, grenzenlose Zweifel ergriffen Besitz von ihr, wenn immer der Verdacht in ihr aufstieg, Camilla könnte ihr in den Rücken fallen. »Tu mir das nicht an, Schwester – tu mir das nicht an«, entrang es sich ihr unwillkürlich.

 


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