Felix Hollaender
Das Schiff der Abenteuer
Felix Hollaender

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17

Die Reisenden hatten sich in einzelne Gruppen verteilt und waren in dem Gewühl der Stadt untergetaucht. Sie drängten sich durch die winkligen Gassen der Bazare und wurden in Rausch versetzt von der unübersehbaren Fülle der Bilder – von dem Getriebe fremdrassiger Menschen.

Die Märchen von Tausendundeiner Nacht wurden wieder lebendig. Da ließen verschleierte Frauen hinter vergitterten Fensterläden und Balkons über den Strom neugieriger Fremden ihre Blicke schweifen – da hockten noch in den Straßen Briefschreiber 172 und Märchenerzähler, um die sich hilfsbedürftiges Volk und phantasiehungrige Nichtstuer drängten. Da flitzten Priester und Derwische an einem vorbei, da boten Händler kostbare Teppiche, Stoffe und Wohlgerüche feil – und daneben lag der letzte Trödel des Abendlandes aufgespeichert, Skrabäen, Negermesser, Mumienfetzen, schillernde seidene Tücher.

Fräulein Testini hatte den Arm ihres Vaters genommen und betrachtete die Auslagen. »Dies Ding möchte ich haben, Papa!«

Sie deutete auf eines jener kleinen Amulette, mit denen ein schwunghafter Handel getrieben wird.

»Bist Du so abergläubisch?« fragte lächelnd Herr Testini.

»Bist Du es nicht, Papa? Waren es bis zu einem gewissen Grade nicht alle großen Menschen – und ist der Aberglaube nicht in Ägypten zu Hause?«

Er nickte.

»Ich bin gewiß nicht frei davon – habe keines meiner Geschäfte gemacht, ohne daß ich nicht meine Entschließungen von irgendeiner irrsinnigen Frage – von irgendeinem blinden Zufall abhängig gemacht hätte. Zu keinem Menschen habe ich je darüber gesprochen, aber vor Dir, mein Kind«, schloß er zärtlich, »besitze ich kein Geheimnis.«

»Hast Du wirklich kein Geheimnis vor mir, Papa?«

Eine leichte Befangenheit bemächtigte sich seiner.

»Willst Du Dich nicht etwas deutlicher ausdrücken?«

»Papa«, sie schmiegte sich dicht an ihn, »ich 173 könnte es so gut begreifen, wenn ein Mann in Deinen Jahren – – Du darfst mich um Gottes willen nicht für so engherzig halten . . .«

»Das tue ich gewiß nicht, mein Kind!«

»Papa, muß es denn – –« sie stockte einen Moment, »muß es denn ausgerechnet die Seckendorf sein?«

Er blieb unwillkürlich stehen und sah sie mit kaum unterdrückter Verlegenheit an.

»Ich bin doch nicht blind, Papa – ich merke doch, daß Du ein Auge auf sie geworfen hast!«

»Ich habe bisher angenommen, daß Dir Fräulein von Seckendorf durchaus sympathisch ist!«

»Gewiß, Papa – für meine persönlichen Ansprüche genügt sie reichlich – ein anderes ist es, wenn ich sie mir – –« sie zögerte, »nun ja, wenn ich sie mir als Deine Frau vorstellen soll. Der Gedanke ist mir, offen gestanden, ein bißchen peinlich.«

»Hast Du gegen ihren Charakter etwas einzuwenden?«

»Das gerade nicht, Papa, obwohl sie mir zuweilen ein wenig zu berechnend vorkommt!«

»Sind wir das nicht mehr oder weniger alle, mein Kind?«

Sie schwieg ein Weilchen.

»Hast Du sie sehr gern, Papa – lieber als mich?«

»Du stellst so sonderbare Fragen, Teresina!«

»Du brauchst mir nichts mehr zu sagen! Du nennst mich plötzlich bei meinem Vornamen und sprichst in einem Tone, aus dem alles klar wird!«

174 »Wollen wir nicht lieber davon aufhören – das sind ja vorläufig noch verfrühte Dinge – warten wir erst einmal ab – wie sich Deine eigene Angelegenheit erledigen wird.«

»Papa, es ist viel besser, wir reden offen und aufrichtig miteinander. Denn von der Stärke Deines Gefühls hängt es ab, wie ich mich jetzt und in Zukunft zu Charlotte stellen werde. Du wirst verstehen – ich müßte ja nicht deine Tochter sein, daß die Tatsache an sich mich im ersten Moment erschreckt hat. Ich kann vernünftigerweise gegen Charlotte nichts Ernsthaftes einwenden. Sie ist elegant, rassig und gescheit – ich glaube bestimmt, daß sie ausgezeichnet repräsentieren würde – dennoch – nein, es gibt kein ›dennoch‹«, brach sie resolut ab.

»Glaubst Du mit ihr glücklich zu werden, Papa?«

»Ich halte es für sehr wahrscheinlich«, erwiderte er ernst.

»Dann, Papa, bin ich die letzte, Dir Schwierigkeiten zu bereiten! Ich habe diese Unterredung vom Zaune gebrochen«, fuhr sie langsamer fort, »weil es mir mehr als ärgerlich gewesen wäre, wenn Du mich vor ein fait accompli gestellt hättest. Ich liebe es nicht, aus den Wolken zu fallen. Nun ist alles im Lot – und je mehr ich darüber nachdenke – um so besser gefällt mir eigentlich Deine Wahl – sie ist wirklich ein reizvolles Geschöpf – und ich denke, wir werden gut miteinander auskommen.«

Herr Testini schien von dieser Bilanz angenehm überrascht zu sein, er atmete wenigstens erleichtert auf.

175 »Ich habe mich Fräulein von Seckendorf gegenüber noch nicht erklärt, weil ich es für meine Pflicht hielt, erst mit dir zu sprechen – ich bitte dich auch, mir nicht zuvorzukommen, es wäre immerhin möglich . . .«

In diesem Augenblick zuckte Fräulein Testini heftig zusammen und ließ den Arm ihres Vaters fallen – denn hart an ihr vorbei schritten Wanner und Toni Wünsch, ohne im Eifer ihres Gesprächs sie bemerkt zu haben.

»Ist denn diesem Menschen zu trauen?« fragte Testini.

»Doktor Wanner ist mir gegenüber noch nicht die geringsten Verpflichtungen eingegangen«, begehrte sie auf.

»Und du bist wirklich davon durchdrungen, daß du ohne ihn nicht existieren könntest, wenn – ja wenn beispielsweise – er bereits anderweitig gebunden wäre?«

»In diesem Falle, Papa, wäre mein Dasein verpfuscht. Ich bin siebenundzwanzig Jahre geworden, ohne mich – ach, Papa, sprechen wir nicht davon, es hat keinen Zweck!«

 


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