Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

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In ihrem einstigen Wohngemach im Parterre des Schlosses Holzwerder stand Frau von Tressen und hörte, was ihr Hederich, der eben ins Zimmer getreten war, berichtete.

Der Inspektor sei zu allem bereit, ebenso das Mädchen; die Haushälterin und der Diener aber wollten erst hören, welche Sicherheit die gnädige Frau ihnen böte, daß sie nicht wegen ihrer Fahnenflucht zur Verantwortung gezogen würden.

»Also Pflichtgefühl oder Anhänglichkeit an meinen Schwiegersohn leitet sie nicht?«

»Nein, gnädige Frau! Beide sind Kreaturen, die nur ihren Vorteil im Auge haben. Übrigens – drum und dran – wo wäre der Durchschnitt anders? Frau von Tressen kennen doch die Welt so gut wie ich.«

Die Frau bewegte zustimmend den Kopf; dann sagte sie:

»Ich bin dann dafür, beide abzulohnen. So gut wie sie Tankred verleugnen, können sie auch Untreue gegen mich üben. Ich aber brauche zuverlässige Menschen. Mit welcher Summe glauben Sie, daß wir sie abfinden können?«

Hederich zuckte die Achseln.

»Sie werden, wenn Sie sie nicht in Dienst nehmen, erklären, daß die Kündigung nur von dem ausgehen kann, der sie verpflichtet hat.«

»Ja, ja, ganz richtig!« bestätigte Frau von Tressen. Und dann fuhr sie kurz entschlossen fort:

»Ich bitte, lassen Sie sie herunterkommen. Ich werde mit ihnen sprechen.«

Als die Dienstboten, von Hederich geleitet, in das Zimmer traten, sagte Frau von Tressen:

»Mein Schwiegersohn hat Sie in Dienst genommen. Für ihn trete ich jetzt ein und kündige Ihnen Ihre Stellung sofort. Aber ich wünsche, daß Sie zufrieden von hier gehen, und will Ihnen deshalb ein volles Jahresgehalt auszahlen. Sind Sie damit einverstanden?«

»Ja, ich bin's,« sagte der Diener nach kurzem Besinnen, »wenn die gnädige Frau mir schriftlich erklären, daß das so richtig ist, und Sie für alles aufkommen.«

»Ja, ich will schriftlich betätigen, daß Ihr durch die Besitznahme des Gutes meinerseits überflüssig geworden seid, und daß ich Euch auf Grund meiner Rechte entlassen habe.«

»Dann bin auch ich damit zufrieden!« erklärte die Haushälterin. »Wann sollen wir abgehen?«

»Gleich! Ihr könnt noch heute den Lohn empfangen und Holzwerder verlassen.«

Die beiden nickten, verbeugten sich und verließen das Gemach.

»So, das wäre ja gut und rasch erledigt!« rief Frau von Tressen, Hederich vergnügt anblickend. »Jetzt will ich mit Peter Wille das weitere bereden, namentlich auch den Fall ins Auge fassen, daß mein Schwiegersohn zurückkehrt. Ich bitte, lieber Hederich, rufen Sie nun auch ihn, und dann wollen wir uns gleich weiter an die Einrichtung machen.« –

Nachdem Frau von Tressen in solcher Weise die Einleitung zu ihren mit so kühner Entschlossenheit gefaßten Plänen getroffen, griff sie in gleich entschiedener Weise auch in die übrigen Verhältnisse ein und brachte es nach wenigen Wochen dahin, daß der Umzug bewirkt war, und sie und ihr Mann sich in alter Weise in Holzwerder eingewohnt hatten.

Mehrere von Tankred entlassene, aber Tressens aus früherer Zeit ergebene Leute wurden wieder angestellt, und namentlich ward auch am Hofthor ein Wächter postiert, der alles, was aufs Gut kam, einer genauen Kontrolle unterwerfen mußte. Hof, Garten und Gebäude wurden, so weit die Witterung es erlaubte, und es gegenwärtig bereits von Wert war, in einen würdigen Zustand zurück versetzt, und endlich griff auch Frau von Tressen in dem zwischen Brix und ihr verabredeten Sinne in die Gutsgeschäfte ein.

Durch diese alles umgestaltende und neue Verhältnisse anstrebende Thätigkeit stellte sich bei Frau von Tressen die alte Lebensfreudigkeit und Zuversicht wieder ein, ja, sie schien sich auch auf ihre Umgebung zu übertragen, denn der Kleine erholte sich zusehends, und Herr von Tressen befand sich infolge der ihm durch das Landleben aufgezwungenen einfachen Lebensweise wohler und kräftiger als seit vielen Jahren.

Als Tressens zum erstenmale Hederichs, Höppners und Theonie wieder bei sich in Holzwerder sahen, feierten sie den Tag wie einen Festtag, und die Gedanken an Brecken, der seit Wochen nichts von sich hatte hören lassen, traten allmählich ganz zurück. Was konnte er machen? Klagen? Arrest beantragen? Wohl! Sie warteten das Ergebnis ab.

Würde der Richter einem die Gesundheit und das Eigentum seines Kindes vernachlässigenden Manne, einem Menschen, der sich durch Fälschung in Besitz von Rechten gesetzt hatte, solche von neuem bestätigen? Schwerlich! Die Zeugnisse waren niederdrückender Natur, zum Teil unanfechtbar. Von ihnen unterstützt, hatte Brix inzwischen die Eingabe an das Gericht abgehen lassen.

Ganz mit Herzen und Gedanken bei ihren Freunden waren während dieser Zeit Höppners, Hederich und Carin. Sie legten eine Teilnahme an den Tag, als sei ihnen selbst ein großes Glück zugefallen; Hederich fühlte sich auch schon wieder als Verwalter auf Holzwerder, und Frau von Tressen that nichts die Gutsangelegenheiten betreffendes, ohne seinen Rat einzuholen. Mit Bewunderung sah er, wie sie alles angriff, wie die Energie, die sie durch den furchtbaren Schmerz über Gretes Tod verloren hatte, zurückgekehrt war.

Mit tiefem Kummer aber erfüllte die Freunde das Aussehen und Wesen Theonies. Ihr Inneres, man sah es, war schwer krank, in ihren Mienen lag ein so herzzerreißender Ausdruck von Verzicht auf Glück und Lebensfreude, daß Carin, die mit ganzer Seele an Theonie hing, sich über die bei der letzten Begegnung empfangenen Eindrücke gar nicht zu beruhigen vermochte. –

Es war gegen Ende der Woche in der Frühe, als der Inspektor in sehr aufgeregter Stimmung bei Tressens anklopfte und den Herrschaften einen von Tankred eingetroffenen Brief überreichte.

In diesem gab der Schreiber seinem Befremden darüber Ausdruck, daß ihm keine Berichte mehr zugegangen seien, weder von dem Inspektor, noch von der Haushälterin. Er verlangte solche umgehend und fügte hinzu, daß er ehestens nach Holzwerder zurückzukehren gedenke. Durch Krankheit sei er gezwungen worden, den Süden zu verlassen und sich nach Hamburg zu begeben. Es folgten dann noch einzelne Fragen, und am Schlusse hieß es:

›Melden Sie mir auch etwas von Frau Cromwell auf Falsterhof und von Tressens, und lassen Sie Frau Born sogleich telegraphieren, – das Wort war, weil der Schreiber vielleicht die größeren Kosten scheute, nachträglich ausgestrichen, und statt dessen ›schreiben‹ gesetzt, – wie es dem Kleinen geht.‹

Der Inspektor bat um Verhaltungsmaßregeln; er wußte nicht, was er thun sollte, und fühlte sich erleichtert, als Frau von Tressen ihm erklärte, sie werde selbst die Zeilen beantworten und auch alle Maßnahmen treffen.

Und so geschah es; die energische Frau schrieb sogleich mit fester Hand an ihren Schwiegersohn:

›Die Zeilen, welche Sie an Herrn Peter Wille gerichtet haben, sind von demselben meinem Manne, der sich, wie ich selbst, auf Holzwerder befindet, übergeben worden. Da wir erst dadurch in den Besitz Ihrer jetzigen Adresse gelangt sind, unterblieb bisher die Mitteilung, daß wir unser kleines, durch schlechte Pflege äußerst vernachlässigtes, fast an seinem Leben bedrohtes Enkelkind zu uns genommen und auch die Verwaltung von Holzwerder, an welchem wir Ihnen alle Rechte abstreiten, angetreten haben. Ferner zur Nachricht, daß unser bisheriges Bankhaus in Elsterhausen von uns beauftragt worden ist, einlaufende Gelder zwar wie früher in Empfang zu nehmen, aber lediglich zur Verfügung des Gerichts zu halten und fortan Zahlungen an niemanden, auch an Sie nicht mehr zu leisten.

Ergebenst
A. von Tressen.‹

»So!« rief Frau von Tressen, nachdem sie diese Zeilen mit Bewilligung ihres Mannes einem Diener zur Besorgung übergeben hatte. »Nun werden wir mit Ruhe abwarten, was geschieht. Morgen hat er bereits den Brief. Von übermorgen ab können wir uns auf seinen Besuch gefaßt machen. Aber alle Leute sind genau instruiert; auf den Hof wird man ihn, kommt er durch das Thor, nicht lassen, und tritt er durch den Park ins Haus, so werden ihm unsere Dienstboten die erforderlichen Erklärungen geben. Aber passe auf, er wird nichts gegen uns unternehmen.«

»Wer weiß!« fiel Herr von Tressen ein. »Daß er sich nicht in gleicher Weise fügen wird, wie seinerzeit wir es gethan, ist sicher. Ich glaube doch, daß er irgend etwas Gewaltthätiges inszenieren wird.«

»Gewaltthätiges? Nein! Dazu ist er zu feige. Daß ihm vielleicht solche Gedanken kommen, bezweifle ich nicht, aber Dinge, bei denen es sich um mehr handelt, als um schiefe Gesichter, faßt er nicht an. Wohl aber halte ich es für möglich, daß er sich einmal wieder an Theonie heranmacht, klagt und lamentiert und ohne Rücksicht auf alles Vorgefallene eine seiner Komödien in Szene setzt. Da fällt mir ein: ich will Theonie lieber in Kenntnis setzen, daß er aus Italien zurück ist. Ich weiß, sie trifft dann Maßregeln, daß er sich ihr nicht zu nähern vermag.«

Frau von Tressen ward unterbrochen, weil eben aus dem Nebenzimmer die klagende Stimme des Kleinen drang. Als sie aber das Gemach betrat, streckte der Knabe die Arme aus und rief jauchzend ein unbehülflich klingendes »Omama!«

Da nahm die Frau das Kind in die Arme und küßte es in dem Überquellen ihrer glückseligen Empfindungen lang und zärtlich.



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