Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

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Fast eine Woche war vergangen. Tankred war abermals auf dem Wege nach Falsterhof und zwar diesmal mit der Absicht, von Frege Bestimmtes über die Rückkehr seiner Kousine zu erfahren. Er hatte sich mit Grete von der Linden verlobt und war von ihr und ihren Eltern bestürmt worden, nunmehr seinen Aufenthalt wieder auf Falsterhof zu nehmen. Die Entfernung von Elsterhausen sei zu groß. Grete hatte den Wunsch, Tankred täglich zu sehen. »Weshalb willst Du meine Wünsche nicht erfüllen?« hatte sie in einem starken Gefühlsdrange gefragt. »Ich kann ohne Dich nicht sein. Liebst Du mich weniger, als ich Dich?«

Der Grund, den Tankred früher für seine Entfernung von Falsterhof angegeben, fiel nun fort; von der wahren Ursache aber wünschte er nicht zu sprechen.

Er wollte heute von Frege hören, ob Theonie vielleicht die Absicht habe, den Winter über fortzubleiben, und ihr dann schreiben, daß sie ihm wegen der veränderten Verhältnisse erlauben möge, die Räume, die er in Falsterhof inne gehabt, wieder zu beziehen. Theonies Plan, Carin zu sich zu nehmen, widersprach zwar der Annahme, daß sie ihrem Besitz fern bleiben wolle, aber da Tankred hoffte, daß die Dinge sich nach seinen Wünschen gestalten möchten, legte er ihnen auch eine größere Wahrscheinlichkeit bei. In Breckendorf erfuhr er, als er von seinem Rappen abstieg und sich in der Schenkstube des Kruges niederließ, daß der Pastor erkrankt, und man in großer Sorge um ihn sei. Da der Pastor Tankred nicht im Wege stand, so regte sich in ihm ein Anflug von Bedauern; viel lieber hätte er gehört, daß sie, die Pastorin, hoffnungslos darnieder liege. Die »Person« war ihm in der Seele zuwider. Nachdem er dann noch erfahren, daß Carin nach wie vor im Pfarrhause sei, machte er sich wieder auf den Weg.

Als er den Hof erreichte, – es war gegen vier Uhr nachmittags, und er wollte noch an demselben Tage, nach einem Besuche in Holzwerder, nach Elsterhausen zurückkehren, – sah er Frege gerade mit langsamen Schritten ins Haus treten. Die Erscheinung des Alten wirkte in dieser einsamen, finsteren und regungslosen Umgebung fast wie ein düster gemaltes Bild. Ringsum nichts Lebendiges. Die Bäume streckten regungslos ihre dürren, kahlen Zweige in die graue, lichtwehrende Luft, und Öde und ein gleichsam stumpfes Verzichten auf Leben und Sonnenschein lag über allem ausgebreitet.

Brecken überkam ein Gefühl von grenzenloser Leere, ja, von Grauen. Es legte sich ihm plötzlich auf die Brust, als ob er fliehen müsse, als ob seiner etwas Furchtbares hier warte. Dann aber ritt er auf den Stall zu, löste die Trense aus des Rappen Maul, holte, da Klaus nicht zugegen war, selbst Häcksel aus der Futterkiste herbei und warf ihn dem Rappen in die Krippe. Nun schritt er auf das Haus zu, wandte sich, ohne die Klingel zu ziehen, sogleich zu der von Frege bewohnten, nach dem Garten gelegenen Kammer, klopfte und trat, ein Herein nicht abwartend, näher.

Der Alte war nicht da; auf dem Tische aber lag ein Brief, in den Tankred ohne Besinnen guckte. Das an Theonie gerichtete Schreiben begann mit allerlei nebensächlichen Dingen. Nach Erwähnung dieser war ein Absatz gemacht, und das alsdann Niedergeschriebene lautete wie folgt:

›Und nun die Hauptsache, gnädige Frau. Herr von Brecken hat sich mit Fräulein von der Linden verlobt. Die Herrschaften haben es zugegeben, nachdem er durch ein Schriftstück von der gnädigen Frau nachgewiesen hat, daß er Miterbe von Falsterhof ist und die Erbschaft nach fünf Jahren antreten kann. Ich glaube nicht, daß es das richtige Papier ist, und schicke der gnädigen Frau Abschrift davon.‹

Was war das? Tankred zitterten die Glieder, das Blatt mit Freges großen, steifen Buchstaben bebte in seiner Hand, und das Blut schoß ihm tobend ans Herz. Rasch! Weiter lesen, ehe er gestört ward – !

›Die gnädige Frau werden sich wundern, wie ich zu der Einsicht des Schriftstücks gekommen bin. Der Zufall hat auch merkwürdig dabei gespielt. Am Tage nach der Verlobung war ich schon früh bei Herrn Hederich in Holzwerder, der, wie ich wußte, zur Stadt wollte und schon oft mein bischen Geld mit in die Sparkasse genommen hat. Da traf ich hinter dem großen Wirtschaftshaus, wo die Knechtsstube ist, Peter, den Diener der Herrschaften, der das Zeug rein machte. Auch Herrn von Bremens Sachen, der die Nacht bei Hederich geschlafen hatte, putzte er und legte grade ein Kuwert auf den Tisch, das aus der Tasche gefallen war.

Erbschaftsakte (Falsterhof) Tankred von Brecken, las ich. Grade wurde Peter abgerufen. Da nahm ich schnell mein Wirtschaftsanschreibebuch und meine Bleifeder und schrieb ab, was in dem Dokument stand. –‹

Soweit war Tankred von Brecken gekommen, als er Schritte auf dem Flur hörte. Sicher! Es war Frege, und rasch legte er den Brief wieder auf den Platz und faßte die Thürklinke. Als er hinaustrat, streifte er den Alten, der mit einer Miene zurückprallte, als ob die Erscheinung eines Verstorbenen vor ihm aufgestiegen wäre.

»Ah, da sind Sie, Frege! Eben guckte ich in ihr Zimmer und fand Sie nicht. Einen Augenblick! Ich möchte etwas von meiner Kousine hören. Kommen Sie! Wir können nach vorn gehen!«

Der Alte, sichtlich aufs äußerste betroffen, aber sich beherrschend, nickte ehrerbietig und schritt voran, um die Thür zu den Gemächern des alten Herrn zu öffnen. Aber ehe sie eintraten, fragte Tankred: »Wo ist Klaus?«

»Er ist vor einer halben Stunde nach Marienhof gegangen. Er wollte seine Schwester besuchen –«

Tankred bewegte kurz den Kopf. Was er hörte, befriedigte ihn sehr.

Kaum waren sie in den fast schon dunklen, dumpfen Raum eingetreten, als Tankred die Thür schloß, auf den Alten losstürzte, ihn an der Gurgel packte und ihm zuraunte: »Wo ist die Abschrift des Schriftstücks, das Du Bandit Dir auf Holzwerder angeeignet hast? Heraus damit, oder ich töte Dich, so wahr ich Brecken heiße!«

»A – h –« drang's aus der Kehle des Gemarterten. Er wollte reden, aber die furchtbare Faust Breckens schnürte ihm Atem und Sprache ab.

Brecken lockerte mit den funkelnden Augen eines Raubtiers seine Hand, stieß den Alten auf einen Stuhl und blieb neben ihm stehen.

»Nun?« zischte er mit furchtbaren Gebärden.

»Ich sag's nicht, und ich bin kein Bandit,« stieß Frege entschlossen heraus. »Ein Bandit ist der, welcher –«

Aber Brecken ließ ihn nicht ausreden. Er faßte ihn hinten am Rockkragen, schob den Widerstrebenden zur Thür, entriegelte sie und stieß sein Opfer bis in die Kammer. Hier ließ er ihn los und befahl ihm, den Brief an sich nehmend, nochmals, die Abschrift auszuliefern.

Aber der Alte hob sich stöhnend in die Höhe, blickte den Mann fest an und sagte: »Ich thue es freiwillig nicht, wenn Sie mich auch töten. Früher oder später wird's doch Mordgeruch geben. Fangen Sie nur mit mir an!«

Brecken fletschte die Zähne, und so furchtbar war seine Wut, daß er Frege mit einem einzigen Schlage zu Boden streckte. Und dann beugte er sich über ihn und schrie: »Gieb, oder Du bist eine Leiche!« und als Frege dann mit letzter Kraftaufwendung abermals verneinend den Kopf schüttelte, griff er in dessen Tasche, fand zwei Schlüssel und begab sich selbst ans Suchen. Seine Bemühungen waren nicht umsonst; nach wenigen Minuten fand er in der Schublade der Kommode sowohl das Wirtschaftsbuch wie auch ein Blatt Konzeptpapier, auf das Frege den Wortlaut des Falsifikats niedergeschrieben hatte.

Nachdem er es an sich genommen, näherte er sich Frege, der sich inzwischen mühsam emporgerafft hatte und, die Hand an den blutenden Kopf pressend, mit noch immer gleich finsterer Entschlossenheit dastand, und sagte, ihm die Schlüssel hinwerfend: »Diesmal ging's noch an Dir vorbei, Du schleichender Schuft. Aber hüte Dich! Trittst Du mir noch einmal in den Weg, so weiß ich, was ich zu thun habe!«

Dann schritt er hinaus, band sein Pferd im Stall los und jagte im Galopp auf der Straße nach Holzwerder zu.



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