Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

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Die Verlobung des Herrn von Streckwitz mit Theonie Cromwell bildete in der Umgegend das Tagesgespräch.

Je nach ihrer freundlichen oder durch vermeintliche Zurücksetzung, Neid und Mißgunst hervorgerufenen feindlichen Stimmung nahmen die Menschen für oder gegen das Brautpaar Partei. Einmal hieß es, sie paßten vortrefflich zusammen, und beide seien liebens- und achtenswerte Menschen, ein andermal dagegen, es könne nur ein Unglück daraus entstehen, wenn zwei so selbstbewußte und absprechende Menschen sich vereinigten. Und einmal paßte den Leuten Theonies Nase nicht, ein andermal hielten sie sich über Streckwitz's schleppenden Gang auf, bald war's nur Berechnung von seiner Seite, und bald hatte sie ihn durch Koketterie und zwar durch ihr gemacht sanftes Wesen und ihr langsames Augenaufschlagen gefangen. Aber jedenfalls – darin stimmten alle überein – kam Geld zu Geld; für beide Teile war die Partie eine gute, und mit so reichen Leuten zu halten, wenn man sie auch nicht mochte, war nicht mehr als selbstverständlich. Ohne Nebengedanken stimmten eigentlich nur Tressens und Höppners dieser Verbindung zu. Selbst in Carins und Hederichs Freude mischte sich ein Spürchen Unbehaglichkeit.

Hederich fürchtete, das Mädchen, das er nun einmal liebte, zu verlieren. Sie würde sich eine andere Stellung suchen müssen, und er sie nicht mehr sehen; und Carin beschäftigte nicht minder der Gedanke, daß nun wohl ihre Tage auf Falsterhof gezählt seien.

Die Pastorin hatte in ihrer Freude keine Ruhe und mußte gleich etwas thun. An Streckwitz schrieb sie einen Brief, in dem sie ihm gratulierte, und zu Theonie machte sie sich schon wenige Tage nach Empfang der Verlobungsanzeige auf den Weg.

»Sie müssen meinen guten Mann entschuldigen, er hatte dringende Amtsgeschäfte, sonst wäre er mitgekommen!« erklärte sie nach ihrem aus dem Herzen kommenden und von einer Umarmung begleiteten Glückwunsch. »Und gleich heute möchte ich von Ihnen hören, liebste Theonie, wann Sie und Herr von Streckwitz uns beehren können. Wir möchten Ihnen ein recht lustiges Verlobungsfest geben und dazu nette Menschen einladen. Waren Tressens schon bei Ihnen? Haben Sie etwas gehört, wie die Dinge stehen? Man erzählt sich, daß zwischen den Alten und Jungen schwere Differenzen ausgebrochen sind. Es war leider zu erwarten! Übrigens, Ihr Vetter wird nicht sehr von Ihrer Verlobung erbaut sein, Theonie.«

So sprach die lebhafte Pastorin in raschem Redefluß und ward erst unterbrochen, als Theonie ihr nun mit einem unbefangenen:

»Sie meinen, liebe Pastorin?« ins Wort fiel.

»Nun, er wird natürlich fürchten, daß Sie jetzt an eine Vermögensabtretung nicht mehr denken, daß er auf Falsterhof in Zukunft keinerlei Aussicht hat.«

»Er irrt sich aber!« entgegnete Theonie mit größter Ruhe. »Wenn er während der Frist nichts thut, was ehrenrührig ist, und wenn er nicht verschwendet, sondern solide wirtschaftet, halte ich an meiner einmal gegebenen Zusage fest. In diesem Sinne gab ich sie. Daß mein Vetter seinen Charakter nicht ändert, weiß ich, aber diese Forderung habe ich auch nie an ihn gestellt.«

Die Pastorin sah mit Bewunderung auf die Sprechende. Ein solcher Sinn für Gerechtigkeit und ein solches Festhalten an einem gegebenen Wort waren ihr bisher nicht vorgekommen. Aber da sie Brecken immer mehr verabscheute, ja, nach der Unterredung betreffs ihres Siechenhauses sogar einen untilgbaren Widerwillen gegen ihn gefaßt hatte, knüpfte sie noch einmal an und sagte:

»Ihre im übrigen sehr vorsichtig gefaßte und durchaus nicht bindende Zusage gaben Sie doch damals aus Zwang. Auch die Furcht leitete Sie. Um Gewalttaten aus dem Wege zu gehen, gingen Sie auf seinen Vorschlag ein, Theonie. Wie stehen nun heute die Dinge? Das Hauptmotiv Ihrer Handlungsweise, daß Ihr Vetter mittellos war, ist inzwischen fortgefallen. Er sitzt jetzt unter warmen Decken. Ferner, damals dachten Sie nicht an Heiraten. Jetzt aber steht Ihnen Ihr Mann doch näher, als Ihr Vetter, und wenn Sie Nachkommen haben, wird er sich gewiß weigern, die Hälfte von Falsterhof für nichts herzugeben. Und ist Ihr Vetter denn wirklich würdig, so von Ihnen bevorzugt zu werden?«

»Es sieht Ihnen gar nicht ähnlich, daß Sie an einmal gegebenen Zusagen rütteln, liebe Pastorin. Was hat Ihnen mein Vetter gethan?«

»Das will ich Ihnen sagen, oder vielmehr ich will Ihnen den Grund darlegen, weshalb ich diesem Menschen nicht noch einen Vermögenszuwachs gönne.«

Und nun erzählte die Pastorin von ihrem Besuch, wie Brecken und Grete sich dabei benommen, und daß er erklärt habe, höchstens hundert Thaler zeichnen zu wollen.

»Sehen Sie, das ist es!« schloß sie. »Wenn Ihr Geld gute Früchte tragen würde, auch andere Vorteil daraus ziehen könnten, wenn's nicht nur der Gier dieses Geizhalses diente, dann würde ich gewiß keine Einsprache erheben. Aber indem Sie sich das Kapital entziehen, verringern Sie für sich selbst die Möglichkeit, Ihren Nebenmenschen davon mitzuteilen, wie bisher Glück und Segen dadurch zu verbreiten. – Ja, ja, ich weiß sehr wohl, wie viel Sie thun, liebste Theonie! Wo immer es sich um ein Liebeswerk handelt, sind Sie da, und in Breckendorf und Elsterhausen sind die Namen derer nicht zu zählen, denen Sie Wohlthaten erzeigen. Das ist das Richtige. Wer sein Geld so anwendet, der hat auch ein Recht, viel zu haben. – Blos Geld erwerben, um es zu besitzen? Welch ein gemeiner Standpunkt! Immer ist's ein Beweis kleinlicher Seelen. Und nicht einmal den Einwand, es sei nicht das Geld sondern die Freude am Erwerben, der Sparsamkeitsdrang, – lasse ich gelten! Geld soll nur ein Mittel zum Zweck sein, glücklich zu werden und andere glücklich zu machen. Darin besteht jedes Vernünftigen Lebensaufgabe. – Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich Ihrem Vetter erklären, ich habe damals verhüten wollen, mein Geld einem Verschwender zu geben. Das sei er nicht, wie Sie jetzt sähen, aber, was weit schlimmer, ein Geizhals, und Geiz sei einer der gemeinsten menschlichen Triebe. Übrigens» – brach die Pastorin ab, da sie sah, daß ihre Rede auf Theonie Eindruck gemacht hatte, und jetzt weitere Worte vielleicht schaden könnten, statt nützen –«wie wird's nun mit unserer trefflichen Carin? Bleibt sie bei Ihnen?«

»Ich werde ihr nicht kündigen,« erwiderte Theonie. »Wohin soll das arme, verlassene Ding? Sollte sie aber selbst den Wunsch ansprechen, zu gehen, so ist es etwas anderes.«

»Auch das sieht Ihnen wieder ganz ähnlich, Sie herrliches Menschenkind. Immer stellen Sie sich auf den Standpunkt Ihres Nebenmenschen, nicht nur auf Ihren,« schloß die Pastorin lebhaft und drückte der Freundin in einem überströmenden Gefühl die Hand. –

Während in solcher Weise die Pastorin Höppner, ihrem Unmut nachgebend, in die Breckenschen Angelegenheiten eingriff, gestalteten sich in Tankred ganz andere und keineswegs hoffnungslose Gedanken. Schon wiederholt hatte er gefunden, daß es nicht nur weise sei, das Ungünstige zu nützen, um Günstiges daraus zu ziehen, sondern daß dies bei geschickter Handhabung auch meist mit Erfolg gekrönt wurde.

Versteckte Pfade zum Glück lagen überall, aber man mußte Augen zum Sehen haben. –

In einer Unterredung, die zwischen Tankred und seiner Frau über Theonies Verlobung stattfand, warf Grete ähnliche Zweifel hin, wie die Pastorin sie geäußert hatte.

»Nun wird's wohl mit dem Erben nichts!« begann sie und schnitt aus einem großen Haufen weißer und bunter Leinwandstücke, die vor ihr lagen, eine Anzahl Vierecke, aus denen sie Wischtücher machen wollte. »Herr von Streckwitz sieht wir gar nicht danach aus, als werde er Dich freiwillig zum Miterben von Falsterhof einsetzen. Zu Erörterungen oder gar zum Prozeß wird's jedenfalls kommen, aber es ist richtig: weshalb sich schon jetzt den Kopf verdrehen! Nur eins, Tankred, wir wollen ihnen keine Veranlagung geben, berechtigte Anklagen gegen uns zu erheben. Um unserer selbst willen schon wollen wir es vermeiden.«

Grete hatte die Worte in dem ihr eigenen Gemisch von Ehrlichkeit und Berechnung gesprochen und sah, ein eben gesäumtes Tuch glättend und in genauer Anpassung auf ein Häufchen bereits fertig gewordener legend, zu ihrem Manne empor.

Er aber sagte, aus einem tiefen Nachdenken sich erhebend:

»Was meinst Du, Grete, wenn wir die Sache ganz anders anfingen, jetzt, wo noch der Gedanke in Theonie kräftig ist, wo noch ihr Rechtsgefühl nicht durch Einwirkung von seiten anderer gelitten hat? Ich stimme Dir nämlich bei: Wenn die paar Jahre verflogen sind, wird von der Sache gar nicht mehr die Rede sein. Sie werden Kinder haben, und an freiwillige Hergabe ist nicht zu denken. Ich meine so: Ich trete jetzt vor Theonie hin und sage: Gieb mir einen größeren Teil, etwa zwei Drittel von dem Zugesagten, dann will ich auf meine weiteren Ansprüche verzichten. Thue es, bevor Du an den Altar trittst, damit Du reinen Tisch hast, wenn Du in die Ehe gehst. Ich glaube, ich würde reüssieren! Vielleicht könnten wir Theonie durch Hederich sondieren. Was meinst Du?«

»Wie viel wird denn das ausmachen – ich meine an Kapital – ungefähr?« warf Grete forschend hin.

»Nun, ich rechne den Wert von Falsterhof auf vierhunderttausend Thaler. Davon die Hälfte sind sechshunderttausend Mark, und davon zwei Drittel vierhunderttausend.«

»Ah – !« machte Grete. »Aber,« setzte sie gleich hinzu, »das ist doch ein Unterschied von zweihunderttausend Mark.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Schlag's jedenfalls in runder Summe vor! Laß Dich nicht auf Teilzahlungen ein, Tankred. Der Gedanke an sich ist ja sonst sehr gut! Sage ihr, sie solle fünfhunderttausend Mark zahlen, dann spart sie doch noch hunderttausend.«

Tankred machte eine etwas ungeduldige Bewegung.

»Wir verfügen über eine Beute, die wir noch gar nicht haben. Nein, das geht nicht. Wenn sie nun überhaupt nicht will? Zwingen kann ich sie doch nicht. Ja, später klagen, prozessieren, aber was kommt dabei heraus?«

Tankred wollte von Prozessen schon deshalb nichts wissen, weil seine Fälschung dabei an den Tag kommen konnte.

Und dann, während er noch nachdachte, kam's jäh wie ein Blitz über ihn, daß es schon am besten wäre, wenn's keinen Streckwitz auf der Welt gäbe, wenn, wenn – auch Theonie nicht mehr auf Erden sei! Dann war er Erbe des Ganzen!

Die Furie Habsucht packte ihn mit solcher Gewalt, so unvermittelt und heftig war ihr Angriff auf seine Seele, daß ihm die Kniee bebten, und in dem Drange nach Ablösung von dem furchtbaren Gedanken sich unwillkürlich ein schwerer Seufzer aus seiner Brust wand, und seine Augen sich schlossen.

Grete erhob überrascht das Haupt.

»Was hast Du? Ist Dir nicht wohl?« fragte sie betroffen.

»Doch – doch. – Mich fröstelte nur ein wenig.« Und dann: »Sag, Grete, wie wär's, wenn Du mit Hederich sprächest, daß er Theonie sondierte? Dir schlägt er nichts ab, im Gegenteil –«

Die Frau aber schüttelte den Kopf. Sie wollte in dieser Sache Hederich nicht ins Vertrauen ziehen, ihr Inneres sträubte sich dagegen, grade ihm die Blößen ihrer Seele aufzudecken. Sie war eifrig bedacht, sich die gute Meinung, die er noch von ihr hatte, zu erhalten.

So sagte sie denn, auch ihrer besseren Einsicht folgend und sie vorschiebend:

»Nein, das ist nichts. Wo man selbst reden kann, soll man sich keines Vermittlers bedienen. Und in delikaten Dingen sind zwei Ohren mehr immer zu viel. Wenn Hederich von unseren Absichten unterrichtet wird, weiß auch Carin sie, und Carin bespricht alles mit der Pastorin, die ihren Mund nie halten kann. Du mußt mit Theonie ohne Zeugen reden; sie ist – das muß man ihr rühmend nachsagen – die personifizierte Diskretion.«

Tankred stimmte eifrig bei. Ja, seine Frau hatte, wie immer, recht; er beschloß auch, gleich zu handeln und alle Künste aufzuwenden, um seinen Zweck zu erreichen. Noch hatte sicher Streckwitz keinen Einfluß auf Theonie gewonnen. Je länger er aber zögerte, um so ungünstiger wurden seine Ansichten.

Gleich nach Tisch ließ er sein Reitpferd satteln, hörte noch einmal alles, was Grete ihm sagte, an und machte sich dann nach Falsterhof auf den Weg.

Es war ein nebliger, aber ungewöhnlich milder Wintertag. Bald nach Tankreds Fortreiten begann es vom düsteren Himmel herunter zu flocken, und die warme Luft verwandelte die Schneegebilde bereits vor dem Herabfallen in flüssiges Naß. Der Gaul leckte und dampfte. Die Hufe drangen tief in die schlüpfrigen Wege ein, und beim schnellen Trab spritzte das erdigschmutzige Wasser Tankred in das ohnehin feuchte Gesicht. Aber er achtete weder darauf, noch auf die Nässe, die seinen ganzen Körper bedeckte; er sah nicht die im feuchten Nebel ausgestreckte Landschaft, die Bäume, Felder und Wiesen, er war nur beschäftigt mit seinen Plänen, mit Theonie und seinen Schwiegereltern. Wenn er letztere nur erst aus dem Hause gebracht hätte! Es stand fest in ihm, sobald Grete ihrer Mutter Hülfe am Krankenbett entbehren konnte, wollte er ein Ende machen. Aber während er sich ausmalte, daß sie wirklich von Holzwerder Abschied nähmen, – er sah seinen Schwiegervater in den Wagen steigen und das schmerzentstellte Gesicht seiner Schwiegermutter vor sich – , stolperte der Gaul, von Tankred loser im Zügel gehalten, so unglücklich, daß der Reiter fast aus dem Sattel gehoben ward.

Das Tier aber mußte für seines Herrn Nachlässigkeit büßen; Tankred zog dem Rappen mit der Reitgerte einige starke Schläge über den Rücken. Und während der abergläubische Mann dahinsauste, überkam ihn die Vorstellung, daß das Schicksal ihn durch diesen Vorfall habe mahnen wollen. Na ja, Gedanken waren noch keine That! – So schloß er rasch einen Kompromiß mit der leicht zu beschwichtigenden Stimme in seiner Brust.

Endlich gewann er eine kurz vor Falsterhof aufsteigende Höhe, und zu seinen Füßen lag halbverschwommen das Gut ausgebreitet. Aus dem Schornstein des Herrenhauses schob sich langsam qualmend der Rauch. Wie eine schwarze Wolke erschien er dem Auge, da ein noch dichterer Nebel inzwischen die Landschaft eingehüllt hatte.

Tankred ward dadurch an die bald eintretende Dunkelheit gemahnt, und so setzte er, die Ebene gewinnend, das Tier so lange in Galopp, bis er den Hof erreicht hatte.

»Die gnädige Frau zu Hause? Herr von Streckwitz auch da?« warf Tankred hin, während Klaus das Tier abführte.

Ein Ja und ein Nein erfolgte. Theonie war also allein, Gott sei Dank!

Als Tankred ins Haus trat, war Frege nicht anwesend; ein Mädchen, welches eine auf dem Flur stehende, mit messingenen Zierraten versehene hochschlanke Uhr putzte, stieg eilig von einem für ihre Arbeit herangerückten Stuhl herab und eilte fort, um Tankred zu melden.

Seltsamer Gegensatz! Hier das peinliche Behüten eines Hausgegenstandes, und dagegen er, der kam, um zu sagen: gieb nur freiwillig die Hälfte Deines Vermögens! Tankreds gehobene Vorstellungen wurden durch diesen Vergleich sehr herabgestimmt, aber nun erschien die Magd wieder, und er trat in das von der Abenddämmerung umhüllte Wohngemach.

»Ich komme trotz Schnee und Regen, Theonie, um Dir gleich meinen Glückwunsch zu sagen,« begann Tankred bei Theonies Eintritt. »Grete schließt sich mir von Herzen an und bittet, Du mögest verzeihen, daß sie nicht schon heute mitgekommen. Eine Erkältung, die sie sich zugezogen, und das schreckliche Wetter –«

Theonie machte eine liebenswürdige Bewegung, bat Tankred, Platz zu nehmen, und sagte nach einigen warmen Dankesworten, sich besinnend:

»Ich denke, ich lasse lieber schon Licht bringen?«

Sie war aufgestanden, aber hielt inne, als Tankred sie unterbrach:

»So? meinst Du? Nun, mir ist's recht. Ich schwatze sonst gern im Halbdunkel.«

Tankred von Brecken wollte kein Licht. Er konnte besser sprechen, wenn's dunkel um ihn her war, und er ergriff auch nach kurzem Redeaustausch über Herrn von Streckwitz, seine Schwiegereltern und Hederich das Wort in seiner Angelegenheit:

»Höre Theonie! Da wir nun einmal ungestört beisammen sitzen, möchte ich Dir etwas sagen, etwas die Zukunft Betreffendes. Ich weiß, daß Du mich nicht mißverstehen wirst, und was ich sagen will, ist auch von Vorteil für Dich! Durch Deine Verlobung und demnächst stattfindende Heirat verschieben sich sicher Deine Dispositionen bezüglich Deines Vermögens. Ich begreife das – begreife das vollkommen. Als Du mir damals die schriftliche Zusage machtest, lag alles anders. Aber da Du sie mir doch einmal gegeben und, wie ich Dich kenne, nicht ausgestellt hast, um mich nur durch Redensarten zu vertrösten, möchte ich Dir einen Vorschlag unterbreiten, damit Du mit völlig klaren Verhältnissen in die Ehe gehst: Entschließe Dich jetzt, mir einen geringen Anteil auszuzahlen, finde Dich jetzt mit mir ab!«

Tankred durchdrang mit Luchsaugen die Dämmerung, um den Eindruck seiner Worte auf Theonies Antlitz zu lesen. So viel hing von diesem Augenblick ab!

Zu seiner Überraschung nahm Theonie seine Rede sehr ruhig, aber zu seiner höchsten Enttäuschung auch sein Ansuchen äußerst kühl auf.

Sie sagte fast ausdruckslos in Miene und Ton:

»Zu meinem Bedauern muß ich Deinen Antrag ablehnen, Tankred. Die fünf Jahre müssen voll verstreichen, und dann werden nicht, wie Du meinst, die veränderten Verhältnisse meinen Entschluß beeinflussen, sondern die Umstände für mich maßgebend sein. Wenn ich, wie ich hoffe, in die Lage komme, Dir etwas abzutreten oder auszuzahlen, so soll Dir nichts gekürzt werden –«

»Bitte, sage mir Theonie,« fiel Tankred, durch die letzten Worte aus all seinen Himmeln gerissen, mit künstlicher Ruhe ein, »was soll ich denn eigentlich erfüllen? Was kann dann anders sein als heute? Entschuldige! Aber ich sehe keinen Unterschied. Liegt es nicht wirklich in Deinem Interesse, daß Du Dich vor Deiner Heirat mit mir abfindest? Ich bin überzeugt, Dein Bräutigam wird anders über die Sache denken, als Du. Willst Du nicht wenigstens den Vorschlag in Überlegung ziehen, mit ihm reden? Sprechen wir einmal in Zahlen. Der Wert von Falsterhof repräsentiert wohl fast ein und eine halbe Million. Wenn ich nun sagte, zahle mir jetzt –«

Aber statt ihn ausreden zu lassen, erhob sich Theonie mit einem »Entschuldige, bitte« und hörte, was der nun doch mit einer brennenden Lampe ins Zimmer tretende Frege »gehorsamst« zu melden hatte.

»Der Verwalter von Falsterhof läßt fragen, ob er morgen Vormittag zum Vortrage kommen dürfe.«

»Ja, Frege, es paßt mir um elf Uhr!«

Nun schloß sich die Thür wieder.

»Es nützt wirklich gar nichts, Tankred, diese Sache zu besprechen, ich wiederhole vorher Gesagtes,« knüpfte Theonie mit der alten Ruhe an. »Auch wenn Du fragst, was sich erfüllen soll, so kann ich Dir darauf nur antworten: Ich will, wenn ich Dir das Kapital auszahle, daß alle Bedingungen zutreffen, die ich damals an dieses Eventualversprechen knüpfte. Ich erkläre Dir nochmals, daß die zwischen mir und Streckwitz wahrscheinlich eintretende Gütergemeinschaft an dem Geist der Sache nichts ändern wird. Nicht unser Geldvorteil soll maßgebend sein, sondern Deine Würdigkeit.«

»Mit anderen Worten, Du bist schon jetzt entschlossen, mir keinen Groschen auszuzahlen –« stieß Tankred, kaum Herr seiner Erregung, heraus. »Was heißt Würdigkeit? Sind wir Kinder? Handelt es sich um das Verhalten auf der Schulbank und um den Lohn eines Apfels für gutes Betragen? Ich bin neben Dir der einzige Brecken auf der Welt. Wenn Du gestorben wärest, würde mir Falsterhof zugefallen sein. Also nicht um eine bloße Laune oder dergleichen handelt es sich, sondern um ein tiefer begründetes, natürliches Anrecht. Was soll ich denn heute oder später mit dem Gelde thun? Ich will es hüten und mehren, um meinem Nachkommen, dem letzten männlichen Zweig der Breckens, zu Besitz und Ansehen zu verhelfen. War das nicht auch Deines Vaters, unserer Vorfahren Lebenszweck? Bin ich ein Verschwender? Mache ich mich unehrenhafter Handlungen schuldig? Wird unser Familienname durch mich geschädigt oder geschändet? Andere Gesichtspunkte hast Du doch wohl nicht aufzustellen? Nicht von aller Welt geliebt zu werden, das teile ich mit vielen Menschen. Wer Charakter hat, wird niemals sehr gefallen. In der That, ich verstehe Dich nicht. Wir schaffen aber klare Verhältnis wenn Du Dich jetzt mit mir abfindest, und Du sparst ein Stück Geld.«

»Ich will nicht sparen!« entgegnete Theonie stolz. »Dir soll Dein Recht werden, wenn Du eins zu erheben hast! Und laß uns nun das peinliche Gespräch schließen. Ich thu's und will's nicht, Tankred. Kommt die Zeit, so werden mein Mann und ich prüfen und ohne Rücksicht auf unseren Vorteil handeln.«

»Ich nehme den Fall, daß Ihr zu der Ansicht kommt, ich sei unwürdig! Meinst Du denn, ich müßte mich ohne weiteres darein finden?

»Ich brauche doch keine Gründe für eine Weigerung anzugeben, also hast Du auch kein Recht zu einer Reklamation, Tankred!«

»Ah! so faßt Du Deine Zusage auf? Na, ja, ich sehe, wie die Dinge stehen! Nur eins hätte ich nicht gedacht: daß Du Dich hinter Worten verschanzen würdest. Von Theonie Cromwell hatte ich anderes erwartet.«

»Nein, ich verschanze mich gar nicht, Tankred. Das ist auch einer Deiner Fehler: Du gestaltest Dir die Dinge nach Deinen Vorlegungen, und wenn's nicht so kommt, machst Du andere dafür verantwortlich, daß Du Dich Illusionen hingegeben hast.«

»Auch einer meiner Fehler? Was habe ich denn sonst noch für welche?« Höhnisch ging's aus Tankreds Munde, und die Backenknochen seines Verbrechergesichtes schoben sich unheimlich vor. Und als Theonie nur ablehnend die Achseln zuckte, sprang er in die Höhe, stellte sich vor sie hin und raunte ihr mit heiserer Stimme zu:

»Noch einmal, zum letztenmal! Gieb nach! Du weißt, daß ich nicht mit mir spaßen lasse! Du kannst Ruhe und Frieden haben – oder das Gegenteil! Wenn Du mir vierhunderttausend Mark auszahlt, will ich auf alle Ansprüche verzichten, und wir bleiben gute Freunde. Wo nicht, werde ich die mündlichen Zusagen Deiner Mutter mit ins Feld führen, nachweisen, daß ich mich dem Verzicht nur zwangsweise gefügt habe, und auf sofortige Erfüllung meiner Ansprüche klagen. Ich kann schwören, daß sie mir versprach, mich zum Miterben einzusetzen.«

»Du lügst,« rief Theonie, von Empörung und Ekel fortgerissen. »Du lügst und fügst zu allem anderen noch den Meineid. Wenn meine Mutter etwas versprochen hätte, würde es auch von uns gehalten worden sein. O, verächtlich bist Du mir; so verächtlich, daß ich nichts in der Welt so verabscheue wie Dich. Meine Natur unterdrückte ich, ich wollte sie nicht Herr über mich werden lassen, ich wollte gerecht sein, mit Deinen Fehlern rechnen, da niemand frei davon ist. Und Dir wäre geworden, was Du wünschest, wenn Du geblieben wärest, was Du seit Deiner Heirat warst. Aber diese Drohungen und diese Lüge reißen alles wieder in mir auf. Ich fühle wie damals, wo ich vor Deinem Mordblick flüchtete. Aber keine Furcht beherrscht mich mehr! Was kann's denn Schlimmeres sein als der Tod? Wag es! Und Geld! Geld! Schon jetzt zwitschern die Spatzen auf dem Dache von Deinem Geiz, von Deiner Habsucht, von Deinem grenzenlosen, jedes anderen Rechte mißachtenden Egoismus. Statt Dich des ungeheuren Glückes, das Dir geworden, dankbar zu erinnern, es Dir stets vorzuhalten, verfolgst Du diejenigen mit Deinem Haß, durch deren Befürwortung Du etwas geworden. Sie stehen Dir im Wege. Nur Dein Ich, Dein grauenhaftes Ich hat Audienz bei Dir! Mache, thue, was Du willst. Ich zerreiße noch heute die Akte. Schon heute ist entschieden, daß ich wich weigere, Dir auch nur einen Pfennig auszuzahlen. Du hast Dein Spiel verloren, weil Du mich abermals einen Blick in Deine gemeine Seele thun ließest.«

Der Mann hörte, was seine Verwandte sprach, und seine Wut kannte keine Grenzen mehr. Zu der bis zur Raserei gesteigerten Empfindlichkeit, daß sie wagte, ihm so zu begegnen, gesellte sich eine tobende Wut über sich selbst. Hatte sie nicht gesagt: sie würde ihr Wort gehalten haben, wenn nicht diese Szene zwischen ihnen vorgefallen wäre? Er hätte sich selbst züchtigen mögen, und wie einst, ging's durch seine Gedanken, ob's denn gar keine Möglichkeit mehr gäbe, das Geschehene ungeschehen zu machen. Und wieder siegten selbst in diesem furchtbaren Affekt Gier und Habsucht in ihm.

Er sank stöhnend auf seinen Stuhl zurück, bedeckte sein Angesicht mit den Händen und verharrte wie ein Zerschlagener.

Und dann glitt er nieder auf die Kniee, schob sich zu seiner Verwandten hin, tastete nach ihrer Rechten und flehte, daß sie ihm vergeben möge. Er habe sich abermals vom Zorn hinreißen lassen, er wisse dann nicht, was er thue, sie habe ihm doch schon einmal vergeben, und was er von der Verstorbenen gesagt, sei wirklich in dem von ihm angeführten Sinne wahr, wenigstens habe er hingeworfene Worte so gedeutet. Er wolle ja das beste, er verstehe es nur nicht immer; er sei ehrlich bestrebt, seine Fehler abzulegen, aber er habe mit seiner Natur zu kämpfen. Sie sei ja ein Gott an Gerechtigkeit, Milde und Güte und möge, gleichviel was sie beschlossen, ihm verzeihen. »Bitte, bitte, liebe, teure Theonie, sei wieder die alte. Und mit meinen Vorschlägen meinte ich es ja wirklich gut. Es ist doch verständig, sich zu vergleichen, und Du hast selbst Vorteil davon. Und nur noch einmal, zum letztenmal,« schloß er, »vergiß alles, was mein Mund sprach, ich bereue tief.«

Aber die Frau, die ihn in ihrem Ekel und ihrer Empörung wiederholt hatte unterbrechen wollen, die ihm nichts, gar nichts mehr glaubte, vielmehr wußte, daß er durch sein Komödienspiel nur Verlorenes noch einmal wieder zu retten versuchen wolle, riß sich, als er zuletzt ihre Kleider umfaßte, von ihm los, warf den Kopf zurück und rief, mit ausgestreckten Händen ihn abwehrend:

»O Natter, Schlange, weiche von mir. Es giebt, glaube ich, nichts in der Welt, worin die Natur so viel Gemeines zusammenmischte, wie in Dir. Wenn ich überdenke, was ich je hörte oder las über die Schlechtigkeit menschlicher Kreaturen, so entrollte sich doch nie vor meinen Augen ein solches Bild. Lüge, Verstellung, Feigheit, Gemeinheit, Habsucht und Geiz begegnen sich, sie alle reichen sich die Hände in Dir. Deine Seele ist keiner vornehmen Regung fähig, sie ist niederträchtig und schmutzig; wo anderen das Herz sitzt, hockt bei Dir die grauenhafteste Eigenliebe, und Deine gemeinen Leidenschaften sind so stark entwickelt, daß nur die Gelegenheit zum Verbrechen fehlt, um sie ans Licht zu fördern. Und ich glaubte noch an Dich, wollte an Dich glauben! Aber diese Wiederholung – Du drohst mir, Du beschimpfst das Andenken meiner Mutter, Du spielst eben eine über alle maßen ekelhafte Komödie – hat alles für immer in mir getötet. Ich wiederhole: zerrissen ist jedes Band zwischen uns für alle Zeiten. Und nun gehe! Ich will um Deiner selbst willen hoffen, daß diese neue Erfahrung Dir eine Lehre sein mag. Es ist ein schwerer Irrtum zu glauben, man könne in der Welt Niederträchtigkeit an die Stelle von Tugend setzen. Auch für Dich werden Stunden kommen, wo Du nach Gott und nach denen schreist, die es gut mit Dir meinten. Ja, fletsche nur die Zähne und spotte meiner Moralpredigt. Es giebt einen Himmel und eine Gerechtigkeit, und Dich wird das Schicksal richten, wenn Du nicht bald und völlig umkehrst!« –

Nach diesen Worten verließ Theonie, den zu wiederholten malen wie ein Wahnsinniger gegen sie auftrotzenden Mann stolz und furchtlos abwehrend, das Zimmer.

Als Tankred den Weg nach Elsterhausen zurücknahm, beschäftigte ihn die eben gehabte Unterredung. Alles, alles war nun dahin! Nur die Möglichkeit, daß Theonie sterben, und daß er dadurch dermaleinst noch in den Besitz des Gutes gelangen konnte, blieb zurück. Aber sie konnte ja steinalt werden, und er konnte vor ihr dahingehen! Was war nicht alles denkbar!? – –

Und was sollte er Grete berichten? Daß ein unheilbares Zerwürfnis zwischen ihm und Theonie eingetreten sei?

Wodurch? Sie würde doch fragen. Und die Folgen? Enterbung! – Nein! Das brachte er so nicht über die Lippen. Er mußte sie täuschen, sie vorläufig noch einwiegen in Hoffnungen. Vielleicht fand sie dennoch einen Ausweg. Wenn sich Grete vor Theonie demütigte, wenn auch Hederichs Einfluß zu Hülfe genommen ward, ließ sich doch vielleicht noch alles zum guten lenken, noch ein Vergleich schließen.

Dieser Gedanke belebte vorübergehend wieder die Seele des Mannes, er setzte dem Gaul die Sporen in die Seiten und flog dahin. Ein offener Wagen kam ihm entgegen. Ein einzelner Mann, in einen Pelz gehüllt, saß darin; es war Herr von Streckwitz. Diese Begegnung gab Tankred den Gedanken ein, die Vermittlung des Bräutigams Theonies anzurufen.

Ja, damit wollte er beginnen. Er wollte Streckwitz aufsuchen, bevor Theonie ihn sprechen konnte. Unter solchen Gedanken erreichte er gegen neun Uhr Holzwerder.

Als er ins Wohngemach trat, kam ihm Grete nicht wie sonst entgegen, sie nickte ihm nur stumm zu, und ihre Augen waren verweint.

»Nun? Was ist? Du erschreckst mich,« stieß Tankred heraus. »Sprich, was hat sich ereignet?«

Aber sie sagte nichts, sie ließ den Kopf sinken, und Thränen schossen aus ihren Augen.

»Ist wieder etwas mit denen oben?« drängte Tankred. »Hat's eine Szene gegeben?«

Nun hub sie schluchzend an:

»Es ist alles aus. Mama hat mir vor kaum einer halben Stunde nach einem furchtbar erregten Auftritt erklärt, daß sie beide Holzwerder verlassen und nach Elsterhausen ziehen wollen.«

»Und die Veranlassung?« fragte Tankred gespannt.

Nun erschien der Diener Peter und meldete, daß das Abendessen aufgetragen sei. Dadurch ward das Gespräch der Eheleute zeitweilig unterbrochen.

»Beruhige Dich! – beruhige Dich!« tröstete Brecken nach des Dieners Fortgang seine Frau, faßte sie leicht um die Schultern und zog die kopfschüttelnd ihn Abwehrende mit sich ins Speisezimmer. »Es wird nichts so heiß gegessen, wie es auf den Tisch kommt. Die oben werden schon von selbst wieder gut Wetter machen.«

»Nein, nein! Diesmal ist's Ernst!« entgegnete Grete rauh, sich gleichsam trotzig gegen seine Auffassung auflehnend, und auch in der Folge sprach sie in einem Ton, der sich eben so sehr gegen ihn wendete, wie gegen ihre Mutter: »Du hättest nur hören sollen, was sie alles vorbrachte. Da verlor ich die Geduld, und ich war's, die ausrief: ›So geht doch, wenn es Euch bei uns so wenig behagt. Ihr seid ja Eure eigenen Herren.‹ Das schlug dem Faß den Boden aus. Mama hat mir unglaubliche Dinge gesagt: Wir warteten auf ihren Tod; jeden Tag fühlten sie beide, wie lästig sie uns seien: von Liebe, Rücksicht, Pietät sei nicht die Rede. Wir fänden uns mit der Thatsache, daß sie auf der Welt seien, notgedrungen ab. – Am Ende, es ist doch meine Mutter,« schloß Grete abermals schluchzend und schob die ihr von Tankred inzwischen vorgesetzten Speisen von sich.

»Aber was war es denn? Was hat Euch denn so maßlos aufgeregt?« forschte Tankred in gemischten Empfindungen. Wenn ihm auch nichts lieber war, als die Lästigen von Holzwerder zu entfernen, so beunruhigte ihn doch sowohl seiner Frau bedrückte Stimmung als auch ihre allzu deutlich gegen ihn hervortretende Reizbarkeit.

»Ja, was war's? Die alte Geschichte! Sie behauptete, das Gänsesauer sei heute mittag nicht frisch gewesen. Papa habe sich ganz krank darnach gefühlt. Soweit dürfe doch meine Sparsamkeit nicht gehen, daß ich Verdorbenes auf den Tisch setzte. Mama hatte in der Küche gefragt, und die Köchin behauptet, sie habe mich aufmerksam gemacht, daß die Kruke schlecht verschlossen gewesen sei. Erst blieb ich ruhig, aber als sie mir dann wieder eine Rede über unsere, namentlich Deine Sparsamkeit hielt, die schon sprichwörtlich geworden sei, verließ mich bereits die Geduld. Zuletzt kam sie in anderer Weise auf Dich zu sprechen und – und –«

»Nun?«

»Sie erhob schwere Anschuldigungen gegen Dich. Ich sollte auf Dich einwirken, meinte sie. Und als sie mir den Zweck Deines Rittes nach Falsterhof herausgelockt, rief sie: Immer nur haben, haben, raffen! Nicht abwarten kann Dein Mann. Und verderben wird er seine Sache, an deren Gelingen doch auch wir interessiert sind, schon deshalb, weil wir dann weniger beschämt werden durch die Art und Weise, wie er allezeit die Monatszahlungen leistet. Es scheint beinah Absicht zu sein, daß bei jeder Zahlung etwas fehlt, und daß er es auch nachträglich zu berichtigen vergißt. Im letzten Monat seien es, behauptete sie, wieder zwölf Mark gewesen. Das müsse bei einem korrekten Mann doch nicht vorkommen. Ich sollte Dir natürlich von alledem nichts sagen, aber, aber – jetzt muß es doch heraus –« schloß Grete immer in demselben Gemisch von Ärger über ihre Mutter und von halber Parteinahme für sie.

»Und ganz ohne jeglichen Anlaß von Deiner Seite kamen alle diese Invektiven zum Vorschein?«

»Nun ja, wie ich schon sagte. Da sie mich gereizt hatte, sprach ich von ihrer Verschwendung. Sie haben sich doch nun wieder ein Vogelbauer für hundertfünfzig Mark angeschafft, während sie schon die beiden Prachtbauer besitzen. Darüber äußerte ich mich, und dann antwortete Mama: Besser noch verschwenden, als so schmutzig geizig sein, wie wir es wären. Und wir thäten beide, als ob wir ihnen das Gnadenbrod hinwürfen, und erlaubten uns Bemerkungen über jegliches, was von ihnen ausginge. Sie hätten doch nach der notariellen Ausfertigung ein Recht auf die Rente. Und sie sei alt genug, um zu wissen, was sie zu thun und zu lassen habe; bei mir brauche sie nicht erst in die Schule zu gehen und sich von mir Lehren zu holen!« –

Die junge Frau hatte das alles rasch, ohne Absatz, stürmisch und erregt herausgestoßen. Nun übermannte sie wieder ihre Bedrückung, und weinend und schluchzend hielt sie inne.

Tankred aber, obschon er zuhörte und auch den Sinn der Worte in sich aufnahm, war schon längst nicht mehr bei der Sache; seine Gedanken gingen, nachdem er gesehen, daß es sich nicht um einen besonderen Streitgrund handelte, allein zu den Vorfällen in Falsterhof zurück. Er konnte es nicht erwarten, nun seinerseits zu berichten, brach auch rasch von dem alten Thema ab und sagte:

»Ach, das kommt ja alles wieder in Ordnung, und wenn nicht, ist's wahrlich auch kein Unglück! Aber was ich erlebt habe, ist ganz anderer, weit schlimmerer Natur!«

Die Frau erhob bei diesen Worten rasch und erschrocken das herabgeneigte Antlitz.

Tankred berichtete sodann ausführlich über die stattgehabte Unterredung und erzählte, daß Theonie einen Vergleich sehr schroff abgelehnt und eine dadurch von seiner Seite hervorgerufene Äußerung als Anlaß genommen habe, um ihm in sehr wenig rücksichtsvoller Weise zu begegnen, ja, nach heftigem Streit und trotz seiner versöhnenden Worte habe sie die Erklärung abgegeben, sie wolle ihm überhaupt nichts abtreten. Offenbar suche sie seit ihrer Verlobung nach einem Vorwand, um das von ihr gegebene Versprechen zurückzunehmen, und habe jetzt gleich die Gelegenheit dazu ergriffen.

Aber Grete nahm die Sache nicht so auf, wie Tankred erwartet hatte. Sie war zwar seinen Auseinandersetzungen mit gespanntem Ausdruck gefolgt, aber sie legte durch Mienen und eingestreute Bemerkungen schon während seiner Erzählung an den Tag, daß sie weniger Theonie als ihm selbst die Schuld an diesem ganz unerwarteten Ausgang zuschob.

Durch ihre Zweifel und ihren Tadel und dann wieder durch ihr stummes, einsilbiges, mit Achselzucken verbundenes Wesen, durch ihre sonderbaren, halb vorwurfsvollen, halb mißtrauischen Blicke versetzte sie ihn aber in eine so gereizte Stimmung, daß er an sich halten mußte, um ihr nicht in brutaler Weise zu begegnen. Zuletzt versuchte er, um sie auf seine Seite zu bringen, es auf andere Weise; er gab zu, daß er vielleicht die Hauptschuld trage, und bat schmeichelnd um ihren Rat und ihre Hülfe. Das schien von Wirkung zu sein.

Grete überlegte; dann sagte sie: »Laß einmal sehen, was sie Dir damals geschrieben hat. Es wäre ja möglich, daß man die Sache wieder ins Gleis bringen könnte.«

Tankred schwankte, ob er ihrem Wunsch willfahren sollte, auch war er unschlüssig, welches von den beiden Aktenstücken ihr einzuhändigen wäre, das Original oder das Falsifikat. Dann aber trug die gehobene Stimmung, in die er dadurch geraten, daß Grete wieder eins mit ihm zu sein schien, den Sieg über seine Bedenken davon; er ging an sein Schreibpult, zog das Falsifikat hervor und überreichte es ihr. Grete las es aufmerksam durch, legte es dann beiseite und gab abermals ihrer Hoffnung Ausdruck, daß noch nicht alles verloren sei; auch stimmte sie halbwegs zu, als Tankred auf sie einredete, am folgenden Tage selbst nach Falsterhof zu fahren und mit Theonie zu sprechen, während er mit Streckwitz reden wollte.

Nicht in der früheren, deutlich hervortretenden Übereinstimmung mit ihm, aber, wie es schien, doch ruhiger und versöhnlicher als beim Eingang des Gespräches, hörte dann Grete noch ferner ihrem Mann zu, und erst gegen Mitternacht begaben sich beide – Grete unter einem schwermütigen »Gute Nacht! Hoffentlich bringt die Zukunft Gutes. Es sieht augenblicklich alles so trübe aus! –« zur Ruhe.

Als die Eheleute am folgenden Morgen beim Frühstück wieder zusammen saßen, erklärte aber Grete dennoch zu Tankreds äußerstem Verdruß, daß sie bei nochmaliger Überlegung zu dem Entschluß gelangt sei, von einem Besuch bei Theonie abzusehen. Es widerstrebe ihr, sich in diese Angelegenheit zu mischen, es werde ein falsches Licht auf sie werfen, es passe nicht für sie, ihr Gefühl lehne sich auch dagegen auf. Und gestern habe er drüben erklärt, sie sei nicht wohl, und heute erscheine sie kerngesund vor Theonie. Schon das werde einen unvorteilhaften Eindruck hervorrufen. Er müsse selbst die Angelegenheit zu ordnen suchen. Sie habe, wenn es mit den Eltern nicht so stände, wohl Neigung, mit ihrer Mutter die Sache zu besprechen, überhaupt wäre letztere geeigneter als sie, mit Theonie zu reden. Aber freilich, davon könne keine Rede sein, es sei ja alles mit den Eltern aus. –

Tankred wollte anfänglich Einwendungen erheben, seiner Frau ihre Auffassung ausreden, aber als sie ihrer Mutter Erwähnung that, blitzte es in ihm auf.

Ja, das war ein guter Gedanke! Wenn Frau von Tressen sich bewegen ließ, auf Theonie einzureden, kam sicher am ehesten etwas heraus. Und es war im Grunde richtig: für Grete paßte es nicht; den Gedanken hatte Furcht und Unruhe geboren. Er sprang deshalb empor und sagte:

»Weißt Du, Grete, das ist das Richtige. Und ich will auch gleich handeln. Wir wollen mal Peter sofort hinaufschicken und fragen lassen, ob ich Mama in einer wichtigen Sache sprechen könne. Ich äußere erst mein Bedauern, daß gestern wieder etwas zwischen Euch vorgefallen, und lege ihr dann die Sache dar. Es hilft nichts, wir müssen alle Minen springen lassen, und es ist keine Zeit zu verlieren. Wenn Theonie und Streckwitz sich bereits gesehen haben, ist nichts mehr zu machen. Wir müssen ihn und sie vorher abfangen.«

Nach wenigen Minuten erschien der nach oben gesandte Diener wieder. Frau von Tressen ließe sagen, sie sei nicht wohl, sie müsse bedauern, heute niemanden sehen zu können.

Das hatte Brecken denn doch nicht erwartet. Er sah, die oben nahmen jetzt die Dinge sehr ernst. Nach kurzem Besinnen aber reckte er sich und sagte:

»Ich gehe trotzdem hinauf, ich will doch sehen, ob sie mich abweist. Wenn nicht anders, trete ich ohne weiteres ein und nehme ihr die Sache über den Kopf.«

Grete äußerte kein Nein und kein Ja.

»Versuch's!« warf sie tonlos hin, und Tankred, immer nur mit dieser einen Angelegenheit beschäftigt, übersah ihr Wesen, schob es auf die mit ihrem körperlichen Zustand zusammenhängende Unberechenbarkeit der Stimmung, von der er schon mehrfach Proben gehabt, und eilte hinauf.

Frau von Tressen hatte sich eben mit ihrem Manne vom Frühstück erhoben, als die Thür mit einem schmeichelnden »Guten Morgen, Mama! Guten Morgen, Papa!« von Tankred geöffnet ward.

»Entschuldigt, daß ich so ohne Meldung bei Euch eindringe, Peter kam nicht zurück! Aber was ich Euch zu sagen habe, hat Eile,« fuhr er kriechend fort.

Und ehe Tressens zu einer Antwort zu gelangen vermochten, erklärte er, daß Grete sehr bedrückt sei, und daß der gestrige Zwist hoffentlich der letzte gewesen sein werde. Von seiner Seite solle alles dazu geschehen und von Gretes Seite auch. Und dann rückte er mit der Falsterhof-Angelegenheit heraus, berichtete ausführlich und bat seine Schwiegermutter aufs dringendste, mit Theonie über eine Abfindung zu verhandeln.

Da der Mann in Geldsachen allezeit die Menschen nach sich zu beurteilen pflegte, hatte er gar nicht gezweifelt, daß Frau von Tressen auf seine Bitte eingehen werde. Er war daher aufs höchste betroffen und nicht minder geärgert, als sie sehr kurz und entschieden den Kopf schüttelte und sagte:

»Nein, nein, damit will ich nichts zu thun haben. Es widerstrebt mir durchaus, in dieser Angelegenheit vermittelnd einzutreten. Es kann bei der Sachlage gar nicht anders als wie eine Bettelei aufgefaßt werden, und dagegen lehnt sich mein Empfinden auf. Ich habe, als Grete mir von deinem Schritt erzählte, gleich gedacht, daß das nichts werden würde. Theonie betrachtet die Sache nicht wie ein Geschäft, bei dem es ihr von Wert ist, etwas abzuhandeln, sondern sie leiten ganz andere Gesichtspunkte. In dem Schriftstück hat sie fünf Jahre ausbedungen und würde ihr Wort gehalten haben, wenn Du Dich der von ihr in Aussicht genommenen Vergünstigung würdig gezeigt hättest. Hat sie jetzt schon nein gesagt, so ist das eben so sehr ihr fester Entschluß, wie es ihre ehrliche Absicht war, Dir im Falle das Erbteil zuzuwenden. Daran werde ich nichts ändern, und wenn doch, ich mag und will's nicht. Es hat, wie gesagt, den Anstrich einer Bettelei, zu der wir nicht den geringsten Anlaß haben. Begnügt Euch denn nun mit dem, was Ihr habt, freut Euch dessen, laßt jedem das seine, das ihm zukommt, und trachtet nicht nach Fremdem. Das ist mein Rat. Daß es uns natürlich angenehm gewesen wäre, daß es sogar damals vor Deiner Heirat eine Voraussetzung war, daß auch Du etwas in die Ehe bringen würdest, brauche ich nicht hervorzuheben. Aber es ist überhaupt so vieles anders geworden, als wir gedacht haben, daß es wirklich auf etwas mehr oder weniger nicht ankommt. In unseren Augen wenigstens nicht. Das schöne Glück, das wir erträumt haben, ist dahin, und unser Entschluß, Holzwerder zu verlassen, steht auch fest. Es ist ja sehr schön, daß Ihr das bedauert, es scheint mir auch natürlich, aber es ändert nichts an der Einsicht, daß ein Zusammenleben zwischen uns unmöglich ist! – So, nun kennst Du meine und Tressens Ansicht, und nun lasse uns aus dem Spiel.«

»Nun, wie Du willst,« entgegnete Brecken, der, sich beherrschend, diesen Worten zugehört hatte, und in dem trotz aller höchst unliebsamen Erfahrungen abermals Hochmut, verletzte Eitelkeit und Zorn jegliche Klugheit und Besonnenheit überwogen. »Ihr werdet es aber noch bereuen, und ein für allemal bemerkt, liebe Mama, an den guten Lehren, die Du fortwährend an Grete und mich austeilst, finden wir sehr wenig Geschmack. Sie eignen sich mehr für Schulkinder als für uns.«

Nach diesen Worten verließ er mit einer impertinenten Miene das Zimmer.

»Nein, es ist nichts!« rief er, als er zurückkehrte, und Grete fragend und in sichtbar großer Erregung das Haupt erhob. »Und Du hast recht, es ist überhaupt aus mit ihnen. Sie wollen fort, unbedingt fort, und dann lasse sie auch nur! Mir ist absolut nichts daran gelegen, im Gegenteil! Gott sei Dank, daß die Quälerei ein Ende hat. Nicht wahr, wir sind uns selbst genug, meine Grete?« schloß er schmeichelnd und werbend und umarmte, ehe sie es hindern konnte, die zitternd aufhorchende Frau. Sie aber entzog sich rasch, ungeduldig, und wie von einem Schmerz betroffen, seinen Zärtlichkeiten, stieß ein rauhes: »Nein, nein, laß, ich mag jetzt nicht!« heraus und verließ das Gemach.

Tankred wollte aufbrausen und ihr nacheilen, aber er unterließ es doch. Er würde mit ihr schon alles wieder ins Gleichgewicht bringen. Das hing mit ihrem gegenwärtigen Befinden zusammen; es waren auch Hederichs Einflüsse, dem er aber jetzt kündigen wollte, und die Lamentationen von denen oben wirkten ebenfalls mit. Das kannte er schon. Vielleicht beeinflußte überdies die Enttäuschung Grete, aber die würde bald wieder einem anderen Gefühl weichen. Er siegte doch noch! Tankred von Brecken war wieder voll bester Hoffnungen.



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