Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

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Als sich Tankred von Brecken am kommenden Morgen erhob, war ihm der Kopf wüst, und er fühlte eine grenzenlose Unbefriedigung in sich. Die Vorgänge des vergangenen Abends traten in sein Gedächtnis, und Ärger. Unmut und Reue erfüllten sein Inneres.

Von dem ruhigen Wege, den er sich vorgezeichnet, war er abgewichen, weil ihn seine Sinne bemeistert hatten. Schon so oft, wenn er dem Wein zu sehr zugesprochen, hatte er Unbesonnenes gethan und die üblen Folgen tragen müssen.

Er wußte, durch diesen Vorgang büßte er vieles ein, was schon gewonnen war. Theonie hatte nun eine Handhabe gegen ihn. Bisher war nichts geschehen, was sie ihm hätte vorwerfen können, denn daß er sie liebte, konnte kein Verbrechen sein; aber durch die Form seiner Werbung, durch seine Leidenschaft hatte er seinen Charakter offenbart, hatte er das Gastrecht in unerhörter Weise verletzt.

Er stellte sich die Folgen vor. Zunächst hatte er sicher jede Geneigtheit Theonies zu einer milderen Beurteilung seiner Person verscherzt; von einer freiwilligen Annäherung ihrerseits konnte jetzt nicht mehr die Rede sein, und wahrscheinlich würde sie sogar Rache üben und ihm die Auszahlung eines Kapitals verweigern. Der letztere Gedanke kam dem Manne, weil er selbst so gehandelt haben würde; er blieb jedoch nicht in ihm haften; wohl aber war er sicher, daß sie nach diesem Vorfall sich zu keinen größeren Opfern bereit finden würde, im guten wenigstens nicht. Er überlegte nun, was weise und vorteilhaft für ihn sein werde.

Zunächst mußte er durch die Künste seiner Verstellung wieder ein äußerlich gutes Verhältnis zwischen sich und Theonie herstellen, schon um seines vorläufigen Bleibens willen; dann aber hieß es, sondieren, was nach dem Geschehenen zu erreichen war.

Wenn er vor sie hintrat und demütig seine Unbesonnenheit eingestand, ihre Verzeihung erflehte und zugleich erklärte, er wolle Falsterhof verlassen, dann würde er – das hielt er für ausgemacht – sie zu Opfern am bereitwilligsten finden. Aber damit gab er alle Vorteile auf, die ihm noch werden konnten, und schnitt sich die Möglichkeit ab, in Grete von der Lindens Nähe zu bleiben.

Bei diesem Ende seiner Gedankenreihe angelangt, schlug er sich voll Zorn und Unmut vor den Kopf, verwünschte seine Leidenschaft und war schon, da er deren Folgen nicht ausweichen konnte, im Begriff, seine Sache verloren zu geben, als Frege ins Zimmer trat, das Frühstück servierte und ihm einen Brief übergab.

Das Schreiben komme vom Baron von Treffen, der Bote warte.

Nachdem Frege sich entfernt hatte, riß Tankred voll Ungeduld den Brief auf und las:

›Hochgeehrter Herr von Brecken!

Sie haben unserer Tochter die liebenswürdige Zusage gemacht, uns besuchen zu wollen. Darauf hin bin ich so frei, Sie zu fragen, ob Sie ohne das Zeremoniell einer Antrittsvisite, auf die wir gern verzichten, im engen Familienkreise bei uns eine Suppe essen möchten. Wir würden darüber außerordentlich erfreut sein und bitten, gütigst dem Überbringer zu sagen, ob wir Sie um drei Uhr erwarten dürfen.

Ihr sehr ergebener
Konrad von Treffen.‹

Der artige Inhalt dieser Zeilen gab Tankreds Gedanken mit einem Schlage eine andere Richtung.

Tressens kamen ihm in ungewöhnlicher Weise entgegen. Sicher hatte er auf Grete einen guten Eindruck gemacht, auch wirkte der Umstand wohl mit, daß man ihn als Miterben von Falsterhof ansah. – Und er war es nicht!

Empörend, daß der filzige Philister, sein Onkel, ihn hatte leer ausgehen lassen! Und nicht minder unverzeihlich war's von der verstorbenen Tante, daß sie nicht einen Augenblick gefunden hatte, um eine Klausel zu seinen Gunsten in das Testament einzufügen. Gewiß hatte er das Theonie zu verdanken! Ja, sie war ihm in der Seele zuwider, obschon ihn gestern, als sein Blut heiß gewesen, ihr Körper gereizt, obschon er sich eingebildet hatte, er könne sie lieben. Diese sentimentale Tugend, diese langweilige Resignation und diese ihren geistigen Hochmut nur in noch schärferes Licht stellende äußerliche Bescheidenheit waren ihm in der Seele zuwider. Er nahm auch einen ganz verkehrten Standpunkt ihr gegenüber ein. Von rechtswegen gehörte ihm die Hälfte von Falsterhof! – Und plötzlich schoß es Tankred von Brecken durch den Sinn, diese Hälfte im Fall mit Gewalt von ihr zu erzwingen und dadurch sicher der Mann Grete von der Lindens zu werden. Das sollte fortan sein Ziel sein!

So trat er denn Frege bei seinem Wiedereintritt gehobenen Hauptes entgegen, befahl, den Boten hereinkommen zu lassen, und schrieb, während dieser wartend an der Thür stand, eine Zusage:

›Hochgeehrter Herr Baron!

Ihre gütigen Zeilen haben mich ebenso überrascht wie erfreut. Sie beschämen mich in der That durch die ungewöhnlich artige Form Ihrer Einladung, die ich dankend annehme. Indem ich die Versicherung hinzufüge, daß ich bestrebt sein werde, mich der mir gewordenen Auszeichnung stets würdig zu erweisen, bin ich mit dem Ausdruck größter Verehrung und unter gehorsamen Empfehlungen an Ihre Damen

Ihr ganz ergebener
Tankred von Brecken.‹

Nach eingenommenem Frühstück setzte sich dann Tankred abermals an den Schreibtisch und richtete die nachstehenden Zeilen an Theonie:

›Liebe Theonie!

Ich bedaure und bereue den gestrigen Vorfall aufs tiefste. Laß mich es Dir auf diesem Wege sagen und Deine Verzeihung einholen, bevor wir uns wieder gegenübertreten. Niemals – dessen sei gewiß – wirst Du Dich ferner über einen Mangel an Ehrerbietung meinerseits zu beklagen haben, vielmehr aus meiner Begegnung erkennen, wie hoch ich Dich schätze, achte und verehre. – Genehmige, liebe Theonie, daß ich noch acht Tage auf Falsterhof bleibe. Dann reise ich ab, und inzwischen finden wir Gelegenheit, uns auszusprechen und die von Dir in so gütiger Weise angeregten geschäftlichen Angelegenheiten zum Austrag zu bringen. Heute mittag und den Rest des Tages bin ich nicht in Falsterhof und bitte, mich bei der Mahlzeit zu entschuldigen.

Tankred.‹

»Tragen Sie dies der gnädigen Frau hinauf, die ich nicht stören will, da sie sich gestern abend schon unwohl fühlte. Ich werde heute nicht bei Tisch sein,« erklärte Tankred dem durch Klingeln herbeigerufenen Frege.

»Die gnädige Frau ist bereits in der Frühe nach Elsterhausen gefahren. Sie ist nicht anwesend,« ging's kurz aus des Dieners Munde.

Tankred zog ein enttäuschtes Gesicht. Aber sich schnell wieder beherrschend, warf er hin:

»So – so? Und wann kehrt sie zurück?«

»Die gnädige Frau will morgen ihre Reise antreten. Sie meinte, gegen abend wiederzukommen.«

»Hm, schön!« Damit war Frege entlassen.



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