Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Im Wohnzimmer des Pfarrhauses in Breckendorf saßen die Pastorin und Hederich einander gegenüber.

Seit dem Vorerzählten waren fünf Monate verstrichen. Der Herbst war bereits ins Land gezogen, und Hederich hatte sehr viel zu erzählen und sehr viel zu hören.

Zunächst war es die Frau Pastorin, die in einem starken Redestrom ihm ihr Herz ausschüttete.

»Was mich am meisten beschäftigt und mich geradezu traurig gemacht hat, ist die Art und Weise, die Grete bei der Angelegenheit an den Tag legte, Hederich. Ihn kennt man ja. Er ist und bleibt ein trauriger Geselle. Aber sie! Doch nun hören Sie! Nachdem ich oben bei Tressens gewesen war, die mir sogleich fünfhundert Mark für das von mir geplante Armenhaus in Breckendorf bewilligten, ging ich hinunter und traf Ihren jungen Herrn in seinem Zimmer am Schreibtisch. Ich trug ihm vor, was mich nach Holzwerder geführt hatte, erzählte, daß mein Mann und ich von meinem Vermögen fünftausend Thaler als Grundlage für den Bau hergeben wollten, legte ihm dann auch die Liste der bisherigen Zeichner vor und bat ihn, daß er sich auch mit einem namhafteren Betrage beteiligen möge.

Erst äußerte er nichts, ließ mich niedersitzen und guckte auf das Papier. Dann erwiderte er mit einem infam spöttischen Ausdruck:

›Meine Schwiegermutter hat fünfhundert Mark gezeichnet? So – so – na ja, wer's lang hat, läßt's lang hängen! Ich kann höchstens hundert Thaler geben. Fast kein Tag geht vorüber, an dem nicht Ansprüche an mich herantreten, und wollte ich immer nach den Voraussetzungen der Antragsteller geben, müßte ich nachgerade auf Einnahmen für mich selbst verzichten.‹ – Er zählte mir denn auch eine Reihe von Vereinen auf, denen er angehöre, sprach von Erhöhung der Steuern und anderem und rief seine Frau, die inzwischen ins Zimmer getreten war, als Zeuge auf, wie beschwert sie seien. ›Glauben Sie nur, daß es uns nicht so leicht gemacht ist, wie Sie meinen,‹ versicherte er. ›Jeden Monat die Rente an meine Schwiegereltern, die Wirtschaft, das Haus, Anschaffungen, Neubauten, die gemacht werden müssen. Ich kann's nicht mehr gut machen!‹ Und Grete stimmte lebhaft ein, immer kam auch sie auf ihre Eltern zurück: natürlich, es müßte ja sein, aber jetzt lebten doch zwei Familien von den Einkünften von Holzwerder.

Ich sage Ihnen, Hederich, es war widerlich anzuhören, und ich habe denn auch gar keinen Versuch mehr gemacht, sie zu einer größeren Gabe zu bewegen. Geizig, schmutzig geizig werden sie beide. Haben Sie mir nicht selbst erzählt, daß sich dies Jahr ungemein günstig gestellt, daß das Gut noch nie so viel abgeworfen hat?«

»Ja, es ist richtig, sie haben schöne Einnahmen, und was sie sagen von der Rente an die Eltern, die ist bei den Einkünften nicht gar so schlimm.

Aber das geht jetzt in allem so! Der Thorwächterposten ist eingezogen, seine Arbeit muß jetzt der Parkwächter mit besorgen; er kriegt aber nicht mehr dafür und hatte die Wahl, nein zu sagen oder die Stelle zu verlieren. Was er, drum und dran, sonst am Tage verdiente, ist nun weggefallen. Die beiden Kutscher müssen mit im Garten helfen, und die Burschen sind entlassen. Auch im Hause haben sie nicht mehr so viele Dienstleute. Der Wirtschafterinposten ist eingegangen. Die junge Frau giebt selbst aus, verschließt alles und macht Szenen, wenn zu viel gebraucht wird. Verschiedene Lieferanten aus Elsterhausen sind schon bei mir gewesen und haben sich bitter beklagt. Wenn sie dafür nicht liefern könnten und wollten, werde sie aus Hamburg beziehen, sei ihnen gesagt.

Ich sollte mit Frau Grete sprechen. Aber ich lehnte es ab. Ich will mich nicht in Sachen mischen, die mich nichts angehen. Früher durften auch die Arbeitsleute nach dem Pflücken das letzte Obst abschütteln, das ist nun ebenfalls vorbei. Holzsammeln in den Gehölzen hat er durch Anschlag verboten und den Hardesvogt bestimmt, Geldstrafen dafür anzusetzen. Und nicht einmal Vernunft ist drin. In den Knechtekammern waren zum Beispiel neue Fenster nötig, die will er nicht bewilligen, und nun schlagen Wind und Regen hinein.

Aber, drum und dran, für die unsinnige Geschichte mit der Zuckerfabrik möchte er Unsummen ausgeben. Unser Land eignet sich nicht für den Rübenbau, aber er will es durchzusetzen, er will Geld machen, raffen, die Einnahmen vergrößern, das ist sein einziger Gedanke. Na, mit der Fabrik wird's hoffentlich noch seine Weile haben. Sie ist dagegen.«

»Hat sie denn etwas zu sagen, wenn er will?«

»Na ob! Sie verstehen sich immer. Alles wird gemeinsam überlegt. Neulich sagte sie, sie wollte ihr Silberzeug einschmelzen lassen und verkaufen. Neusilber thäte es auch. Sie hätte sich herausgerechnet, daß sie so viel Kapital herauskriegte, daß sie von den einmaligen Jahreszinsen sich eine neue Christofleeinrichtung anschaffen könnte. Ich muß daran denken, daß wir, drum und dran, Familienzuwachs erhalten, sagte sie –«

»So? also damit hat sie Grund, sich zu beschäftigen? Das wußte ich noch gar nicht. Wie steht es auf Falsterhof? Ist es wahr, daß Herr von Streckwitz dort fast täglicher Gast ist? Frau Theonie leugnete es neulich, sie wurde aber sehr rot dabei. Ich glaube, die Verlobungsanzeige wird nicht lange auf sich warten lassen.«

»Meinen Sie wirklich?« fragte Hederich erstaunt. Er gehörte zu den Menschen, die weniger selbst sehen, als sich aufmerksam machen lassen, aber, einmal rege gemacht, aus Neugierde mehr beobachten als andere. Da Carin, vielleicht aus Diskretion, die Möglichkeit eines tieferen Interesses Theonies für Streckwitz nicht wieder berührt hatte, war auch Hederich nichts aufgefallen.

»So, lieber Hederich! Nun darf ich Sie aber fortjagen; wir haben heute Wäsche, und ich muß selbst noch mit anfassen. Heute abend ist Nähschule bei mir, die erwachsenen Kinder aus dem Dorfe. Ich habe viel um die Ohren. – Darf ich Ihnen rasch noch etwas bringen? Einen Schnaps? Warten Sie – herrliche Wurst hat mir Klaus gebracht. Die müssen Sie probieren.« – Und während er, nachdem sie rasch den Branntwein und die Speisen herbeischafft, aß, stand sie – sich zu setzen hatte sie keine Zeit – vor ihm und erzählte noch von allerlei traurigen Ereignissen im Dorfe, von Not und Krankheit, der sie abzuhelfen bemüht gewesen, und zuletzt auch noch eine lange Geschichte von Lene. Sie sei mit ihrem Vater in Elsterhausen und jetzt recht niedlich.

»Ja niedlich, niedlich,« betätigte Hederich, während er das Leberwurstbutterbrod in den Mund schob, etwas zerstreut. Die Geschichten von Lenchen erregten wohl sonst sein Interesse, aber heute ging er ihnen lieber aus dem Wege.

Als er schon in seinem Einspänner saß, sah er noch, daß Frau Höppner mit einer alten Bauerfrau sprach, die vor der Thür stand und weinend ihren Kummer erzählte. Die Pastorin aber trocknete der Alten mit ihrem Schnupftuch die Thränen von den Wangen, und trostreiche Worte gingen über ihre Lippen:

»Na ja, kommen Sie nur erst mal herein und nehmen was Warmes, gute Alte. Dann wollen wir weiter sprechen,« hörte er sie noch sagen, und »Drum und dran, brave Frau!« ging's über Hederichs Lippen, während er mit einem Hü die Zügel ergriff und das Pferd antrieb.

Als er zu Hause sein Wohnzimmer betrat und Licht machte, fand er auf seinem Schreibtisch einen Brief, der Frau von Tressens Handschrift trug. Mit nicht geringer Spannung ergriff er das Schreiben, öffnete und las:

(Privat) ›Lieber Hederich! Wir haben heute abend bei Breckens, die eine Gesellschaft zu sich geladen, abgesagt. Weder mein Mann noch ich sind in der Stimmung, daran teil zu nehmen. Ich muß Sie notwendig sprechen. Bitte, kommen Sie zur Theezeit, wenn Sie nicht versagt sind, und gehen Sie hinten die Treppen hinauf.

S. von Tressen.‹

Noch unter dem Eindruck des Gespräches, das er am Nachmittag mit der Pastorin gehabt hatte, regten die Zeilen Hederich außerordentlich auf. Sicher war etwas sehr Bedeutsames vorgekommen. Er konnte es nicht erwarten, daß sich der Zeiger der Uhr auf acht schob, und begab sich dann, einen versteckten Umweg nehmend, durch die Hinterthür des Souterrains ins Haus. Aber als er eben die Treppe hinaufeilen wollte, trat ihm Tankred mit einigen bestaubten Flaschen Wein, die er selbst aus dem Keller geholt hatte, entgegen und sagte, seinen Verwalter erblickend, sehr erstaunt:

»Sie hier? Ich denke, Sie sind nach Elsterhausen gefahren? Schon zurück? Was wünschen Sie? Suchen Sie etwas?«

»Drum und dran, ich wollte oben ein Packet Handschuhe abgeben, die ich für Frau von Tressen mitgebracht habe,« entgegnete Hederich, sich schnell fassend. »Ich vermutete die Herrschaften unten bei Ihnen und wollte vorn wegen der Gesellschaft nicht stören.

Guten Abend, Herr von Brecken! Viel Vergnügen! –«

Aber Tankred ließ sich so nicht abfertigen. Wenn Hederich nach oben ging, fand er Tressens; ohne Zweifel würden Sie ihn auffordern, zum Thee zu bleiben, und gewisse, am Nachmittag stattgehabte Dinge würden zur Sprache kommen. Das paßte ihm nicht.

So setzte er denn die Weinflaschen nieder und sagte: »Was wollen Sie sich die Treppe hinaufbemühen, Hederich. Geben Sie das Packet nur her. Ich werde es meiner Schwiegermutter einhändigen.«

Die Situation war höchst peinlich. Wenn Hederich erklärte, daß er gar kein Packet habe, stand er als Lügner da, und ablehnen konnte er füglich Tankreds Anerbieten auch nicht. Da aber zu viel auf dem Spiel stand, nicht nur für ihn, sondern auch für Tressens, nahm er seine ganze Unerschrockenheit zusammen und sagte, indem er nach einer Bewegung, die seine Bereitwilligkeit ausdrückte, Tankreds Wunsch zu willfahren, erschrocken in die hintere Tasche seines Rockes griff:

»Na, das ist aber noch besser! Drum und dran, nun habe ich das Packet in meinem Zimmer liegen lassen. Na bitte, Herr von Brecken, dann bestellen Sie gütigst, daß ich der gnädigen Frau morgen das Gewünschte überreichen würde. Und nun erlauben Sie, daß ich mich empfehle. Ich halte Sie auf! Ihre Gäste werden schon da sein. Nochmals, viel Vergnügen.«

Nach diesen Worten zog er sich überhastig zurück und verwischte dadurch wieder den ihm bisher so gut gelungenen Eindruck.

Während Tankred die zwei Flaschen Aßmannshäuser wieder ergriff, murmelte er:

»Da ist was nicht richtig! Er wollte hinauf. Sie hatte ihn bestellt. Aber ich will der Sache schon auf die Spur kommen!«

Dann eilte er mit hämischem Ausdruck in den Mienen die Treppe hinauf, und oben schalt er Peter, den Diener, daß er ganz unnötig so viele Lichter angesteckt habe:

»Immer wird darauf losgewirtschaftet. Ich sagte Ihnen doch, nur die kleine Flur- und Treppenlampe, nicht die Wandlichter anzuzünden.«

»So, dann habe ich den gnädigen Herrn nicht recht verstanden. Bei den Herrschaften mußte ich immer alles anstecken.«

»Ja, ja, die Herrschaften,« entgegnete Tankred, in unzarter Weise seine Schwiegereltern preisgebend, »die hatten's wegzuwerfen! Also, vorwärts, löschen Sie die Lichter aus, und dann stellen Sie die Flaschen, ohne sie zu reinigen, – hören Sie? ohne sie zu reinigen, – ins Anrichtezimmer!«

Inzwischen wanderte Hederich, sehr benommen von der Begegnung, in seine Wohnung zurück. Er fand keinen Weg, Tressens über die Gründe seines Nichterscheinens zu verständigen, noch weniger hielt er es für möglich – und wenn doch etwa für möglich, nicht für rathsam, an diesem Abend noch einen zweiten Versuch zu machen, zu ihnen zu gelangen. Wenigstens wollte er das vorher noch überlegen. Auch wenn er einen der Knechte mit einem Briefe die Hintertreppe hinaufsandte, konnte abermals der Zufall sein Spiel treiben. Überhaupt war er gegen jede schriftliche Äußerung.

Es beschäftigte ihn zu alledem, daß er zu einer Lüge seine Zuflucht genommen hatte. Seit seinen Jünglingsjahren war mit Bewußtsein kein unwahres Wort über seine Lippen gekommen.

Aber das war die Folge solcher Verhältnisse. Immer ungemütlicher wurde es in Holzwerder, und Hederich sah noch weit Schlimmeres herannahen. Während er, so nachdenkend, dasaß und aus der Pfeife die Rauchwolken herausblies, – fast ein Stündchen mochte vergangen sein, – hörte er auf dem kleinen Hausflur die Klingel gehen, und gleich darauf vernahm er Peter, den Diener, und seine Haushälterin Worte wechseln.

»Na, was giebt's?« rief Hederich die Thür öffnend. »Haben Sie eine Bestellung an mich, Peter?«

Der Diener nickte verlegen, dann trat er näher.

»Von Herrn von Brecken soll ich bestellen, die gnädige Frau von oben ließe um das Packet Handschuhe bitten, und die gnädige Frau von oben – sie faßte mich ab, als ich gerade weggehen wollte – läßt fragen, ob Sie noch kommen thäten, Herr Verwalter. Sie haben mir beide gesagt, ich soll nichts sagen – ich meine, ich soll nichts an die oben und nichts an die unten von meiner Bestellung an Sie erzählen!«

»Ja, lassen Sie das auch man so bleiben, Peter, auch mit dem, was ich Ihnen auftrage, hören Sie? An Herrn von Brecken können Sie ausrichten, ich hätte die Handschuhe wohl unterwegs verloren. Ich könnte sie in meinem Zimmer nicht finden. Weiter nichts. An Frau von Tressen sagen Sie blos: Ich würde ihr morgen erzählen, weshalb ich nicht gekommen wäre, es sei denn, daß sie so gut sein wollte, sich – drum und dran – heute abend noch eine Viertelstunde nach dem Verwalterhause herzubemühen. Es wäre sehr gut, wenn sie es thäte. Sie ist doch noch oben und nicht bei der Gesellschaft?«

Peter verneinte.

»Na ja, drum und dran, wie ich mir dachte. Alles Fisematenten,« murmelte Hederich. Und laut: »Nun, haben Sie verstanden, Peter? Die Handschuhe seien verloren, wie sich herausgestellt habe, bestellen Sie unten. Unten, Peter! Verwechseln Sie ja nicht. Das andere oben!«

»Ja, Herr Verwalter, soll alles fein gemacht werden. Versteh' schon. Ach – ach es ist –« seufzte der Mann.

»Was ist?«

Der Diener bewegte mißmutig den Kopf.

»Nichts für ungut, Herr Verwalter, ich will kündigen. Keine Stunde hat man mehr Ruhe. Nichts ist recht zu machen. Immer soll gespart werden, und alles, was früher gut war, ist nu schlecht. Und dann, was die Herrschaften oben sind und die unten, das hat auch keinen Bestand. Heute nachmittag waren sie schrecklich an einander. Ich hörte es, wie ich das Silberzeug putzte.«

Hederich sagte anfangs nichts. Was er vernahm, beschäftigte ihn sehr. Dann aber machte er eine ablehnende Kopfbewegung.

»Diener müssen nicht aus dem Haus schwatzen, Peter. Und überall ist etwas. Wird sich schon wieder zurechtziehen. Na, gehen Sie, guter Peter, und mit dem Kündigen überlegen Sie sich es noch. Aber wenn's denn doch nicht will, dann wissen Sie, – drum und dran, – wo Hederich zu sprechen ist.«

»Ja, ja, deswegen hab' ich auch man blos Herrn Verwalter was gesagt. Herr Verwalter wissen, daß ich nichts herumtrage, und wieviel ich von den alten Herrschaften halte. Aber es ist nicht mehr mit den Jungen auszukommen. Er hat den Teufel im Leibe, und sie – sie ist ganz anders geworden.«

»Ja, wie gesagt, Peter – es wird schon wieder besser werden. Thun Sie Ihre Pflicht, – drum und dran, – für das andere lassen Sie den lieben Herrgott sorgen. Und nun sputen Sie sich, daß Sie wieder hinkommen.« –

Kaum zehn Minuten nach Peters Fortgang öffnete sich die Thür der Verwalterwohnung von neuem, und Frau von Tressen, in einen dunkeln Mantel gehüllt, trat zu Hederich ins Gemach.

Sie war sehr aufgeregt und drang sogleich auf den Verwalter ein, ihr mitzuteilen, was ihn von seinem Besuche abgehalten habe.

»Um so besser, daß wir uns noch heute abend sprechen!« erklärte sie nach seinem durch viele drum und dran unterbrochenen Bericht. Und die Stimme dämpfend, fuhr sie fort:

»Hören Sie denn, was heute nachmittag passiert ist. Ich habe mit Grete und Brecken eine sehr böse Szene gehabt. Und alles hat sich eigentlich entwickelt infolge einer ganz harmlosen Bemerkung von meiner Seite. Als wir beim Kaffee zusammensaßen, fehlte der Zucker auf dem Tisch. Während meine Tochter sich an das geschlossene Büffet begab, um ihn herbeizuholen, sagte ich: ›Ist es denn notwendig, daß Du sogar den Zucker verschließest, Kind? Ihr seid doch nicht von Dieben umgeben – ‹

›Sogar? Was meinst Du damit?‹ entgegnete Grete, sich kurz umwendend, in einem sehr schroffen Ton.

Da sie sich offenbar in einer gereizten Stimmung befand, lenkte ich sogleich ein und fragte nach dem Abend und nach den Gästen. Aber sie antwortete nicht, sie machte nur eine kurze, bejahende Bewegung. In diesem Augenblick trat die Hausmamsell Anna herein und bat meine Tochter, ihr die für den Abend nötigen Zuthaten auszugeben.

›Wie, Du wagst es?‹ rief Grete, gegen die Person auftrotzend. ›Habe ich Dir nicht heute vormittag alles zugeteilt?‹

Und als die Mamsell das in sehr entschiedener Weise in Abrede stellte und auf eine abermalige höchst provozierende Äußerung Gretes neben anderen Erklärungen in die erregten Worte ausbrach, es fehle nachgerade noch, daß sie in der Küche blos mit Luft und Wasser kochen solle, geriet meine Tochter in einen solchen Zorn, daß sie aufsprang und dem Mädchen einen Schlag versetzte. Aber damit nicht genug. Mein Schwiegersohn, dem ich schon angesehen, daß er sich über meine Äußerung von vorhin geärgert hatte, und dessen Stimmung durch diesen Vorfall nicht besser geworden war, packte Anna am Arm und stieß sie in rohester Weise zur Thür hinaus. Draußen befahl er der Mißhandelten, – ich hörte es, – sofort ihre Sachen zu packen und innerhalb einer Viertelstunde das Haus zu verlassen. Was aus ihr werde, sei ihm gleichgültig, und Lohn bezahle er nicht. Wolle sie etwas, so könne sie klagen. Zu meinem Unglück nahm ich nach seiner Rückkehr gerechter Weise Partei für das Mädchen. Ich hielt beiden in sanfter Weise vor, daß sie durch die wenig gütige Art, in der sie mit den Leuten verkehrten, durch ihr fortwährendes Verschließen und Beaufsichtigen sie zum Widerstand anregten, statt Liebe und Interesse für sich zu erwecken, und schloß mit der Bemerkung, daß ich doch stets mit meinem Personal ausgekommen sei, während jetzt fast kein Tag ohne Verdruß hingehe.

Auf die Äußerung gab zunächst meine Tochter eine Antwort, indem sie in einem zwar ruhigen, aber sehr entschiedenen Tone hinwarf: Ich hätte doch das feste Versprechen gegeben, mich niemals in ihre Hausangelegenheiten zu mischen. Ich thue es aber täglich. Bald moniere ich, daß der Korridor unten von dem Diener nicht rein gefegt sei, bald mache ich Bemerkungen über ihre Anordnungen. So habe ich mich jüngst über die Wäsche geäußert. Wenn zufällig mal Zucker auf dem Tische fehle, halte ich ihr eine Strafpredigt über ihre Sparsamkeit, und daß ich in diesem Falle Partei für das impertinente Geschöpf genommen habe, das sie fortwährend bestohlen und heute abermals einen Versuch gemacht habe, auf diese plumpe und unglaublich unverschämte Weise sich einen Vorteil zu verschaffen, sei doch mehr als eigentümlich von meiner Seite! Sie habe Beweise dafür, daß Anna sie bestohlen habe, und die Zuthaten seien heute morgen von ihr ausgegeben.

Mit dem größten Erstaunen hörte ich, was meine Tochter sprach. Ich war ganz ahnungslos. Wohl hatte sie hin und wieder bei meinen Bemerkungen und Vorschlägen sehr kurze Antworten gegeben, aber ich legte ihnen keine Bedeutung bei, da ein gewisses schroffes Wesen ihr ja schon als Kind eigen war. Was ich that, geschah aus bester Absicht, und es war mir gar nicht in den Sinn gekommen, daß sie die Dinge so ernsthaft nehmen, viel weniger, daß sie mich fortwährender Einmischungen in ihre Angelegenheiten zeihen würde.

Ich sah aus ihrer Rede, daß lange aufgestauter Groll einen Ausweg suchte, und ich sah auch, daß ihr Mann ihr vollständig beistimmte. Scheinbar um an meinen Gerechtigkeitssinn zu appellieren, thatsächlich aber um mich noch mehr zu kränken, kam auch er mit allen möglichen Dingen, die ja, wie er sich heuchlerisch ausdrückte, an sich nur Kleinigkeiten seien, aber doch zu einem leisen Verdruß schon mehrfach Veranlassung gegeben hätten. Wir hätten jüngst die Pferde ohne vorherige Anfrage bei ihm oder Grete in Anspruch genommen, während sie hätten ausfahren wollen; Peter sei mehr oben, als unten, während wir doch unsern eigenen Diener hätten. Der letztere habe neulich durch Umstoßen des Tintenfasses den ganzen Fußboden verdorben, und mein Mann hätte ihn sogar noch wegen seiner Ungeschicklichkeit getröstet.

Und was den Fall mit dem Mädchen betreffe, so sei er zufällig dabei gewesen, wie Grete für den Abendpudding und die Kuchen die Zuthaten abgewogen habe.

›Ja, abgewogen vielleicht, Tankred,‹ fügte ich, mich bemeisternd und alles übrige übergehend, ein, ›aber Anna sagte, Deine Frau habe, da sie während ihrer Beschäftigung gerade vom Förster abgerufen worden, nachher vergessen, ihr Mehl, Zucker und Eier in die Küche zu stellen. Es ist doch möglich, daß Grete sich irrt: es ist doch kaum zu glauben, daß ein Mädchen ihrer Herrschaft unbegründeterweise mit solchen Behauptungen gegenübertritt. Und ich habe nie früher eine Unehrlichkeit an Anna bemerkt,‹ schloß ich.

Da lachte mein Schwiegersohn mit einer so höhnischen Miene auf und erging sich in so verletzenden Anspielungen über unsere Verschwendung und unsere leichtsinnige Sorglosigkeit, daß ich, nicht mehr Herr meiner Empörung, meiner Tochter zurief, ob das auch ihre Ansicht sei. Und da sie zwar nicht ja, aber auch nicht nein sagte, wohl aber mit dem alten, finstern, trotzigen Gesichtsausdruck dastand, entglitt mir ein Wort, auf welches sie beide unzweifelhaft nur gewartet hatten. Ich sagte, es sei unter solchen Verhältnissen dann wohl besser, daß ich mit meinem Manne Holzwerder verließe! Danach stand ich auf und begab mich auf mein Zimmer. Nach einer Stunde sandte ich hinab und ließ sagen, daß wir nicht in der Stimmung seien, an der Gesellschaft teilzunehmen. Ich nahm an, daß Grete nun heraufkommen und ein gutes Wort geben werde. Aber nichts davon, bis jetzt hat keines von ihnen sich sehen lassen. Sehen Sie, Hederich, sie wollen einen Anlaß, um die ihnen lästigen Menschen, ihre Eltern, aus dem Hause zu bringen.«

Bei diesem Schlußsatz brachen der Frau die Thränen stromweise aus den Augen, und so bitter schluchzte sie in ihrem Schmerz und Kummer, daß dem braven Hederich auch das Wasser unter die Wimpern trat. So war's denn nun da, was Carin schon oft und erst jüngst wieder als bevorstehend prophezeit hatte: Ein böses Ende werde es nehmen in nicht allzulanger Zeit zwischen denen oben und denen unten! Und nun würde auch bald sein, Hederichs, Schicksal sich entscheiden, denn er war entschlossen, mit seiner Meinung nicht zurückzuhalten. Ja, er wollte mit Grete sprechen; sie sollte hören, was er dachte!

Und Tressens noch zuzureden, war gegen seine innerste Überzeugung. Er glaube selbst, es sei wohl das beste, äußerte er, daß sie sich in Elsterhausen einrichteten oder sich etwa Streckwitz's Besitz pachteten.

Sicher würden sich solche Auftritte wiederholen, und ihnen aus dem Wege zu gehen, sei nur ratsam; jetzt sei noch Geneigtheit zur Versöhnung auf beiden Seiten vorhanden, später aber könne sich ein unheilvoller Bruch daraus entwickeln.

»Drum und dran, es ist nun einmal so. Sich keinen Illusionen hinzugeben, ist immer weise, wenn's auch hart, betrübend und schwer ist, sich auf den Boden der Thatsachen zu stellen.«

»Ja, so meine ich auch, Hederich, und doch, wenn ich denke, daß wir wie Überzählige aus dem Hause gehen, daß wir unser geliebtes Holzwerder verlassen sollen, dann ist's mir, als überfiele mich eine unheilbare Krankheit. Sie ahnen nicht, wie mein Gemüt beschwert ist. Seit heute nachmittag pocht mir das Herz vor Aufregung. Das, das ist das Ende!« stieß sie, in grenzenloser Schwermut vor sich hinstarrend, heraus. »Ja, ja, Geld! Geld! Wir sollten nur das Vermögen haben, die Kinder sollten nur von uns abhängig sein! Wie ganz anders würde es dann aussehen!«

Sie weinte wieder, des Lebens Jammer erfaßte sie mit ganzer Gewalt, sie war betrübt zum Sterben, aber jetzt nicht aus der Vorstellung, Holzwerder verlassen zu sollen, sondern aus dem Schmerz enttäuschter Mutterliebe.

Es war richtig. Ihre Tochter kannte nur sich! Der göttliche Funke warmer Liebe war in Gretes Herz nie zur Flamme geworden, und jetzt drohte selbst der Funke zu verlöschen. –



 << zurück weiter >>