Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

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Als Tankred, während dies bei Hederich geschah, auf den in Klementinenhof zwischen Tannenreihen sich ausbreitenden Vorhof trabte, zog ein eben dem Stall sich nähernder Diener den Hut und fragte, ob er das Vergnügen habe, mit Herrn von Brecken zu sprechen. Er sei von seinem in der Nacht erkrankten Herrn beauftragt worden, nach Holzwerder zu reiten, um Herrn von Brecken zu bitten, geneigtest einen anderen Tag für seinen Besuch zu wählen. Nicht wenig überrascht, aber auch von Mißtrauen erfaßt, forschte Tankred in des Boten Mienen. Aber in ihnen spiegelte sich ein so ehrlicher Ausdruck wieder, und der Bericht des Dieners über die Krankheit klang so überzeugend, daß Tankred von der Annahme, Streckwitz habe sich nur eines Vorwandes bedient, um eine Begegnung mit zu ihm vermeiden, sogleich zurück kam. Aber die Ungeduld, doch irgend etwas seinen Plänen Förderliches zu unternehmen, beherrschte ihn so sehr, daß er beschloß, Höppners aufzusuchen und dort je nach Gelegenheit direkt oder indirekt für sich zu wirken.

Frau Höppner empfing ihn, als er nach scharfem Ritt und Einstellung des Rappen im Krug das Pastorenhaus betrat, auf dem Flur und erzählte ihm sogleich sehr besorgt, daß ihr Mann wieder einmal das Bett hüten müsse. Sie erwarte den Arzt und sehe schon mit Ungeduld nach ihm aus. Während sie ihr Gespräch in etwas gezwungener Weise im Wohnzimmer fortsetzten, schon deshalb, weil Tankred sah, daß die Gelegenheit, über seine Sache zu reden, durchaus keine günstige war, meldete die Magd den Doktor, der sogleich ins Zimmer trat und berichtete, daß er bereits bei dem nachts vorher erkrankten Herrn von Streckwitz gewesen sei.

Tankred stellte sich völlig unwissend und bat den Arzt, Näheres mitzuteilen.

Es könne eine sehr langwierige Sache werden, äußerte der Doktor Ernst, ein etwas kurz und bündig sprechender, auch wegen seiner Formlosigkeit vielfach angegriffener, aber ungewöhnlich zuverlässiger Mann. Es seien leider die Anzeichen einer Kopfrose vorhanden; Herr von Streckwitz habe in der Nacht bereits starkes Fieber gehabt.

Die Pastorin hörte voll Teilnahme zu, auch regte sich ein tiefes Mitleid für Theonie.

Wenn das Befinden ihres Mannes sie nicht abhalte, werde sie gleich am Nachmittag nach Falsterhof fahren, erklärte sie.

Der Doktor war schon im Begriff, das Zimmer zu verlassen, wandte sich bei diesen Worten aber noch einmal zurück und sagte: »Es wäre allerdings sehr wünschenswert, daß Frau Cromwell zuverlässige Mitteilung in schonender Weise erhielte. Herr von Streckwitz hat ihr vorläufig nur sagen lassen, daß er heute verhindert sei, sie zu besuchen.«

»So, so!« stieß die Pastorin lebhaft heraus. »Ja, dann muß ich doch wohl sehen, ob ich nicht – Aber halt! Würden Sie es nicht vielleicht übernehmen, Ihre Kousine vorzubereiten, Herr von Brecken?«

Hier fand sich ein Ausweg! Brecken war in den Augen der Anwesenden als einziger Verwandter grade die richtige Persönlichkeit. Der Doktor stimmte auch zu und sah, bereits in der Thür gehend, Tankred ermunternd an.

»Ja natürlich – gewiß – ich werde alles besorgen!« gab Tankred, dem plötzlich ein Gedanke durch den Kopf schoß, bereitwillig zurück. »Und was meinen Sie, Herr Doktor, wäre es wünschenswert, daß meine Kousine etwa zur Pflege hinüberkäme?«

»Nein – ich denke – wir wollen das noch abwarten. Ihre Frau Kousine würde, abgesehen von naheliegenden Bedenken, wohl dadurch grade beunruhigt werden. Nein! Ich bitte, nur zu sagen, daß etwas Erkältung und Fieber vorhanden sei. Sie werde täglich Nachricht erhalten.« –

Wenige Minuten später hatten sich die Sprechenden getrennt, und Tankred war schon wieder auf dem zum Wirtshaus.

Wenn doch der Himmel Einsicht nehmen und Streckwitz aus der Welt schaffen wollte! dachte er, während er dahinschritt. Dann, dann konnte alles noch gut werden! In ihrem Schmerz würde Theonie wieder weicher, nachgiebiger werden, noch weniger Wert auf Hab und Gut legen, als jetzt. Und die ihm aufgetragene Botschaft wollte er bestens zu seinem Vorteil nützen!

Im Krug angekommen, ließ er sich Papier und Tinte geben und schrieb:

›Liebe Theonie! Mir wurde, da ich zufällig bei Höppners war und dort den Doktor traf, der Auftrag, Dich zu benachrichtigen, daß Dein Verlobter von einem Unwohlsein befallen ist. Ich freue mich, Dir sagen zu können, daß Ernst keinerlei Besorgnisse hegt; nur besuchen kann Dich Dein Bräutigam in den nächsten Tagen nicht. Ich wähle diese Form der Mitteilung, da ich persönlich ja nicht vor Dir erscheinen darf. Ist es denn wirklich wahr, daß jedes Band zwischen uns zerrissen ist? Kannst Du wirklich nicht verzeihen Deinem seine leidenschaftliche Natur stets nachher tief bereuenden

T. v. Brecken?‹

So! Dies Billet konnte jedenfalls nicht schaden! Tankred nahm es an sich, bestieg sein Pferd und ließ es, als er nach einem Stündchen das Verwalterhaus von Falsterhof berührte, von dort aus Theonie hintragen.

Nach einigen Umwegen über den eigenen Besitz kehrte er gegen mittag wieder nach Hause zurück und berichtete seiner ihm abermals mit einem eigentümlich stillen und verschlossenen Wesen gegenübertretenden Frau, weshalb er unverrichteter Sache zurückkehre.

»Die Zeit muß es klären, und wenn nicht, nun dann war's abermals eine Hoffnung weniger!« stieß sie in einem teilnahmlosen Ton heraus und bückte sich über ihre Handarbeit.

»Was sagst Du? Du bist so sonderbar!« forschte Tankred mit einem Anflug von Ungeduld. Ihn ärgerte ihr Wesen. »War Mama unten?«

»Nein!«

»Sprachst Du niemanden?«

»Ich verstehe Dich nicht –«

Tankred fühlte, daß seine Frau auswich. Man hatte wieder auf sie eingewirkt, und er wollte, sie sollte sprechen. In seiner reizbaren Stimmung kehrte sich sein Zorn gegen sie.

»Hederich war hier! Er sagte es mir doch –« setzte er, seine Voraussetzung als Thatsache hinstellend, an.

Die Frau erhob das Haupt und sah ihren Mann finster an.

»Er sagte es Dir? Du sprichst die Unwahrheit, Tankred! Oft thust Du das.«

»Oft thue ich das? Was soll das heißen? Was hast Du überhaupt? Du bist so vorwurfsvoll-sentimental. Wer hat Dich beeinflußt? Sprich!«

»Ach Tankred –« ging's aus dem Munde der Frau. Es klang wie eine tiefe, schmerzliche Klage. Wieder einmal schien sich ihr Herz zu regen, das Herz, das so selten sein Dasein verriet. Und Klugheit und ein mit einer plötzlichen, unerklärlichen Unruhe vermischter Gefühlsdrang mahnte den Mann, sein Weib in die Arme zu nehmen und zärtlich und versöhnend auf sie einzusprechen. Aber er vermochte einmal nicht, seine Heftigkeit zu zügeln. So stampfte er denn statt dessen mit dem Fuß und wiederholte ungeduldig, drohend und gebieterisch:

»Ach was! Antworte, wenn ich Dich frage! Wer hat Dich gegen mich aufgehetzt? War es der alte Schleicher? Hat er wieder mit denen oben intriguiert? – Nun? Wirst Du antworten?«

Aber unwillkürlich trat Tankred zurück. Statt sich zu fügen, richtete Grete plötzlich ihre Gestalt empor, und mit einem stolzen Blick seine Gestalt musternd, rief sie:

»Wie kommst Du dazu, in einem solchen Tone mit mir zu reden? Ich lasse nur von niemandem außer Gott Befehle erteilen. Das merke Dir, und merke es Dir gut, denn ich dulde es nicht noch einmal. – A – h –« stieß die Frau langgezogen heraus und fiel in einen Sessel »Wie grenzenlos traurig starrt mich das Leben an!«

Aus Tankred von Breckens Gesicht war jeder Blutstropfen gewichen, so unerwartet trafen ihn diese, ihr geheimstes Inneres aufdeckenden Worte, so tief erschüttert schien seit gestern ihr ganzes Wesen, daß ihn gegenwärtig nicht mehr Zorn und Auflehnung beherrschten, sondern grenzenlose Überraschung, und zu ihr gesellten sich, da es nun offenbar war, daß sich inzwischen etwas Außerordentliches zugetragen, Angst, Feigheit und der brennende Drang nach Aufklärung. Und da griff er zur Erreichung seiner Zwecke nach dem alten, oft angewendeten Rezept und ergab sich einer lamentierenden Weichmütigkeit. Er begann, von sich zu sprechen, was er alles durchzufechten habe, wie bedrückt er sei, da doch die Dinge mit denen oben und mit Theonie wahrlich nicht spurlos an ihm vorübergingen, wie entschuldbar es sei, daß er erregt und reizbar wäre, und daß, wenn nicht einmal sie ihn verstehe und Nachsicht übe, das Leben nicht mehr lebenswert für ihn sei. Und reden könne sie doch wenigstens, das sei doch wahrlich nicht zu viel verlangt.

Aber sein Mittel verfing nicht. Sie erhob sich nicht, wie es sonst bei Zerwürfnissen geschehen, und lehnte sich an ihn, sondern sie saß da wie eine Abwesende und starrte mit todestraurigen Blicken vor sich hin.

Dann stieß sie in ihrer eigentümlichen, eine ganze Gedankenreihe zusammenfassenden Weise heraus:

»Ja, ja! Jeder sucht sich den Rücken zu decken. Aber nur die That überzeugt, und bei Dir ist die That Gegenzeuge. Worte sind Worte!«

Und mit schmerzlicher Verzweiflung im Ausdruck für sich sprechend, fügte sie hinzu:

»Was handelte ich ein für das, was ich hingab? Was ist mir dafür geworden? Meine Mutter verlor ich, niemand mag mich, mein Herz weint mehr, als daß es lacht – es lacht fast nie. Sie wollen alle nichts von uns wissen! Wir stehen ganz allein, und auch die Hoffnung auf die Zukunft haben wir zu begraben. Nie wird Theonie ihren Sinn ändern. Und wer verschuldet das alles?«

»Nun? Wer, wenn's wahr wäre? Bin ich's?«

Tankred sprach's mit wilder Gebärde und sah seine Frau drohend an. Er war wie rasend. Die Zornadern schwollen ihm, und in dem geöffneten Munde erschienen seine Zähne wie die eines Raubtieres. Aber er flößte ihr keine Furcht ein.

»Gleichviel – es ist so – und ich muß es tragen,« – stieß sie mit finsterm Trotz heraus und stützte den Kopf mit dem schönen, kalten Antlitz auf die Hand.

Aber grade ihre Ruhe machte den Mann fast besinnungslos.

»Ja, ja, Du mußt es tragen!« betonte er roh und höhnisch. »Und das Bündnis mit mir bereust Du jetzt natürlich, seitdem die Aussichten auf Geld und Gut geschwunden sind. Nun kenne ich den Grund Deiner Kälte. Jetzt bin ich Dir nichts mehr! – Natürlich, natürlich, Du kalte, berechnende Natur!«

»O Du – !« stieß die Frau heraus, erhob das gesenkte Haupt und sah den Mann mit einem Ausdruck maßloser, mit Ekel und Weh vermischter Verachtung an. Durch diese seine Sprache war das letzte vernichtet, was sie noch in ihrem Herzen für ihn fühlte. Und er wußte auch jetzt durch ihren Blick, daß er sie verloren, daß sie ihn erkannt hatte als das, was er war. Gut, so mochte es denn sein! Er war zum Kampf bereit, aber die Personen, die Mißtrauen und Widerstand in ihrem Innern angeblasen zu solcher Flamme, sollten büßen. Zunächst jedoch noch einem anderen Gedanken folgend, sagte er und drängte seinen Blick in ihre Augen:

»Übrigens noch eins, bevor Fragen solcher Art als völlig nebensächlich zwischen uns erscheinen! Du gabst bisher vor, mich zu lieben. Hast Du mich denn je geliebt?«

»Wozu – das – ?«

»Gleichviel – sage auch ich. Ich bitte ja nur, zu antworten! Ich befehle ja nicht!«

»Ich glaubte Dich zu lieben, ja! –«

»Und nun liebst Du mich nicht mehr?«

»Nein!«

Sie sprach's mit grausamer Kälte.

»Nein?«

Es drang tobend und stöhnend, fast wie ein Gebrüll aus des Mannes Brust. Was sein Gefühl ihm gesagt, nun ward's deutlich und nüchtern bestätigt. Aber was war denn geschehen, daß im Lauf weniger Tage sich dieses Weibes ganzes Inneres von ihm abgewendet hatte? Zorn, Enttäuschung, Rachsucht, Qual und ein Gefühl grenzenloser Unbefriedigung wirbelten in Tankreds Innerem zusammen.

»Nein?« wiederholte er. »Und da es nicht die Enttäuschung ist, die Dir Theonie bereitete, wie Du mich eben durch Deinen Blick zu belehren trachtetest, was ist's denn? Bist Du zu feige, mir Rede zu stehen? Nun, was ist's wodurch ich Deine Liebe verlor?«

»Besser, Du hättest mich nicht gefragt. Ich wollte schweigen und es ertragen bis an mein Lebensende. Ich begegnete Dir ohne Wärme, aber ich mied bisher Wortkampf und Streit. Du aber hast mir heute Dein Inneres enthüllt, und mit Grausen sehe ich in die Tiefe. So sei es denn! Was in dieser Stunde geschehen, lötet doch kein Künstler wieder zusammen, und hätte er eines Gottes Hand. Hier!« fuhr sie fort, knöpfte ihr Mieder auf und zog Papiere hervor. »Lies diese mir heute morgen von Theonie zugegangenen Zeilen und lies auch die Abschrift ihrer Originalzusage. Vergleiche sie mit dem, was Du meinen Eltern und mir vorgelegt, und dann wage noch Deinen Blick zu mir aufzuschlagen! Und nun höre und wisse: Als ich mich entschloß, Dir die Hand zu reichen, sah ich wohl Deine Fehler, aber in ihnen zugleich Zeichen kräftiger Männlichkeit, die ich um so höher schätzte, als ich sie stets in meiner Umgebung vermißt hatte! Sie respektierte ich, und aus diesem Respekt erwuchs ein Gefühl, das ich selbst für Liebe hielt. Nun aber empfinde ich nicht nur keinen Respekt, sondern Ekel vor Dir. Gewiß, ich bin selbst nicht gut, ich habe wenig Herz, ich denke zu viel an mich, auch bin ich vielleicht ein Produkt meiner Erziehung, oft ungerecht und empfindlich, aber ich war doch nie schlecht. Ich hasse die Lüge, die Unehrlichkeit, die Maske, die Verstellung und jegliche Abweichung vom Recht. Es ist mir, als ob durch diesen einen Blick in Deinen Charakter plötzlich die Binde von meinen Augen gefallen ist. Du fragst mich spottend, ob ich Dich je geliebt habe? Hattest Du denn je für mich ein ehrliches Gefühl? Nein, Du hattest nur Gefühl und Sinn für mein Geld, und um das zu erobern, griffst Du zu dem Elendesten, was es in meinen Augen giebt! Und welche Meinung über mich dokumentiertest Du durch diese Handlung! O – welche Meinung! Ich bin so beschämt, so bedrückt, so zerrissen und zermartert in meinem Innern, daß der Tod mir eine Erlösung wäre. Nach reiner Luft schreie ich; wie verpestet erscheint mir im Hause die Atmosphäre! Droben meine Mutter in Thränen; keinem Freund, keine Liebe, nur Gesichter voll Abscheu – selbst Hederich, mein bester, einziger Freund, wendet sich von mir! Du selbst bist nur beherrscht von Deinen Leidenschaften, nicht das Gute in mir fördernd, sondern nur das Schlechte, und nun gar roh, gemein, als sei ich eine Dirne! Ich kann's und will's nicht mehr! Ich bereue, daß ich so weit sank, daß mein besseres Ich so einschlief! Ja, meine Mutter und Hederich haben recht. Kaum ist's noch Zeit zur Umkehr! Wenn mir jemand gesagt hätte, Du habest einen Mord begangen, nicht furchtbarer hätte die Nachricht auf mich wirken können, als der Beweis, daß Du ein Fälscher bist.« – –

Grete hatte lange das Zimmer verlassen, aber noch immer stand der Mann regungslos da, und nur der Mund, in dem sich die Zähne zusammenbissen, ging unruhig hin und her.

Dann aber raffte er sich auf, warf höhnisch den Kopf zurück und griff nach Theonies Schreiben. Es lautete:

›Sehr geehrte Frau von Brecken!

Wenn Sie diese Zeilen erhalten, wissen Sie, daß eine Auseinandersetzung zwischen mir und meinem Vetter stattgefunden hat. Ich habe sie nicht herbeigeführt, sondern er, und wenn er sich meiner höflichen, aber entschiedenen Ablehnung, schon jetzt durch Vergleich die Erbangelegenheit zu ordnen, gefügt hätte, wenn er nicht abermals Schuld auf Schuld gehäuft und an den Tag gelegt hätte, daß seine Wandlung nur eine rein äußerliche geblieben, würde ich sicher das Eventualversprechen später in ein definitives verwandelt haben. Er aber drohte mir wie vor Jahren, wo ich ihm die Schwelle meines Hauses verbieten mußte, wie ein Einbrecher, er verunglimpfte abermals meine in Gott ruhende Mutter, indem er behauptete, sie habe ihm Versprechungen gemacht, kurz, er trat nicht auf wie ein Freund und Verwandter, dem etwas zu gewähren ist, sondern wie einer, der etwas zu fordern hat und es mit Gewalt erzwingen will.

Als ich ihm meinen Willen kund that und zugleich erklärte, daß er durch sein empörendes Verhalten ein für allemal jeden Anspruch verwirkt habe, spielte er eine widerwärtige Komödie und schob, statt seine innere Verderbtheit zuzugestehen, wie stets, alles auf sein heißes Blut. Dieses falsche Spiel um eines Vorteils Willen erhärtete völlig meinen Entschluß, das Tuch zwischen uns zu zerreißen.

Ich füge Abschrift der Akte bei, die ich ihm seinerzeit auf sein inständiges Bitten ausstellte. Sie allein rechtfertigt mein Verfahren. Aber ich will überdies, daß Sie mich nicht falsch beurteilen. Da ich nicht weiß, was er Ihnen erzählt hat, bedarf es zur richtigen Schätzung meiner Handlungsweise dieser Zeilen.

Auch stehe ich Ihnen, obschon mein Entschluß unabänderlich, so unabänderlich ist, daß ich bereits eine anderweitige unumstoßbare Verfügung getroffen habe, jederzeit zu weiterer Erklärung zur Verfügung.

Denken Sie, trotzdem auch Sie von der Wirkung meines Thuns betroffen werden, ich bitte, nicht allzu strenge über mich. Ich vermochte nicht anders zu handeln, und nicht ich, sondern lediglich mein Verwandter trägt die Schuld an diesem Ergebnis.

Die Ihrige
Theonie Cromwell geb. von Brecken.‹ –

Zunächst begab sich Grete nach dem völligen Bruch mit ihrem Manne auf ihr Schlafzimmer und suchte die Einsamkeit. Sie warf sich in einen Sessel und starrte vor sich hin. Wozu befand sie sich überhaupt auf der Welt? Welchen Zweck hatten Leben und Dasein? Waren das Weltall, die Erde, alle Geschöpfe, die darauf wohnten, nur durch einen Zufall entstanden? Und wenn nicht, wenn ein umfassender Geist das alles geschaffen, welche Absicht verfolgte er mit dem Ganzen und mit der einzelnen Kreatur? Fragen, auf die es keine Antwort gab, die zu stellen auch müßig war, deren Unlösbarkeit aber die Qual und den Lebensüberdruß, der Grete erfaßt hatte, erhöhten. Und doch gingen allmählich ihre Gedanken wieder zurück auf das, was greifbar war, auf das, mit dem sie sich nun einmal abgefunden hatte, und an die Stelle dieser gänzlichen Öde ihres Innern trat – wie umgekehrt dem Glücksrausch die Ernüchterung zu folgen pflegt – ein Gefühl von Sehnsucht und Hoffnung, eine Weichheit der Seele. Aber auch eine gewisse Kraft bemächtigte sich ihrer.

War denn schon alles verloren, hatte sie ein Recht gehabt, so völlig zu verzweifeln, selbst ihr Bild im Spiegel mit Abscheu zu betrachten? Nein! Und nicht zu untersuchen galt es, wer schuld sei, daß ihr Herz spröder als dasjenige anderer war, daß ihr Ich sich vordrängte, sondern die Harmonie ihres Innern zurück zu gewinnen, glücklich zu sein, darauf kam es an! Und um glücklich zu sein, mußte man andere glücklich machen, das hatte sie als notwendig erkannt aus dem Zerwürfnis mit ihrer Mutter, deren Leid und Kummer auch sie elend machte. Und ferner: Nichts war verderblicher, als vor dem Unglück den Nacken zu beugen.

Ein Vers fiel ihr ein, den sie einst gelesen, der sich ihrem Gedächtnis eingeprägt hatte:

Feiger Gedanken
Bängliches Schwanken,
Ängstliches Zagen,
Weibisches Klagen
Wendet kein Elend, macht dich nicht frei.
Allen Gewalten
Zum Trotz sich erhalten,
Nimmer sich beugen,
Kräftig sich zeigen.
Rufet die Arme der Götter herbei!

Ja, das war das Richtige! Und zweierlei wollte sie: zunächst zu ihrer Mutter gehen und versuchen, sie zu versöhnen, und dann, nachdem das geschehen, alles aufbieten, um die Ehe mit Tankred zu lösen. Es ging doch nicht in der Weise, wie sie es sich vorgestellt, wie sie es Hederich gegenüber geäußert hatte. Halbe Verhältnisse waren von allem das schlechteste. Sie wollte eine vollständige Scheidung herbeiführen, und wenn sie darum kämpfen sollte mit den letzten, äußersten Kräften und – Opfern.

Opfern? – Da regte sich doch wieder ein Teufel in ihr. Opfer bedeuteten Geld! Von ihrem Besitz hergeben? Bequemlichkeiten entbehren? Die Frau atmete tief auf. Ein abermaliger Kampf begann, ein unendlich schwerer. Ihre guten Vorsätze stritten heiß mit ihrem Egoismus. –

Einige Stunden später stieg Grete die Treppe zu ihrer Mutter hinauf. Da sie den Diener nicht oben fand, ward sie unschlüssig, was sie thun sollte. So fremd war sie ihren Eltern schon geworden, daß sie zauderte, ohne Anmeldung bei ihnen einzutreten. In diesem Augenblick öffnete Frau von Tressen die Thür und rief über den Korridor nach dem Diener.

»Ich suchte ihn auch, Mama –« erklärte Grete.

»Grete, Du?« ging's in maßlosem Erstaunen aus dem Munde der Frau.

Statt zu antworten, nickte die Angeredete und ergriff fast stürmisch ihrer Mutter Hand.

»Ich möchte Dich sprechen, in wichtiger Angelegenheit sprechen, Mama!« begann sie, schritt neben ihr ins Wohnzimmer und ließ sich an dem Fenster, an welchem ihre Mutter zu sitzen pflege, mit einem Versöhnung erbittenden, weichen Ausdruck nieder.

»Nicht wahr, Ihr geht nicht? Ihr bleibt?« fuhr sie drängend fort. »Ich komme, um Euch darum zu bitten. Sieh, es ist alles aus zwischen mir und meinem Mann –«

Frau von Tressen, die mit größter Überraschung zugehört, fuhr bei dem legten Satz unwillkürlich in die Höhe.

»Ich will los von ihm!« fuhr Grete von Brecken kurz und entschieden fort. »Ich habe eingesehen, daß wir nicht für einander passen. Wir ergänzen uns nicht, es ist auch etwas geschehen, was es mir unmöglich macht, ferner neben ihm zu leben. Helft nur, daß ich mich wieder von ihm trenne.«

Und nun entwickelte Grete Frau von Tressen ihre Pläne.

Sie wollte bereits am folgenden Tage nach dem Süden abreisen, und ihre Eltern sollten sie begleiten. In Elsterhausen hatte sie die Absicht, vorher mit dem Rechtsbeistand die Form der Scheidungsklage zu besprechen. Er sollte persönlich mit Tankred verhandeln.

In Frau von Tressens Brust erhob sich bei all diesen Mitteilungen ein Sturm von Empfindungen. Dieser plötzliche Entschluß in so bestimmter Form, diese Wandlung erschien ihr bei Gretes ganzer Veranlagung, bei der Stellung, die sie bisher zu Tankred eingenommen, und bei der Nüchternheit ihrer Auffassung so außerordentlich, sie verrieten so ungewöhnliche Vorgänge, daß Frau von Tressen vor allem in Grete drang, sich ihr ganz anzuvertrauen.

»Es war schon lange etwas in mir,« entgegnete die Frau. »Ich wollte es mir aber nicht eingestehen; und weil dem so war, zwang ich mich nicht nur äußerlich, für Brecken Partei zu nehmen. Oft war's mir denn wieder auch, als sei dies das Rechte. Aber wenn eine Szene zwischen Dir und mir stattgefunden, hatte ich, trotzdem es anders erschien, heftige Kämpfe in mir zu bestehen, ich lehnte mich halb gegen Dich, halb gegen mich selbst auf. Diese Zwistigkeiten zeitigten allmählich den Gedanken in mir, daß es so nicht weiter gehen könne. Ich war auch nicht blind für das, was sonst um mich her vorging.«

In dieser und ähnlicher Weise erörterte Grete ihrer Mutter die einzelnen Vorgänge, die Empfindungen, die sie dabei gehabt, und zuletzt die durch Theonies Schreiben an den Tag gebrachte Entdeckung von Tankreds Fälschung. Die letzte Mitteilung versetzte Frau von Tressen in eine furchtbare Aufregung.

Am Schluß legte Grete, gedrängt von ihrem Gefühl, einen besonders zärtlichen Ausdruck in ihre Worte. Sie zeigte der über ihre Wandlung bewegten Mutter, daß nicht nur ihr Ich gesprochen, als sie zu dem Entschluß gelangt war, sondern daß auch die Liebe zu ihr einen Anteil daran gehabt hatte.

Als die Mittagsstunde herannahte, und Grete sich in das Speisezimmer begab, um noch einmal Umschau zu halten, trat ihr Peter entgegen und meldete seiner Herrin, daß Herr von Brecken bereits vor einer Stunde fortgeritten sei und hinterlassen habe, daß er wahrscheinlich nicht zu Tisch komme.

Dies veranlaßte Grete, sich zu ihren Eltern hinaufzubegeben, um sie zu bitten, gleich heute wieder das Mittagsessen unten einzunehmen.

Als sie beisammen saßen, ward die Reise erörtert, und Grete erklärte, daß sie bereits an diesem Abend oben im Hause schlafen wolle.

»Am besten, wir packen schon heute, fahren morgen früh gleich ab und begeben uns nach Elsterhausen und dann nach Erledigung unserer Rücksprache mit dem Rechtsanwalt nach Hamburg.«

Frau von Tressen, weniger eilfertig, redete auf die junge Frau ein, nichts zu überstürzen, vielmehr noch einige Tage abzuwarten. Ein so wichtiger Entschluß bedürfe der Überlegung; auch um der Menschen willen sei es ratsam, es so einzurichten, daß nichts Auffälliges in ihrer Abreise gefunden werden könne.

»Ist dann Eure Trennung nachher eine Thatsache, findet sich die Welt rasch damit ab. Weshalb nicht vermeiden, daß sie sich schon vorher mit unseren Angelegenheiten befaßt?«

Aber obgleich Grete ihrer Mutter nicht unrecht geben konnte, blieb sie doch bei ihrem Willen und fügte sich nur darin, sich nicht heute schon in auffallender Weise von Brecken zu trennen, damit dem Dienstpersonal der Anlaß zu Gesprächen entzogen werde.

»Ich thu's, obgleich ich eine Stimme in mir höre, die mir abmahnt,« sagte sie. »Übrigens bin ich begierig, wie er sich bei seiner Rückkehr zu mir stellen, was er erwidern wird, wenn ich ihm erkläre, wir wollten uns auf Reisen begeben.«

»Thue auch das nicht,« riet Frau von Tressen. »Er wird Dich zu hindern suchen. Füge Dich heute scheinbar, und dann laß uns morgen ohne Rücksicht handeln.« –

Es war sechs Uhr, als Brecken nach Hause kam. Er hatte stark getrunken. Grete hörte schon bei seinem Eintritt ins Haus seine roh polternde Stimme und bald nachher ein Schreien und Toben und zuletzt ein Geräusch, als sei ein Mensch die Treppe hinuntergestürzt.

Als sie erschrocken, aber auch gereizt über diesen Lärm, die Thür öffnete, sah sie ihren Mann mit wutentstellten Gebärden am Treppenabsatz stehen. Er hatte Peter die Treppe hinabgeworfen und rief dem Unglücklichen noch schwere Drohworte nach: Augenblicklich solle er sich packen, das Haus verlassen, oder er werde ihn fortpeitschen lassen.

»Nein, er bleibt!« erklärte Grete in äußerster Empörung, und nur mit Mühe sich bezwingend. »Hier ist keine Spelunke, in der gerauft wird, und ich will nicht, daß der Mensch wie ein Hund davongejagt wird.«

Nach diesen Worten beugte sie sich hinab und rief Peter, der Hautabschürfungen und Knochenverletzungen davongetragen zu haben schien, zu, er möge in sein Zimmer gehen, dort das Nötige für sich thun und später zu ihr kommen.

Aber nun wandte sich Tankreds Wut gegen seine Frau.

Er überschüttete sie, ohne Rücksicht auf die Hausbewohner zu nehmen, mit lauten, kreischenden Worten und erhob zuletzt die Hand und rief:

»Und nun in Dein Zimmer! Es wird überhaupt Zeit, daß ich hier ein anderes Regiment einführe, den Durchstechereien, Sentimentalitäten und Auflehnungen ein Ende mache, kurz mit der Weiberwirtschaft oben und unten gründlich aufräume. Ihr sollt mich jetzt von einer anderen Seite kennen lernen. – Nun, hörst Du nicht? Marsch, vorwärts, oder –«

Und als Grete nicht that, was er wollte, vielmehr furchtlos ihm Trotz bot, ergriff er sie und schleuderte sie gegen die Thür. Und nun ertönte ein furchtbarer, markerschütternder Aufschrei – und dann folgte etwas, das allen Plänen und Reisegedanken für jetzt und immer ein Ende machte.



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