Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drei Tage später war's. Ein neues lebendes Wesen und – eine Tote.

Indem die Frau ihrem Kinde ein zu frühes Dasein gegeben, hatte sie ihr eigenes eingebüßt, und unversöhnt mit dem Manne, dem sie einst in der Leidenschaft der Sinne und unter den Einwirkungen ihrer berechnenden Natur die Hand gereicht, war sie nach furchtbaren Leiden und Kämpfen dahin gegangen, wo es kein Erwachen mehr giebt.

Grauen, Schrecken und Entsetzen durchwehte die Räume, die Dienstboten schlichen ängstlich flüsternd einher, und Frau von Tressen, die keinen Augenblick von dem Krankenlager ihrer Tochter gewichen war, schien wie vernichtet.

Sie schleppte sich treppauf treppab, um entweder oben nach ihrem mit gichtischen Schmerzen behafteten Mann zu sehen oder unten sich um das kleine Wesen zu kümmern.

Und wenn sie dann mit ihrem Blick das starre Antlitz der Toten streifte oder Brecken nicht ausweichen konnte, der ihr begegnete, als ob sie Luft sei, aber an das Totenbett der von ihm Gemordeten mit heuchlerischer Miene herantrat, dann ergriff sie ein so wahnsinniger Schmerz, und die Leidenschaften regten sich in ihr mit solcher Gewalt, daß sie wie zerschmettert zusammensank und in Angst, Kummer und Empörung aufschrie.

Und Gedanken kamen und lösten sich ab, und ihre Seele weinte.

Nein! Es war nicht möglich! Ihr Kind konnte nicht tot sein, es durfte nicht Wahrheit sein. Die Qual, der Lebensjammer waren zu fürchterlich. Jetzt erst fühlte sie, wie grenzenlos sie ihre Grete geliebt hatte, aber auch mit welcher Blindheit sie geschlagen gewesen, daß sie einer Verbindung ihrer Tochter mit Brecken Vorschub geleistet hatte.

Ohne jegliche Empfindung war dieser Mensch. Sie sah's ihm an, daß er nicht erwarten konnte, daß die Leiche aus dem Hause kam, daß das ›Gejammer‹ ein Ende nahm, daß er ganz allein Herr wurde im Hause und sie verjagen konnte für immer. Und sein Gehirn arbeitete in der Überlegung, welchen Nutzen er für sich aus diesem Vorfall ziehen konnte.

Kein Zweifel, er würde Holzwerder für seinen Sohn in Anspruch nehmen, auf die Gütergemeinschaft hinweisen und sich mehr noch als früher benehmen, als sei er alleiniger Inhaber der Herrschaft.

Seinen Schwiegervater hatte er während dieser Tage nicht einmal besucht, mit Frau von Tressen hatte er kein Wort geredet, selbst in der ersten Stunde nach Gretes Tod war keine Silbe über seine Lippen gekommen. Nur dem Arzt gegenüber hatte er eine widerliche Komödie gespielt, damit er die Eindrücke hinaustrage in die Umgegend.

Und die Frau hatte recht in all ihren Annahmen. Nachdem die Beisetzung der Leiche in Breckendorf stattgefunden hatte, ging Brecken, sich die Hände reibend, im Zimmer auf und ab und dankte dem Schicksal, das es doch trotz allerlei Widerwärtigkeiten so gut mit ihm meinte.

Nur eins machte ihm Sorge: wem er das Kind anvertrauen sollte. Die da droben würden es wahrscheinlich in Anspruch nehmen, aber er würde sie kurz und bündig abweisen. Dieses Kind war sein Kapital, und es aus den Händen geben, hieß mit dem Feuer spielen. Gewiß, der Balg war ihm unbequem, aber diese Gêne mußte er schon mit in den Kauf nehmen.

Und Breckens gute Stimmung wurde noch erhöht durch etwas sehr Erfreuliches, das an sein Ohr gedrungen war. Herr von Streckwitz lag fast aussichtslos darnieder; es schien jede Möglichkeit ausgeschlossen, daß er am Leben blieb. Theonie war nicht einmal bei dem Begräbnis gewesen, sie hatte sich bei Frau von Tressen entschuldigt.

Und dann beschäftigten sich die Gedanken des Mannes auch mit dem Nächstkommenden: wann nun die oben Holzwerder verlassen würden, was die Frau vorbringen, welche Vorschläge sie wegen des Kindes machen werde.

Der nächste Tag mußte Entscheidendes herbeiführen.

Aber die ganze folgende Woche verging noch, ohne daß die Schwiegereltern sich rührten. Frau von Tressen hatte das Kind ohne jede Rücksprache mit Tankred zu sich hinaufgenommen, eine Amme, und was sonst erforderlich, war besorgt, sie ließ wie früher unten kochen und sich oben bedienen und machte keinerlei Miene, in ihren bisherigen Gewohnheiten eine Änderung herbeizuführen oder gar Vorbereitungen zu ihrem und ihres Mannes Fortgang zu treffen. Das regte Brecken dermaßen auf, daß er schon wiederholt einen Brief aufgesetzt hatte, um damit die Alten aus ihrem Schlupfwinkel herauszutreiben.

Aber wenn er ihn hinaufschicken wollte, kamen ihm doch wieder Bedenken, ob es weise sei, noch mehr Anlaß zu Gesprächen zu geben. Er hatte eine Unterredung zwischen zwei Holzaufsehern belauscht, aus der hervorging, daß man ihn für den Tod seiner Frau verantwortlich zu machen geneigt war, und daß sich Gerüchte verbreitet hatten, die mit der Erbschaftsakte von Theonie in Verbindung standen.

Die Worte: »So was mit Papieren soll nicht richtig sein« waren an sein Ohr gedrungen, und besonders letzteres hatte doch einen solchen Eindruck in ihm hervorgerufen und war zugleich eine solche Mahnung zur Vorsicht für ihn gewesen, daß er im Fluge nach Hause geeilt war, um das Falsifikat, das er bis jetzt noch immer in seinem Schreibtisch verborgen gehalten hatte, zu verbrennen.

Wo kamen aber diese Gerüchte her? Entweder von Falsterhof oder von Hederich.

Dieser Hederich, wie er ihn haßte! Nur Rücksicht auf Grete hatte verhindert, daß Tankred nicht längst seine Absicht, ihm den Laufpaß zu geben, zur Ausführung gebracht hatte.

Zunächst ließ er ihn nun am Ende der Woche in sein Privatzimmer rufen. Seit Gretes Beisetzung hatten sie einander nicht gesehen. Hederich war damals sichtlich tief ergriffen, seine Mienen kummervoll gewesen, und bei der Grabrede Höppners hatte er geweint wie ein Kind. Das hatte Brecken einerseits sehr geschmacklos gefunden, und andrerseits hatte es ihn geärgert. Auch die Pastorin Höppner hatte sich angestellt, als sei der Weltuntergang gekommen. Durch diese Beweise der Wertschätzung, die man Grete entgegentrug, sah er sich selbst herabgesetzt. Diese Trauer erschien ihm wie eine gegen ihn gerichtete Demonstration. –

Es war eine Stunde vor Mittag, als Hederich mit bedrückter Miene zu seinem Herrn ins Zimmer trat. Er war noch tief bewegt durch die Geschehnisse: Gretes Tod, die Trauer und den Schmerz der Familie Tressen, Theonies Sorge, sowie auch durch das infolge der Sachlage sich kund thuende niedergeschlagene Wesen Carins.

In Hederich war inzwischen alles erloschen, was er bisher noch für Brecken übrig gehabt. Auch hatte ihn eine völlige Gleichgültigkeit erfaßt, welche Meinung Brecken über ihn, den Untergebenen, habe, ob er ihm gar die Thür weisen werde.

Brecken ekelte ihn über die Maßen an; es ging ihm jetzt, wie es Carin lange ergangen, wie es sich allen, die mit dem Manne in Berührung kamen, am Ende aufdrängte.

Anders als sonst klang deshalb auch der Ton, in dem Hederich sagte:

»Sie wünschten mich zu sprechen?«

»Ja, allerdings, setzen Sie sich und warten Sie!« warf Tankred, den diese kurze Art äußerst reizte, mit verletzender Nichtachtung hin und trat, als ob er noch etwas zu besorgen habe, ins Nebenzimmer.

Hederich stiegen die Blutwellen zum Kopf. Nicht mit dem geringsten seiner Arbeiter hatte er jemals so gesprochen. Wenn er sich auch keines zuvorkommenden Tones bedient hatte, war er doch höflich gewesen. Tankred aber behandelte ihn wie einen zur Rede zu stellenden Bedienten. Und da plötzlich kam Hederich ein Entschluß, ein fester, unabänderlicher.

Er war es sich selbst schuldig und schuldig dem Andenken Gretes, die er geliebt hatte, und die der Rohheit dieses Menschen zum Opfer gefallen war, er war es auch der Welt schuldig, diesem rüden Habenichts, diesem Ehe- und Erbschleicher einmal zu sagen, was er von ihm dachte, und wenn's geschehen war, das Haus zu verlassen für immer.

Unter solchen Gedanken setzte er sich nicht, sondern stand aufrecht da mit stolzer Miene, als Brecken zurückkehrte.

»Nun? Setzen Sie sich doch! Haben Sie denn solche Eile? Ich denke, meine Angelegenheiten haben den Ihrigen vorzugehen, Herr Verwalter –«

»Ohne Zweifel! Aber ich komme, um Ihnen zu sagen, daß ich heute meinen Posten verlassen will, und da habe ich wohl keine Aufträge mehr von Ihnen entgegen zu nehmen. Ein Vertrag zwischen mir und Herrn von Tressen hat nie existiert, wohl aber ist die Abrede getroffen, daß wir jeden Tag gegenseitig das Recht haben, unser Verhältnis zu lösen. Von diesem Recht mache ich nun, und zwar in dieser Stunde, Gebrauch!«

»So, das sind ja sehr hübsche Dinge! Und Sie meinen, das ginge alles nur so, wie Sie sich das ausdenken: Ich mag nicht mehr, und damit basta! Was ist denn der Grund, mein Geschätzter, daß Sie sich die Erlaubnis nehmen, in solcher Weise jede Rücksicht außer acht zu lassen und mir zu begegnen, als habe ich bisher ein Gnadenbrod aus Ihrer Hand entgegengenommen? Ist es die saubere Gesellschaft da oben, oder das intrigante Frauenzimmer Carin auf Falsterhof, die Ihren sonst doch so wenig hellen Kopf plötzlich erleuchtet hat? Ja, ja! Es ist wirklich nicht zu glauben, welchen Einbildungen bezüglich ihrer Vortrefflichkeit sich dieser ganze Kreis hingiebt. Jeder hält sich für einen Gott, und, bei Licht besehen, ist's nichts weiter, als eine sich pharisäerhaft an die Brust schlagende, außerordentlich wenig, fast nichts leistende, aber dem Klatsch und dem zu Gerichtsitzen munter fröhnende Gesellschaft. Nun, antworten Sie, welche Gründe haben Sie, sich plötzlich in die Brust zu werfen, als wären Sie ein Cäsar? Wissen Sie, lieber Herr, was Sie thun sollten? Ihren Klatschweibermund im Zaum halten, mit dem Sie schon so viel Unheil angerichtet haben. So, und nun erwarte ich Ihre Erklärung!«

Diese in einem maßlos impertinenten Ton gesprochenen Worte, diese Ausfälle, welche Hederich in solcher Stärke nicht im entferntesten erwartet hatte, die Brecken aber nach dem Grundsatz angewandt hatte, daß der Angreifer im Kampfe stets im Vorteil ist, machten den mit seinen Fehlern sehr ernst zu Rate gehenden Mann zunächst ganz fassungslos. Auch gaben sie seinem ursprünglichen Entschluß eine völlig andere Richtung. Er konnte, wie er sah, nur verlieren, wenn er sich noch irgendwie mit Brecken einließ. Er sagte deshalb, sich gewaltsam zur Ruhe zwingend, ernst und würdevoll:

»Nach Ihren Auseinandersetzungen ist es, ganz abgesehen von der Berechtigung oder Nichtberechtigung meiner Kündigung und deren Ursachen, für mich absolut ausgeschlossen, ferner auch nur einen Augenblick in Ihren Diensten zu bleiben. Sollten Sie mir aber irgend etwas, drum und dran, in den Weg legen, so weiß ich, wo ich Schutz und Recht finden kann, und werde davon sehr ausgiebig für mich und andere Gebrauch machen. Das wollen Sie festhalten. So, und nun Gott befohlen, Herr von Brecken. Mich sehen Sie auf Holzwerder nicht wieder!«

Nachdem Hederich gegangen war, zündete Tankred die ihm bei dem Gespräch ausgegangene Zigarre an, indem er ein bereits gebrauchtes Schwefelholz in die Kaminflamme hielt. Während er sich mit dem Anbrennen mühte, überdachte er das eben Geschehene. Was er dem Manne hingeschleudert, das hatte doch gut gesessen! Nun konnte Hederich erzählen, wie er, Brecken, über die ganze Idiotengesellschaft dachte.

Aber seltsam! Durch diese Gedanken gelangte der Mann zum erstenmal zu einem völlig klaren Nachdenken über sich selbst. Während er da in seinem Lehnsessel hockte, murmelte er:

»Ich besitze Gaben, durch die ich Großes schaffen könnte, aber sie bleiben wirkungslos, da ich sie nur in den Dienst meines eigenen Ichs stelle. Mein Egoismus bringt mir Vorteile, aber auch Nachteile, weil sich mit meiner Eigenliebe Eitelkeit, Jähzorn und Mangel an Mäßigung verbinden. Was meine Verstellungskunst mir Günstiges schafft, wird durch mein Ungestüm meist wieder aufgehoben.«

Und eine ängstliche Stimme erhob sich in seinem Innern, die flüsterte, es sei nur Schein, daß Gretes Tod, das Zerwürfnis mit Tressens, der Fortgang Hederichs, die Krankheit Streckwitz's ihm förderlich werden würden. Freilich schoben seine Hoffnungen solchen Gedanken rasch wieder beiseite. Was konnte ihm anderes aus alle dem entstehen, als die Erfüllung seiner Wünsche? Und das Gute üben, war langweilig und öde, und durch die Entäußerung seines Ichs ward der Mensch nichts weiter, als der Sklave seiner Umgebung. Er aber wollte nicht nur herrschen und befehlen, sondern auch besitzen. Und das war nicht zu erreichen, wenn er sich moralisierend in Sack und Asche hüllte. –



 << zurück weiter >>