Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

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Als am kommenden Tage Tankred nach Erledigung seiner Vormittagsgeschäfte mit seiner Frau beim zweiten Frühstück saß, erkundigte er sich, ob die oben etwas von sich hätten hören lassen.

»Nein! Sie werden auch nicht zu Tisch kommen, wenn ich nicht hinaufgehe. Ich kenne Mama –« entgegnete Grete.

»Und Du willst hinaufgehen?«

»Nein, aber ich habe mir gedacht, daß ich, wenn sie heut mittag auf das Klingelzeichen nicht erscheinen, Peter nach oben schicke und fragen lasse, ob die Herrschaften nicht zu Tisch kommen wollen.«

»Und wenn sie nicht kommen?«

»Dann werde ich wohl hinaufgehen und gute Worte geben müssen. Ich habe ja nur erreichen wollen, daß Mama sich nicht ferner in meine Angelegenheiten mischt. Jetzt wird alles – verlasse Dich darauf – eine längere Weile nach Wunsch gehen.«

Bei den letzten Worten glitt ein Lächeln über Gretes Gesicht. Es belehrte Tankred, daß seine Frau den gestern stattgefundenen Zwist nicht so ernst genommen hatte, wie er selbst, und das enttäuschte ihn zunächst. Aber da er es sich zum Gesetz gemacht hatte, vor allen Dingen mit ihr zusammen zu halten, niemals ohne ihre Zustimmung etwas Wichtiges zu unternehmen und sich ihre Ansichten nach Möglichkeit anzueignen, so nahm auch er einen leichten Ton an und sagte:

»Du hast recht. Fassen wir die Sache von gestern nicht anders auf, als ein die Luft reinigendes Gewitter. Und so wie Du es Dir ausgedacht, ist es auch gut. Wir schicken, wenn sie nicht kommen, hinauf, als sei nichts passiert, und begegnen ihnen mit alter Unbefangenheit. Übrigens hast Du gehört? Sie haben sich ja mal wieder einen Teppich aus Hamburg kommen lassen. Ich sah's heut morgen auf dem Frachtbrief, als das Packet gebracht ward. Ist doch wirklich ein Wahnsinn, nun wieder für eine ganz überflüssige Sache so viel Geld auszugeben!«

»Papa behauptet, es sei in seinem Zimmer so fußkalt, daß er es nicht aushalten könne,« schaltete Grete ein. Sie gab diesmal kein Urteil ab, war überhaupt zurückhaltender über »die oben« als gestern.

»Ja eben, er hat jeden Tag ein neues Bedürfnis. Hypochondrische Leute, die nichts zu thun haben, kommen auf tausend überflüssige Geschichten. Da fällt mir ein: es scheint ja wahrhaftig etwas zwischen Streckwitz und Theonie zu werden. Frau von Bülow behauptete, sie seien sogar schon verlobt. Wir müssen Hederich fragen. Übrigens möchte ich wohl wissen, ob der gestern noch bei ihnen oben gewesen ist. Die Sache ist klar. Er wollte keine Handschuhe abgeben, sondern sie wollten nur zusammen hocken, um über uns zu Gericht zu sitzen. Und das ist doch kein richtiges Verhältnis, Grete. Sie intriguieren fortwährend gegen uns, und der alte Schwäger trägt die Neuigkeiten von Haus zu Haus, nach Breckendorf, nach Falsterhof und nach Elsterhausen. Insofern wäre es allerdings, um einmal den Fall ernstlich ins Auge zu fassen, gar nicht vom Übel, wenn die Eltern fort zögen. Streckwitz's Besitz könnten sie ja pachten. Papa scheint sehr davon eingenommen zu sein.«

Tankred hatte bei den letzten Sätzen, die ihm durch die Gelegenheit aufgedrängt waren, Grete genau beobachtet. Er wollte wenigstens wieder ein Samenkorn legen. Nicht nur im Zorn sollte sie den Gedanken einer Trennung von den Eltern fassen, sondern sich nach und nach daran gewöhnen.

Daß sie ernsthaft den Fall noch gar nicht ins Auge gefaßt hatte, ergab sich jetzt.

»Mama würde, glaube ich, sterben, wenn sie von Holzwerder fort müßte, Tankred. Ich muß gestehen, daß auch ich ihre Anwesenheit sehr entbehren würde. Du lieber Himmel! Man zankt sich einmal! Wo kommt nicht so etwas vor! Aber eine wirkliche Trennung? Nein, ich meine, den Gedanken wollen wir vorläufig wenigstens gar nicht fassen. Und dann – und dann –« die Frau errötete leicht –«wenn ich demnächst in der Krankenstube liege, würde ich ihre Abwesenheit doppelt empfinden –«

Das letztere leuchtete Tankred ein. Die Krankenwärterin beim Wochenbett fortsenden, hieß nicht weise handeln. Ja, Grete dachte immer noch weiter als er! Sie war außerordentlich umsichtig und behielt stets ihren Vorteil im Auge!

Während dem Manne solche Gedanken über seine Frau aufstiegen, ward geklopft, und Peter erschien, um eine Meldung zu machen.

Das Gespräch ward dadurch unterbrochen, und jeder ging seinen Geschäften nach.

Am Mittag desselben Tages fuhr Herr von Streckwitz auf Falsterhof vor. Er hatte bei seinem letzten Besuch mit Theonie von einer kleinen in seinem Besitz befindlichen Marmorgruppe, Venus und Amor, gesprochen, und als sie ihr lebhaftes Interesse daran ausgedrückt, um die Erlaubnis gebeten, sie ihr verehren zu dürfen. Er suche, wie er bei der Überreichung hervorhob, nach einem Anlaß, sich ein wenig für die vielen Liebenswürdigkeiten erkenntlich zu zeigen, die er auf Falsterhof empfangen habe. Sie möge ihm die Bitte nicht abschlagen, ihr die Gruppe überreichen zu dürfen.

Nach verlegenem Dank und nach weiterem Wortaustausch sagte Theonie, die sich mit Streckwitz im Gartenzimmer niedergelassen:

»Es bleibt also wirklich bei Ihrer Absicht, daß Sie wieder eine Zeitlang auf Reisen gehen wollen? Wann verlassen Sie uns, Herr von Streckwitz, und wann dürfen wir Sie zurückerwarten?«

»Nein –« entgegnete Streckwitz. »Der Verkauf von Klementinenhof hat sich zerschlagen; für den Fall der Veräußerung hätte ich mich ja zunächst anderweitig einrichten müssen und ging deshalb mit solchem Plan um. Ich bleibe nun aber den Winter über hier und will meine Bemühungen um einen Verkauf von Klementinenhof aus fortsetzen.«

»Immer wieder wundere ich mich,« wandte Theonie ein, »daß Sie bei Ihren vielen Interessen das Land der Stadt vorziehen. Was bietet sich Ihnen hier in der Einsamkeit?«

»Lieben Sie nicht auch das Land, gnädige Frau? Schätzen Sie nicht auch die reine Luft, die einfachen, natürlichen Verhältnisse, den unmittelbaren Verkehr mit der Natur, die Ruhe und die Behaglichkeit? Anregung findet ein Mensch, der sich nicht nur mit seinem Ich beschäftigt, überall. Ich liebe, wie ich schon oft hervorhob, die Menschen in dieser Gegend, die hiesige Geselligkeit mutet mich an, und die Beschäftigung mit Stall, Acker und Vieh hat für mich etwas außerordentlich Anziehendes. Ich beneide die Städter nicht, ich bemitleide sie. Ihr Gehirn ist in einer fortwährenden Bewegung, sie müssen mitlaufen, wenn sie nicht am Wege liegen bleiben wollen, und zu einem rechten, ruhigen Lebensgenuß vermögen sie nicht zu gelangen. Wandern die Wohlhabenden unter ihnen nicht alle jährlich in die Berge, ans Meer und in kleine, abgelegene Ortschaften? Und dann giebt's ja auch heut zu tage keine Entfernungen mehr. Ich kann ja, wenn mich die Lust und Laune packt, in wenigen Stunden in Hamburg und Berlin sein.«

»Sie haben wohl noch keine Aussicht, etwas hier in der Gegend zu erwerben?« knüpfte Theonie, die durch stumme Gebärden Streckwitz beigepflichtet hatte, an. »Hederich sprach jüngst von Wankendorf. Aber es liegt sehr nördlich, und der Preis soll hoch sein.«

Streckwitz schüttelte den Kopf. »Ich möchte am liebsten etwas hier in der nächsten Umgebung finden. Ich möchte auch Ihnen» – Streckwitz legte einen nicht mißzuverstehenden Inhalt in den Ton seiner Worte –«nahe bleiben, gnädige Frau.«

Theonie errötete leicht und hielt das Auge gesenkt. Ihr mädchenhaftes Wesen kannte nicht das Mienenspiel, das Frauen anwenden, um Männer zu ermuntern.

Sie zeigte rasch auf zwei Zeisige, die in einem Bauer hin- und herflatterten, und suchte so dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Aber Streckwitz war heute gekommen, um sich über Theonies Gefühle für ihn Klarheit zu verschaffen.

Nachdem er einen Blick umher geworfen, um sich besser zu versichern, daß er nicht gestört werde, sagte er:

»Vorher sprachen Sie Ihre Verwunderung darüber aus, daß ich mich hier, wie Sie sich ausdrückten, in der Einsamkeit vergrabe. Ein gleiches habe ich von Ihnen schon mehrfach gedacht, gnädige Frau. Durch Ihre Hand ist zwar Falsterhof gelichtet und hat den früheren düstern Eindruck verloren, aber grade für eine junge Frau – da für Ihr Geschlecht so enge Grenzen gezogen sind, weil Sie sich nicht, wie wir, frei bewegen können, – scheint es mir hier recht einförmig. Haben Sie denn kein Verlangen nach der Stadt?«

»Nein, keins! Ich könnte nirgend anderswo leben, und als ich mich nach dem Tode meiner Mutter von hier entfernen mußte, war ich sehr unglücklich.«

»Sie mußten?«

»Ja – oder ich wollte, gleichviel. Als der Tag meiner Rückkehr festgesetzt war, vermochte ich erst wieder die Schwermut, die mich erfaßt hatte, abzustreifen.«

»Sie hatten damals die Gesellschaft Ihres Herrn Vetters, wenn ich mich recht erinnere? Er ist wohl ein sehr anregender Mann? Ich war jüngst auf Holzwerder und habe höchst angenehme Stunden dort verlebt. Sehr gefallen wir auch die Schwiegereltern. Charmante Leute.«

Theonie betätigte letzteres durch eine Bewegung, über Tankred aber äußerte sie sich nicht.

Diese stete, taktvolle Zurückhaltung war's aber eben gerade, die Streckwitz, der das wenig günstige Urteil der Menge über Tankred kannte, zu Theonie so hinzog. Alles, was er bisher von ihr gesehen hatte, war tadellos. Sie war ernst, aber nicht sentimental, klug ohne das Bestreben, sich geltend zu machen, und besaß neben einem edlen Selbstgefühl eine vollendete Weiblichkeit in ihrer Erscheinung und ihrem Wesen. Da das Gespräch sich wieder ein wenig von dem ihm am Herzen liegenden Gegenstand abgewandt hatte, suchte der Mann nach einer direkten Anknüpfung, und plötzlich kam ihm ein Gedanke.

»Noch eins wollte ich Ihnen heute bei meinem Besuch vortragen, gnädige Frau,« hub er nach geschicktem Übergang an. »Ich habe die Absicht, allernächstens ein kleines Diner zu geben. Würden Sie und Fräulein Carin wohl so liebenswürdig sein, auch daran teil zu nehmen? Ich weiß, daß ich etwas erbitte, das ein wenig ungewöhnlich erscheint. Aber ich hoffe doch auf Ihre gütige Zusage, ja, ich darf sagen, daß ich das kleine Fest vorzugsweise veranstalte, um bald wieder die Freude zu haben, mit Ihnen zu plaudern. Es verlangt mich jeden Tag danach, und wenn ich von Ihnen fern bin, fehlt nur etwas, das durch nichts zu ersetzen ist.«

Die legten Worte hatte Streckwitz in einem weichen, eindrucksvollen Ton gesprochen, und diesmal wich auch Theonie seinen ehrlichen Augen nicht aus. Aber sein Blick verwirrte sie doch so sehr, daß sie nicht gleich Worte fand, vielmehr die Schultern bewegte und in der Erregung den ausdrucksvoll geschnittenen Mund zusammenpreßte.

»Ich bitte, sprechen Sie – sagen Sie etwas –« drängte Streckwitz, durch die Ungewißheit, wie er ihr Wesen deuten sollte, nicht mehr Herr seiner Gefühle, »oder darf ich noch etwas hinzufügen, etwas von dem vielen, was mich bewegt, seitdem ich Sie kennen lernte? Nun? Darf ich, Theonie, liebste Frau Theonie? –« wiederholte Streckwitz, indem er sich erhob und Theonie näher trat.

Mit zagendem Ausdruck suchte er ihr abgewendetes Antlitz, er zitterte innerlich, und sein Atem ging rasch.

Aber es war nur für Sekunden. Dann wandte sie sich zu ihm, sah im mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Hingebung ins Auge, lächelte sanft und neigte ihre feine Gestalt zu ihm.

»O komm, Du Liebe!« flüsterte der Mann stürmisch und breitete seine Arme aus.

Durch ihren Körper ging ein Beben; sie liebte ihn leidenschaftlich, und er hörte es aus ihrem Munde, als er nun glückberauscht sie fest und fester an sich zog.



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