Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

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Der Sommer war schon eine Weile ins Land gekommen. In dem Pfarrgarten in Breckendorf dufteten die Blumen, die Bäume und Gebüsche prangten in Kraft und Schönheit, und wohin der Blick sich wandte, sah er blütenschwere Zweige, und wohin das Ohr sich neigte, vernahm es Zwitschern und Singen fröhlicher Vögel. Ein sanfter Regen, der über nacht herabgefallen, hatte den durch längere Dürre hervorgerufenen Staub verwischt und das müde Träumen der Natur in frisches Leben verwandelt, in dem sich nun die neuen Triebe kräftig hervordrängten. Und freudiges Leben erfüllte auch die Herzen der Bewohner des Pfarrhauses; Frau Höppner lief in Haus, Hof, Küche und Keller umher und sah nach dem Rechten, und neben ihr trippelte Lene oder stürmte jauchzend durch die Gartenwege, und hinter ihr her sprang bellend der Hausspitz. Der Pastor schien endlich mit aller Krankheit aufgeräumt zu haben; sein Aussehen war frisch, und seine guten Augen schauten hell und klar.

Die beiden Gatten ernteten die Früchte ihrer Herzensgüte durch Zufriedenheit und Wohlbefinden, und da nun auch das auf ihre Anregung in Breckendorf erbaute Armen-Krankenhaus sich seiner Vollendung soweit näherte, daß die Einweihung vor der Thür stand, durchströmte sie ein Gefühl der Freude und Ungeduld, als sei ihnen ein großes Fest bereitet.

Das Jahr hatte sonst viel trauriges gebracht, Sorge, Krankheit und Sterben ringsum. Auch Herrn von Streckwitz hatte keine menschliche Sorgfalt retten können; noch einmal war das Glück wie eine helle Sonne vor Theonies Thür erschienen, aber nur zu schnell war es wieder verschwunden. Der Tod hatte der Frau das Liebste vom Herzen gerissen. Nun hockte sie wieder einsam und in Schmerz versunken in ihrem großen Hause oder wanderte todesbetrübt durch den Park.

Auch in ihm haltender Sommer seine Reize in verschwenderischer Fülle entfaltet. Die Vögel sangen, und aus der Ferne erklangen Laute ländlichen Lebens: Wiehern der Pferde, Peitschenknallen und einmal fröhliches Singen. Aber die Frau hörte davon nichts, und wenn's ihr Auge und ihr Ohr einmal ausnahmen, so mahnte es sie nur um so schmerzerregender an das, was sie verloren hatte.

Auch auf Gretes Eltern, die alten Tressens, die inzwischen nach Klementinenhof gezogen waren, hatte sich von neuem das Ungemach gesenkt.

Am verflossenen Ersten des Monats war die Zahlung, die Brecken den Schwiegereltern zu leisten hatte, ausgeblieben. In einem eingeschriebenen Briefe hatte er ihnen erklärt, sich zu ferneren Raten nicht mehr verstehen zu können. Falls Tressens es angebracht finden sollten, dagegen Einspruch zu erheben, werde er mit Ruhe die gerichtliche Entscheidung erwarten.

Frau von Treffen hatte nach jenem Besuche Hederichs mit Brecken gesprochen. Kurz und entschieden hatte sie erklärt, was sie wollte, und ebenso kurz und entschieden ablehnend hatte er geantwortet, und dabei waren sogar furchtbare Worte von seiner Seite gefallen:

Daß alles so gekommen, daran sei sie ganz allein schuld. Die alte Geschichte von der Unfrieden stiftenden Schwiegermutter habe sich hier wieder einmal bewahrheitet. Wenn sie und ihr Mann gleich nach der Wiederkehr des jungen Paares von der Hochzeitsreise Holzwerder verlassen hätten, so wäre nie Streit entstanden, und Grete lebte heute noch. Daß er die Schuld an ihrem Tode trage, sei lächerlich. Er habe allerdings eine Szene mit ihr gehabt, wie sie aber hundertmal zwischen Eheleuten vorkomme, und daran sterbe keine Frau. In gleichem Zustande seien anderen schon viel schwerere Dinge zugestoßen, ohne daß sie üble Folgen davon getragen hätten. Aber jede Krankheit schließe die Möglichkeit eines traurigen Ausganges in sich, und so sei es hier gekommen. Sein Kind gebe er nicht her. Er behalte es bei sich, denn er sei sein natürlicher Vormund.

In dem Vertrage, den er mit Grete getroffen, sei alles nötige vorgesehen; dagegen finde sich in dem zwischen ihr und ihren Eltern geschlossenen Abkommen kein Passus, in dem auf den jetzt eingetretenen Fall Bedacht genommen wäre. Er sei indes als Nutznießer des Besitzes nicht abgeneigt, ihnen bis zur Mündigkeit des Knaben eine monatliche Rente auszuzahlen, vorausgesetzt, daß Tressens sich den Bedingungen unterwürfen, die er stellen müsse.

Zu diesen Bedingungen gehörte in erster Linie, daß sie Holzwerder räumten, und ferner, daß sie sich verpflichteten, in die Erziehung des Kindes in keiner Weise einzugreifen.

Sobald ihm aber je auf Tressens zurückzuführende Anschuldigungen und Verleumdungen, beispielsweise, daß er an Gretes Tod Schuld trage, oder der Unsinn, daß er ihnen und Grete seinerzeit ein anderes Dokument als das von Theonie ausgefüllte vorgelegt habe, zu Ohren kämen, werde er keinerlei Zahlung mehr leisten und überhaupt jede Erinnerung an einst mit den Schwiegereltern gepflogene Beziehungen auslöschen. Das sei sein unabänderlicher Wille und sein letztes Wort. Und schriftlich verpflichte er sich überhaupt zu nichts, sie besäßen keinerlei Rechte, sondern seien lediglich auf seine freigebige Hand angewiesen.

Nach diesen kaltherzigen Erklärungen hatte er freilich auch wieder eine versöhnliche Stimmung geheuchelt und Frau von Tressen ersucht, einmal ohne Voreingenommenheit zu prüfen, ob's nicht besser sei, daß sie sich trennten, ob er anders handeln könne bezüglich des eigenen Kindes; er zeige doch jetzt, daß er wahrlich kein selbstsüchtiger Mensch sei. Es habe sich die Mär gebildet, er sei eine unaufrichtige, harte, egoistische Natur. Was er denn gethan habe? Seine Ehe mit Grete sei eine glückliche gewesen, bis sie, Frau von Tressen, durch ihr vieles Hineinreden die Gedanken und das Herz der Frau verwirrt habe. Unter seiner Verwaltung habe sich Holzwerder nach jeder Richtung hin gehoben, und wenn er nicht allen Leuten sympathisch sei, so komme das doch nur daher, weil er seinen eigenen Weg gehe; zu nahe getreten sei er niemandem. Freilich, wie man ihn anrufe, so antworte er. Und Tankred hatte mit der Versicherung geschlossen, daß, wenn er auch nichts schriftlich geben wolle, wenigstens jetzt nicht, so könne Frau von Tressen doch darauf bauen, daß er schon um Gretes willen, die er so sehr geliebt habe, sein Wort halten werde. –

Und so war es denn gekommen. Tressens hatten, dem Rat ihres Rechtsanwaltes folgend, Holzwerder verlassen, und die Großmutter hatte das Kind in Tankreds Händen lassen müssen. Gegen einen solchen Menschen gab's eben keine anderen Waffen, als richterliche Entscheidung, und eine solche hatte der Justizrat geraten aufzuschieben, bis sich Brecken eines Bruchs seiner Zusage schuldig mache. Mit dem Ausbleiben der monatlichen Zahlung war nun dieser Augenblick gekommen. Aber wie lange konnte ein Prozeß währen, und wovon sollten Tressens, die sehr verwöhnten Menschen, in der Zwischenzeit leben? Eine Weile würde es wohl gehen, da sie Kredit besaßen, so lange nicht bekannt wurde, daß sie mittellos geworden; aber am Ende vermochte selbst der Genügsamste sich auf die Dauer ohne Geld nicht einzurichten. Der Gedanke, andere Menschen um Unterstützung angehen zu müssen, trieb Tressens eben so sehr das Blut zum Herzen, wie Empörung darüber, daß der Schurke nun auch noch diesen Akt von Niederträchtigkeit gegen sie ausgeübt hatte.

Mit Tankreds Absagebrief in der Hand war Frau von Tressen zum Justizrat nach Elsterhausen gefahren, um seine Hülfe in Anspruch zu nehmen. Er hatte sich erboten, vorher noch einmal mündlich mit Brecken Rücksprache zu nehmen, ihm einerseits ins Gewissen zu reden und ihm andrerseits klar zu machen, daß er einen Prozeß unmöglich gewinnen könne.

Freilich willigten Tressens nur ungern darein. Dem Menschen noch ein gutes Wort geben, hieß sich erniedrigen; ihr Stolz und ihr Selbstgefühl bäumten sich dagegen auf.

Aber leben! Dieses Wort beugt die stolzesten Seelen, die starrsten Nacken. Die Notwendigkeit ist ein Weib mit eisernem Rückgrat. –

Es war mitten im Juli, als Rechtsanwalt Brix sich nach Holzwerder auf den Weg machte, und gegen die elfte Stunde vormittags traf er auf dem Gutshofe, den er seit langer Zeit nicht mehr gesehen, ein.

Die seitdem eingetretenen Veränderungen fielen ihm sofort auf: von der vornehmen Sauberkeit, der peinlichen Ordnung und dem herrschaftlichen Anstrich, die Holzwerder in der Tressenschen Zeit ausgezeichnet hatten, war nichts mehr zu entdecken. Alles war in den Dienst der Nützlichkeit gestellt. Dem Schönheitssinn waren keine Rechte mehr eingeräumt, denn zu beiden Seiten der Wirtschaftsgebäude lagen jetzt Misthaufen, zwischen dem Pflaster des Auffahrtsweges wucherte das Unkraut, und die früher sorgfältig geharkt und mit Kies bestreut gewesenen Wege zeigten die Radspuren schwerer Wagen und glichen einer seit Jahren vernachlässigten Chaussee.

Die Fenster des Schlosses bis auf die zur Linken im Parterre liegenden waren verhängt, und die Farbe, welche die Winter- und Herbststürme von den Wänden gewaschen hatten, war nicht erneuert worden. Die Instandhaltung des Hofes, des Gartens, des Parks und der Wirtschaftsgebäude kostete Geld, und Geldausgeben war dem völlig zum Geizhals gewordenen Brecken ein Greuel.

Als Brix in das Schloß eintrat, hantierte Tankred in einem abgenützten Hausrock im Flur und hämmerte selbst an einem wackelig gewordenen Tischbein; neben ihm stand ein Leimtopf und sonstiges Tischlergerät. Er konnte sich nicht mehr entschließen, einen Handwerker auf den Hof kommen zu lassen; sobald auch nur die geringste Ausgabe in Frage kam, überlegte er, ob er ihr nicht ausweichen könne.

Beim Anblick des Justizrats verfinsterten sich anfänglich seine Züge, dann aber nahm er rasch eine zuvorkommende Miene an und nötigte den unerwarteten Gast in sein Arbeitsgemach.

Hier zeigte sich noch die ursprüngliche Eleganz; der Fußteppich wies zwar starke Spuren des Gebrauches auf, aber Ordnung und Kunstsinn traten überall dem Auge entgegen.

Denn bei dem, was einmal solid und reich ausgestattet, wo nur der Staub zu entfernen war, da trachtete der Mann ängstlich, es zu erhalten. Der Geiz äußert sich eben auf verschiedene Weisen; oft sieht er hundert Dinge, oft ist er blind.

»Ich komme,« hub Brix an, »um über das unseren gemeinsamen Freunden von Ihnen zugesandte Schreiben zu sprechen. Ich weiß nicht, Herr von Brecken, worauf sich Ihre Sinnesänderung stützt, aber ich weiß, daß Ihre Schwiegereltern durch Sie bereits in die allerpeinlichste Lage versetzt worden sind. Noch einige Wochen weiter, und sie müssen darben, wenn sie nicht ihre Schmuck- und Silbersachen verkaufen sollen. Ich richte einen Appell an Ihre Einsicht und bitte Sie, den alten Status freiwillig wieder eintreten zu lassen.«

Brix hielt inne und erwartete auf diese kurzen, die Sachlage darlegenden Worte eine Erwiderung.

Statt deren erhob sich Brecken, zog aus seinem Sekretär einige Aktenstücke hervor und breitete sie auf dem Tisch aus.

»Hier ist das Abkommen, das meine verstorbene Frau mit ihren Eltern geschlossen hat, und hier das Gutachten eines Hamburger Advokaten, dem ich die Sache vorgelegt habe. Dem letzteren zufolge besitzen Tressens keine, auch nicht die geringsten Rechte auf eine Rente. Wollen Sie gefälligst durchlesen, was Ihr Kollege hier niedergeschrieben hat?«

Nach diesen Worten sah Brecken den Justizrat mit kaltem Blick und mit einem Ausdruck an, als stehe hier eben nur eine rein geschäftlich zu behandelnde Angelegenheit in Frage.

»Meine Ansicht über die Berechtigung Ihrer Schwiegereltern, die Rente von Ihnen zu fordern, kann selbst eine Entscheidung des höchsten Gerichtshofes nicht ändern, Herr von Brecken,« entgegnete mit kühler Abwehr der Justizrat. »Es ist daher wertlos, daß ich die Auffassung meines Kollegen in dieser Sache studiere. Ich komme ja auch nicht deshalb, sondern um an Ihr menschliches und verwandtschaftliches Gefühl zu appellieren. Ich möchte einen Vergleich anstreben, durch den das wahrlich für die Außenwelt nicht erhebende Schauspiel eines Prozesses zwischen Ihnen und den Eltern Ihrer verdorbenen Frau Gemahlin vermieden wird. Wie nun, wenn Sie Ihre Sache vor den Gerichten verlieren? Sie haben dann eine Unsumme von Kosten noch drauf zu zahlen! Und es wird doch sicher einen höchst peinlichen Eindruck hervorrufen, wenn man erfährt, daß Sie Ihren Schwiegereltern die notwendigsten Subsidien verweigert, ja, sie gezwungen haben, die Mildthätigkeit Fremder in Anspruch zu nehmen.«

Brecken hatte mit unbeweglichem Gesicht zugehört. Nachdem der Justizrat aber geendet, stieß er, alle dessen Worte umgehend, heraus:

»Es ist ja nicht zu erschwingen, monatlich eine solche Summe zu zahlen! Warum können die Leute sich nicht einschränken? Mit der Hälfte werden sie auch leben können!«

Ah! Das war's also! Dem Justizrat wurde alles klar. Der Schurke hatte die Sache lediglich aus Geiz eingefädelt. Er wollte durch dieses Vorgehen die Hälfte sparen, und wenn man darauf nicht einging, dann – nun dann mochte es auf einen Prozeß ankommen!

Aber daß er damit kein Glück haben werde, sah Brecken freilich sehr bald ein.

»Wenn Sie annehmen, Herr von Brecken,« erwiderte der Justizrat, »daß Herr und Frau von Tressen sich in diesem Sinne vergleichen würden, so muß ich Ihnen sofort erklären, daß davon nicht die Rede sein kann. Sie denken nicht daran, etwas von ihren Rechten aufzugeben, würden vielmehr, wenn Sie auf dem – entschuldigen Sie – unmenschlichen Standpunkt beharren, in der Klage beantragen, daß ihnen die Vormundschaft über Ihren Sohn übertragen und die Nutznießung des Vermögens zugesprochen wird. Und wenn wir das erstreiten sollten, wie würden dann die Sachen für Sie stehen?«

Brecken lachte höhnisch.

»Was Sie da sagen, glauben Sie ja selbst nicht, Herr Justizrat. Mit Gespenstern schreckt man Kinder und Feiglinge, aber keine Männer. Ich lebte mit meiner Frau in Gütergemeinschaft, folglich gehört mir nach ihrem Ableben Holzwerder. In dem zwischen uns geschlossenen Abkommen, das Ihnen ja sehr wohl bekannt ist, wurde für den Fall einer Nachkommenschaft bestimmt, daß jeder von uns bis zur Mündigkeit unserer Kinder die Nutznießung des Vermögens behalten, später aber Ansprüche auf eine Rente haben sollte. Meine Frau, die in eigentümlichen Anschauungen steckte, wollte das so, und ich gab ihr nach, obgleich wir uns dadurch selbst die Verfügung über das Vermögen entzogen. Für die mir eingeräumten Rechte stipulierte sie auch besondere Rechte für ihre Kinder. Gleichviel, es wurde so abgemacht. Wer mir aber bei diesem Sachverhalt mein Recht auf Besitz, Verwaltung und Vormundschaft absprechen will, der muß den klaren Verstand verloren haben.«

»So würde es allerdings auf den ersten Blick scheinen,« warf Brix ein. »Aber die Ansprüche Ihrer Schwiegereltern können nicht alteriert werden, denn sie wurden ihnen eingeräumt, damit sie zu leben vermöchten. Und ferner: Ihre Frau Gemahlin gewährte Ihnen die erwähnten Vorteile aus zweierlei Ursachen; erstens, weil Sie das Erbe von Falsterhof mit in die Ehe zu bringen versprachen, und zweitens –«

»Nun?«

»Weil aus dem von Ihnen vorgelegten Dokument ersichtlich war, daß diese Ihre Behauptung eine begründete sei!«

»Also – was wollen Sie denn weiter?«

»Was ich will? Sie besaßen ja gar keine Anwartschaft auf das Gut Ihrer Frau Kousine in der von Ihnen vorgelegten Form, und dafür würden wir Frau Cromwell, Frege und Ihre Schwiegereltern zu Zeugen aufrufen.«

Bei Freges Namen, in dem er eine Anspielung auf die Fälschung erblickte, zuckte Brecken unwillkürlich zusammen, und die Farbe wich aus seinem Angesicht. Aber nur für Sekunden ward er eingeschüchtert.

»Ich verstehe Sie nicht,« warf er dann hin. »Wenn das eine Anspielung auf ebenso gehässige wie unerhörte Anschuldigungen sein soll, so erwarte ich Beweise. Behauptungen sind vor Gericht leerer Wind.«

»Aber nicht der Eid, Herr von Brecken! Indes lassen wir das. Ich frage Sie noch einmal, ob Sie an Ihrer Zusage – Sie gaben doch eine Zusage betreffs der monatlichen Zahlungen an Ihre Schwiegereltern – festhalten wollen oder auf deren Zurückziehung bestehen?«

»Ja, ich bestehe darauf. Höchstens würde ich mich bereit erklären, Tressens statt des Ganzen ein Drittel zu zahlen, und das würde ich ihnen dann schriftlich geben. Aber nicht, weil ich dazu genötigt bin, sondern aus Rücksicht auf ihre Lage, die ja allerdings schwierig werden mag.«

Noch einmal sprach Brix eindringlich auf Brecken ein. Als aber alles nichts half, als sich unzweifelhaft herausstellte, daß der Eigennutz allein in der Seele dieses Menschen Raum hatte, ward er so sehr von Ekel erfüllt, daß er sich mit kurzer Verbeugung empfahl und auf den Hof schritt, um dort seinen Wagen wieder zu besteigen.

Als der Justizrat auf dem Heimwege nach Elsterhausen in die Nähe von Falsterhof gelangte, kam ihm der Gedanke, gleich dort vorzusprechen, um in Tressens Interesse mit Theonie zu sprechen. Er ward in diesem Vorhaben bestärkt, als er gerade Hederich herantraben und in die auf den Gutshof führende Allee einlenken sah. Nach erfolgter Begrüßung schloß er sich ihm an, und zehn Minuten später saßen beide bereits in Theonies Wohnzimmer, und Brix berichtete, was er auf Holzwerder erlebt hatte. Während er dann auf die traurigen Verhältnisse der alten Tressens zu sprechen kam, erschien Carin, und Hederich nahm die Gelegenheit wahr, mit ihr in den Garten hinauszutreten.

Er erzählte, daß er schon am Vormittag bei Tressens gewesen sei und den Eindruck bekommen habe, daß ihre gemeinsamen Freunde sich geradezu in Not befänden.

»Sehen Sie, Fräulein Carin, ich komme eigentlich – drum und dran – mit einer Bitte,« erklärte Hederich und erhob das glattrasierte Gesicht mit den treuherzigen Augen zu seiner mit ernster Miene neben ihm herschreitenden Begleiterin. Doch stockte er, als sie bei seinen Worten nicht gleich zu ihm aufblickte.

»Ja, bitte, Herr Hederich!« ermunterte Carin ihn nun weich und freundlich.

»Ich meine nämlich so, Fräulein Carin: Ich bringe es nicht über die Lippen, Frau von Tressen zu bitten, daß sie ein Darlehn von mir annimmt, nein – drum und dran – ich kann es nicht. Und Schreiben ist auch nicht das Richtige. Wenn Sie vielleicht die Freundlichkeit haben wollten – ich meine – ich meine – mit Frau von Tressen zu sprechen, daß ich – ich – Sie verstehen, Fräulein Carin.«

»Ja, ich verstehe, lieber Herr Hederich!« entgegnete das junge Mädchen, bewegt durch diese mit so großer Zartheit gepaarte Herzensgüte, und schaute Hederich voll ins Antlitz. »Ich will auch gern Ihren Wunsch erfüllen, gleich morgen, wenn Sie wollen. Aber wäre es nicht richtiger, wenn Sie den Justizrat damit betrauten? Ich gestehe, die rechte Form, das vorzubringen, ist schwer zu finden, und gerade ich in meiner Stellung habe weniger das Recht, in einer so delikaten Sache das Wort zu nehmen, als ein anderer, der den Herrschaften mehr gleichsteht oder bereits von ihnen ins Vertrauen gezogen ist.«

»Na ja, das ist wohl richtig – obgleich – obgleich, Fräulein Carin –« erwiderte Hederich und fuhr, einem neuen Gedanken folgend, fort: »Glauben Sie, daß auch Frau Theonie etwas thun würde, wenn's nötig wäre?«

»Ich weiß es nicht. Sie spricht über gewisse Dinge nie mit mir. Über ihren Vetter hat sie sich selbst nach der letzten Auseinandersetzung nicht anders als mit den Worten geäußert, sie habe jede Verbindung mit ihm abgebrochen. Daß sie sich für Tressens interessiert, ist indes zweifellos.«

»Sagen Sie, Fräulein Carin, es ist – drum und dran – hier jetzt wohl recht öde und einsam für Sie?« fuhr Hederich, abermals das Gesprächsthema willkürlich ändernd, fort. »Oft wundere ich mich, wie Sie es aushalten.«

»Ja, es ist auch schwer, Herr Hederich. Seit dem Tode des Herrn von Streckwitz ist Frau Cromwell so melancholisch, daß sie oft Tage lang nicht spricht, und wir sehen fast niemanden mehr bei uns.«

»Da sehnen Sie sich denn wohl fort von hier, Fräulein Carin?«

Das Mädchen antwortete nicht gleich, dann aber sagte sie mit tiefem Ernst:

»Mich hält das Pflichtgefühl und – die Notwendigkeit. Wo sollte ich wohl hin, Herr Hederich?«

Hierauf fand Hederich keine Worte. Sie waren eben auf die Anhöhe im Park gelangt, und vor ihnen lag die mit Wiesen, Äckern, Waldungen, kleinen glitzernden Flüssen und Ortschaften bedeckte, weite Ebene. Während sie gedankenvoll ins herrliche Land schauten, sagte er:

»Da unten links, wo gerade der Rauch aufsteigt, ist ein kleines Gut zu kaufen. Elmenried heißt es, Fräulein Carin. Ich hätte es mir schon zugelegt, wenn – drum und dran –«

»Nun?« machte Carin verwundert.

»Ach, Fräulein Carin, es geht mir wie Ihnen, ich bin auch einsam, ganz einsam, und möchte – drum und dran – einen festen Halt haben. Das ist es! Das hält mich ab!«

»Sie müßten sich eine Frau nehmen, Herr Hederich!«

»Wer will mich? Und wenn ein Mädchen mich wirklich wollte, so möchte ich sie wohl nicht. Eine, ja eine – die – die –«

Er senkte das Haupt und stöhnte.

Durch das Innere der Verlassenen zog plötzlich ein nie gekanntes Gefühl; diesem braven Manne anzugehören, ein eigenes Haus und Heim zu besitzen, nicht mehr abhängig zu sein, ein Ziel, ein rechtes Dasein zu haben! Welch eine wunderbare Aussicht – welch ein Glück!

Und ergriffen von diesem Gedanken, auch ihm innerlich zugewendet mit einem warmen, zärtlichen Gefühl, erhob sie das Auge und sagte leise:

»Eine, Hederich? – Also doch eine? Darf man ihren Namen wissen?«

Nun wendete auch er das Antlitz zu ihr, und als ihr liebes, gutes Auge so freundlich auf ihm ruhte, brach endlich die Scheu, und er stieß heraus:

»Ja – ich will ihn nennen – drum und dran – denn einmal muß es doch heraus, und wenn es dann auch nichts damit ist. Ich kann es nicht länger bei mir behalten, weil es mir das Herz abdrückt. Sie sind es, Fräulein Carin! Bitte, bitte, nehmen Sie es blos nicht übel – bitte, Fräulein Carin –«

»Übel nehmen? Kann sich ein Mädchen nicht nur geehrt fühlen, wenn ein rechtschaffener Mann ihr seine Hand reichen will, und besonders, wenn auch sie ihm – gut ist – wenn auch sie ihn lieb –«

»Ach – ah – Fräulein Carin!« ging's stürmisch aus des Mannes Brust. »Ist's wahr? Ist's möglich? Sie könnten? – Sie wollten wirklich – ?«

Und als sie nickte und das Antlitz senkte, da griff er nach ihren Händen, küßte sie und weinte und schluchzte und streichelte sie, dankbar wie ein Kind.

Sie aber schüttelte den Kopf und sagte, ihm ehrlich die Hand reichend:

»Nein, nicht so, Hederich. Ich habe zu danken, daß Sie das arme Mädchen ohne Heimat und Familie bei sich aufnehmen wollen, und seien Sie versichert, Sie sollen eine treue, gute Frau an mir finden!«

Die Sonne legte sich eben voll und glänzend über die Landschaft, aber selbst ihr heller Strahl schien dunkel gegen die Lichter, die über des Mannes Antlitz zogen.

»Fräulein Carin – Fräulein Carin!« rief er selig, nahm sie in seine Arme und legte kindlich seinen runden, großen Kopf an ihre Brust. Sie aber ergriff mit beiden Händen des ehrlichen Menschen Haupt, zog es an sich und küßte ihn sanft auf den Mund. –



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