Hermann Heiberg
Todsünden
Hermann Heiberg

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Als an diesem Tage Tankred und Grete nach Tisch sich zurückzogen und das Recht ausübten, das man den nach Alleinsein drängenden Verlobten einräumt, entwand sich Grete ziemlich rasch seinen Armen und sagte:

»Bitte, laß, lieber Tankred! Ich möchte heute einmal mit Dir über die Zukunftsangelegenheiten meiner Eltern sprechen!«

Tankred horchte auf. Was Grete sagte, regte ihn sehr an, und da es sich um diese Angelegenheit handelte, überwand er den Verdruß, daß sie sich den Zärtlichkeiten entzog, nach denen sein leidenschaftlicher Sinn verlangte.

Grete berichtete sodann über das zwischen ihr und ihrer Mutter gepflogene Gespräch und schloß, nachdem sie in ihrer überlegenen Weise die Dinge dargestellt hatte, mit den Worten: »Was meinst Du? Findest Du nicht, daß ich recht habe, wenn ich die Ansprüche der Eltern etwas einzuschränken wünsche?«

Tankred nickte lebhaft. Daß Grete hervorgehoben hatte, bei schlechteren Konjunkturen könnten ihm und ihr nicht dieselben Lasten auferlegt werden wie in guten Zeiten, gefiel ihm ganz außerordentlich.

Hier fand sich der Punkt, an dem er für seine geheimen Absichten anknüpfen konnte.

Nachdem er seine Braut mit vielen offenen und versteckten Komplimenten überschüttet hatte, erwiderte er:

»Wäre es nicht überhaupt am besten, die Akte, wenn solche überhaupt nötig ist, – Mißtrauen können Deine Eltern doch nicht in uns setzen! – so zu fassen, daß wir uns verpflichten, ihnen ein Drittel der jedesmaligen Jahreserträgnisse zu überweisen, so lange beide leben, die Hälfte des Drittels aber, wenn eins von ihnen stirbt? Und wäre es nicht andererseits auch gerecht, wenn sie Dich bei dieser Gelegenheit zum Erben ihres eventuellen Nachlasses einsetzen?«

Grete bewegte den Kopf. Der erstere Vorschlag gefiel ihr, entsprechend ihrer nüchternen Veranlagung, ausnehmend. Der Zusatz, ein kleinliches Spekulieren auf eine sehr große Unwahrscheinlichkeit, mutete sie weniger an. Bis jetzt sträubte sich ihre Natur noch immer dagegen, etwas zu thun, was einen anfechtbaren Charakter trug. Sie suchte aber aus Rücksicht gegen Tankred der Sache eine leichte, mehr komische Seite abzugewinnen, und sagte lächelnd:

»Da können wir ebenso gut die Forderung stellen, daß die Spatzen auf den Dächern Holzwerders nach ihrem Tode ihr Gefieder zu unserer Verfügung stellen. – Ich meine,« fügte sie, selbst gestört durch die Ironie und den Anflug von Unzartheit in ihren Worten, hinzu: »Auf diese Erklärung können wir schon deshalb verzichten, weil nie etwas da sein wird. Meine Eltern verstehen ja gar nicht, Haus zu halten. Und schriftlich muß ich Ihnen die Zusicherung einer Rente geben, und Du mußt, um Deine Zustimmung auszudrücken, mit unterschreiben. Da Mama es so erbeten hat, mag ich es ihr nicht abschlagen.«

»Und ich muß zustimmen, Grete?« fiel Tankred schmeichelnd ein und küßte seine Braut zärtlich. »Du willst also nicht nur Herz- und Seelengemeinschaft, sondern auch Gütergemeinschaft mit mir schließen?«

»Ja, ich mit Dir, und Du mit mir!«

»Ah – –« stieß Tankred heraus und lächelte künstlich.

Das junge Geschöpf behandelte Geldsachen, als ob sie ihr seit Kindesbeinen geläufig seien. Und sie gab wohl, wußte aber auch wieder zu nehmen. Ihre praktische Umsicht war in der That erstaunlich! Aber er ließ nichts von seinen Eindrücken merken, stimmte ihr nur, um ihre Vertrauensseligkeit zu bestärken, durch ein »Natürlich! natürlich, liebster Schatz!« bei und triumphierte, daß ihm solche seine Macht und seinen Einfluß für die Zukunft sichernde Vergünstigung freiwillig geboten ward.

Über die schriftliche Zusicherung, die Tressens gegeben werden sollte, dachte er auch schön günstiger. Wenn kein Fixum festgestellt, vielmehr die Summe von den nicht kontrollierbaren Einnahmen, die das Gut erzielte, abhängig gemacht wurde, dann waren genug Hinterthüren vorhanden, um Tressens später die Einkünfte zu schmälern. – Endlich unterlag der künftige Wohnsitz der »Alten« noch einer Erörterung zwischen Tankred und Grete.

»Ich meine allerdings, daß dies ein Punkt ist, wo Du fest bleiben mußt, Grete. Ohne Not mit den Schwiegereltern zusammenzuwohnen, heißt, täglich das Dach öffnen, um das Wetter hereinzulassen. Aber bitte, berühre diese Sache vorläufig noch gar nicht. Wir werden sagen, daß wir nach der Hochzeit eine Reise unternehmen wollen, und unsere Wünsche sprechen wir dann in sehr rücksichtsvoller, aber ebenso entschiedener Weise schriftlich aus. Mündliche Erörterungen sind peinlich, ihnen wollen wir aus dem Wege gehen. Daß sie uns jährlich einmal besuchen, kann uns natürlich nur sehr willkommen sein, aber sie oben, wir unten, das führt zu nichts Gutem. Übrigens will ich zugeben, –« hier trug Tankred der Möglichkeit Rechnung, daß doch einmal das Gespräch über diesen Gegenstand Tressens zu Ohren kommen könnte, –«daß für ein Zusammenleben wenige Personen sich so eignen, wie Deine überaus treffliche Mutter und Dein sehr liebenswürdiger Papa.«

Grete war sichtlich völlig einverstanden. Gegen das vorgeschlagene Versteckspielen lehnte sich ihre ehrliche Natur freilich ein wenig auf, aber sie überwand ihr Schwanken leicht, weil sie die eben von Tankred hervorgehobene Peinlichkeit einer mündlichen Erörterung in Betracht zog.

»Wann siedelst Du denn nun nach Falsterhof über, lieber Tankred?« warf dann noch Grete hin. »Woran liegt's eigentlich, daß Du nicht Ernst machst? Die Gründe von früher sind doch nun hinfällig.«

Da schoß es Tankred von Brecken durch den Kopf, daß er das Ungünstige für sich günstig nützen könne, und er gab, den Tag, an welchem die Szene mit Frege stattgefunden, auf eine frühere Zeit verschiebend, diesen Vorfall als Grund für sein Fernbleiben von Falsterhof an. Grete werde verstehen, wie ungemütlich es sei, einen solchen renitenten Menschen, den er aber doch nicht fortschicken könne, um sich zu haben. Den Gegenstand, wegen dessen er ihn gezüchtigt hatte, umging er; er erwähnte nur, daß Frege sich höchst unverschämt betragen habe. Eine offene Darlegung des Sachverhalts schien ihm gefährlich; sie konnte doch Mißtrauen erwecken. Gerade das Schriftstück hatte ja Tressens Bereitwilligkeit, einer Verlobung mit Grete zuzustimmen, gefördert; letztere selbst – Tankred bezweifelte es nicht – würde ohne die Aussicht, die ihm durch dasselbe auf Falsterhof eröffnet wurde, gezögert haben, ja zu sagen.

Er durchschaute sie ganz. Sie aber, seiner Kunst erliegend, traute ihm bisher nichts Schlechtes zu; sie fand ihn etwas berechnend und selbstsüchtig, aber das störte sie keineswegs, im Gegenteil, das erhöhte seinen Wert in ihren Augen. –

Inzwischen hatte die Unterredung mit ihrer Tochter Frau von Tressen nicht minder beschäftigt als Tankred und Grete, ja, so wenig vorteilhaft war der Eindruck gewesen, den sie davon empfangen, und so sorgende Zweifel waren in ihr aufgestiegen, daß sie beschloß, einmal vertraulich mit Hederich über den Gegenstand zu reden. Sie glaubte, sie werde durch eine Rücksprache mit ihm Beruhigung finden. Er kannte Grete so lange und hatte sich auch ein Urteil über Tankred gebildet. Der Drang, das, was ihr Herz beschwerte, abzulösen, trieb sie; es lag in ihrer lebhaften Art, daß sie Dinge, die sie beschäftigten, nicht auf sich beruhen lassen konnte.

Da sie Hederich mehrere Tage nicht gesehen hatte, wollte sie auch über Höppners etwas von ihm erfahren. Hederich war, wie das Hausgesinde ihr gesagt, in letzter Zeit sehr oft im Pastorenhause gewesen. Seine Liebe zu der Frau, der einzigen Tochter eines vordem in der Nähe ansässig gewesenen, verstorbenen Gutsbesitzers, bei dem er viel verkehrt hatte, schien keineswegs erloschen. Oder vielleicht hatte sich sein Herz besänftigt, und nur die Gewohnheit trieb ihn häufiger in die Nähe der Pastorin.

Hederich bewohnte ein mit allem möglichen Krimskrams vollgepacktes, zur rechten Hand im Verwalterhause liegendes Parterrezimmer. Als Frau von Tressen bei ihm eintrat, saß er in dem sehr heißen Gemach in Hemdsärmeln und war mit der Prüfung von Gutsrechnungen beschäftigt.

Bei ihrem Kommen sprang er verlegen empor, mühte sich mit großer Ungeschicklichkeit, seinen Hausrock anzuziehen, wobei er zunächst nicht in den Ärmel, sondern in das Brusttaschenloch fuhr, und räumte dann einen mit Rechnungsbüchern bepackten Stuhl ab.

»Hier, hier, bitte, gnädigste Frau. Daß Sie mich auch gerade so finden. Ich bitte, drum und dran, um Entschuldigung.«

Frau von Tressen suchte ihm durch erhöhte Liebenswürdigkeit seine Verlegenheit zu nehmen, setzte sich und kam gleich auf die Sache. Sie teilte Hederich im Vertrauen mit, daß die Zukunft ihr große Sorge mache, und daß sie das Bedürfnis habe, sich gegen ihn darüber auszusprechen.

»Es tritt ein neuer Abschnitt in unserem Leben ein, wir stehen nun wirklich vor dem, was ja einmal kommen mußte, und ich fühle, wie notwendig es ist, den Augenblick zu nützen.«

»Gewiß, gewiß – drum und dran, jeder ist sich selbst der nächste,« bestätigte Hederich, ohne einen in einer abgenagten Spitze steckenden Zigarrenrest fortzulegen, und immerfort mit dem kleinen Finger über die ausgekohlte Fläche fahrend.

»Ja, mein guter Hederich, aber es ist nicht leicht, weil Erörterungen über den Gegenstand peinlich sind. Es beunruhigt mich auch, daß die jungen Leute durchaus nicht zu wünschen scheinen, daß wir auf Holzwerder bleiben.«

Hederich antwortete nicht gleich, er bewegte nur die Schultern und holte seufzend Atem.

›Ja, ja, das glaube ich wohl,‹ stand in seinem Wesen ausgedrückt. Dann aber sagte er freundlich und doch einen ehrerbietigen Ton in seine Worte legend:

»Was meinen Sie, gnädige Frau, wenn ich mal mit Fräulein Grete spräche? Ich weiß, sie giebt was auf mich; ja, sie thut, was ich ihr rate. Neulich kam sie von selbst an und fragte allerlei. Sie wollte wissen, wie viel das Gut abwürfe und anderes, drum und dran.«

»Ich sehe, Sie teilen meine Besorgnisse – ich sage Besorgnisse, Hederich, denn mich von Holzwerder trennen zu sollen, ist mir ein nicht ausdenkbar schmerzlicher Gedanke. Und mit Grete reden? Hm – hm – Sagen Sie, guter Hederich, – offen zwischen uns, was halten Sie von Herrn von Brecken?«

»Dieselbe Frage richtete Grete damals auch an mich,« bestätigte Hederich, kratzte seinen Kopf und sog, in Gedanken verloren, an der zerbissenen Zigarrenspitze.

Hederich hatte mancherlei kleine üble Gewohnheiten, aber in seiner Kleidung war er stets musterhaft sauber, und auch sein Gesicht, so wenig schön es war, besaß eine trockene, gesunde, spiegelsaubere Farbe, die Anlaß gab, daß Kinder sich leicht an ihn schmiegten und ihn herzten. Überhaupt wirkte seine Erscheinung, wenn er nicht gerade das Gesicht unter dem Reflex innerer Eindrücke allzu sehr auf- und abzog, sehr sympathisch.

Eine warme Empfindung durchdrang gegenwärtig auch Frau von Tressen; sie liebte den Mann, sie fühlte grade in diesem Augenblick, wie sehr ihr Herz ihm zugethan war, und seine Bewegungen, das häufige Berühren des Gesichts mit den Händen, sein Kopfkratzen und Schulterziehen gehörten einmal zu ihm.

»Nun, und was erwiderten Sie, Hederich?« fragte Frau von Tressen sehr gespannt.

»Drum und dran, ich sagte, er kenne nur sich und nochmals sich, aber sonst hätte er wohl die ausgelassenen Tage im Rücken und würde sicher künftig seinen Kram zusammenhalten.«

»Sie raten mir also auch, daß ich auf sehr präzisen Abmachungen bestehe? Auf schriftliche!?«

»Na ob!« stieß Hederich heraus.

»So – so – hm – hm,« machte Frau von Tressen. Sie war betroffen, und doch stimmte das Geäußerte mit ihren eigenen, bisher nur zurückgedrängten Gedanken überein. So sagte sie denn:

»Nein, sprechen Sie einstweilen nicht mit meiner Tochter, Hederich. Es sei denn, daß sie selbst anfängt. Und bezüglich unseres Hierbleibens habe ich noch eine Idee. Ich denke, da werde ich schon das Richtige treffen und meine Wünsche zur Geltung bringen. – Um übrigens etwas anderes zu berühren, wie geht es Pastor Höppner?«

»Er kommt sich wieder! Seit gestern nachmittag ist eine Änderung eingetreten,« erklärte Hederich. »Er mag wieder essen, und der Doktor sagt, nun wäre alles gewonnen. Der Pastor lachte gestern, – ich saß an seinem Bett, – als Fräulein, Fräulein – drum und dran – nun kann ich wahrhaftig nicht auf ihren Namen kommen, – Fräulein Carin ihn ein bischen neckte. Ist doch eine Perle von einem Frauenzimmer! Offen gesagt, das kann ich Fräulein Grete nicht verzeihen, daß sie mit ihr so umgesprungen ist.«

Bei Carins Erwähnung machte Hederich sehr eigentümliche Augen, so viel Zärtliches drückte sich in seinen Mienen aus, daß Frau von Tressen überrascht ihren Blick auf ihm ruhen ließ. Dann aber hellte es sich in ihr auf.

Nicht der Pastorin galten am Ende seine vielen Besuche, sondern Carin!

Auch das beschäftigte die Frau, als sie nun Abschied nahm und langsam über den vom Schnee freigelegten Weg aufs Schloß zuschritt. –

Am Abend war eine kleine Gesellschaft von Gutsfreunden aus der Umgegend nach Holzwerder geladen, und sie erschienen alle, obschon am Nachmittag ein schweres Schneetreiben aufgekommen war. Um so anheimelnder wirkten die lichtdurchstrahlten, sanft und gleichmäßig erwärmten, teppichbedeckten Räume im Schloß Holzwerder, und Hederich, der sich als letzter Gast über den schneebedeckten Hof aufgemacht hatte, gab den Empfindungen aller Ausdruck, als er, beim Eintreten von Herrn von Tressen bewillkommt, ausrief:

»Drum und dran! Man wird überhaupt erst wieder Mensch, wenn man hier in die Gemütlichkeit kommt!«

Bei Tisch erhob sich ein sehr lebhaftes politisches Gespräch zwischen den Herren, und später ward eine neue, die Gutsverhältnisse betreffende Regierungs-Verfügung in den Bereich der Erörterung gezogen, die auch nach Aufhebung der Tafel die Herren noch beschäftigte, als sie die Damen allein ließen und sich ins Rauchzimmer begaben.

Als Grete, die sich auch eben bei den Frauen niederlassen wollte, den zurück gebliebenen Hederich bemerkte, machte sie eine auf die Gesellschaft berechnete Bewegung, als ob ihr plötzlich etwas noch notwendig zu Besorgendes einfiele, eilte ins Nebengemach und faßte des alten Freundes Arm.

»Kommen Sie, ich möchte Sie etwas fragen, lieber Hederich!« sagte sie und zog ihn in ein neben dem Zwischengemach befindliches, ebenfalls geöffnetes und erleuchtetes Kabinet.

Er folgte bereitwillig, und nachdem sie ihm für die in seiner Hand befindliche, unangezündete Havannazigarre Feuer aufgedrängt und sich neben ihm niedergelassen hatte, fuhr sie fort:

»Nicht wahr, Mama war heute vormittag bei Ihnen, Hederich? Was wollte sie? Sprach sie über mich?«

»Drum und dran. – Ja! Wenn Sie mich fragen, liebes Fräulein –«

»So – o, also doch!« machte Grete langgezogen, »bitte, sagen Sie mir alles. Ich wäre Ihnen wirklich sehr, sehr dankbar, wenn Sie wir den Inhalt des Gesprächs rückhaltlos mitteilen wollten.«

»Wie kommen Sie denn mit einemmal auf so was?« schob Hederich, sich in seiner platten Weise ausdrückend, eigentlich nur um sich zu sammeln, ein. »Haben Sie Unannehmlichkeiten mit ihr gehabt – ?«

Grete schüttelte den Kopf. »Nein, durchaus nicht! Aber Mama hat in diesen Tagen die Zukunft mit mir besprochen, und ich habe dann mit meinen Verlobten geredet, und da – da – fürchte ich doch, daß sich noch allerlei Schwierigkeiten herausstellen werden. Ich möchte nun gern wissen, worauf sich bei den Eltern die Sache vorzugsweise zuspitzt. Also bitte, erzählen Sie.«

Aber Hederich that nicht gleich, was sie verlangte. Er faßte die Hand des schönen, jungen Geschöpfes, das er einst auf den Knieen gewiegt, und das die Arme so oft zärtlich um seinen Hals geschlungen hatte, und sagte:

»Hören Sie, liebe Grete – liebes Fräulein Grete. Ich möchte Sie, bevor wir weiter sprechen, einmal erinnern dürfen an vergangene Zeiten. Ich bin Ihr alter Freund, – Sie werden mir deshalb das offene Wort zu gute halten – ich bin auch ein Freund Ihrer Eltern und besonders Ihrer Mama. Drum und dran, sie hat ja auch ihre Fehler. Ich sagte es schon neulich, aber sie verehre und liebe ich nun mal ganz besonders, – und da drängt es mich, zu sprechen, damit nichts, gar nichts den guten Frieden des Hauses auch in Zukunft stört. Ich meine, Sie sollten nicht zuerst an sich und Ihren Bräutigam denken, sondern zuerst an Ihre Mama, die seit Ihrer Geburt keinen andern Gedanken hatte, als den, wie sie Sie hochbringen, erziehen und glücklich machen könnte. Verdient das nicht Dank von Ihrer Seite? Kann das jemals vergessen werden? Man sieht es so oft, drum und dran, wie eine Mutter sich den Bissen am Munde abspart, um selbst ihren schon erwachsenen Söhnen und dann auch noch wieder ihren Enkeln etwas zuzuwenden – es ist ja, um das Herz weich zu machen, was solche Frauen fertig bringen! Aber die Kinder, – die Kinder!? Es ist wahr, was in der Bibel steht!

Sie aber, Fräulein Grete, sollten nicht nur an sich denken. Sie sollten nicht zu denen gehören. Gewiß, Sie sind einmal nicht weichmütig, der liebe Gott hat Ihnen mehr den Verstand gegeben. Schon als kleines Mädchen sammelten Sie im Garten alles auf, die Birnen und Äpfel, und sprachen davon, daß man es brauchen könnte. Aber es giebt etwas, das Anständigkeit in der Gesinnung heißt, – drum und dran – mißverstehen Sie mich nicht, und da meine ich, in erster Linie sollten Sie Ihren Eltern hier in Holzwerder die Wohnung lassen.

Sehen Sie, das ist's, was Mama das Herz so schwer macht. Sie sagt, sie könnte es nicht überleben, wenn sie hier weg sollte. Bitte, liebes Fräulein, suchen Sie da das Rechte zu finden: es ist ja immer schwer, wenn man so zusammenhockt, – gewiß, – aber bei jedem Menschen ist etwas, was er wohl anders haben möchte, und – und – ich glaube auch, Ihre Mama wird sich nicht in Ihre Sachen mischen, Ihr Papa erst gar nicht. Wenn Sie gesehen hätten, wie bedrückt sie war –«

Hederich hielt inne und beobachtete, obschon er sich ein anderes Ansehen gab, Gretes Mienen. Freilich fand er nicht ganz das darin, was er gehofft hatte. Gerade dieser Punkt war es ja, der Grete trotz der Abrede mit Tankred Sorge machte. Ihr Instinkt sagte ihr, daß sie aus Erfahrung nicht beurteilen konnte, welche Schwierigkeiten ein Zusammenleben haben werde. Indessen hatte Hederichs Rede doch einen weit tieferen Eindruck auf sie gemacht, als es ihm scheinen wollte.

Sie drückte die hingehaltene Hand des Alten und sagte ernst, fast schwermütig:

»Es ist mir oft so, als wäre mein Herz geteilt, und die beiden Hälften gehörten gar nicht zusammen. Bisweilen bin ich nur Gefühl, und alles, was ich thue, unterliegt ihm. Manchmal wieder ist's ganz anders. Nicht nur der Verstand spricht dann, sondern ich lehne mich fast boshaft auf gegen alles, was sich mir entgegenstellt. Ja, boshaft, Hederich! Ich fühle Befriedigung darin, jemandem weh zu thun. So war's mit Carin.

Es brannte in mir, ihr Unangenehmes zu sagen, ich wollte mich auch von ihren stets vigilierenden Augen befreien. Und als sie fort war, sehnte ich mich zwar nicht nach ihr, ein Beweis, – daß ich sie wohl doch nicht so geliebt habe, wie ich glaubte, – aber ich schämte mich meiner Herzlosigkeit. Was wohl noch einmal aus mir wird! Ich ängstige mich bisweilen. – Ich glaube – ich glaube –«

»Nun?« setzte Hederich, weich sprechend, an.

Das Mädchen richtete sich höher empor, sah Hederich fest in die Augen und sagte, die Stimme dämpfend: »Ja, ich glaube eigentlich, daß ich hätte einen Mann haben müssen, der wie Pastor Ja-ja viel, sehr viel Herz hat, nicht mir so ganz ähnlich sieht, wie Brecken. Wenn ich allein bin, mache ich Pläne, wie ich doch den Eltern alles zuwenden will, – zwar nicht ganz so, wie sie es meinen, aber doch reichlich – und wenn ich ihn dann höre, und es zur That kommen soll, so erheben sich wieder ganz andere Stimmen in mir.

Nicht wahr, Sie sagen niemandem, daß ich je so mit Ihnen sprach, Hederich! Sie aber sollen doch sehen, daß ich nicht so herzlos bin, – schlecht und berechnend nennen sie mich sogar in der Nachbarschaft; ja, ja, ich weiß wohl, wie sie über mich urteilen, – also, daß ich nicht so herzlos bin, um sich sogar des Nachdenkens über mich zu entschlagen.«

»Sie sagten eben,« knüpfte Hederich an, und eine Hoffnung, rasch wie ein Funke, glühte plötzlich in ihm empor, »daß Sie fühlen, Sie müßten einen weicher gearteten Menschen an Ihrer Seite haben. Heißt das, drum und dran, daß Sie Ihre Wahl bereuen? O, dann handeln Sie, so lange es noch Zeit ist. Ich bitte, ich beschwöre Sie! Die Augenblicke, wo die Sinne sprechen, sind kurz, – nachher kommt eine lange, ewig lange Zeit, und wenn man dann nicht zu einander paßt, möchte man alles hingeben, um wieder los zu werden, was man zu erobern so viel Eile hatte.«

Es flog durch den Körper des Mädchens, als ob ein Schauder sie erfaßte; sie atmete tief, tief auf und starrte, die Augen senkend, auf den Fußboden.

»Ach Hederich – ich weiß es nicht,« drang's rasch und stöhnend aus ihrem Munde, und ein hülfloser Ausdruck trat in ihre Züge. Aber es war nur für Sekunden. Dann war alles wieder verwischt, sie schüttelte den Kopf, in ihren Mienen lag das alte Phlegma, und sie sagte fast geschäftsmäßig:

»Das ist eben der Kampf bezüglich seiner. Aber es ist doch nicht das Richtige. Ein Mensch muß wissen, was er will!«

Zum Unglück trat, als Hederich trotz ihrer Äußerungen noch einmal anknüpfen wollte, – so viele, eindringliche, beredte Worte lagen ihm auf der Zunge, – Frau von Tressen ins Gemach, und ihre Unterhaltung ward unterbrochen.

»Da bist Du, Grete. Tankred sucht Dich überall« rief sie. Und neckend fuhr sie fort:

»Er wird sicher eifersüchtig werden, wenn er erfährt, daß Du so lange mit Hederich in heimlicher Ecke geplaudert hast!«

Grete aber sagte zur höchsten Überraschung beider sehr ernst, fast finster:

»Er hat wirklich auch Ursache, eifersüchtig zu sein! Ich kenne keinen besseren Mann auf der Welt, als Hederich, und ich hätte gleich ja gesagt, wenn er um mich angehalten hätte.«

Nach diesen Worten eilte sie rasch fort.

Nachdem Frau von Tressen sich von ihrem Erstaunen erholt hatte, stieß Hederich, dem's blutrot über das Gesicht gelaufen war, unter Umgehung von Gretes letzten Worten heraus:

»Drum und dran, gnädige Frau, sie hat doch ein gutes Herz. Aber freilich, er, – er wird's nicht ausbilden!« Nun schritten sie beide nachdenklich, aber mit dann sich rasch wieder glättender Miene auf den Kreis der Gäste zu. –



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